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Nikolaus Plagemann

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28. August 2023

Kein Regress der Kapitalgesellschaft bei ihren Organmitgliedern für gegen das Unternehmen verhängte Geldbußen?

  • Briefing

Zugleich: Besprechung des Urteils des OLG Düsseldorf vom 27. Juli 2023, VI-6 U 1/22 (Kart).

Wie mit seiner Pressemitteilung Nr. 26/2023 vom 27. Juli 2023 unter der Überschrift „Vorstand und Geschäftsführer haften nicht persönlich für Kartell-Geldbußen eines Unternehmens“ mitgeteilt, hat das OLG Düsseldorf festgestellt, dass eine GmbH wegen einer Kartell-Geldbuße keinen Rückgriff nehmen kann. Die Überschrift der Pressemitteilung lässt aufmerken, da sie den Anschein erweckt, das Gericht hätte die Haftung für kartellrechtswidriges Verhalten ausgeschlossen.

Vor einer zu weit reichenden Interpretation ist jedoch Vorsicht geboten. Zum einen ist die Entscheidung noch nicht rechtskräftig. Das OLG Düsseldorf hat die Revision zum BGH zugelassen und es bleibt abzuwarten, wie der BGH entscheiden wird. Zum anderen wird bei näherer Betrachtung des Urteils, das zwischenzeitlich im Volltext in der Rechtsprechungsdatenbank der Justiz in NRW abrufbar ist, deutlich, dass nicht die Haftung insgesamt entfallen, sondern der Rückgriff einer mit einer Geldbuße belegten Gesellschaft bei ihren Organmitgliedern ausgeschlossen sein soll.

Urteilstatbestand und Verfahrensgang

Der beklagte Geschäftsführer war zugleich Vorstandsvorsitzender einer mit der GmbH verbundenen AG, welche ebenfalls an dem betreffenden Bußgeldverfahren beteiligt war. 

Der von den beiden Gesellschaften in Anspruch genommene Beklagte hatte in seiner Funktion als Vorstandsvorsitzender der AG und Geschäftsführer der GmbH in der Zeit von Juli 2002 bis Ende 2015 – zeitweise auch als Vorsitzender eines maßgeblichen Branchenverbandes der Edelstahlindustrie – an einem rechtswidrigen Austausch von wettbewerblich sensiblen Informationen im Rahmen eines Kartells mitgewirkt. In dem Bußgeldverfahren gegen die an dem Kartell Beteiligten hat das Bundeskartellamt Geldbußen gegen insgesamt zehn Unternehmen, zwei Branchenverbände und 17 verantwortliche Personen – darunter auch den Beklagten – verhängt.

Das gegen die klagende GmbH verhängte Bußgeld belief sich auf 4,1 Mio. Euro. Im Hinblick auf dieses Bußgeld war gegen die AG kein gesondertes Bußgeld festgesetzt worden. Unmittelbar im Zusammenhang mit dem Bußgeldverfahren waren der AG aber Aufklärungs- und Verteidigerkosten in Höhe von mehr als einer Mio. Euro entstanden. Ein weiteres Bußgeld hat das Bundeskartellamt gegen den Beklagten persönlich verhängt.

Mit der Klage begehrte die GmbH von dem Beklagten den Ersatz der von ihr gezahlten Geldbuße und die AG Ersatz für die ihr im Zusammenhang mit dem Bußgeldverfahren entstandenen Aufklärungs- und Verteidigerkosten.

In erster Instanz hat das LG Düsseldorf die Klage mit Urteil vom 10. Dezember 2021 (Az.: 37 O 66/20 (Kart)) hinsichtlich des Unternehmens-Bußgeldes gegen die GmbH sowie der von der AG geltend gemachten Aufklärungs- und Verteidigerkosten abgewiesen. Mit seinem Berufungsurteil hat das OLG Düsseldorf das landgerichtliche Urteil in den wesentlichen Punkten bestätigt.

Rechtliche Würdigung

Mit seiner Entscheidung hat das OLG Düsseldorf zu der bislang in der Literatur und Rechtsprechung umstrittenen Frage der persönlichen Haftung von Vorstandsmitgliedern und Geschäftsführern für Geldbußen eines Unternehmens Stellung bezogen.

