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23. Februar 2023

Ausblick 2023 – 7 von 7 Insights

Tech Ausblick 2023: Jugendschutzrecht

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Autoren

Jo Joyce

Senior Counsel

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Thanos Rammos, LL.M.

Partner

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Die Bestimmungen zum Jugendschutz in Europa werden sich in den nächsten Jahren erheblich ändern. In Deutschland und im Vereinigten Königreich haben Gesetzgeber bereits begonnen, Gesetze zu reformieren. 2023 wird ein interessantes Jahr werden, denn Anfang 2024 tritt der Digital Services Act in Kraft, der auch den Jugendschutz z.T. reguliert. In diesem Artikel werfen wir einen Blick auf die neusten und künftigen Entwicklungen.


In Europa gibt es traditionell keine Harmonisierung im Bereich des Jugendschutzes. In einigen Ländern gibt es keine speziellen Gesetze dahingehend. Andere Länder mit spezifischen gesetzlichen Jugendschutzbestimmungen stützen sich oft auf Gesetze, die aus einer Zeit vor dem Internet stammen bzw. in der Kinder noch nicht so häufig online waren. Im Gegensatz dazu hat Deutschland bereits Anforderungen eingeführt, die sich auf bestimmte Aspekte der Online-Aktivitäten von Kindern beziehen, insbesondere auf sog. Hosting-Plattformen oder bei Film- und Spiele-Anbietern. Das Vereinigte Königreich hat in Antizipation auf weitere Änderungen auf EU-Ebene seinen eigenen Wechsel von einer maßvollen Regulierung zu weitaus detaillierteren und strengeren Anforderungen für digitale Unternehmen eingeleitet.

Hintergrund in Deutschland

In Deutschland sind die gesetzlichen Bestimmungen zum Jugendschutz derzeit in zwei verschiedene Gesetze aufgeteilt. Für diese Gesetze und deren Reform sind unterschiedliche Gesetzgeber zuständig. Zum einen gibt es das Jugendschutzgesetz des Bundes („JuSchG") und zum anderen den Jugendmedienschutz-Staatsvertrag, der zwischen den 16 Bundesländern vereinbart wird ("JMStV"). In der Vergangenheit galt das JuSchG für den Offline-Bereich. Dies betrifft nicht nur die Verbreitung von Inhalten auf Trägermedien, d.h. Büchern, CDs, DVDs usw., sondern auch den Verkauf von Waren, wie Alkohol oder Tabak, und die diesbezüglichen Anforderungen an die Altersverifikation, auch im Wege des Versandhandels. Im Gegensatz dazu enthält der JMStV Anforderungen für Websites, Apps und andere Formen der Online-Verbreitung von Inhalten. Einige Grundsätze aus dem JuSchG, wie die Alterskennzeichnung und die Altersverifikation, gelten auch im JMStV. Die Anforderungen sind jedoch leider nicht vollständig deckungsgleich. Trotz jahrelanger Kritik an der dadurch entstehenden Verunsicherung von Markttakteuren und Verbrauchern und Diskussionen mit dem Ziel einer Konvergenz, hat der Gesetzgeber bis heute keine grundlegende Überarbeitung durchgeführt.

Aktueller Stand in Deutschland

Das JuSchG wurde im Jahr 2021 novelliert und sieht im Gegensatz zu früher konkrete Pflichten für bestimmte Online-Geschäftsmodelle vor. Anbieter von Film- und Spieleplattformen sowie Host-Provider müssen bestimmte Anforderungen umsetzen. Die Reform des JuSchG führte zu einer Diskussion, ob auch eine Aktualisierung des JMStV fällig ist. Der JMStV ist in seiner aktuellen Fassung seit 2016 in Kraft. Eine Reform mit dem Ziel, ihn an die aktuelle Nutzung von Online-Diensten anzupassen, war in der jüngeren Vergangenheit häufig diskutiert worden. Da der Bundesgesetzgeber das JuSchG reformiert hat, sahen die Landesgesetzgeber ebenfalls Handlungsbedarf. In der Folge wurde ein viel diskutierter "Diskussionsentwurf" des JMStV veröffentlicht, dessen letzte Fassung auf April 2022 datiert. Dieser sieht vor allem zwei grundlegende Änderungen vor: i) Anbieter von Inhalten und Apps müssen alle Inhalte auf ihren Diensten gemäß den Alterskategorien nach deutschem Recht (0, 6, 12, 16 und über 18 Jahre) kennzeichnen, also anders als einige internationale Kategorien; und ii) Anbieter von Betriebssystemen müssen eine „Jugendschutzeinstellung“ als Standard implementieren, die die jeweilige Alterskategorie erkennen und entsprechende Inhalte herausfiltern kann. Dies hat dazu geführt, dass viele der am Gesetzgebungsverfahren Beteiligten von einer faktischen Sperrung jeglicher Inhalte durch v.a. ausländische Anbieter ausgehen, die nicht in der Lage sein könnten, alle Inhalte zu bewerten und entsprechend zu klassifizieren. Die Verhandlungen über diesen Diskussionsentwurf und die umfangreichen neuen Anforderungen werden wahrscheinlich 2023 fortgesetzt.

