5. Juni 2024
Newsletter Marke Design Wettbewerb Juni 2024 – 8 von 8 Insights
Am 13. Mai 2024 ist die neue Verordnung über geografische Angaben für Wein, Spirituosen und landwirtschaftliche Erzeugnisse (g.A.-VO) in Kraft getreten. Damit ist eine umfassende Reform abgeschlossen, die von der EU bereits im Jahr 2020 mit dem Ziel angestoßen wurde, die unterschiedlichen Regelungen für geografische Angaben für Wein, Spirituosen und landwirtschaftliche Erzeugnisse zu vereinfachen, zu präzisieren, zu ergänzen und zu harmonisieren.
Durch die neue Verordnung werden die über Jahre hinweg nach und nach entstandenen EU-weiten Rechte an geografischen Angaben für die verschiedenen Erzeugniskategorien Wein, Spirituosen und landwirtschaftliche Erzeugnisse, die bisher uneinheitlich in vier getrennten Rechtsakten geregelt waren, in einer einzigen Verordnung behandelt. Doch wird dadurch jetzt alles einfacher, einheitlicher und besser?
Herzstück der neuen g.A.-VO dürfte Art. 26 sein, der den Schutzumfang von geografischen Angaben bestimmt. Beibehalten wird dabei das bereits aus der bisherigen Gesetzgebung bekannte vierstufige Schutzniveau. So werden geografische Angaben gemäß Art. 26 Abs. 1 weiterhin gegen (a) direkte und indirekte Verwendung; (b) Aneignung, Nachahmung oder Anspielungen; (c) sonstige falsche oder irreführende Angaben; sowie (d) alle sonstigen irreführenden Praktiken geschützt.
Überraschenderweise enthält die g.A.-VO, anders als die bereits 2023 in Kraft getretene EU-Verordnung über den Schutz geografischer Angaben für handwerkliche und industrielle Erzeugnisse (siehe dazu unser Insight vom 11. Oktober 2023 hier), eine Definition des Begriffs der Anspielung nicht in Art. 26 (im ursprünglichen Entwurf war dies noch der Fall), sondern lediglich in den Erwägungsgründen. Dort heißt es:
„Gestützt auf die ständige Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union kann eine Anspielung auf eine geografische Angabe insbesondere dann vorliegen, wenn für den normal informierten, angemessen aufmerksamen und verständigen europäischen Durchschnittsverbraucher ein gedanklicher Zusammenhang mit dem durch die eingetragene geografische Angabe bezeichneten Erzeugnis, auch in Bezug auf einen Begriff, ein Zeichen oder eine andere Kennzeichnungs- oder Verpackungsvorrichtung, hergestellt wird.“
Dies deckt sich weitgehend mit der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH), wobei jedoch nicht erwähnt wird, dass ein solcher gedanklicher Zusammenhang „unmittelbar und eindeutig“ sein muss.
Neu kommt hinzu, dass sich der in Art. 26 Abs. 1 statuierte Schutz der geografischen Angaben nun auch auf alle in der EU zugänglichen Domainnamen erstreckt. Entscheidend ist allein, ob die Domain in der EU zugänglich ist. Ob die Registrierungsstelle der Domain ihre Niederlassung innerhalb der EU hat, soll hingegen ausdrücklich nicht von Bedeutung sein. Zur Durchsetzung des Schutzes können die geografischen Angaben in alternativen Streitbeilegungsverfahren für Domainnamen vor den entsprechenden Registrierungsstellen – jedenfalls, wenn diese in der EU niedergelassen sind – geltend gemacht werden.
Außerdem wird der Schutz von geografischen Angaben – einschließlich des Schutzes vor Anspielungen – auf Waren in Durchfuhr ausgeweitet. Das bedeutet, dass die Vorschriften auch für solche Waren gelten, die nur in das Zollgebiet der Union gebracht werden, um von hier aus weiter in Drittländer geliefert zu werden. Ebenso wird ausdrücklich klargestellt, dass der Schutz auch für Waren gilt, die für den Export in Drittländer bestimmt sind, und dass die unrechtmäßige Verwendung von geografischen Angaben auch bei diesen verhindert werden muss.
