12. Dezember 2023
Das Thema Nachhaltigkeit – alternativ häufig auch mit „ESG“ bezeichnet – weist nach wie vor eine beeindruckende Dynamik auf, die insbesondere Wirtschaftsunternehmen unter einen erheblichen und wachsenden Zugzwang setzt, soll doch die Wirtschaft einen wesentlichen Beitrag dazu leisten, dass die triefgreifende und umfassende Transformation der unternehmerischen Betätigung gelingt, die aus Sicht der Politik erforderlich ist, um die großen ökologischen und sozialen Herausforderungen der Gegenwart zu meistern.
Nachfolgend beleuchtet werden einige ausgewählte Implikationen dieser Entwicklung für die Hauptversammlung, insbesondere der börsennotierten AG, sowie für den Umgang mit Aktionären, die ihr Stimmrecht aktiv einsetzen, um ihren ESG-Vorstellungen Geltung zu verschaffen.
Ausgangslage
Als Mittel zur Durchsetzung der politischen Ziele im Klimaschutz wird zunehmend das Gesellschaftsrecht in den Blick genommen. 2024 wird die Abteilung Wirtschaftsrecht des Deutschen Juristentags die Frage diskutieren, ob sich im Kampf gegen den Klimawandel gesetzgeberische Maßnahmen auf dem Gebiet des Gesellschaftsrechts empfehlen. Aber auch schon heute ist die Empfehlung des Deutschen Corporate Governance Kodexes zu nennen, nach welcher der Vorstand die mit den für das Unternehmen bedeutsamen Sozial- und Umweltfaktoren verbundenen Risiken und Chancen für das Unternehmen sowie andererseits die ökologischen und sozialen Auswirkungen der Unternehmenstätigkeit systematisch identifizieren und bewerten soll.
Nicht erst der Gesetzgeber und die Kodexkommission erwarten von den Unternehmen nachhaltiges Handeln, sondern seit Langem auch schon die Kapitalmarktteilnehmer, weitere Akteure der Privatwirtschaft sowie allgemein die breite Öffentlichkeit. Exemplarisch zu nennen sind namhafte internationale institutionelle Investoren und Stimmrechtsberater, welche die die sog. Say on Climate-Initiative vorantreiben, deren Ziel es ist, die Hauptversammlung verbindlich oder zumindest beratend zu Fragen der Klimapolitik der Gesellschaft einzubinden. Auch Shareholder Activism tritt heute vermehrt als Sustainable Shareholder Activism in Erscheinung, indem bestimmte Aktionäre versuchen, mit entsprechenden Kampagnen aktiv auf die ESG-Strategie des Unternehmens Einfluss zu nehmen, denn die Strategie soll, so eine weitere Kodex-Empfehlung, die ökologischen und sozialen Auswirkungen der Unternehmenstätigkeit und die mit den relevanten Sozial- und Umweltfaktoren verbundenen Risiken und Chancen für das Unternehmen berücksichtigen.
Außerdem immer häufiger erlegen institutionelle Anleger sich selbst „grüne“ Anlagekriterien auf, nach denen sie nicht mehr in Unternehmen investieren, deren Geschäftsmodelle durch den Klimawandel bedroht werden, oder in solche, deren Geschäftstätigkeit weiterhin den Klimawandel fördert, ohne dass die betreffenden Unternehmen wirksame Kompensationsmaßnahmen ergreifen. Diese Anleger sind davon überzeugt, dass zwischen der Nachhaltigkeitsleistung eines Unternehmens und seinem Unternehmenswert eine Korrelation besteht und dass sie mit dieser Anlagestrategie langfristig den Wert ihrer Beteiligungsportfolien steigern.
Durch die erhöhte Sensibilität für eine nachhaltige Betätigung und die konkret an sie gerichteten Erwartungen wird Nachhaltigkeit für die Unternehmen ein immer relevanterer Erfolgsfaktor.
Ob ihre jeweiligen Erwartungen erfüllt werden, ist für die interessierten Kreise heutzutage vergleichsweise leicht nachzuvollziehen. Da große und kapitalmarktorientierte Kapitalgesellschaften über die nichtfinanzielle Berichterstattung Rechenschaft über ihre Fortschritte bei der Erreichung ihrer ökologischen und sozialen Zielsetzungen abzulegen haben, besteht eine entsprechende Transparenz, die sich in nicht allzu ferner Zeit auf eine Vielzahl weiterer Unternehmen im Anwendungsbereich der Corporate Sustainability Reporting Directive ausweiten wird. Nicht zuletzt wird auch über den jährlichen Vergütungsbericht, den börsennotierte Gesellschaften ihrer Hauptversammlung zur Billigung vorzulegen haben, offenbar werden, welche Vorstände die ihnen gesetzten nichtfinanziellen Ziele erreichen, wie die betreffenden Gesellschaften auf ihrer jeweiligen Roadmap in puncto Nachhaltigkeit stehen, und welche Gesellschaften im Branchenvergleich oder im direkten Vergleich zueinander besonders fortschrittlich sind, beziehungsweise, wo eher noch Aufholbedarf besteht.
Als Kehrseite dieser Transparenz sind Unternehmen sensibler geworden. Der bloße Vorwurf bereits, etwa von Greenwashing oder, einer Verletzung von Menschenrechten Vorschub zu leisten, schadet der Reputation. Bei börsennotierten Unternehmen kann ein solcher Vorwurf außerdem spürbare Folgen für den Aktienkurs haben.
