Die von der EU im Rahmen der Green Claims-Richtlinie geplante Pflicht zur Vorab-Zertifizierung von Umweltaussagen und Umweltzeichen beherrscht seit Wochen die Diskussionen um die Zukunft der Umweltwerbung. Der für den 10. Juni 2025 geplante 3. Trilog wurde – nicht zuletzt wohl aufgrund massiver Kritik von Juristenvereinigungen wie der Deutschen Vereinigung für gewerblichen Rechtsschutz und Urheberrecht (GRUR) und Wirtschaftsverbänden – verschoben, sodass das weitere Schicksal der Richtlinie derzeit unklar ist.
Recht unbemerkt davon hat der BGH Ende Februar 2025 eine Entscheidung getroffen, die für deutsche Unternehmen, die im Ausland werben, von nicht zu unterschätzender Bedeutung ist und die eine bis dato recht unbekannte Verordnung in den Blick rückt: die sog. CPC-Verordnung. Danach kann – bestätigt im konkreten Fall durch den BGH - das Bundesumweltamt als Behörde auf Ersuchen einer Behörde eines anderen EU-Mitgliedstaates Untersagungsverfügungen im Hinblick auf in diesem Mitgliedstaat getätigte, umweltbezogene Werbeaussagen treffen. Das ist insofern außergewöhnlich, als in Deutschland, anders als in einigen anderen Mitgliedstaaten der EU, gerade keine Behörde zuständig ist, um gegen Wettbewerbsverstöße vorzugehen, sondern dies traditionell Wettbewerbern und Verbänden obliegt.
Hintergrund der Entscheidung – Was war passiert?
Werbung mit „umweltfreundlich“ und „klimafreundlich“
Der Sachverhalt ist schnell berichtet: Das betroffene Unternehmen mit Sitz in Deutschland betreibt u.a. Fernbuslinien in Deutschland und Belgien. Es bewarb seine Fernbusreisen auf der belgischen Webseite mit den Aussagen „milieuvriendelijk“ (umweltfreundlich) und „klimaatvriendelijk“ (klimafreundlich), zudem wurde der Fernbus als das „umweltfreundlichste Verkehrsmittel“ beschrieben (im Original: „De plus, voyager en bus longue distance est le mode de transport le plus respectueux de l'environnement"). Innerhalb des Buchungsvorgangs auf der deutschen Webseite bot das Unternehmen für Reisen mit dem Bus als Zusatzleistung zudem eine CO2-Kompensationszahlung an, ohne allerdings anzugeben, auf welchem Emissionswert diese beruhte.
Vorgehen der belgischen Behörde ADEI
Die Algemene Directie Economische Inspectie (Generaldirektion Wirtschaftsinspektion, ADEI) hielt die Angaben "umweltfreundlich", "klimafreundlich" und "umweltfreundlichstes Verkehrsmittel" für irreführend und das Angebot einer CO2-Kompensationszahlung ohne Angabe des maßgeblichen Emissionswerts für in irreführender Weise unvollständig. Die ADEI, die in Belgien als zuständige Behörde im Hinblick auf den Verbraucherschutz u.a. für Überwachung der Einhaltung von Informations- und Transparenzpflichten zuständig ist, sah darin einen Verstoß gegen belgische Verbraucherschutzvorschriften, die die Vorgaben aus der UPG-Richtlinie (RL 2005/29/EG), konkret Art. 6 Abs. 1 lit. b bzw. Art. 7 Abs. 1, Abs. 4 lit. a, in nationales Recht umsetzen.
Rechtsgrundlage: CPC-Verordnung
Da das werbende Unternehmen seinen Sitz in Deutschland hat, entschied die ADEI, ihre Beanstandungen im Rahmen der sog. CPC-Verordnung, der „Verordnung über die Zusammenarbeit zwischen den für die Durchsetzung der Verbraucherschutzgesetze zuständigen nationalen Behörden“ (EU Nr. 2017/2394) zu verfolgen. Es wandte sich daher zunächst an das zum damaligen Zeitpunkt zuständige Bundesamt der Justiz und ersuchte ein Vorgehen gegen das deutsche Unternehmen bzw. die beanstandeten Umweltaussagen. Das (später zuständig gewordene) Umweltbundesamt untersagte dem Fernbusunternehmen in der Folge die Werbung für Fernbusreisen mit den Aussagen „umweltfreundlich“ und/oder „klimafreundlich“ sowie die Behauptung, der Fernbus sei das „umweltfreundlichste Verkehrsmittel“. Zudem verpflichtete das Umweltbundesamt das Unternehmen dazu, innerhalb des Buchungsvorgangs anzugeben, auf welchem Emissionswert die angebotene CO2-Kompensationszahlung beruht.