Weiter legt die g.A.-VO nun in Art. 27 auch die Regeln für die Verwendung von geografischen Angaben als Zutaten in verarbeiteten Erzeugnissen gesetzlich fest, die zuvor von der Rechtsprechung entwickelt worden sind. Die Verordnung baut diesbezüglich auf der Rechtsprechung des EuGH auf: Die geografische Angabe darf demnach nur dann im Namen, der Kennzeichnung oder dem Werbematerial des Verarbeitungserzeugnisses verwendet werden, wenn (a) das finale Produkt keine andere Zutat enthält, die mit der durch die geografische Angabe geschützten Zutat vergleichbar ist, (b) die Zutat, die mit der geografischen Angabe bezeichnet wird, in einer solch ausreichenden Menge vorhanden ist, dass sie „dem Verarbeitungserzeugnis eine wesentliche Eigenschaft verleiht“, und (c) diese Menge als Prozentzahl auf dem Etikett angegeben wird. Sofern es eine anerkannte Erzeugervereinigung gibt (siehe hierzu unten), müssen Erzeuger vorverpackter Lebensmittel diese zudem rechtzeitig über ihr Produkt und die Verwendung der geografischen Angabe informieren.
Die g.A.-VO regelt umfassend die Verwendung von geografischen Angaben und deren Abkürzungen und führt zudem neue Unionszeichen zu deren Kennzeichnung ein, die von der Kommission entwickelt werden. Insoweit bietet der Art. 37 der g.A.-VO eine ausführliche Anleitung zur richtigen Kennzeichnung von Erzeugnissen auf der Verpackung und im Werbematerial, insbesondere auch in Bezug auf die Darstellungsform (wie Größe und Platzierung). Dabei werden zwei neue Unionszeichen mit einer Nutzungsverpflichtung für (1) geschützte Ursprungsbezeichnungen (g.U.) und (2) für geschützte geografische Angaben (g.g.A.) bei landwirtschaftlichen Erzeugnissen eingeführt. Für Spirituosen gelten weiterhin deren besondere Kennzeichnungsvorschriften, die Verwendung der neuen Unionszeichen ist für hier nur optional vorgesehen. Auch Erzeugnisse aus Drittländern, die im Unionsregister der geografischen Angaben eingetragen sind, dürfen die Unionszeichen in der Kennzeichnung freiwillig verwenden. Hinsichtlich der Verwendung von Angaben und Abkürzungen unterscheidet die g.A.-VO u.a. wie folgt:
Im Übrigen dürfen auch Text, Abbildungen oder Zeichen, die sich auf den Mitgliedstaat und die Region beziehen, in dem bzw. der das geografische Ursprungsgebiet liegt, aufgeführt werden, wenn der Verbraucher dadurch nicht in Bezug auf die tatsächliche Identität oder den Ursprung des Erzeugnisses irregeführt wird. Ein Blick in diese ausführliche Regelung lohnt sich!
Der Schutz der garantiert traditionellen Spezialitäten (g.t.S.) – eine Schutzkategorie, die vielen unbekannt sein dürfte – wird auch in der neuen g.A.-VO beibehalten. Diese Kategorie, die in der Union im Jahr 1993 eingeführt wurde, soll traditionelle Erzeugungsverfahren und Rezepte schützten, bewahren und zu deren Wertschätzung beitragen. Aktuell sind im Vergleich zu 3.595 registrierten geografischen Angaben lediglich 81 garantiert traditionelle Spezialitäten eingetragen bzw. befinden sich noch im Eintragungsprozess. Beispiele sind „Pizza Napoletana“ (siehe dazu unser Insight vom 3. August 2022 hier) und „Mozzarella Tradizionale“; aktuell im Eintragungsverfahren befindet sich auch der „Döner“. Dennoch gibt der Gesetzgeber den garantiert traditionellen Spezialitäten eine weitere Chance. Er hat die Hoffnung, diese Schutzmöglichkeit durch verbesserte, präzisere und prägnantere Regelungen für potenzielle Nutzer verständlicher, anwendungsfreundlicher und attraktiver zu machen.
