Der Bundesverband der Verbraucherzentralen (VZBV) hat wegen der Gestaltung seines Online-Bestellvorgangs erfolgreich gegen den Ticketanbieter Eventim geklagt, weil diese zum Abschluss einer kostenpflichtigen Ticketversicherung anregen sollte. Das Oberlandesgericht Bamberg hat sich in dieser Entscheidung als eines der ersten Gerichte mit den Bestimmungen des Digital Services Act (DSA) zu Dark Patterns befasst und die konkret vorliegende Gestaltung als unzulässig angesehen (Urteil vom 05.02.2025, 3 UKl 11/24 e, abrufbar auf der Seite des VZBV hier).
Was sind „Dark Patterns“?
„Dark Patterns“ sind manipulative Designs oder Prozesse, die die Nutzer:innen zu einer Handlung verleiten sollen, die ihren Interessen widerspricht. Hierzu „verschleiern“ sie etwa die zugrunde liegende Information, stellen sie nicht eindeutig dar oder erschweren deren Auffindbarkeit. Wie Dark Patterns konkret ausgestaltet sein können, was sich z.B. hinter „Nagging“ und „Framing“ verbirgt und wie diese Gestaltungen das Verhalten beeinflussen, erfahren Sie in unserem IP Talk „Dark Patterns auf dem Vormarsch?“.
Mit dem DSA, der seit dem 17. Februar 2024 für alle digitalen Diensteanbieter in der EU gilt, wird Betreibern von Online-Plattformen der Einsatz von Dark Patterns verboten (einen Überblick über die Regelungen des Digital Services Act finden Sie in unserem Insight hier sowie übersichtlich in einer Tabelle zusammengefasst hier). Grundsätzlich gilt: Nutzer:innen von Webseiten und Apps dürfen nicht getäuscht, manipuliert oder in ihrer freien Entscheidung behindert werden. Welche Designs unzulässig sind, eine rechtliche Grauzone treffen oder vielleicht noch vertretbar sind, ist eine Frage des Einzelfalls, also der konkreten Gestaltung, und wird im Zweifel von der Rechtsprechung entschieden.
Bislang gibt es nur wenige Entscheidungen zu dem Thema. Das OLG Bamberg ist eines der ersten Gerichte, das sich mit der Problematik unter Geltung des DSA auseinander setzt.
Welche verhaltenspsychologischen Tricks die Verbraucherzentrale anprangerte
Dem Fall lag folgender Sachverhalt zugrunde: Eventim hatte in seinem Online-Ticketshop im Warenkorb prominent angeboten, durch das Anklicken eines Kästchens eine Ticket-Versicherung für den Fall abzuschließen, dass die Veranstaltung nicht wahrgenommen werden konnte. Gingen Nutzer:innen zur Kasse, ohne die Ticketversicherung auszuwählen, öffnete sich ein weiteres Fenster, in dem diese ausdrücklich und mit fett gedruckter Überschrift empfohlen wurde. Dies sollte „Ärger und Frust über ein verpasstes Event“ vermeiden. Es gab die Wahlmöglichkeit zwischen einem weiß unterlegten Button mit der Beschriftung „ich trage das volle Risiko“ und einem blau unterlegten Button, der eine Absicherung zu einem bestimmten Betrag angeboten hat.
Der VZBV beanstandete, dass Eventim durch diese Gestaltung Nutzer:innen manipuliere. Insbesondere habe es bestimmte Auswahlmöglichkeiten hervorgehoben (sog. „Framing“) und wiederholt zu einer bereits getroffenen Entscheidung aufgefordert (sog. „Nagging“). Die selbstbestimmte und informierte Entscheidung der Nutzer:innen sei daher beeinträchtigt.
OLG Bamberg: Unzulässig bei erheblicher Beeinflussung der Verbraucherentscheidung
Das OLG Bamberg stimmte dieser Auffassung erstinstanzlich in Teilen zu und gab dem Unterlassungsantrag des VZBV hinsichtlich des erneuten Angebots statt.
Die maßgebliche Regelung des Art. 25 Abs. 1 DSA sei für geschäftliche Handlungen gegenüber Verbraucher:innen zwar nicht direkt anwendbar, weil in diesen Fällen vorrangig die wettbewerbsrechtlichen Regelungen gelten. Ausgehend von dessen Wertung sah das Gericht in der Gestaltung jedoch eine sorgfaltswidrige Handlung nach § 3 Abs. 2 UWG sowie eine unzulässige Beeinflussung der Verbraucher:innen nach § 4a Abs. 1 Nr. 3 UWG.
Das Gericht bestätigte, dass die herausgehobene Präsentation einer von mehreren Auswahlmöglichkeiten oder die wiederholte Nachfrage typische Beispiele sog. „Dark Patterns“ seien. Diese seien für sich genommen zwar nicht automatisch unzulässig. Erheblich sei die Manipulation jedoch, wenn die freie Entscheidung durch die Gestaltung maßgeblich beeinträchtigt werde, Nutzer:innen etwa kaum noch Alternativen wahrnehmen würden oder Druck aufgebaut werde.
Die Richter betonten weiter, dass Gestaltungselemente, die für sich betrachtet nicht die Erheblichkeitsschwelle überschreiten, in ihrer Kombination erheblich manipulativ wirken können. So erreiche zwar die wiederholte Empfehlung als „sanftes Nagging“ diese Schwelle noch nicht. Und die Formulierung „ich trage das volle Risiko“ betone sogar die Alternative zum Vertragsabschluss und wirke daher einem „Framing“ entgegen. In der Kombination erzeuge die Gestaltung bei Verbraucher:innen jedoch Angst vor dem Verlustrisiko und stelle die Alternative als bedrohendes Szenario dar. Die Gestaltung sei daher unzulässig.
Praxishinweis: Gesamtwirkung der Gestaltungen betrachten
Über die Auslegung anhand der Wertungen des DSA haben die lauterkeitsrechtlichen Regelungen zum Verbot aggressiver Geschäftspraktiken und dem Gebot geschäftlicher Sorgfalt wieder an Relevanz gewonnen. Sie setzen Grenzen für bewusst intuitive Oberflächengestaltungen, die Nutzer:innen zu einem eigentlich nicht gewollten Verhalten anleiten sollen.
Wenn Online-Dienste ihre Angebote unter Einbeziehung verhaltenspsychologischer Erkenntnisse gestalten, sollten sie sorgfältig darauf achten, wie die Entscheidungen der Nutzer:innen dadurch beeinflusst werden können. Sie dürfen die Gestaltungsmittel dabei nicht nur einzeln bewerten, sondern müssen – insbesondere vor dem Hintergrund dieser Entscheidung – die Gesamtwirkung im Blick haben.