In der Entscheidung „Kurukahveci Mehmet Efendi“ (BGH, Urteil vom 3. Juli 2025 – I ZR 226/24) hält der Senat die Reichweite der markenrechtlichen Erschöpfung für aus der Türkei stammende Originalware fest: Ein Erstinverkehrbringen außerhalb des Europäischen Wirtschaftsraums (EWR) erschöpfe die Unionsmarke nach Art. 15 Abs. 1 UMV nicht. Der Senat verneint einen assoziationsrechtlich begründeten Gleichlauf mit der Binnenmarktdogmatik, da die Verbote mengenmäßiger Beschränkungen und Maßnahmen gleicher Wirkung durch die in Art. 29 des Zusatzprotokolls und Art. 7 des Beschlusses Nr. 1/95 verankerten Ausnahmen zum Schutz des gewerblichen und kommerziellen Eigentums begrenzt seien.
Worum geht es?
Die Klägerin, ein türkisches Kaffeeunternehmen, vertreibt ihre Produkte sowohl in der Türkei als auch – über eine EU-Distributorin – in der Europäischen Union. Sie ist Inhaberin einer seit 2010 in der EU geschützten IR-Wort-Bild-Marke sowie einer älteren deutschen Marke. Die deutsche Beklagte importierte in der Türkei erstmals in Verkehr gebrachte, mit der Marke gekennzeichnete Ware nach Deutschland und belieferte den Einzelhandel. Die Klägerin begehrte Unterlassung. Land- und Oberlandesgericht gaben der Klage statt. Die Revision blieb ohne Erfolg.
Was sagt der BGH?
Dogmatischer Ausgangspunkt der Entscheidung ist Art. 15 Abs. 1 UMV, wonach Erschöpfung nur eintritt, wenn die Ware unter der Marke vom Inhaber oder mit dessen Zustimmung im EWR in den Verkehr gebracht worden ist. An dieser territorialen Begrenzung hält der Senat fest und ordnet sie – in Kontinuität zur Rechtsprechung des EuGH (Silhouette; Sebago/Docksides; Davidoff; Mitsubishi) – in das Konzept eines kontrollierten Erstvertriebs im EWR ein. Ein Erstinverkehrbringen in der Türkei führe insofern nicht zur Erschöpfung. Der Markeninhaber könne der Einfuhr in den EWR widersprechen.
Die Beklagte berief sich auf die assoziationsrechtlichen Vorschriften im Verhältnis EU-Türkei. Die zentralen Vorschriften, Art. 21 und 22 Abs. 1 des Zusatzprotokolls sowie Art. 5 des Beschlusses Nr. 1/95, entfalten nach Auffassung des BGH zwar unmittelbare Wirkung. Deren Reichweite werde jedoch durch die in Art. 29 des Zusatzprotokolls und Art. 7 des Beschlusses Nr. 1/95 normierten Schranken zum Schutz des gewerblichen und kommerziellen Eigentums begrenzt. Vor diesem Hintergrund erweise sich die EWR-gebundene Erschöpfung als mit dem Assoziationsrecht vereinbar. Ihre etwaige handelsbeschränkende Wirkung sei hierdurch gerechtfertigt. Ferner wertet der Senat Art. 10 Abs. 2 des Anhangs 8 zum Beschluss Nr. 1/95 – wonach im Verhältnis EU-Türkei keine Erschöpfung von Schutzrechten eintritt – als deklaratorische Präzisierung des bereits bestehenden unionsrechtlichen Erschöpfungsregimes.
Die Übertragung der binnenmarktrechtlichen Logik der Entscheidung Polydor/RSO Records (C-270/80) auf das Assoziationsrecht lehnt der BGH ab. Telos und Systematik beider Regelwerke seien zu verschieden: Der Binnenmarkt ziele auf die Schaffung eines Wirtschaftsraums ohne Binnengrenzen und verwirkliche die Grundfreiheiten, während die Assoziation sich auf die Einrichtung einer Zollunion mit im Wesentlichen tariflicher Liberalisierung beschränke. Eine bloße Textparallelität zu Art. 34 und 36 AEUV könne einen Gleichlauf nicht begründen. Insofern könne eine im Binnenmarktkontext unzulässige Beschränkung im Rahmen der Zollunion durch die genannte IP-Schranke gerechtfertigt sein.
Ebenfalls nicht tragfähig sei der Verweis auf Istanbul Lojistik (C-65/16). Diese Entscheidung betreffe Art. 4 des Beschlusses Nr. 1/95 und damit Zölle und Abgaben gleicher Wirkung. Im vorliegenden Zusammenhang gehe es hingegen um Art. 5 in Verbindung mit Art. 7 desselben Beschlusses, die das Verbot mengenmäßiger Beschränkungen und Maßnahmen gleicher Wirkung sowie die Ausnahme zum Schutz des gewerblichen und kommerziellen Eigentums regeln. Die dort entwickelten Maßstäbe seien daher auf die Frage der markenrechtlichen Erschöpfung nicht übertragbar.
Auch die Verhältnismäßigkeitsprüfung falle zugunsten der räumlichen Begrenzung der Erschöpfung auf den EWR aus. Die Regelung sei geeignet, erforderlich und angemessen, um den unionsweit harmonisierten Markenschutz kohärent mit dem freien Warenverkehr zu verzahnen. Eine willkürliche Diskriminierung der Türkei verneint der Senat. Eine Rückkehr zu vorharmonisierten, teils international erschöpfenden nationalen Regimen ließe die Rechtslage fragmentieren.
Praxishinweise
Praktisch bedeutet dies: Für außerhalb des EWR erstmals in Verkehr gebrachte Originalware scheidet eine rechtmäßige Einfuhr ohne Zustimmung des Markeninhabers aus. Dies gilt auch dann, wenn die Türkei als Zollunionspartnerin in einem dichten Regime assoziationsrechtlicher Handelsregeln steht.
Wer aus Drittstaaten importiert, muss die Markenkette im Blick behalten. Wer Rechte durchsetzt, kann sich auf eine gefestigte unions- und assoziationsrechtliche Begründung stützen. Der Senat legt damit ein kohärentes, europarechtlich sorgfältig vermessenes Referenzurteil vor, das politische Konstellationen im Verhältnis EU-Türkei unberührt lässt, vergangene Diskurse zur internationalen Erschöpfung nicht perpetuiert und der Praxis in Beschaffung, Vertrieb und Rechtsdurchsetzung verlässliche Orientierung bietet.