Ziel der g.A.-VO ist es auch, die Erzeuger von Produkten mit geografischen Angaben darin zu bestätigen, der Nachfrage der Gesellschaft nach besonders nachhaltig und tiergerecht produzierten Erzeugnissen gerecht zu werden. Hierzu können Erzeugervereinigungen Nachhaltigkeitsverpflichtungen mit den Mitgliedern der Vereinigung vereinbaren. Diese müssen einen höheren Standard setzen als die im Unionsrecht oder im nationalen Recht ohnehin festgelegten Anforderungen an den Tierschutz sowie die soziale, ökologische oder wirtschaftliche Nachhaltigkeit.
Zur Durchsetzung des Schutzes der geografischen Angaben bedient sich die g.A.-VO weiterhin der einzelnen Mitgliedstaaten und deren zuständigen Behörden sowie der sog. Erzeugervereinigungen. Dabei soll neben anderen Akteuren insbesondere die Position von Erzeugern und Erzeugervereinigungen geklärt und gestärkt werden.
Eine Erzeugervereinigung ist eine Vereinigung von Erzeugern desselben Produkts, ungeachtet ihrer Rechtsform. Sie muss (a) Aufgaben im Rahmen dieser Verordnung wahrnehmen, (b) auf Initiative der Erzeuger freiwillig gegründet sein und sich aus ihnen zusammensetzen, und (c) demokratisch organisiert sein und von ihren Mitgliedern kontrolliert und überwacht werden. Weitere Voraussetzungen können von den Mitgliedstaaten festgelegt werden.
Erzeugervereinigungen können unter anderem geeignete Maßnahmen ergreifen (einschließlich rechtlicher Maßnahmen und der Einreichung von Anträgen auf Tätigwerden bei den Zollbehörden), um den Schutz der geografischen Angaben sicherzustellen und Tätigkeiten oder Vermarktungspraktiken zu verhindern oder zu unterbinden, die dem Ansehen oder dem Wert der betreffenden geografischen Angaben schaden oder schaden könnten. Auch darüber hinaus werden den Erzeugervereinigungen weitere Befugnisse und Verantwortlichkeiten für die Verwaltung und den Schutz der geografischen Angaben übertragen, wie etwa die Vertretung ihrer Mitglieder in Netzwerken zum Schutz des geistigen Eigentums, die Vereinbarung nachhaltiger Praktiken und die Überwachung der Märkte.
Zusätzlich können Mitgliedstaaten ein System sog. „anerkannter Erzeugervereinigungen“ etablieren. Tun sie dies, müssen weitere Kriterien für die anerkannten Erzeugervereinigungen festgelegt werden, wie etwa eine bestimmte Rechtsform und einen Mitgliederanteil von mindestens 50% aller Erzeuger. Sofern eine Erzeugervereinigung anerkannt ist, kann diese die einzige Erzeugervereinigung sein, die berechtigt ist, bestimmte Aufgaben im Namen aller Erzeuger auszuüben.
Die zuständigen Behörden bzw. Produktzertifizierungsstellen der Mitgliedstaaten sollen vor dem Inverkehrbringen die Einhaltung der Produktspezifikation überprüfen. Auch nachdem die Erzeugnisse in den Verkehr gebracht wurden, sind die Behörden der Mitgliedstaaten für die Kontrolle und Durchsetzung der geografischen Angaben verantwortlich. Ebenso müssen Mitgliedstaaten angemessene Verwaltungs- und Justizmaßnahmen ergreifen, um die Verwendung von Produktbezeichnungen, die gegen Art. 26 oder 27 verstoßen zu verhindern oder zu unterbinden.
