Unternehmen, die in den deutschen Gesundheitsmarkt investieren, werden häufig despektierlich als Heuschrecken betitelt, die den Ausverkauf der Medizin vorantrieben und für die Verschlechterung der medizinischen Versorgung verantwortlich seien. Bundesgesundheitsminister Prof. Dr. Karl Lauterbach, der inzwischen ausgeschiedene ehemalige bayerische Gesundheitsminister Klaus Holetschek und einige Amts- und Mandatsträger der (zahn)ärztlichen Selbstverwaltung treten als politische Vorkämpfer auf und fordern eine strikte Begrenzung des Wirkens von Investoren im Gesundheitswesen.
Angesichts solcher öffentlichen Äußerungen hat Taylor Wessing untersucht, ob Amts- und Mandatsträger der (zahn)ärztlichen Selbstverwaltung, beispielsweise der Kassen(zahn)ärztlichen (Bundes-)Vereinigung, der (Zahn-)Ärztekammern der Länder und der Bundes(zahn)ärztekammer, einer politischen Neutralitätspflicht unterliegen und sich hieraus ein Gebot zur politischen Mäßigung ergibt. Die Untersuchung führte zu den folgenden Erkenntnissen:
- Die Institutionen sind Körperschaften des öffentlichen Rechts bzw. ihre mitgliedschaftlichen Zusammenschlüsse, für die die gleichen Grundsätze gelten. Sie haben als berufsständische Interessenvertretungen ein politisches Mandat inne, in dessen Zuge sie befugt sind, sich bezüglich gesundheitspolitischer Themen zu äußern, die den Berufsstand der Zahnärzte betreffen. Sie sind keine privaten Berufsverbände, sondern gehören zur mittelbaren Staatsverwaltung.
Um ihrer Schutzfunktion als Interessenvertreter der Gesamtheit ihrer Mitglieder, sowohl angestellter als auch selbstständiger Ärzte und Zahnärzte, gerecht zu werden, haben sich die Amts- und Mandatsträger der (zahn)ärztlichen Selbstverwaltung, die – mit Ausnahme der Bundes(zahn)ärztekammer – Körperschaften des öffentlichen Rechts sind, jedoch sachlich, objektiv und zurückhaltend, d.h. in unparteiischer Weise zu äußern. Sie unterliegen mithin einem politischen Neutralitätsgebot.
Das Handeln von Körperschaften des öffentlichen Rechts muss mit dem politischen Neutralitätsgebot in Einklang stehen. Dies ergibt sich aus dem Rechtsstaatsprinzip nach Art. 20 Abs. 3 GG und dem aus Art. 2 Abs. 1 GG abgeleiteten Grundsatz der fairen und objektiven Verfahrensgestaltung. Insofern gilt es im Falle einer Gesamtinteressenwahrnehmung von Pflichtmitgliedern bestehende Interessenkonflikte zu berücksichtigen, widerstreitende Interessen abzuwägen und in Einklang zu bringen. Umstrittene Themen dürfen folglich nicht mittels einer einheitlichen Positionierung, z.B. durch die Vorstandsmitglieder berufsständischer Interessenvertretungen, als homogene Meinung des gesamten Mitgliederstands dargestellt werden. Darüber hinaus dürfen sie (natürlich) nichts bewusst Falsches behaupten oder reißerische und unsachliche Aussagen treffen. Das gilt erst recht, wenn dadurch Mitglieder, also Ärzte oder Zahnärzte, aufgrund ihrer beruflichen Tätigkeit, zum Beispiel bei einem bestimmten Träger, ausgegrenzt werden. Vielmehr obliegt den Institutionen die Pflicht, sich gedeihlich für das Verständnis der Mitglieder untereinander einzusetzen, was eine einseitige und reißerische Meinungskundgabe zu Lasten einer bestimmten Gruppe von Mitgliedern verbietet.
- Eine Analyse vergangener öffentlicher Kommunikation von Amts- und Mandatsträgern der kassen(zahn)ärztlichen Selbstverwaltung und Standesvertretung ergab zahlreiche Verstöße gegen das politische Neutralitätsgebot. So wird hinsichtlich Investoren im Gesundheitswesen immer wieder das Bild der Heuschrecke bemüht, die wie eine Plage über die (Zahn-)Medizin herfallen, es abgrasen und weiterziehen.
Solche Äußerungen verstoßen gegen rechtsstaatliche Grundsätze, sie überschreiten die Kompetenzen von Funktionsträgern der Körperschaften des öffentlichen Rechts. In die Beurteilung vergangener Kompetenzüberschreitungen durch unsachliche und reißerische Darstellungen ist zwar auch die Intensität der Verstöße und die Gefahr erneuter Verletzung der Kompetenzgrenzen zu berücksichtigen. Interne Kontrollmechanismen der Institutionen, um gegen Kompetenzüberschreitungen oder Verletzungen des Grundsatzes der Gesamtinteressenvertretung vorzugehen, scheint es aber offenbar nicht zu geben.
- Für den Fall der Überschreitung der politischen Neutralitätspflicht durch Amts- und Mandatsträger stehen verschiedene Rechtsschutzmöglichkeiten zur Verfügung, zum Beispiel durch Einschaltung der staatlichen Aufsichtsbehörden, verwaltungs- oder sozialgerichtliches Vorgehen und letztlich – jedenfalls als ultima ratio – die strafrechtliche Verfolgung.