13. November 2025
Newsletter Marke Design Wettbewerb November 2025 – 1 von 9 Insights
Mit Beschluss vom 21. Dezember 2023 (Az.: I ZR 17/23) hat der Bundesgerichtshof (BGH) dem Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) Fragen betreffend die Prüfpflichten der Händler von Medizinprodukten im Sinne des Art. 14 der Verordnung (EU) 2017/745 (im Folgenden: MDR) zur Vorabentscheidung vorgelegt. Hintergrund dieses Vorlagebeschlusses ist eine wettbewerbsrechtliche Streitigkeit zwischen zwei konkurrierenden Unternehmen.
Exkurs: Unklare Situation auch im Bereich der Kosmetikwerbung
In diesem Zusammenhang ist auch ein weiterer aktueller Vorlagebeschluss des Bundesgerichtshofs (BGH, Beschluss vom 18. Juni 2025 – I ZR 78/24 „Förderung der Zellerneuerung“) von Interesse: Dieser Beschluss betrifft die Verantwortungsverteilung zwischen Hersteller und Händler im Bereich der Kosmetikwerbung und befasst sich mit der spannenden und ungeklärten Frage, ob ein Händler haftet, wenn er eine vom Hersteller stammende Werbeaussage ungeprüft übernimmt, die sich später als irreführend erweist – hier zur behaupteten „Zellerneuerung“ gemäß Art. 20 Abs. 1 Kosmetik-VO.
Dieser Vorlagebeschluss steht damit in engem thematischen Zusammenhang mit dem BGH-Vorlagebeschluss betreffend die Medizinprodukte, zu dem bislang zwar noch keine Entscheidung des EuGH ergangen ist, aber die Schlussanträge bereits vorliegen. Diese könnten auch richtungsweisend für die Verantwortungsverteilung zwischen Hersteller und Händler im Bereich der Kosmetikwerbung sein.
Die Klägerin stellt Kompressoren zur Erzeugung von Druckluft für die zahnmedizinische Behandlung her, bei denen es sich gemäß Bescheid des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) um Medizinprodukte der Risikoklasse IIa handelt.
Die Beklagte vertreibt als rechtlich selbstständige deutsche Werksvertretung des italienischen Herstellers sogenannte ölfreie Trockenluftkompressoren zur Erzeugung von Druckluft in Deutschland. Diese dienen nach deren Zweckbestimmung, wie sie sich aus der Gebrauchsanweisung und der Internetseite des Herstellers ergab, der Bereitstellung von Druckluft für zahnmedizinische Handstücke, zum Betrieb rotierender Instrumente durch den Zahnarzt sowie zum Trocknen der Zubereitungen vor der Zementierung im Rahmen einer zahnmedizinischen Behandlung. Die Kompressoren trugen zwar eine CE-Kennzeichnung, dieser lag aber keine medizinprodukterechtliche Konformitätserklärung nach der MDR zugrunde, sondern die Konformitätserklärung bezog sich lediglich auf die RL 2006/42/EG über Maschinen. Eine Kennnummer einer Benannten Stelle, wie sie der CE-Kennzeichnung für ein Medizinprodukt der Risikoklasse IIa im Sinne der MDR beigefügt werden muss, wies der von der Beklagten gelieferte Kompressor ebenfalls nicht auf.
Die Klägerin vertritt die Ansicht, dass die von der Beklagten vertriebenen Trockenluftkompressoren aufgrund ihrer Zweckbestimmung als Zubehör für Medizinprodukte im Sinne der MDR anzusehen seien, die in die Risikoklasse IIa einzuordnen seien. Daraus folge, dass die Kompressoren selbst nur nach entsprechender Zertifizierung unter Hinzuziehung einer Benannten Stelle samt CE-Kennzeichnung auf dem Markt bereitgestellt werden dürften. Die Beklagte habe als Händlerin die Pflicht, die Einhaltung dieser Bestimmungen, die zwingende Voraussetzung für einen zulässigen Vertrieb seien, zu überprüfen und sicherzustellen.
Die Beklagte ist dagegen der Ansicht, die Pflichten des Händlers gemäß der MDR beträfen von vornherein nur solche Produkte, die vom Hersteller ausdrücklich als Medizinprodukt in den Verkehr gebracht worden seien. Jedenfalls handele es sich bei der Entscheidung darüber, ob ein Produkt ein Medizinprodukt sei, um eine komplexe, nicht einfach zu beantwortende Rechtsfrage. Ihre Beantwortung setze umfassende, nur dem Hersteller zur Verfügung stehende Kenntnisse der Produkteigenschaften voraus. Dies gelte erst recht für die Frage, ob ein Medizinprodukt in die Risikoklasse IIa im Sinne der MDR einzuordnen sei. Diese Beurteilung könne von einem Händler nicht geleistet werden und gehöre auch nicht zu seinen Pflichten.