Geldbuße gegen die GmbH

Nach Ansicht des OLG Düsseldorf scheidet ein Regress hinsichtlich des gegen die GmbH festgesetzten Bußgeldes aus. Die persönliche Haftung des Geschäftsführers gegenüber der GmbH für die gegen die GmbH verhängte Kartellbuße unterliefe die kartellrechtliche Wertung, wonach aufgrund von verschiedenen Bußgeldnormen jeweils gegen die verantwortliche Person und das beteiligte Unternehmen – auch der Höhe nach – getrennte Bußgelder festzusetzen sind. Durch den Rückgriff auf den Geschäftsführer bestehe darüber hinaus die Gefahr, dass der Sanktionszweck der Verbandsgeldbuße gefährdet werde. Unternehmen könnten sich sonst faktisch ihrer kartellrechtlichen Bußgeldverantwortung entziehen. Dies gelte erst recht, wenn Vorstand beziehungsweise Geschäftsführer über eine sog. "D&O-Versicherung" versichert sind. Aufgrund des Sanktionszwecks sei der Anwendungsbereich der Organhaftung teleologisch zu begrenzen. 

Aufklärungs- und Verteidigerkosten der AG

Auch die von der klagenden AG begehrte Erstattung der ihr im Zusammenhang mit dem Bußgeldverfahren vor dem Bundeskartellamt entstandenen Aufklärungs- und Verteidigerkosten scheide aus. Die oben beschriebene teleologische Begrenzung der zivilrechtlichen Haftung gelte auch für diese Kosten, da sie dem Unternehmen unmittelbar durch das Bußgeldverfahren entstandenen sind. 

Es bleibe allenfalls eine Haftung des Geschäftsführers und Vorstands für zivilrechtliche Ansprüche Dritter, die aufgrund des Kartells geschädigt worden sind.

Konsequenzen für die Praxis

Zum aktuellen Zeitpunkt ist das Urteil nicht rechtskräftig. Das OLG hat die Revision zum BGH zugelassen, da zu der Frage der persönlichen Haftung von Vorstandsmitgliedern und Geschäftsführern für Geldbußen eines Unternehmens bislang noch keine höchstrichterliche Entscheidung ergangen ist. Diese Frage wird auch innerhalb der Rechtsprechung bislang nicht einheitlich beantwortet. So hat sich zuletzt das LG Dortmund gegen das erstinstanzliche Urteil des LG Düsseldorf ausgesprochen (siehe Hinweisbeschluss des LG Dortmund vom 21. Juni 2023, 8 O 5/22 (Kart), veröffentlicht in WuW 2023, 456).

Wird gegen das Urteil des OLG Düsseldorf Revision eingelegt, ist spannend, ob der BGH die Entscheidungen des OLG Düsseldorf und des LG Düsseldorf aufrecht halten wird. In der Revision wird es entscheidend darauf ankommen, ob und in welchem Umfang sich der BGH dem OLG mit den angeführten Wertungsgesichtspunkten anschließen wird. Eine teleologische Reduktion des Anwendungsbereichs der Vorschriften betreffend die Organhaftung zu Gunsten der Bußgeldvorschriften des Wettbewerbsrechts erscheint vor dem Hintergrund der Einheit der Rechtsordnung jedenfalls nicht zwingend. 

Die Begründung für den Ausschluss des Rückgriffs differenziert wie folgt:

  • Im Hinblick auf die Geldbuße stellt das Urteil auf die Systematik des Gesetzes und den Sanktionszweck der Geldbuße ab. Diese Argumentation erscheint schlüssig. Für diesen Ansatz spricht auch, dass die Verbandsgeldbuße zu einem Teil die Abschöpfung der infolge des Informationsaustausches mit Wettbewerbern rechtswidrig erlangten Vorteile bezweckt. Die ungerechtfertigt erlangten Vorteile würden jedoch bei wirtschaftlicher Betrachtung endgültig bei der Gesellschaft verbleiben, wenn sie wegen der Geldbuße Rückgriff bei ihrem Organmitglied und gegebenenfalls bei der D&O-Versicherung nehmen könnte.
    Insoweit erscheint aber auch denkbar, genauer zwischen dem Abschöpfungsteil und dem Ahndungsteil der Geldbuße zu unterscheiden und lediglich den Rückgriff hinsichtlich des Abschöpfungsteils zu sperren. 
  • Im Hinblick auf den Ersatz der Aufklärungs- und Rechtsanwaltskosten stellt das OLG Düsseldorf allein auf den unmittelbaren Zusammenhang mit dem Bußgeldverfahren ab.
    Es überzeugt nicht, die Aufklärungs- und Rechtsanwaltskosten und die Verbandsbuße gleich zu behandeln, da diese strukturell unterschiedlich sind, zumal in dem Ausgangsfall gegen die betreffende AG kein Bußgeld festgesetzt worden war. Anders als eine kartellrechtliche Verbandsbuße haben Kosten für Aufklärungs- und Verteidigungsmaßnahmen in einem Verfahren vor dem Bundeskartellamt keinerlei gesetzlichen Sanktionszweck. Der unmittelbare Zusammenhang ist kein taugliches Argument zur Überwindung des strukturellen Unterschieds. In den einschlägigen Konstellationen ist ein unmittelbarer Zusammenhang zwangsläufig, da sowohl der Ersatzanspruch wegen der Kosten als auch das Bußgeldverfahren mit dem Bußgeld ihren Ausgangspunkt in der maßgeblichen Pflichtverletzung des Organmitglieds nehmen. 

    Abgehsehen davon betreten das LG und das OLG Düsseldorf hier Neuland. Dass Aufklärungs- und Verfolgungskosten grundsätzlich ersatzfähige Schäden darstellen können, hatte bisher auch die Rechtsprechung bejaht, so u. a. das LG München I in der als Siemens/Neubürger-Urteil bekannten Entscheidung aus dem Jahr 2013, 5 HK O 1387/10.


Keinesfalls bedeutet das Urteil Entwarnung für Organmitglieder und D&O-Versicherungen im Falle von Verbandsgeldbußen. Entgegen der missverständlichen Überschrift der Pressemitteilung hat das OLG jedenfalls nicht die Haftung dem Grunde nach, sondern lediglich den Innenregress der betreffenden Gesellschaften gegenüber ihrem jeweiligen Organmitglied ausgeschlossen. Die Haftung dem Grunde nach ist nach dem Tatbestand des Urteils gegeben. Gemäß den einschlägigen Anspruchsnormen des Aktien- (§ 93 Abs. 2 AktG) und des GmbH-Rechts (§ 43 Abs. 2 GmbHG) setzt die Haftung eines Vorstandsmitglieds, bzw. Geschäftsführers, eine schuldhafte Pflichtverletzung voraus, aus welcher der betreffenden Gesellschaft ein adäquat kausaler Schaden entstanden ist. Dass ein Organmitglied seine Legalitätspflicht verletzt, wenn es sich an kartellrechtswidrigen Absprachen beteiligt, bedarf keiner weiteren Erläuterung. Ferner haben es die Gerichte in dem vorliegenden Fall als erwiesen angesehen, dass der Beklagte sich vorsätzlich an dem Wettbewerbsverstoß im Rahmen des Kartells beteiligt hat. Auch einen das Verschulden möglicherweise ausschließenden unvermeidbaren Verbotsirrtum des Beklagten hat das OLG ausgeschlossen. Dass sich schließlich ein Vermögenschaden der Gesellschaft aus Bußgeldern und anderen zu erbringenden Strafzahlungen ergeben kann, war bislang nicht umstritten. Damit werden unbeschadet der Frage des Rückgriffs auch in Zukunft noch die an eine Pflichtverletzung anknüpfenden weiteren Sanktionsmöglichkeiten in Betracht kommen, beispielsweise die Abberufung aus dem Amt aus wichtigem Grund und die fristlose Kündigung des Anstellungsvertrags. 

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