2. August 2023
Update vom 27.6.2024: Update in Sachen „klimaneutral“: BGH kippt Urteil des OLG Düsseldorf
Die Werbung mit umweltbezogenen Aussagen ist allgegenwärtig – immer mehr Unternehmen bewerben ihre Produkte und Dienstleistungen mit Attributen wie „CO2-neutral“, „umweltschonend“ oder „gut für die Umwelt“. Sicherlich am häufigsten verwendet wird der Begriff „klimaneutral“, den man mittlerweile nicht nur auf unzähligen Lebensmitteln, Körperpflegeprodukten und sonstigen Waren des täglichen Bedarfs findet. Auch Dienstleistungen wie Kreuzfahrten oder Flugreisen schmücken sich inzwischen gerne damit.
In jüngster Zeit ist auch öfters der Begriff „umweltneutral“ aufgetaucht. Unter welchen Voraussetzungen aber ist eine Werbung mit diesen Aussagen zulässig – und wann läuft ein Unternehmen Gefahr, wegen „Greenwashings“ abgemahnt zu werden? Die große Anzahl (und Widersprüchlichkeit) der Entscheidungen diverser Land- und Oberlandesgerichte in Deutschland belegt, dass für Unternehmen ein großes Bedürfnis nach Klarheit über die Anforderungen an die Werbung mit sog. Green Claims besteht (in unserem Green Claims Enforcement Tracker finden Sie die wichtigsten Entscheidungen mit einer Kurzanalyse).
Drei ganz aktuelle Entscheidungen mit unterschiedlichem Ausgang verdeutlichen dies einmal mehr:
Die Gerichte stellen unterschiedliche Anforderungen an die Werbung mit der Klimaneutralität.
Der mit den aktuellen Fällen befasste Senat des OLG Düsseldorf stellt in beiden Urteilen zunächst nahezu wortgleich fest, dass die Werbung mit dem Begriff „klimaneutral“ für sich allein genommen nicht irreführend im Sinne des § 5 UWG sei: Der durchschnittliche Verbraucher verstehe den Begriff "klimaneutral" im Sinne einer ausgeglichenen Bilanz der CO2-Emissionen des Unternehmens. Ihm sei bekannt, dass eine Klimaneutralität sowohl durch Vermeidung als auch durch Kompensationsmaßnahmen erreicht werden könne. Dies gelte schon deshalb, weil er wisse, dass auch Waren und Dienstleistungen als „klimaneutral“ beworben werden, die nicht emissionsfrei erbracht werden können und die Klimaneutralität nur durch Kompensationszahlungen möglich ist, wie etwa bei Flugreisen. Dass sich der Begriff der "Klimaneutralität" wie hier jeweils auf ein konkretes Produkt (Marmelade bzw. Fruchtgummi), nicht aber auf das Unternehmen als Ganzes beziehe, sei dabei unerheblich.
Ein Unterlassungsanspruch könne sich aber, so führt das Gericht in beiden Fällen weiter aus, aus § 5a Abs. 1 UWG (n.F.) ergeben, wenn der Werbetreibende dem Verbraucher eine wesentliche Information vorenthalte. Die Information, auf welche Weise die behauptete Klimaneutralität des jeweils mit der Angabe „klimaneutral“ beworbenen bzw. gekennzeichneten Produkts erreicht werde, stelle, so das OLG, eine wesentliche Information im Sinne des § 5a Abs. 1 UWG dar. Der Klimaschutz sei für Verbraucher ein zunehmend wichtiges, auch den Alltag bestimmendes Thema, die Werbung mit einer (vermeintlichen) Klimaneutralität könne daher erheblichen Einfluss auf die Kaufentscheidung haben. Gerade weil der Verbraucher aber wisse, dass eine Klimaneutralität auch durch Kompensationszahlungen erreicht werden könne (siehe vorstehende Ausführungen), bestehe ein Interesse an der Aufklärung über die grundlegenden Umstände der von einem Unternehmen beanspruchten Klimaneutralität, auch und gerade über Eigenmaßnahmen des Unternehmens zur Einsparung von CO2-Emissionen. Denn – und dies ist für werbende Unternehmen ein wichtiger Aspekt – der Verkehr gehe nicht davon aus, dass ein Unternehmen, das mit der Bezeichnung „klimaneutral“ wirbt, allein auf Ausgleichsmaßnahmen Dritter bzw. den Kauf von Zertifikaten setze. Der Zertifikatehandel stünde aus Verbrauchersicht im Verdacht, das betreffende Unternehmen betreibe nur sog. „Greenwashing“. Der Verbraucher habe daher ein erhebliches Interesse an der Information, ob die Klimaneutralität (auch) durch eigene Einsparmaßnahmen erreicht wird oder nur durch den Erwerb von CO2-Zertifikaten bzw. durch die Unterstützung von Klimaprojekten Dritter. Schließlich bestehe – da bestimmte Ausgleichsmaßnahmen umstritten sind – auch ein Informationsinteresse über die Art der Ausgleichsmaßnahmen.