Das OLG Celle hatte in der Berufungsinstanz mit Urteil vom 19. Januar 2023 (Az.: 13 U 79/21) die streitgegenständlichen Trockenluftkompressoren aufgrund der sich aus der Gebrauchsanweisung ergebenden medizinischen Zweckbestimmung als Zubehör eines Medizinprodukts im Sinne des Art. 2 Nr. 2 MDR qualifiziert und entschieden, dass sie ohne eine medizinprodukterechtliche Konformitätserklärung und CE-Kennzeichnung als Medizinprodukt nicht auf dem Markt bereitgestellt werden dürfen.
Die die Beklagte als Händlerin gemäß Art. 14 Abs. 1 und Abs. 2 MDR treffende Verpflichtung, vor dem Bereitstellen unter Anwendung gebührender Sorgfalt zu überprüfen, ob die Kompressoren die CE-Kennzeichnung aufwiesen und eine EU-Konformitätserklärung für das Produkt ausgestellt worden sei, umfasse allerdings lediglich eine formelle Prüfung. Diese setze seitens der Beklagten als Händlerin Grundkenntnisse voraus, welche Produkte mit einer CE-Kennzeichnung zu versehen seien und einer medizinprodukterechtlichen Konformitätserklärung bedürften. Dazu müsse sie in der Lage sein, Medizinprodukte und deren Zubehör anhand der Gebrauchsanweisung zu erkennen. Sie müsse sich dann vor dem Bereitstellen vom Hersteller dieser Produkte eine EU-Konformitätserklärung nach der MDR vorlegen lassen.
Dagegen schulde der Händler keine inhaltliche Bewertung einer vom Hersteller beigebrachten EU-Konformitätserklärung einschließlich der Risikoklassifizierung. Durch die Erstellung der EU-Konformitätserklärung übernehme vielmehr der Hersteller die Verantwortung dafür, dass sein Produkt allen geltenden unionsrechtlichen Bestimmungen entspreche, Art. 19 Abs. 3 MDR.
Über die in dieser Sache eingelegte Revision hatte der BGH zu entscheiden. Dieser bestätigt die Auffassung des OLG Celle insoweit, als dass er den ölfreien Trockenluftkompressor als Zubehör zu einem Medizinprodukt im Sinne des Art. 2 Nr. 2 MDR qualifiziert. Bei dieser Produkteinordnung stellt auch der BGH maßgeblich auf die Zweckbestimmung des Herstellers ab, wie sie sich insbesondere aus der Gebrauchsanweisung ergibt.
Darüber hinaus hat der BGH das Revisionsverfahren am 21. Dezember 2023 allerdings ausgesetzt, um gemäß Art. 267 Abs. 1 Buchst. b und Abs. 3 AEUV eine Vorabentscheidung des EuGH einzuholen. Denn der Erfolg der Revision hänge maßgeblich von der Auslegung des Art. 14 Abs. 1 und Abs. 2 Unterabs. 1 Buchst. a und Unterabs. 3 Satz 1 MDR ab. Deshalb hat der BGH dem EuGH Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt, die Klarheit hinsichtlich des Inhalts und der Reichweite der Händlerpflichten gemäß Art. 14 MDR bringen sollen.
Der EuGH hat nun insbesondere die Frage zu beantworten, ob ein Händler gem. Art. 14 Abs. 1 und Abs. 2 MDR verpflichtet ist, zu prüfen, ob das von ihm auf dem Markt bereitgestellte Produkt als Medizinprodukt anzusehen ist und es deshalb eine CE-Kennzeichnung als Medizinprodukt trägt sowie vom Hersteller eine EU-Konformitätserklärung für ein Medizinprodukt ausgestellt worden ist. Weiterhin wird der EuGH zu entscheiden haben, ob die Produkteinordnung des Herstellers Einfluss auf diese Prüfpflicht des Händlers hat.
Dem Wortlaut von Art. 14 Abs. 1 und Abs. 2 MDR lasse sich dies nicht ausdrücklich entnehmen, so der BGH. Zu berücksichtigen sei allerdings, dass Art. 14 Abs. 1 MDR keine uneingeschränkte Prüfungspflicht des Händlers bestimme, sondern diese in zweierlei Hinsicht begrenze. Zum einen habe der Händler die geltenden Anforderungen lediglich im Rahmen seiner Tätigkeiten zu berücksichtigen. Zum anderen müsse der Händler nur die gebührende Sorgfalt walten lassen. Die Reichweite dieser Begrenzungen wird nun der EuGH zu bestimmen haben.