Andere Entwicklungen in Deutschland

Die Rechtsdurchsetzung in Deutschland ist traditionell eher maßvoll. Im Jahr 2021 sorgte jedoch ein Verfahren gegen Online-Anbieter von Websites mit pornografischen Inhalten in Bezug auf die Anforderungen an die Altersverifikation für viel Aufmerksamkeit. Die Anbieter stellten Inhalte ohne die erforderlichen Altersbeschränkungen zur Verfügung. Die Landesaufsichtsbehörde (die Landesanstalt für Medien in Nordrhein-Westfalen) hatte Anordnungen gegen die Anbieter erlassen, um den Zugang zu den Websites zu sperren. Diese waren jedoch von Zypern aus tätig. Dieses Vorgehen widersprach somit dem Herkunftslandprinzip. Die Aufsichtsbehörde argumentierte, wie in einem Interview erläutert, dass die Webseiten auf den deutschen Markt abzielten (z.B. durch die deutsche Sprache auf der Webseite) und die Anforderungen des JMStV Anwendung fänden. Die Aufsichtsbehörde hatte sich zunächst mit der Behörde in Zypern abgestimmt und parallel dazu auch die EU-Kommission informiert. Im September 2022 bestätigte ein zweitinstanzliches Urteil des Obersten Gerichtshofs diese Position. Vor diesem Hintergrund kann es im Jahr 2023 und in naher Zukunft zu weiteren Aufsichts- und Vollstreckungsmaßnahmen gegen andere Anbieter mit Sitz außerhalb Deutschlands kommen.

Ausblick im Lichte des DSA

In den nächsten Jahren wird sich das Jugendschutzrecht aufgrund des Digital Services Act (DSA) erheblich verändern. Dieser wurde im Oktober 2022 verabschiedet und ist ab 17. Februar 2024 EU-weit gültig. Da er einen breiten Anwendungsbereich hat, wird es zu einer teilweisen Reform des Jugendschutzes in Deutschland führen. Der DSA adressiert ausdrücklich das Thema Jugendschutz. Art. 28 DSA verpflichtet die Anbieter von Online-Plattformen, ein hohes Maß an Privatsphäre, Sicherheit und Schutz von Minderjährigen im Rahmen ihrer Dienste zu gewährleisten. Darüber hinaus regelt es auch das Online-Marketing an Minderjährige. Vor diesem Hintergrund wird die EU ab 2024 die alleinige Zuständigkeit für diese Themen haben, zumindest in Bezug auf "Online-Plattformen" im Sinne des Jugendschutzgesetzes. Das JuSchG wird voraussichtlich bestehen bleiben, soweit es Offline-Themen regelt. Diese fallen nicht in den Anwendungsbereich des DSA. Demgegenüber werden die Länder den JMStV anpassen müssen. Möglicherweise gibt es noch Spielraum, um Inhalte, Vermittler und insbesondere Hosting-Diensteanbieter auf nationaler Ebene zu regulieren. Dies könnte jedoch aufgrund der heterogenen Anforderungen in Deutschland zu noch mehr Unsicherheit führen.

Hintergrund im Vereinigten Königreich

Das Vereinigte Königreich hat traditionell immer eine maßvolle Regulierung bevorzugt, wenn es um die Online-Sicherheit geht. Dies gilt auch für den Jugendschutz. Abgesehen von den Anforderungen in Bezug auf den Verkauf von physischen Produkten (die bei der Auslieferung durchgesetzt werden) und schweren Straftaten im Zusammenhang mit dem sog. Grooming und dem Missbrauch von Kindern, hat der britische Gesetzgeber nur zögerlich Gesetze in diesem Bereich erlassen.

Für bestimmte Inhalte (egal ob sie heruntergeladen oder gestreamt werden) können Mindestaltersempfehlungen ausgesprochen werden. Im Falle von Filmen gilt die Einstufung des British Board of Film Classification (BBFC). Allerdings gibt es online keinen Durchsetzungsmechanismus, wie es ihn für Spielfilme im Kino gibt. Im Vereinigten Königreich gibt es derzeit keine Beschränkungen oder Verfahren zur Altersüberprüfung, was bedeutet, dass es den Eltern und anderen Erwachsenen obliegt, den Zugang zu kostenlosen und kostenpflichtigen Inhalten zu beschränken.

Im Falle von Videospielen ist die Lage etwas anders. Die Spieleplattformen und -publisher im Vereinigten Königreich folgen dem europaweiten PEGI-System und/oder dem System der International Age Rating Coalition (IARC ) für Inhalte, die über den Apple App Store erhältlich sind. Obwohl physische Geschäfte und Online-Anbieter keine Spiele an Minderjährige verkaufen dürfen, die jünger sind als die PEGI-Einstufung des Spiels, gibt es keinen Mechanismus zur Durchsetzung dieser Online- und nun auch Altersverifikationsanforderung für Spieleplattformen.