Dies vorausgeschickt kommt das OLG in den beiden aktuellen Fällen zu unterschiedlichen Ergebnissen im Hinblick auf die Unlauterkeit der Werbung mit Klimaneutralität, da die jeweils beklagten Hersteller ihrer Aufklärungspflicht in unterschiedlichem Maß nachgekommen sind.
In diesem Fall ist die Wettbewerbszentrale gegen die Herstellerin einer Marmelade vorgegangen, die ihre Marmelade in einer Zeitungsanzeige mit „Klimaneutraler Preis-Leistungs-Klassiker“ beworben hatte. Auf dem Marmeladenglas selbst, welches auch in der Anzeige abgebildet war, fand sich die Angabe „klimaneutrales Produkt“. Weiterführende Informationen dazu, wie diese Werbeaussagen zu verstehen sind, wie also die Klimaneutralität zustande kommt, fanden sich weder in der Anzeige, noch auf dem Marmeladenglas. Auch gab es keinen Verweis auf eine Internetseite, auf der man weitere Informationen hierzu finden könnte.
Das in erster Instanz mit dem Fall befasste Landgericht Mönchengladbach urteilte, dass die Werbung nach § 5 Abs. 1 UWG irreführend sei. Der Verbraucher verstehe „klimaneutral“ nämlich dahingehend, dass die Marmelade als solche klimaneutral hergestellt werde. Er erwarte gerade nicht, dass die Klimaneutralität lediglich durch nachträgliche Kompensationsmaßnahmen erreicht werde (LG Mönchengladbach, Urt. v. 25.02.2022, Az. 8 O 17/21).
Das OLG Düsseldorf wies die Berufung der Marmeladenherstellerin zurück – allerdings mit anderer Begründung: Nach Auffassung des OLG ist die Werbung gemäß § 5a Abs. 1 UWG unlauter, weil die Herstellerin dem Verbraucher – wie vorstehend ausgeführt - wesentliche Informationen vorenthalten habe. Weder die Zeitungsanzeige noch die Produktverpackung enthielten Informationen bzw. einen Hinweis darauf, wie es zu der behaupteten Klimaneutralität komme. Auch werde nicht auf eine weiterführende Internetseite verwiesen, die diesbezügliche Informationen bereitstellt. Die alleinige Angabe der Internetseite der Herstellerin in der Werbung sowie auf dem Produkt ohne Bezug zur Angabe „klimaneutral“ (z.B., so das OLG, durch eine Angabe wie „Näheres unter …“), reiche nicht aus – auch, wenn sich dort tatsächlich weitere Erläuterungen zur Klimaneutralität fänden. Es fehle am Zusammenhang zwischen der Angabe „klimaneutral“ und der Internetseite. Im Ergebnis stufte das OLG diese „klimaneutral“ Werbung daher ebenfalls als unlauter ein.
Im zweiten, vom OLG Düsseldorf entschiedenen Fall hatte eine Süßwarenherstellerin in einer Zeitungsanzeige das von ihr produzierte Fruchtgummi mit „Seit 2021 produziert K. alle Produkte klimaneutral“ sowie außerdem mit der Angabe „Klimaneutral Produkt“, verbunden mit der URL zu einer Internetseite, beworben. Auch hiergegen klagte die Wettbewerbszentrale, die auch diese Werbung als unlauter erachtet.
Dies sah das Landgericht Kleve in der 1. Instanz zunächst anders. Die Werbung stelle keinen Verstoß gegen das UWG dar (LG Kleve, Urt. v. 22.06.2022, Az. 8 O 44/21): Weil die Anzeige in einer Fachzeitschrift (Lebensmittelzeitung) erschienen war, werde mit der Werbung nur ein Fachpublikum angesprochen. Ein Fachpublikum wisse aber, dass Klimaneutralität auch durch Kompensation erreicht werden könne, sodass eine Irreführung nach § 5 Abs. 1 UWG ausscheide. Die Angabe einer Internetseite mit weiterführenden Informationen reiche aus, daher liege auch keine Unlauterkeit wegen Vorenthaltens wesentlicher Informationen nach § 5a Abs. 1 UWG vor.
