Autor

Nikolaus Plagemann

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12. Dezember 2023

Hot Topics Hauptversammlung: ESG

Das Thema Nachhaltigkeit – alternativ häufig auch mit „ESG“ bezeichnet – weist nach wie vor eine beeindruckende Dynamik auf, die insbesondere Wirtschaftsunternehmen unter einen erheblichen und wachsenden Zugzwang setzt, soll doch die Wirtschaft einen wesentlichen Beitrag dazu leisten, dass die triefgreifende und umfassende Transformation der unternehmerischen Betätigung gelingt, die aus Sicht der Politik erforderlich ist, um die großen ökologischen und sozialen Herausforderungen der Gegenwart zu meistern.

 

Nachfolgend beleuchtet werden einige ausgewählte Implikationen dieser Entwicklung für die Hauptversammlung, insbesondere der börsennotierten AG, sowie für den Umgang mit Aktionären, die ihr Stimmrecht aktiv einsetzen, um ihren ESG-Vorstellungen Geltung zu verschaffen.

 

Ausgangslage

 

Als Mittel zur Durchsetzung der politischen Ziele im Klimaschutz wird zunehmend das Gesellschaftsrecht in den Blick genommen. 2024 wird die Abteilung Wirtschaftsrecht des Deutschen Juristentags die Frage diskutieren, ob sich im Kampf gegen den Klimawandel gesetzgeberische Maßnahmen auf dem Gebiet des Gesellschaftsrechts empfehlen. Aber auch schon heute ist die Empfehlung des Deutschen Corporate Governance Kodexes zu nennen, nach welcher der Vorstand die mit den für das Unternehmen bedeutsamen Sozial- und Umweltfaktoren verbundenen Risiken und Chancen für das Unternehmen sowie andererseits die ökologischen und sozialen Auswirkungen der Unternehmenstätigkeit systematisch identifizieren und bewerten soll. 

 

Nicht erst der Gesetzgeber und die Kodexkommission erwarten von den Unternehmen nachhaltiges Handeln, sondern seit Langem auch schon die Kapitalmarktteilnehmer, weitere Akteure der Privatwirtschaft sowie allgemein die breite Öffentlichkeit. Exemplarisch zu nennen sind namhafte internationale institutionelle Investoren und Stimmrechtsberater, welche die die sog. Say on Climate-Initiative vorantreiben, deren Ziel es ist, die Hauptversammlung verbindlich oder zumindest beratend zu Fragen der Klimapolitik der Gesellschaft einzubinden. Auch Shareholder Activism tritt heute vermehrt als Sustainable Shareholder Activism in Erscheinung, indem bestimmte Aktionäre versuchen, mit entsprechenden Kampagnen aktiv auf die ESG-Strategie des Unternehmens Einfluss zu nehmen, denn die Strategie soll, so eine weitere Kodex-Empfehlung, die ökologischen und sozialen Auswirkungen der Unternehmenstätigkeit und die mit den relevanten Sozial- und Umweltfaktoren verbundenen Risiken und Chancen für das Unternehmen berücksichtigen.

 

Außerdem immer häufiger erlegen institutionelle Anleger sich selbst „grüne“ Anlagekriterien auf, nach denen sie nicht mehr in Unternehmen investieren, deren Geschäftsmodelle durch den Klimawandel bedroht werden, oder in solche, deren Geschäftstätigkeit weiterhin den Klimawandel fördert, ohne dass die betreffenden Unternehmen wirksame Kompensationsmaßnahmen ergreifen. Diese Anleger sind davon überzeugt, dass zwischen der Nachhaltigkeitsleistung eines Unternehmens und seinem Unternehmenswert eine Korrelation besteht und dass sie mit dieser Anlagestrategie langfristig den Wert ihrer Beteiligungsportfolien steigern.

 

Durch die erhöhte Sensibilität für eine nachhaltige Betätigung und die konkret an sie gerichteten Erwartungen wird Nachhaltigkeit für die Unternehmen ein immer relevanterer Erfolgsfaktor. 

