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5. April 2023

Newsletter Marke-Design-Wettbewerb 02-2023 – 3 von 8 Insights

„Sichtbarkeit“ und „bestimmungsgemäße Verwendung“ - EuGH zum Designschutz von Bauteilen komplexer Erzeugnisse (Sattelunterseite)

  • Briefing

In einem im Februar entschiedenen Vorabentscheidungsersuchen des BGH konnte sich der Europäische Gerichtshof (EuGH) erstmals mit der Auslegung der Erfordernisse der „Sichtbarkeit“ i.S.d. Art. 3 Abs. 3 Design-RL (Richtlinie 98/71/EG) sowie der „bestimmungsgemäßen Verwendung" i.S.d. Art. 3 Abs. 4 Design-RL von Bauteilen von komplexen Erzeugnissen befassen (EuGH, Urt. v. 16.02.2023, Rs. C-472/21 – Monz Handelsgesellschaft International („Sattelunterseite“)).

Der EuGH stellt in seinem Urteil klar, dass ein Bauteil eines komplexen Erzeugnisses designrechtlichen Schutz genießt, wenn es im Rahmen der normalen Verwendung sichtbar bleibt, wobei es nicht alleine auf den vom Hersteller intendierten Verwendungszweck ankommt. Ob das Bauelement eines komplexen Erzeugnisses bei seiner „bestimmungsgemäßen Verwendung“ sichtbar bleibt, ist nach Auffassung des EuGH sowohl aus Sicht des Endbenutzers sowie aus der Sicht eines außenstehenden Beobachters zu beurteilen. Die „bestimmungsgemäße Verwendung“ sei dabei weit auszulegen und umfasst alle Handlungen, die bei der hauptsächlichen Verwendung eines komplexen Erzeugnisses vorgenommen werden, sowie diejenigen Handlungen, die der Endbenutzer im Rahmen einer solchen Verwendung üblicherweise vorzunehmen hat, mit Ausnahme von Instandhaltung, Wartung und Reparatur.

Ausgangsrechtsstreit und Vorlagefragen

Gegenstand der Vorlagefrage ist ein Nichtigkeitsverfahren beim Deutschen Patent- und Markenamt (DPMA) gegen ein deutsches Design, bestehend aus der Unterseite eines Fahrradsattels. Dieses Design ist mit einer einzigen Darstellung eingetragen für „Sättel für Fahrräder und Motorräder“:

Das DPMA wies den Nichtigkeitsantrag zurück, da für das fragliche Design kein Schutzausschlussgrund nach § 4 DesignG bestehe. Ein Fahrradsattel sei zwar ein Bauelement eines komplexen Erzeugnisses (nämlich eines Fahr- oder Motorrades), doch bleibe auch die Unterseite des Sattels bei der bestimmungsgemäßen Verwendung des Fahrrades sichtbar. Der Begriff der „bestimmungsgemäßen Verwendung“ sei nicht eng auszulegen und umfasse zum Beispiel auch den Transport. Auf die Beschwerde der Nichtigkeitsantragstellerin erklärte das Bundespatentgericht (BPatG) das angegriffene Design dann für nichtig. Das BPatG legte den Begriff der „bestimmungsgemäßen Verwendung“ enger aus: Die Fahrradunterseite sei im Rahmen der dieser Verwendung – dem Fahren mit dem Fahrrad sowie dem Auf- und Absteigen - nicht sichtbar, ein Designschutz scheide daher aus.

Gegen diese Entscheidung legte die Designinhaberin Rechtsbeschwerde zum BGH ein, der seinerseits Zweifel an der Auslegung der Begriffe der „Sichtbarkeit“ und „bestimmungsgemäße Verwendung“ i.S.v. Art. 3 Abs. 3 und 4 der RL 98/71 hatte. Der BGH setzte das Verfahren daher aus und legte dem EuGH folgende Fragen zur Vorabentscheidung vor:

  • Kommt es für die Beurteilung der „bestimmungsgemäßen Verwendung“ eines komplexen Erzeugnisses durch den Endbenutzer im Sinne von Art. 3 Abs. 3 und 4 der RL 98/71 auf den vom Hersteller des Bauelements oder des komplexen Erzeugnisses intendierten Verwendungszweck oder die übliche Verwendung des komplexen Erzeugnisses durch den Endbenutzer an?
  • Nach welchen Kriterien ist zu beurteilen, ob die Verwendung eines komplexen Erzeugnisses durch den Endbenutzer „bestimmungsgemäß“ im Sinne von Art. 3 Abs. 3 und 4 der RL 98/71 ist?