Gegen diese Entscheidung des Umweltbundesamts legte das Unternehmen Beschwerde beim zuständigen Landgericht ein. Das Landgericht Dessau-Roßlau wies die Beschwerde zurück. Über die vom Landgericht zugelassene Rechtsbeschwerde gegen die Zurückweisung hat nun der BGH entschieden.
Was sagt der BGH?
Mit Beschluss vom 20. Februar 2025 (I ZB 26/24) bestätigt der BGH die Rechtmäßigkeit der Entscheidung des Umweltbundesamts, dem Unternehmen die beanstandete Werbung zu untersagen, und weist die Rechtsbeschwerde als unbegründet zurück. Seine Entscheidung begründet der BGH sehr ausführlich und umfassend auf insgesamt 36 Seiten. Sehr genau befasst er sich darin mit der Rechtmäßigkeit des Vorgehens der belgischen und deutschen Behörde nach der CPC-Verordnung. Nachfolgend die wichtigsten Erkenntnisse aus der Entscheidung des BGH:
Das Umweltbundesamt ist zuständige Behörde
Zunächst bestätigt der BGH, dass das Umweltbundesamt die für die Anwendung der Bestimmungen aus der CPC-Verordnung zuständige Behörde ist. Dies ergibt sich aus der CPC-Verordnung in Verbindung mit dem deutschen EU-Verbraucherschutzdurchführungsgesetz (EU-VSchDG).
Durchsetzungsersuchen reicht aus für Tätigwerden
Der BGH stellt weiter klar, dass sich die Befugnisse der ersuchenden und der ersuchten Behörde unmittelbar aus der CPC-Verordnung ergeben und keine weiteren Voraussetzungen zu erfüllen sind. Voraussetzung für ein Tätigwerden der ersuchten Behörde, hier des Umweltbundesamts, ist demnach allein ein den Anforderungen der CPC-Verordnung entsprechendes Durchsetzungsersuchen der Behörde eines anderen EU-Mitgliedstaats, im vorliegenden Fall der ADEI. Nicht erforderlich ist hingegen eine den innerstaatlichen Anforderungen des Rechts des jeweiligen Mitgliedstaats genügende „Grundverfügung“.
Befugnisse der ersuchten Behörde nach CPC-Verordnung
Nach Auffassung des BGH genügte das Vorgehen des Umweltbundesamts auch inhaltlich den Vorgaben der CPC-Verordnung, insbesondere entsprachen die getroffenen Maßnahmen den Befugnissen gemäß der Verordnung.
Gemäß Art. 12 Abs. 1 Satz 1 CPC-Verordnung „ergreift eine ersuchte Behörde alle erforderlichen und verhältnismäßigen Durchsetzungsmaßnahmen, um die Einstellung oder Untersagung des Verstoßes innerhalb der Union zu bewirken, indem sie die Befugnisse gemäß Artikel 9 sowie alle zusätzlichen Befugnisse, über die sie nach nationalem Recht verfügt, ausübt.“ Zu den Befugnissen nach Art. 9 gehören Ermittlungs- sowie Durchsetzungsbefugnisse. Nach Art. 12 Abs. 1 Satz 2 entscheidet die ersuchte Behörde „über die angemessenen Durchsetzungsmaßnahmen, die erforderlich sind, um die Einstellung oder Untersagung des Verstoßes innerhalb der Union zu bewirken, und ergreift diese unverzüglich, spätestens jedoch sechs Monate nach Eingang des Ersuchens…“.
Irreführung der Verbraucher
Im Rahmen der Entscheidung über erforderliche Durchsetzungsmaßnahmen muss der „Verstoß innerhalb der Union“ geprüft werden, also ein Verstoß gegen Unionsrecht zum Schutz der Verbraucherinteressen (Art. 3 Nr. 1 und 2 CPC-Verordnung). Dazu gehört u.a. ein hier angenommener Verstoß gegen die Bestimmungen der UGP-Richtlinie, umgesetzt in die jeweilige Rechtsordnung der Mitgliedstaaten.