 

Ob ihre jeweiligen Erwartungen erfüllt werden, ist für die interessierten Kreise heutzutage vergleichsweise leicht nachzuvollziehen. Da große und kapitalmarktorientierte Kapitalgesellschaften über die nichtfinanzielle Berichterstattung Rechenschaft über ihre Fortschritte bei der Erreichung ihrer ökologischen und sozialen Zielsetzungen abzulegen haben, besteht eine entsprechende Transparenz, die sich in nicht allzu ferner Zeit auf eine Vielzahl weiterer Unternehmen im Anwendungsbereich der Corporate Sustainability Reporting Directive ausweiten wird. Nicht zuletzt wird auch über den jährlichen Vergütungsbericht, den börsennotierte Gesellschaften ihrer Hauptversammlung zur Billigung vorzulegen haben, offenbar werden, welche Vorstände die ihnen gesetzten nichtfinanziellen Ziele erreichen, wie die betreffenden Gesellschaften auf ihrer jeweiligen Roadmap in puncto Nachhaltigkeit stehen, und welche Gesellschaften im Branchenvergleich oder im direkten Vergleich zueinander besonders fortschrittlich sind, beziehungsweise, wo eher noch Aufholbedarf besteht.

 

Als Kehrseite dieser Transparenz sind Unternehmen sensibler geworden. Der bloße Vorwurf bereits, etwa von Greenwashing oder, einer Verletzung von Menschenrechten Vorschub zu leisten, schadet der Reputation. Bei börsennotierten Unternehmen kann ein solcher Vorwurf außerdem spürbare Folgen für den Aktienkurs haben.

 

Hauptversammlung als Austragungsort der Diskussion über ESG

 

Austragungsort für die Diskussion über ESG wird zunehmend die Hauptversammlung.

 

In diesem Jahr haben Klimaaktivisten und Menschenrechtsgruppen auf der VW-Hauptversammlung aufsehenerregende Tumulte ausgelöst. Die Hauptversammlung bietet aber nicht bloß eine Bühne für öffentlichkeitswirksame Kritik, sondern entsprechend motivierten Aktionären die Möglichkeit, vor allem das Stimmrecht dafür einzusetzen, Unternehmen dazu zu veranlassen, bestimmte Nachhaltigkeitsziele zu verfolgen. Aktionäre wollen ihre Meinung über die Maßnahmen, die das Management zum Klimaschutz ergreift, kundtun, indem sie darüber abstimmen. Sofern es nicht möglich ist, unmittelbar über bestimmte Klimaschutzmaßnahmen zu votieren, ziehen sie andere – obligatorische – Beschlussfassungen heran, um Stellung zu beziehen. So wird im Rahmen von bestimmten Beschlussgegenständen die Stimmabgabe dazu genutzt, Auffassungen zum Klimaschutz zu artikulieren, die mit Bezug auf den Beschlussgegenstand im engeren Sinne sachfremd sind.

 

Aus Aktionärssicht lässt sich das Stimmrecht vor allem für die nachfolgenden Möglichkeiten einsetzen: 

 

    • Eine Möglichkeit, dezidiert auf Nachhaltigkeitsaspekte einzugehen, bietet die Entlastung von Vorstand und Aufsichtsrat. Aktionäre, die mit den Nachhaltigkeitsaktivitäten ihres Unternehmens unzufrieden sind, können in diesem Punkt mit Nein stimmen und ihre Position im Rahmen der Generaldebatte und gegebenenfalls auch schon im Vorfeld erläutern, um zu versuchen, mit ihren Argumenten andere davon zu überzeugen, die Beschlussvorschläge der Verwaltung ebenfalls abzulehnen.

 

    • Eine Diskussion in der Generaldebatte über Nachhaltigkeitsaspekte kann ihren Ausgangspunkt bereits im Rahmen des beschlusslosen Tagesordnungspunktes zur Vorlage des Jahresabschlusses haben, wenn in diesem Zusammenhang auch die nichtfinanzielle Erklärung als Bestandteil des Lageberichts vorgelegt wird. Insoweit kann der gesamte Inhalt der nichtfinanziellen Berichterstattung thematisiert werden

 