Weiterhin hat der EuGH zu entscheiden, ob die Prüfungspflichten des Händlers auch die Frage umfassen, ob das Produkt in eine bestimmte Risikoklasse im Sinne der MDR einzuordnen ist. Dabei führt der BGH in seinem Vorlagebeschluss aus, dass nach seiner Auffassung für die Beurteilung des Umfangs dieser Händlerprüfpflichten der folgende Aspekt maßgeblich zu berücksichtigen sei: Die Risikoklassifizierung sei in der Regel sowohl rechtlich als auch tatsächlich komplexer als die Qualifizierung eines Produkts als Medizinprodukt bzw. Zubehör eines Medizinprodukts. Dabei dürfte nach Ansicht des BGH in diesem Zusammenhang zu berücksichtigen sein, dass die Klassifizierung eine Beurteilung von Fragen voraussetzt, die – anders als die Beurteilung der Voraussetzungen eines Medizinprodukts oder eines Zubehörs eines Medizinprodukts – nicht allein mit Blick auf die sich aus der vom Hersteller etwa in der Gebrauchsanweisung oder Werbe- und Verkaufsmaterialien dokumentierten Zweckbestimmung und damit anhand von Unterlagen zu prüfen sind, die einem Händler zur Verfügung stehen und unschwer verständlich sein sollten. Die Klassifizierung habe vielmehr regelmäßig nicht durch den Hersteller allein, sondern unter Beteiligung der Benannten Stelle zu erfolgen.
Die Beantwortung der Vorlagefragen durch den EuGH und damit die Klärung des Umfangs der Händlerprüfpflichten nach der MDR werden mit Spannung erwartet. Denn die Entscheidung wird für den Inhalt und die Reichweite der Prüfpflichten der Händler beim Vertrieb von Medizinprodukten richtungsweisend sein und ihre Verantwortlichkeiten in diesem Zusammenhang definieren.
Einen Hinweis auf mögliche Antworten des EuGH liefern nun die Schlussanträge des Generalanwalts Dean Spielmann vom 11. September 2025.
Nach ausführlicher Analyse des Art. 14 Abs. 1 und 2 der Verordnung 2017/745 unter Berücksichtigung des Wortlauts, der Systematik und dem Sinn und Zweck der Norm schlägt der Generalanwalt dem Gerichtshof vor, die erste, die zweite und die dritte Vorlagefrage des Bundesgerichtshofs (Deutschland) wie folgt zu beantworten:
Sollte der EuGH den Anträgen des Generalanwalts folgen, müssen sich Händler künftig darauf einstellen, dass sie zwar nicht verpflichtet sind, die Prüfungen des Herstellers zu wiederholen oder vollständig nachzuvollziehen. Sie müssen aber anhand der ihnen vorliegenden Informationen eine Kohärenzprüfung vornehmen und dürfen die Medizinprodukte bei Widersprüchen und nicht aufklärbaren Zweifeln nicht ohne weitere Prüfung auf den Markt bringen.
Der BGH wird bei seiner finalen Entscheidung unter Berücksichtigung der Umstände zu beurteilen haben, welche Bemühungen der Händler im Rahmen seiner Sorgfaltspflicht im Sinne von Art. 14 Abs. 1 der Verordnung 2017/745 zu unternehmen hat. Das von einem Händler von Medizinprodukten zu erwartende Grundwissen, der Inhalt der ihm zugänglichen Unterlagen und die im Einzelfall auftretenden technischen Schwierigkeiten sind allesamt relevante Faktoren für die Beurteilung des Umfangs der Anstrengungen, die von einem „mit normaler Umsicht handelnden oder vernünftigen“ Händler erwartet werden können.
Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang, dass der BGH – wie oben angeführt – mit seinem Beschluss vom 18. Juni 2025 (Az.: I ZR 78/24 – „Förderung der Zellerneuerung“) auch im Bereich der Kosmetikwerbung ein ähnlich gelagertes Vorlageverfahren eingeleitet hat.
Der Vorlagebeschluss verdeutlicht, dass die Grundproblematik der Abgrenzung von Prüf- und Verantwortungspflichten zwischen Hersteller und Händler nicht auf das Medizinprodukterecht beschränkt ist. Vielmehr zeigt sich unionsweit ein Regelungs- und Klärungsbedarf zur Händlerverantwortung bei der Vermarktung sowohl von Medizinprodukten als auch von kosmetischen Erzeugnissen. Sollten die anstehenden Entscheidungen des EuGH zu einer einheitlicheren Auslegung führen, könnten sie künftig maßgebliche Leitlinien für die Praxis der Händlerprüfung im gesamten Bereich produktbezogener Regulierung vorgeben.
13. November 2025
13. November 2025
20. November 2025
von Michael Kreuzer
18. November 2025
20. November 2025
28. Oktober 2025
Für diese Ausgabe haben wir für Sie ein (vor-)weihnachtliches Rätsel vorbereitet. Raten Sie mit und werden Sie Experte der gewerblichen Schutzrechte für weihnachtliche Spezialitäten und Produkte!
20. November 2025