Hauptversammlung als Austragungsort der Diskussion über ESG
Austragungsort für die Diskussion über ESG wird zunehmend die Hauptversammlung.
In diesem Jahr haben Klimaaktivisten und Menschenrechtsgruppen auf der VW-Hauptversammlung aufsehenerregende Tumulte ausgelöst. Die Hauptversammlung bietet aber nicht bloß eine Bühne für öffentlichkeitswirksame Kritik, sondern entsprechend motivierten Aktionären die Möglichkeit, vor allem das Stimmrecht dafür einzusetzen, Unternehmen dazu zu veranlassen, bestimmte Nachhaltigkeitsziele zu verfolgen. Aktionäre wollen ihre Meinung über die Maßnahmen, die das Management zum Klimaschutz ergreift, kundtun, indem sie darüber abstimmen. Sofern es nicht möglich ist, unmittelbar über bestimmte Klimaschutzmaßnahmen zu votieren, ziehen sie andere – obligatorische – Beschlussfassungen heran, um Stellung zu beziehen. So wird im Rahmen von bestimmten Beschlussgegenständen die Stimmabgabe dazu genutzt, Auffassungen zum Klimaschutz zu artikulieren, die mit Bezug auf den Beschlussgegenstand im engeren Sinne sachfremd sind.
Aus Aktionärssicht lässt sich das Stimmrecht vor allem für die nachfolgenden Möglichkeiten einsetzen:
Einschätzung und Ausblick
Wenn ESG-Aspekte im Rahmen von obligatorischen Beschlussfassungen in der Hauptversammlung zu maßgeblichen Entscheidungskriterien der Stimmabgabe gemacht werden, droht eine Über-Akzentuierung, die mit ihrem tatsächlichen Zusammenhang mit dem eigentlichen Beschlussgenstand nicht im Verhältnis steht.
Gleichwohl ist nicht abzusehen, dass der Trend zu Sustainable Shareholder Activism und Say on Climate in der nächsten Zeit abflauen könnte. Insgesamt ist damit zu rechnen, dass ESG-Aspekte unter den genannten Tagesordnungspunkten vermehrt und umfänglicher zur Diskussion gestellt, zum Anlass für eine Ablehnung der Vorschläge der Verwaltung genommen und möglicherweise dann auch zum Gegenstand einer Anfechtung der gleichwohl gefassten Beschlüsse gemacht werden.
Wie oben dargelegt, sind die Möglichkeiten von Aktionären, die Hauptversammlung über ESG-Themen abstimmen zu lassen juristisch begrenzt. Der Umgang mit solchen Initiativen bedarf gleichwohl nicht nur der konventionellen formalistischen Reaktion des Aktienrechts. Im Einzelfall ist sorgfältig abzuwägen, welche weiteren flankierenden Mittel benötigt werden, um die Zurückweisung oder Zulassung von Ergänzungsverlangen und Gegenanträgen, die Debatte und Abstimmung in der Hauptversammlung, ja sogar die Hauptversammlung insgesamt, bestmöglich in den Kontext der ESG-Strategie zu setzen, um diese in der Hauptversammlung zu verteidigen. Neben dem Rechtsbereich kommt hier der Unternehmenskommunikation, sowohl im Vorfeld im Rahmen der Berichterstattung und während der Einberufungsphase, als auch in der Hauptversammlung eine tragende Rolle zu. Ebenso wichtig ist die enge Verzahnung mit Investor Relations wegen des regelmäßigen Dialogs mit Investoren und Stimmrechtsberatern, um einerseits deren Erwartungen abzuklären und andererseits, außerhalb des Turnus der regelmäßigen Berichte, über Fortschritte bei der Umsetzung von ESG-Maßnahmen zu informieren. Schließlich kann auch eine stärkere Involvierung in der gesamtgesellschaftlichen Debatte, etwa über die Public Policy-Abteilungen der Unternehmen oder Verbände, dazu beitragen, dass die Unternehmen nach allen Seiten bestmöglich aufgestellt sind, um auf breiter Front zu reagieren, sollten ESG-Interessengruppen im Zusammenhang mit der Hauptversammlung eine kritische Rolle einnehmen.
Zuweilen kann Angriff als die beste Verteidigung erscheinen. Unternehmen können auch proaktiv agieren und die Debatte lenken wie das Beispiel der Alzchem Group AG belegt. Der Vorstand der Alzchem Group AG hat der Hauptversammlung am 11. Mai 2023 den von ihm entwickelten Klimafahrplan zwecks eines Konsultativbeschlusses vorgelegt. Dieser Plan fand mit großer Mehrheit die Zustimmung der Hauptversammlung.
Vor diesem Hintergrund verspricht ESG eines der Hot Topics für die Hauptversammlungssaison 2024 zu werden. Als praxiserfahrene Rechtsanwälte und Berater kennen wir die Abläufe und organisatorischen Schnittstellen der mit der Hauptversammlung befassten Stellen und unterstützen Sie und Ihre Mitarbeiter dabei, Ihre anspruchsvolle Hauptversammlung rechtssicher und effizient vorzubereiten und durchzuführen. Nehmen Sie gerne Kontakt mit uns auf, um mehr darüber zu erfahren.
Mit Urteil vom 2. August 2022 hat das Landgericht Stuttgart mehrere Beschlüsse der Hauptversammlung der Heckler & Koch AG aus Oberndorf vom 31. August 2021 für nichtig erklärt.