    • Auch bei der Beschlussfassung über die Gewinnverwendung kann die Ablehnung des Beschlussvorschlags der Verwaltung auf ESG-Erwägungen, beispielhaft unterschiedliche Auffassungen über die Dividenden- und Thesaurierungspolitik und die zu Grunde liegenden Annahmen über den für die Umsetzung der ESG-Strategie benötigten Investitionsaufwand, gestützt werden

 

    • Eine weitere Möglichkeit besteht in der Ablehnung von zur Wahl in den Aufsichtsrat vorgeschlagenen Kandidatinnen und Kandidaten. In diesem Fall entzündet sich die Diskussion an der Frage, ob die vom Aufsichtsrat zur Wahl gestellten Kandidaten ausreichend Expertise in den für das Unternehmen bedeutsamen Nachhaltigkeitsbelangen mitbringen. In diesem Zusammenhang können Aktivisten mittels alternativer Wahlvorschläge auch eigene Kandidaten für eine Kampfabstimmung ins Rennen schicken. 

 

    • Schließlich auch bei der Beschlussfassung über die Billigung von Vergütungssystem und Vergütungsbericht kann das Stimmrecht für eine Einflussnahme und Diskussion über die ESG-Strategie eingesetzt werden.

 

    • Aktionäre mit einer Mindestbeteiligung in Höhe von 5% des Grundkapitals oder des anteiligen Betrags von 500.000 Euro können im Vorfeld der Hauptversammlung gemäß § 122 Abs. 2 AktG vom Vorstand verlangen, dass bestimmte Gegenstände auf die Tagesordnung gesetzt und bekanntgemacht werden. Allerdings muss für die betreffenden Gegenstände die Kompetenz der Hauptversammlung gegeben sein. Daher dürfte in aller Regel eine Beschlussfassung über die ESG-Strategie oder über eine bestimmte Maßnahme, mit der die Strategie umgesetzt werden soll, nicht statthaft sein, da diese Gegenstände als Teil der Geschäftsführung in den originären Zuständigkeitsbereich des Vorstands (§ 76 Abs. 1 AktG) fallen. Auch, wenn die Gesellschaft ein entsprechendes Verlangen zurückweisen kann, dürfte es gleichwohl gelingen, damit im Vorfeld der Hauptversammlung eine erhebliche Aufmerksamkeit auf die jeweilige Sachfrage zu lenken und den jeweiligen Standpunkt zu verdeutlichen.

      Ein Verlangen, das sich noch eher mit der Kompetenzordnung vereinbaren ließe, könnte auf eine unverbindliche Stellungnahme in Beschlussform oder gegebenenfalls auch nur auf einen bloßen Meinungsaustausch mit probeweiser Abstimmung zur Erfassung eines Stimmungsbilds gerichtet sein.

      Eine neuerdings
      zu beobachtende Variante, mit der die fehlende Hauptversammlungskompetenz ebenfalls umschifft werden soll, ist es, das zu Grunde liegende ESG-Anliegen zum Gegenstand einer Satzungsänderung zu machen, für welche ganz ohne Zweifel allein die Hauptversammlung zuständig ist. Insoweit stellt sich im Einzelfall aber die Frage, ob der begehrten Änderung das Prinzip der Satzungsstrenge entgegensteht. Wenn sie auf eine unwirksame Satzungsregelung gerichtet ist, kann die begehrte Tagesordnungsergänzung zurückgewiesen werden. Hierüber hatten jüngst das AG (Beschl. v. 16. März 2023 118 AR 13/22) und das OLG Braunschweig (Beschl. v. 8. Mai 2023 – 2 W 25/23) befunden. In dem zu Grunde liegenden Fall hatten Aktionäre die Einführung einer satzungsmäßigen Vorgabe zur Nachhaltigkeitsberichterstattung des Vorstands über klimabezogene Lobbyaktivitäten der betreffenden Gesellschaft (Volkswagen AG) angestrebt. Auch ein solches Verlangen ist damit im Ergebnis rechtlich erfolglos. Dennoch sind auch hier informelle und mittelbare Fernwirkungen zu bedenken, denn aktivistische Kampagnen sind in erster Linie Öffentlichkeitskampagnen. Den Aktivisten kommt es nicht in erster Linie auf den juristischen Erfolg an. Sie zielen darauf ab, den Vorstand durch die mediale Begleitung des Verlangens und seiner Zurückweisung zumindest faktisch unter Druck und Zugzwang zu setzen, auf ihre Forderungen einzugehen und das ESG-Profil des Unternehmens nach ihren Vorstellungen anzupassen. 