Urteil des EuGH

Der EuGH beantwortete die Vorlagefragen wie folgt:

„Das Erfordernis der „Sichtbarkeit“, das nach dieser Vorschrift erfüllt sein muss, damit ein Muster, das bei einem Erzeugnis, das Bauelement eines komplexen Erzeugnisses ist, benutzt oder in dieses Erzeugnis eingefügt wird, rechtlichen Musterschutz genießen kann, im Hinblick auf eine Situation der normalen Verwendung dieses komplexen Erzeugnisses zu prüfen ist, wobei es darauf ankommt, dass das betreffende Bauelement nach seiner Einfügung in dieses Erzeugnis bei einer solchen Verwendung sichtbar bleibt. Zu diesem Zweck ist die Sichtbarkeit eines Bauelements eines komplexen Erzeugnisses bei seiner „bestimmungsgemäßen Verwendung“ durch den Endbenutzer aus der Sicht dieses Benutzers sowie der Sicht eines außenstehenden Beobachters zu beurteilen, wobei diese bestimmungsgemäße Verwendung die Handlungen, die bei der hauptsächlichen Verwendung eines komplexen Erzeugnisses vorgenommen werden, sowie die Handlungen, die der Endbenutzer im Rahmen einer solchen Verwendung üblicherweise vorzunehmen hat, umfassen muss, mit Ausnahme von Instandhaltung, Wartung und Reparatur.“

Zur Begründung führte der EuGH aus, dass der Designschutz nur für sichtbare Merkmale gelte, die die Erscheinungsform eines Erzeugnisses oder eines Teils dieses Erzeugnisses prägen. Eine lediglich abstrakte Beurteilung der Sichtbarkeit eines Bauelementes sei jedoch nicht ausreichend. Allerdings sei es auch nicht erforderlich, dass in einem komplexen Erzeugnis das Bauelement zu jedem Zeitpunkt der Verwendung vollständig sichtbar bleibe. Auch sei die Sichtbarkeit nicht nur allein aus Sicht des Endbenutzers zu beurteilen, vielmehr seien auch außenstehende Beobachter zu berücksichtigen.

Zur „bestimmungsgemäßen Verwendung“ erläuterte der EuGH, dass es nicht alleine auf den vom Hersteller intendierten Verwendungszweck ankomme. Dass Art. 3 Abs. 4 Design-RL die „bestimmungsgemäße Verwendung“ nicht näher definiere, sondern allgemein auf die Verwendung eines solchen Erzeugnisses durch den Endbenutzer Bezug nehme, spreche für eine weite Auslegung des Begriffs. Insoweit folgte der EuGH der Auffassung des Generalanwaltes, der seinerseits argumentiert hatte, dass in der Praxis verschiedene Handlungen eine „bestimmungsgemäße Verwendung“ darstellen können, wie etwa Aufbewahrung oder Transport der Erzeugnisse, etc. All diese Handlungen fielen - mit Ausnahme derjenigen, die in Art. 3 Abs. 4 Design-RL ausdrücklich ausgenommen sind, („Instandhaltung, Wartung oder Reparatur“) – unter den Begriff einer bestimmungsgemäßen Verwendung.

Praxishinweis

Das Urteil dürfte viele Designinhaber gerade aus dem industriellen Bereich erleichtert aufatmen lassen. Die weite Auslegung des Begriffs der „bestimmungsgemäßen Verwendung“ durch den EuGH erweitert die designrechtlichen Schutzmöglichkeiten von komplexen Erzeugnissen. Eine enge Auslegung hingegen hätte die Schutzmöglichkeiten deutlich eingeschränkt. Dies verdeutlicht das Beispiel des Generalanwaltes in Bezug auf eine Schuhsohle: Ein Schuh ist kein komplexes Erzeugnis, daher ist die Schuhsohle auch kein Bauteil eines komplexen Erzeugnisses, sodass es bei der Schutzfähigkeit nicht auf die „Sichtbarkeit bei bestimmungsgemäßer Verwendung“ des Schuhs ankommt. Aus diesem Grund kann auch die Schuhunterseite, mithin die Schuhsohle, designrechtlich ohne weiteres geschützt werden. Handelte es sich bei einem Schuh hingegen um ein komplexes Erzeugnis und würde die „bestimmungsgemäße Verwendung“ eng ausgelegt, fiele die Schuhsohle aus dem Schutzbereich des Designs heraus. Denn die bestimmungsgemäße Verwendung eines Schuhs ist das Ein- und Ausziehen sowie das Tragen und Gehen, wobei die Schuhunterseite für den Endbenutzer nicht sichtbar wäre.

Auch weitere Beispiele des Generalanwaltes verdeutlichen, wie wichtig die weite Auslegung des Begriffs der „bestimmungsgemäßen Verwendung“ für komplexe Erzeugnisse sein wird. Denn auch die Reinigung, die übliche Wartung und vermutlich auch das Auffüllen von Flüssigkeiten können unter diesen Begriff fallen. Damit dürfte auch ein gewisser Schutz für innenliegende Bauteile, wie z.B. Motoren, jedenfalls aber Motorenabdeckungen etc., für Fahrzeuge nicht von vorneherein ausgeschlossen sein.

Auch die Auslegung des EuGH, bei der normalen Verwendung nicht nur auf den intendierten Verwendungszweck des Herstellers abzustellen und auch nicht nur auf den Endnutzer, sondern auf die Sicht eines außenstehenden Beobachters, stärkt den Schutz komplexer Erzeugnisse. Dies verdeutlicht ein Beispiel zu Verkehrsbussen: Stellte man bei Verkehrsbussen nur auf den Endnutzer ab, wären das primär (nur) Busfahrer. Die „bestimmungsgemäße Verwendung“ wäre das Befördern von Fahrgästen, also gerade nicht die Außenansicht eines Busses. Erweitert man den Kreis aber auf außenstehende Beobachter, können auch die Fahrgäste einbezogen, mithin auch die Außensilhouette des Busses zum Gegenstand des Designschutzes gemacht werden.

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