Durch die neue Verordnung soll zudem gewährleistet werden, dass online verkaufte Produkte die Vorschriften zum Schutz der geografischen Angaben einhalten. So werden unter anderem jegliche Informationen im Zusammenhang mit der Werbung, der Absatzförderung und dem Verkauf von Waren im Internet, zu denen in der Union ansässige Personen Zugang haben, und die gegen den Schutz von geografischen Angaben gemäß Art. 26 oder 27 verstoßen, als rechtswidrige Inhalte im Sinne des Gesetzes über digitale Dienste (Digital Services Act, DSA) behandelt. Mitgliedstaaten müssen zudem den Zugang zu gegen Art. 26 verstoßenden Domains in ihrem Gebiet unterbinden.
Die langwierigen Eintragungs- und Änderungsverfahren sollen weiter vereinfacht und beschleunigt werden. Aufbauend auf den bereits bestehenden Vorschriften wird das Eintragungsverfahren für geografische Angaben im Rahmen der g.A.-VO aus einer nationalen Phase und einer sich anschließenden Unionsphase bestehen. Die Prüfung auf EU-Ebene wird von der EU Kommission durchgeführt. Für die einzelnen Schritte führt die Verordnung strenge und kürzere Fristen ein, was zu einem Anstieg der Anmeldungen führen soll.
Die Rolle des Amtes der Europäischen Union für geistiges Eigentum (EUIPO) im Registrierungsverfahren von geografischen Angaben war in den Verhandlungen umstritten. Während die Kommission ursprünglich versuchte, die Rolle des EUIPO bei der Prüfung zu stärken, lehnten die Verbände der Erzeuger dies mit der Begründung ab, dass Anträge für geografische Angaben nicht mit Marken gleichgesetzt werden sollten. Die Prüfung verbleibt daher bei der Kommission, während das EUIPO lediglich administrative Aufgaben wie das Führen eines Registers für geografischen Angaben sowie voraussichtlich die Einrichtung und Verwaltung eines Informations- und Warnsystems für Domainnamen übernimmt. In Bezug auf geografische Angaben für handwerkliche und industrielle Erzeugnisse ist das EUIPO hingegen für die Prüfungsphase auf EU-Ebene vollumfänglich zuständig.
Ob durch die neue Verordnung alles einfacher, einheitlicher und v.a. besser wird, wird sich zeigen. Von Vorteil ist sicherlich, dass sich nun alle relevanten Vorschriften für geografische Angaben für Lebensmittel in einer einzigen Verordnung finden. Es bleibt jedoch dabei, dass für Spirituosen, Weine und landwirtschaftliche Erzeugnisse teilweise unterschiedliche Regelungen gelten. Dies ist aufgrund der Natur und Besonderheit der Erzeugnisse auch durchaus berechtigt, führt jedoch dazu, dass in der praktischen Anwendung der g.A.-VO genau geprüft werden muss, welche Vorschriften für die jeweiligen Produkte gelten.
Inwieweit die deutschen Behörden bei der Kontrolle und Durchsetzung der Regelungen tatsächlich mehr Verantwortung übernehmen, bleibt abzuwarten. Zu erwarten ist eher, dass die Durchsetzung des Schutzes weiterhin in erster Linie über Wettbewerber und (Verbraucherschutz-)Vereinigungen ausgetragen wird. Insofern ist es wichtig, dass Erzeugervereinigungen gestärkt werden.
5. June 2024
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von Dr. Wiebke Baars, LL.M. und Katharina H. Reuer, M. Jur. (Madrid)
von Dr. Wiebke Baars, LL.M. und Katharina H. Reuer, M. Jur. (Madrid)