 

Einschätzung und Ausblick 

 

Wenn ESG-Aspekte im Rahmen von obligatorischen Beschlussfassungen in der Hauptversammlung zu maßgeblichen Entscheidungskriterien der Stimmabgabe gemacht werden, droht eine Über-Akzentuierung, die mit ihrem tatsächlichen Zusammenhang mit dem eigentlichen Beschlussgenstand nicht im Verhältnis steht.

 

Gleichwohl ist nicht abzusehen, dass der Trend zu Sustainable Shareholder Activism und Say on Climate in der nächsten Zeit abflauen könnte. Insgesamt ist damit zu rechnen, dass ESG-Aspekte unter den genannten Tagesordnungspunkten vermehrt und umfänglicher zur Diskussion gestellt, zum Anlass für eine Ablehnung der Vorschläge der Verwaltung genommen und möglicherweise dann auch zum Gegenstand einer Anfechtung der gleichwohl gefassten Beschlüsse gemacht werden.

 

Wie oben dargelegt, sind die Möglichkeiten von Aktionären, die Hauptversammlung über ESG-Themen abstimmen zu lassen juristisch begrenzt. Der Umgang mit solchen Initiativen bedarf gleichwohl nicht nur der konventionellen formalistischen Reaktion des Aktienrechts. Im Einzelfall ist sorgfältig abzuwägen, welche weiteren flankierenden Mittel benötigt werden, um die Zurückweisung oder Zulassung von Ergänzungsverlangen und Gegenanträgen, die Debatte und Abstimmung in der Hauptversammlung, ja sogar die Hauptversammlung insgesamt, bestmöglich in den Kontext der ESG-Strategie zu setzen, um diese in der Hauptversammlung zu verteidigen. Neben dem Rechtsbereich kommt hier der Unternehmenskommunikation, sowohl im Vorfeld im Rahmen der Berichterstattung und während der Einberufungsphase, als auch in der Hauptversammlung eine tragende Rolle zu. Ebenso wichtig ist die enge Verzahnung mit Investor Relations wegen des regelmäßigen Dialogs mit Investoren und Stimmrechtsberatern, um einerseits deren Erwartungen abzuklären und andererseits, außerhalb des Turnus der regelmäßigen Berichte, über Fortschritte bei der Umsetzung von ESG-Maßnahmen zu informieren. Schließlich kann auch eine stärkere Involvierung in der gesamtgesellschaftlichen Debatte, etwa über die Public Policy-Abteilungen der Unternehmen oder Verbände, dazu beitragen, dass die Unternehmen nach allen Seiten bestmöglich aufgestellt sind, um auf breiter Front zu reagieren, sollten ESG-Interessengruppen im Zusammenhang mit der Hauptversammlung eine kritische Rolle einnehmen.

 

Zuweilen kann Angriff als die beste Verteidigung erscheinen. Unternehmen können auch proaktiv agieren und die Debatte lenken wie das Beispiel der Alzchem Group AG belegt. Der Vorstand der Alzchem Group AG hat der Hauptversammlung am 11. Mai 2023 den von ihm entwickelten Klimafahrplan zwecks eines Konsultativbeschlusses vorgelegt. Dieser Plan fand mit großer Mehrheit die Zustimmung der Hauptversammlung. 

 

Vor diesem Hintergrund verspricht ESG eines der Hot Topics für die Hauptversammlungssaison 2024 zu werden. Als praxiserfahrene Rechtsanwälte und Berater kennen wir die Abläufe und organisatorischen Schnittstellen der mit der Hauptversammlung befassten Stellen und unterstützen Sie und Ihre Mitarbeiter dabei, Ihre anspruchsvolle Hauptversammlung rechtssicher und effizient vorzubereiten und durchzuführen. Nehmen Sie gerne Kontakt mit uns auf, um mehr darüber zu erfahren.

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