Dem schloss sich das OLG Düsseldorf im Ergebnis nun an. Allerdings komme es – anders, als das LG Kleve dies meinte - nicht nur auf das Verständnis des Fachpublikums an, sondern auch auf das Verbraucherverständnis: Die meisten Leser der Fachzeitschrift seien jedenfalls auch Verbraucher und würden von der Werbung daher nicht nur in ihrer Eigenschaft als Händler, sondern auch in der Eigenschaft als Verbraucher angesprochen.
Wie das Landgericht Kleve ist aber auch das OLG Düsseldorf der Meinung, dass die Süßwarenherstellerin ihrer Pflicht zur Aufklärung über die wesentlichen Umstände des Erreichens der Klimaneutralität ausreichend nachgekommen ist. Zwar erfolge die erforderliche Information erst, wenn der Leser der Anzeige entweder über den QR-Code oder durch Eingabe der genannten Website von „ClimatePartner.com“ aufsuche. Dies reiche nach Auffassung des OLG aber zur Information der Verbraucher aus. In einer Zeitungsanzeige fehle letztlich der Platz für nähere Angaben zu Art und Umfang etwaiger Kompensationsleistungen. Es sei dem Zeitungsleser zuzumuten, für nähere Informationen eine ohne weiteres abrufbare Website aufzusuchen. Das OLG stufte diese Werbung daher im Ergebnis als zulässig ein.
Das Landgericht Karlsruhe hat mit Urteil vom 26. Juli 2023 (Az. 13 O 46/22 KfH) in einem Verfahren der Deutschen Umwelthilfe (DUH) gegen eine Drogeriemarktkette entschieden und dieser untersagt, diverse Produkte (Flüssigseife, Sonnenmilch, Cremeseife sowie Spülmittel) auf der Verpackung mit dem Begriff „klimaneutral“ (unter Verweis auf eine „ClimatePartner“-Nummer und mit dem Zusatz „CO2-kompensiert“) sowie mit dem Begriff „umweltneutrales Produkt“ zu bewerben.
Anders als das OLG Düsseldorf beurteilt das LG Karlsruhe die Werbung mit dem Begriff „klimaneutral“ schon nach § 5 Abs. 1 UWG als irreführend, weil diese ein klimaneutrales Produkt verspreche, „dieses Versprechen aber aus prinzipiellen Gründen nicht einlösen kann.“ Der entsprechende Leitsatz des Gerichts lautet:
„Klimaneutralität kann durch Kompensation unter Nutzung von Waldschutzprojekten aus prinzipiellen Gründen nicht erzielt werden. Denn das produktbezogen emittierte Treibhausgas wird dadurch nicht dauerhaft bilanziell neutralisiert. Entsprechende Produktwerbung ist damit irreführend.“
Das Gericht ist der Auffassung, dass die Werbung mit dem Begriff „klimaneutral“ bei den angesprochenen Verkehrskreisen in objektiver Hinsicht ein Verständnis erwecke, das nicht der Realität entspreche: Der Verbraucher erwarte, dass die versprochene Klimaneutralität durch die vom Hersteller vorgenommene Kompensation von Emissionen auch tatsächlich bewirkt werde, dass also die CO2-Emissionen dauerhaft bilanziell neutralisiert werden. Im konkreten Fall erfolge die Kompensation der produktbezogenen Treibhausgasemissionen über ClimatePartner durch Zahlungen u.a. an ein Waldschutzprojekt in Peru. CO2 besitze jedoch in der Atmosphäre eine Verweildauer, die weit über die Laufzeit des hier unterstützen Waldschutzprojekts hinausgehe. Dieses laufe bis zum Jahr 2040, die produktbedingten CO2-Emissionen seien aber hunderte oder tausende Jahre nachweisbar.
Bei zwei der drei von der DUH herausgegriffenen Produkte lag nach Auffassung des LG Karlsruhe überdies eine Unlauterkeit nach § 5a Abs. 1 UWG vor, da dem Verbraucher wesentliche Informationen vorenthalten würden.
Bei allen betroffenen Produkten sei jeweils angegeben worden, dass das Produkt klimaneutral im Sinne von CO2-kompensiert sei. Weitere Informationen dazu fanden sich nicht auf der Verpackung, sondern auf Internetseiten der ClimatePartner, dessen Logo jeweils auf den Produkten aufgedruckt ist. Zwar sei es zulässig, für weiterführende Informationen auf eine Internetseite zu verweisen. Der Verbraucher müsse aber bereits aus dem Aufdruck auf der Verpackung erkennen können, dass es eine solche Internetseite gebe. Dies war bei zwei der streitgegenständlichen Produkte nicht der Fall, weil hierbei lediglich zusammen mit dem Logo der ClimatePartner der Schriftzug „ClimatePartner“ eine Ziffernfolge (die ClimatePartner ID) angegeben wurden. Dies genüge den Anforderungen an eine Auffindbarkeit der weiteren Informationen mit zumutbarem Aufwand und ohne größere Recherche nicht.