Der BGH stellt fest, dass das den Bescheid des Umweltbundesamt prüfende Landgericht rechtsfehlerfrei einen Verstoß gegen die belgischen Umsetzungsbestimmungen der unionsrechtlichen Irreführungsverbote gemäß Art. 6 Abs. 1 lit. b bzw. Art. 7 Abs. 1 und 4 lit. a der UGP-Richtlinie festgestellt hat:
- Die Behauptungen „umweltfreundlich" („milieuvriendelijk“) und „klimafreundlich" („klimaatvriendelijk“) seien irreführend, weil sie aufgrund ihres vagen Bedeutungsgehalts vom angesprochenen Verkehrskreis, den belgischen Verbrauchern, unterschiedlich interpretiert werden könnten und damit nicht den strengen Anforderungen an die Klarheit umweltbezogener Werbeangaben genügten.
- Auch die Angabe, der Fernbus sei das „umweltfreundlichste Verkehrsmittel“, sei nicht hinreichend erläutert worden und daher irreführend.
- Im Hinblick auf die vom Unternehmen angebotene CO2-Kompensationszahlung liege eine irreführende Unterlassung vor, da die für die Verbraucherentscheidung wesentliche Angabe, auf welchem Emissionswert die Kompensationszahlung basiere, unterlassen worden sei.
In diesem Zusammenhang interessant: Wegen des harmonisierten Begriffs des Durchschnittsverbrauchers durfte das Landgericht nach Meinung des BGH zunächst die Anschauung des deutschen Durchschnittsverbrauchers und sodann feststellen, dass sich die Anschauungen des Durchschnittsverbrauchers in einem anderen Mitgliedstaat davon nicht entscheidungserheblich unterscheiden.
Sehr ausführlich begründet der BGH in der Folge, dass die vom Umweltbundesamt angeordnete Maßnahme – die Unterlassungsverfügung - auch ermessensfehlerfrei sowie erforderlich und angemessen und damit rechtmäßig war.
Was bedeutet die Entscheidung für die Praxis?
Die Entscheidung ist deshalb so praxisrelevant, weil sie die die (bislang kaum genutzten) Möglichkeiten der CPC-Verordnung in den Fokus rückt, wonach deutsche Behörden Maßnahmen gegen Unternehmen mit Sitz in Deutschland treffen dürfen, um im EU-Ausland begangene Verstöße gegen verbraucherschützende Normen des Unionsrechts zu beenden. Das ist in Deutschland deshalb besonders, weil es hier in der Regel Mitbewerber oder Verbände sind, die Verstöße gegen Verbrauchschutznormen verfolgen. Welche Behörde für Verfügungen im Einzelfall konkret zuständig ist, regelt das EU-Verbraucherschutzdurchführungsgesetz (EU-VSchDG). Je nachdem, welche europäische Verbraucherschutznorm verletzt wird, können dies neben dem Umweltbundesamt z.B. auch die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin), die Bundesnetzagentur, das Luftfahrt-Bundesamt oder das Eisenbahn-Bundesamt sein.
Von Bedeutung ist zudem, dass für die Überprüfung der von deutschen Behörden erlassenen Bescheide (und damit der Verstöße gegen im EU-Ausland geltende verbraucherschützenden Normen) deutsche Gerichte zuständig sind.
Im Bereich der umweltbezogenen Werbeaussagen könnte dies zukünftig noch relevanter werden, da mit der EmpCo-Richtlinie, die von den Mitgliedstaaten bis März 2026 umgesetzt werden muss, verschärfte Regeln gelten werden. Verstöße gegen die dann geltenden strengen Vorgaben für Umweltaussagen und -zeichen könnten nach der CPC-Verordnung mithin von Behörden aus dem EU-Ausland auch grenzüberschreitend verfolgt werden. Unternehmen, die ihren Sitz in Deutschland haben, sollten dies bei der Planung EU-weiter Werbekampagnen berücksichtigen und die Werbeaussagen vorab sorgfältig prüfen.