Gefahren für Kinder lauern auch an anderen Orten als bei Spielen und Streaming-Plattformen, und 2017 versuchte die britische Regierung, einen Aspekt davon mit dem Digital Economy Act 2017 anzugehen. Das Gesetz enthielt Befugnisse für die BBFC zur Durchsetzung eines Altersüberprüfungssystems, das für Websites, die Pornografie mit Gewinnabsicht veröffentlichen, verpflichtend wäre. Die Versuche, ein praktikables System zu entwickeln, verliefen jedoch 2019 im Sande, als die Regierung ankündigte, den Plan zugunsten eines neuen und umfassenderen Systems der Internetregulierung zu verwerfen. Daraus entwickelte sich schließlich die viel diskutierte britische Online Safety Bill (OSB).

Die britische OSB

Die OSB hat aufgrund seines breiten Anwendungsbereichs und einem Ansatz, der die Vertreter freier Meinungsäußerung beunruhigte, einen steinigen Weg hinter sich. Obwohl dessen Entwicklung auch durch politische Unsicherheit und Führungswechsel im Vereinigten Königreich behindert wurde, war der Hauptgrund für die Verzögerung der frühe Plan des Gesetzgebers, legale, aber schädliche Inhalte zu regulieren. Der Gesetzentwurf thematisiert in erster Linie Kinder, enthält jedoch auch umfangreiche Bestimmungen zum Schutz aller Personen, unabhängig von ihrem Alter. Frühe Versionen der OSB sahen vor, dass das Office of Communications, die Telekommunikationsaufsichtsbehörde des Landes, Regeln durchsetzen sollte, die große Plattformen dazu verpflichten, gegen schädliche, aber legale Inhalte wie die Förderung von Selbstverletzung, Essstörungen oder Mobbing vorzugehen. Technologieunternehmen und Vertreter freier Meinungsäußerung äußerten Bedenken über die Durchführbarkeit und Sinnhaftigkeit dieses Ansatzes, vor allem, wenn das Vereinigte Königreich sich damit so weit von dem Ansatz der EU entfernen würde. Die Erwartung, "schädliche" Inhalte zu überwachen und zu bekämpfen, wurde in der letzten Fassung der im Dezember 2022 veröffentlichten OSB weitgehend abgeschwächt. Die Verantwortung für die Verwaltung nutzergenerierter Inhalte verbleibt nun weitgehend bei den Plattformen selbst.

Ein ganzheitlicher Ansatz oder ein regulatorischer Flickenteppich im Vereinigten Königreich?

Der überambitionierte Ansatz des Vereinigten Königreichs bei der Bekämpfung von Online-Gefahren hätte sich in einer politisch weniger turbulenten Zeit vielleicht ausgezahlt. Aber das Ringen um die Verabschiedung der OSB zeigt, wie schwierig es ist, die komplexen Herausforderungen, mit denen die Teilnehmer der digitalen Wirtschaft konfrontiert sind, isoliert anzugehen. Im Gegensatz dazu kann eine engere Abstimmung zu einem größeren Erfolg führen. Im Zusammenhang mit dem Schutz von personenbezogenen Daten ist die britische Version der Datenschutz-Grundverordnung eng an das Original angelehnt. Dabei hat der britische Age Appropriate Design Code (der auf der DSGVO aufbaut) erfolgreich dazu beigetragen, den Umgang mit personenbezogenen Daten von Kindern im Internet zu verändern. Er ist zudem zu einem Vorbild für das kürzlich verabschiedete kalifornische Gesetz für altersgerechtes Design (Age Appropriate Design Code Act) geworden. Es bleibt abzuwarten, ob die OSB, welche im Frühjahr 2023 in Kraft treten soll, in einer digitalen Welt ohne Grenzen, ohne eine engere Angleichung an den DSA eine sinnvolle Wirkung entfalten kann.

Die Zukunft in Europa

Der Jugendschutz war schon immer ein sensibles und viel diskutiertes Thema mit einer heterogenen Rechtslage in Europa. Während der DSA zu einer teilweisen Harmonisierung in der EU führen könnte, wird dies wahrscheinlich nicht das Ende der Diskussionen sein. Die britische OSB scheint dem DSA näher zu kommen, als die britische Regierung ursprünglich beabsichtigt hatte. Der Weg bis zum geschriebenen Gesetz ist jedoch noch lange nicht geebnet. Auch in der EU scheinen die nationalen Gesetzgeber derzeit noch länderspezifische Anforderungen im Blick zu haben. Dies macht die Einhaltung der Vorschriften insbesondere für Online-Dienste schwierig. Die Beobachtung der Entwicklungen im Jahr 2023 seitens Unternehmen ist besonders wichtig. Online-Plattformen sollten auf die Umsetzung der Anforderungen des DSA und der Anforderungen des OSB, wenn diese in Kraft treten, vorbereitet sein. Unabhängig davon, ob sie einen einheitlichen Ansatz für die internationale Einhaltung der Vorschriften anstreben oder stattdessen versuchen, sich an die lokalen Anforderungen und Erwartungen anzupassen, sollten die Online-Plattformen damit rechnen, dass sie erhebliche Ressourcen in die Einhaltung der Vorschriften investieren müssen, insbesondere wenn Kinder beteiligt sind.

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