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27. Dezember 2023

Kuriositäten zum Jahresausklang: Kein Flankenschutz im Recht?

  • Briefing

Zugleich: Besprechung des Urteils des BGH vom 10. Januar 2023, 6 StR 133/22

In seinem viel beachteten Urteil vom 10. Januar 2023 hat der 6. Strafsenat des BGH festgestellt, dass ein Verstoß gegen das betriebsverfassungsrechtliche Begünstigungsverbot in Gestalt der Gewährung eines überhöhten Arbeitsentgelts an ein Mitglied des Betriebsrats den objektiven Straftatbestand der Untreue erfüllen kann.

Urteil

In dem Revisionsurteil hat der BGH in der Gewährung eines überhöhten Arbeitsentgelts an ein Mitglied des Betriebsrats einen Verstoß gegen das Verbot der Begünstigung von Betriebsratsmitgliedern gesehen und festgestellt, dass ein solcher Verstoß den objektiven Tatbestand der Untreue erfüllen kann. Dementsprechend hat der BGH das erstinstanzliche Urteil des LG Braunschweig (16 KLs 406 Js. 59398/16 (85/19)) aufgehoben, mit dem die angeklagten Vorstandsmitglieder und Prokuristen einer AG, welche die Vergütungen gewährt hatten, vom Vorwurf der Untreue zunächst noch freigesprochen worden waren.

Der BGH hat die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LG Braunschweig, jedoch an eine andere Strafkammer, zurückverwiesen. Dem neuen Tatgericht hat der BGH für die erneute Verhandlung und seine Entscheidung als Hinweis mit auf den Weg gegeben, dass für den Fall, dass ein Verbotsirrtum im Raum stehen sollte, der Frage nach dessen Vermeidbarkeit ein besonderes Augenmerk zu widmen sei. Nicht in jedem Fall vermöge Vertrauen auf eingeholten anwaltlichen Rat zur Unvermeidbarkeit führen. Ein Gutachten, das mit Zitat aus den Verfahrensakten „rechtlichen Flankenschutz für die tatsächliche Handhabung“ bieten soll, werde einer besonders kritischen Würdigung bedürfen.

Rechtliche Einordnung

Ein in den meisten Kommentierungen, die zu der Entscheidung bislang vorgelegt wurden, noch nicht hinreichend gewürdigter, zugleich aber für die Praxis überaus bedeutsamer Aspekt ergibt sich aus den „Segelanweisungen“, die der BGH dem LG aufgegeben hat:

Laut Tatbestand des erstinstanzlichen Urteils hat einer der Angeklagten zu seiner Verteidigung vorgetragen, er habe nicht den geringsten Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Gewährung der Arbeitsentgelte gehabt, zumal man ihm dargelegt habe, diese seien intern wie extern rechtlich geprüft und in Ordnung.

Der Angeklagte hat demnach den Einwand erhoben, ihm sei im Zeitpunkt der Gewährung der beanstandeten Vergütungen nicht bewusst gewesen, dass das Vorgehen nicht im Einklang mit den Vorschriften des Betriebsverfassungsgesetzes steht, er habe sich mithin im Irrtum darüber befunden, dass sein Verhalten verboten war. Dieser Verbotsirrtum sei nicht zu vermeiden gewesen, da er, der in den relevanten juristischen Fragestellungen selbst über keine Fachkunde verfügte, auf die Bewertung der eingeschalteten internen und externen Experten vertraut habe (sog. Expert Reliance Defence).

Die Rechtsfigur des Vertrauens auf Expertenrat ist im vorliegenden Fall im strafrechtlichen Kontext zu sehen: Gemäß § 17 Satz 1 StGB handelt der Täter ohne Schuld, wenn ihm bei Begehung der Tat die Einsicht fehlt, Unrecht zu tun und er diesen Irrtum nicht vermeiden konnte.

Auch, wenn die Präjudizwirkung der Urteile der Strafsenate des BGH in anderen, über das materielle Strafrecht hinausgehenden Rechtsgebieten – zum Beispiel dem Gesellschaftsrecht – weniger verbindlich als im originären Strafrecht sein mag, sind sie vor dem Hintergrund der Einheit der Rechtsordnung dennoch bedeutsam und sicherlich nicht zu ignorieren.