Zulässig: Verweis auf Internetseite (konkrete URL)
Unzulässig: (nur) Logo und Ziffernfolge (ID)
Die Werbung mit dem Claim „umweltneutrales Produkt“ ist, so das LG Karlsruhe, ebenfalls irreführend im Sinne des § 5 Abs. 1 UWG. Die Werbung sei überschießend und damit unzutreffend.
Der Begriff der „Umweltneutralität“ werde von den angesprochenen Verbrauchern – parallel zum bereits bekannten Begriff der Klimaneutralität – im Sinne eines „Produkts mit ausgeglichener Umweltbilanz“ verstanden. Eine solche liege bei dem damit beworbenen Produkt (Spülmittel) aber nicht vor, denn entsprechend dem von der Beklagten verfolgten GREENZERO-Ansatz würden nicht alle Umweltauswirkungen erfasst, sondern nur die Kategorien CO2-Emissionen, Eutrophierung (Nährstoffeintrag), Versauerung, Sommersmog und Ozonabbau. Es blieben damit aber immerhin acht von 13 Wirkkategorien von Umweltbelastungen unberücksichtigt. Der Beklagten gelinge es auch nicht, die Behauptung der „Umweltneutralität“ durch weitere Erläuterungen auf der Verpackung so zu relativieren, dass nach dem Gesamteindruck des Verbraucherverständnisses eine zutreffende Werbung vorliege. Der Verbraucher erhalte den – im Ergebnis unzutreffenden – Eindruck, das damit gekennzeichnete Produkt sei durch Reduktion und Kompensation aller Umwelteinwirkungen vollständig umweltneutral, habe also eine ausgeglichene Umweltbilanz. Da dies nicht zutreffe, sei die Werbung irreführend.
Auch, wenn der BGH nun noch entscheiden muss, kristallisiert sich nach den Urteilen des OLG Düsseldorf und des LG Karlsruhe nun schon etwas deutlicher heraus, worauf Unternehmen bei der Werbung mit dem Begriff „klimaneutral“ achten sollten: Sie müssen umfassend darüber aufklären, auf welche Weise die behauptete Klimaneutralität erreicht wird und welche Eigenmaßnahmen diesbezüglich ergriffen wurden. Sich ausschließlich auf Kompensationsmaßnahmen Dritter zu berufen, reicht nicht aus.
Eine transparente Aufklärung ist unerlässlich, möchte man sich als Unternehmen nicht der Gefahr von Abmahnungen wegen Greenwashings aussetzen – auch, wenn die beworbenen Produkte tatsächlich klimaneutral sind. Wichtig ist daher, dass der Hinweis auf eine Internetseite mit weiterführenden Informationen dazu, wie die Klimaneutralität erreicht wird, im Zusammenhang mit der Bezeichnung „klimaneutral“ gegeben wird, für den Verbraucher also klar erkennbar ist, dass er die erforderlichen Informationen auf dieser Internetseite findet. Der bloße Aufdruck des Logos des Partners, der die Kompensationsmaßnahmen übernimmt, ggf. mit einer Zahlenfolge zur Identifizierung des Produkts, reicht nicht aus. Vielmehr sollte stets eine konkrete URL angegeben werden.
Damit reiht sich das OLG Düsseldorf in die Reihe der Entscheidungen des OLG Frankfurt ein, das die Werbung mit „klimaneutral“ zwar gleichfalls grundsätzlich für zulässig erachtet, dem Werbenden jedoch ebenfalls umfangreiche Aufklärungspflichten auferlegt (6 U 157/22 und 6 U 104/22), auch wenn das OLG Frankfurt die Akzente zum Teil etwas anders gesetzt hat. Ob der – noch weitergehende - Ansatz des LG Karlsruhe, der die Erreichung von Klimaneutralität durch Kompensation unter Nutzung von Waldschutzprojekten als „aus prinzipiellen Gründen“ unmöglich erachtet, Bestand haben wird, erscheint zumindest fraglich und muss weiter beobachtet werden. Auch das LG Düsseldorf hat allerdings mit Entscheidung vom 24.03.2023 (38 O 92/22) bereits Zweifel an der Tauglichkeit des konkreten Waldschutzprojektes in Peru geäußert, teils mit ähnlicher Begründung (alle genannten Entscheidungen finden Sie ebenfalls in unserem Green Claims Enforcement Tracker).