Die Rechtsfigur des Vertrauens auf Expertenrat kann auch in anderen Konstellationen ohne konkret strafrechtlichen Bezug eine Rolle spielen, so insbesondere bei der Entscheidungsfindung des Vorstands im Rahmen der tatbestandlichen Voraussetzungen des § 93 Abs. 1 Satz 2 AktG (sog. Business Judgment Rule). Organmitglieder haften auch zivilrechtlich für einen eingetretenen Schaden nur, wenn sie diesen schuldhaft herbeigeführt haben. Das Verschulden kann durch das Vertrauen auf fremden Rat ausgeschlossen sein. Mit Urteil vom 20. November 2011 (II ZR 234/09 - „ISION“) hat der BGH vier Voraussetzungen eines schutzwürdigen Vertrauens auf Expertenrat aufgestellt: Das Verschulden ist nicht gegeben, wenn der Experte (i) hinreichend fachlich qualifiziert und (ii) unabhängig ist, (iii) ihm sämtliche für seine Begutachtung bedeutsamen Umstände vollumfänglich offengelegt wurden, und (iv) die erteilte Auskunft einer sorgfältigen eigenen Plausibilitätskontrolle unterzogen wurde. Die Darlegungs- und Beweislast für diese Merkmale im Zivilprozess trifft grundsätzlich das Organ, das sich auf das Vertrauen auf den Expertenrat berufen will.

Sollte die „Segelanweisung“ des BGH bedeuten, dass der BGH ein Gutachten, das „rechtlichen Flankenschutz“ bieten soll, nicht als taugliche Grundlage für einen schuldausschließenden unvermeidbaren Verbotsirrtum ansieht, würde dadurch die Frage aufgeworfen, ob zu den bisherigen vier ISION-Kriterien nunmehr ein Fünftes hinzukommt. Wahrscheinlicher ist aber, dass der BGH mit dem wörtlichen Zitat aus den Verfahrensakten eher im Sinn hatte, seinen Hinweis auf die besondere Aufmerksamkeit, die das neue Tatgericht dem in dem konkreten Fall erteilten Rat schenken soll, zu unterstreichen. Der BGH wäre somit im Einklang mit der Gesetzesbegründung zu der zivilrechtlichen Vorschrift des § 93 Abs. 1 Satz 2 AktG, nach der durch die Business Judgment Rule im Aktienrecht kein Anreiz zu einer rein formalen Absicherung anhand routinemäßig eingeholter Sachverständigengutachten, Beratervoten oder externer Marktanalysen gesetzt werden soll (Begr. RegE UMAG, BT-Drs. 15/5092, 12).

Konsequenzen für die Praxis

Auch, wenn die Schlussfolgerung, ein Gutachten, das rechtlichen Flankenschutz bieten soll, nicht als Grundlage für einen schuldausschließenden unvermeidbaren Verbotsirrtum dienen könne, verkürzt und zu pauschal ausfällt, wird die Praxis diese Begrifflichkeit bei der Formulierung von Gutachtenaufträgen und Schriftsätzen zum Parteivorbringen tunlichst vermeiden. Der Begriff „rechtlicher Flankenschutz“ hat damit das Potenzial, zum juristischen Unwort des Jahres zu werden, was seiner Bedeutung im militärischen Bereich, dem er entlehnt ist, nicht gerecht würde. Möglicherweise hat der BGH für den Bereich des Vertrauens auf Expertenrat ein neues geflügeltes Wort geprägt. Die Entscheidung erinnert auch insoweit an das Revisionsurteil im Mannesmann-Prozess aus dem Jahr 2005, in welchem der 3. Strafsenat des BGH unter dem seinerzeitigen Vorsitzenden Tolksdorf die Parabel vom Gutsherrn und dem Gutsverwalter verwendet hat, um zu verdeutlichen, dass die Aufsichtsratsmitglieder der Mannesmann AG einer Treuepflicht ihrer Gesellschaft gegenüber unterlagen. Auch in diesem Verfahren hatten die Angeklagten den Einwand des unvermeidbaren Verbotsirrtums erhoben.

Um sicherstellen zu können, dass der Vorstand berechtigt auf den Rat von Experten vertrauen kann, ist bei der Beauftragung der Experten darauf zu achten, dass die Gutachten zur Klärung und nicht zur Bestätigung bestellt werden. Bereits der Anschein eines routinemäßig oder gefälligkeitshalber eingeholten Gutachtens ist zu vermeiden. Hierzu sind die zu klärenden offenen Fragen klar zu bezeichnen. Gerade bei komplexen Sachverhalten und erkennbar schwierigen Rechtsfragen sollte die Beauftragung auf eine entsprechend detaillierte und differenzierte Stellungnahme gerichtet sein, die den Entscheidungsträgern die nach den Grundsätzen der ISION-Entscheidung erforderliche Plausibilitätskontrolle ermöglicht.

Als praxiserfahrene Rechtsanwälte und Berater unterstützen wir Sie und Ihre Mitarbeiter bei der Klärung anspruchsvoller Rechtsfragen. Nehmen Sie gerne Kontakt mit uns auf, um mehr zu erfahren.

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