5. April 2023
Zugleich: Besprechung des Urteils des LG Düsseldorf vom 19. September 2022, 10 Kls 2/22
In seinem Urteil vom 19. September 2022 hat das LG Düsseldorf einen Vorstand einer AG wegen Untreue zu einer Freiheitstrafe von einem Jahr und sechs Monaten verurteilt.
Die AG, welcher der Angeklagte vorstand, sollte Anteile an einer Beteiligungsgesellschaft veräußern. Hierfür hatte der Angeklagte zwei verschiedene Transaktionsberater eingebunden, denen jeweils auf Basis von Beratungsverträgen, die der Angeklagte als Vertreter der AG mit den Beratern geschlossen hatte, ein erfolgsabhängiges Beratungshonorar in Aussicht gestellt worden war. Zwar wurde die Beteiligung verkauft und veräußert. An dem Zustandekommen dieser Transaktion hatten die eingeschalteten Berater jedoch nicht mitgewirkt. Gleichwohl hat der Angeklagte zu Lasten des Vermögens der AG die der AG von den Beratern in Rechnung gestellten Beträge zur Zahlung angewiesen.
In der ersten Instanz hatte das LG Düsseldorf den Angeklagten noch freigesprochen. Es hatte zwar eine objektive Pflichtwidrigkeit der Zahlungsanweisung, nicht aber einen entsprechenden Vorsatz des Angeklagten angenommen. Auf die Revision der Staatsanwaltschaft hin hat der Bundesgerichtshof mit Urteil vom 10. Februar 2022 (Az.: 3 StR 329/21) festgestellt, dass das LG Düsseldorf eine vorsätzliche Pflichtverletzung des Angeklagten nicht rechtsfehlerfrei abgelehnt hat. Demzufolge hat der Bundesgerichtshof die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LG Düsseldorf zurückverwiesen und dem LG Düsseldorf aufgegeben, nähere Feststellungen zu dem Informations- und Kenntnisstand des Angeklagten bezüglich der Berechtigung der Honorarforderungen im Zeitpunkt der Zahlungsanweisung zu treffen.
In seinem auf die zweite Hauptverhandlung ergangenen Urteil vom 19. September 2022 hat das LG Düsseldorf ausgeführt, dass nach seiner Überzeugung der Angeklagte die Überweisung angewiesen hatte, ohne sich zuvor über die tatsächliche Berechtigung der Forderung informiert zu haben. Das Urteil vom 19. September 2022 ist inzwischen rechtskräftig.
Sowohl im Aktienrecht als auch im Strafrecht wird einem Vorstand bei der Leitung der Geschäfte seiner AG ein unternehmerischer Handlungsspielraum zugestanden. Für das Aktienrecht erfolgt dies mittels der als Business-Judgment-Rule bekannten und in § 93 Abs. 1 Satz 2 AktG geregelten Grundsätze, während für das Strafrecht der Bundesgerichtshof in mittlerweile ständiger Rechtsprechung eigene Grundsätze aufgestellt hat.
Zur diesbezüglichen Konkretisierung – die im Übrigen im Jahr 2010 auch das Bundesverfassungsgericht beschäftigt hat – greift der Bundesgerichtshof dann wiederum auf zivilrechtliche Maßstäbe zurück. Auch in seinem Revisionsurteil hat der Bundesgerichtshof abermals bestätigt, dass die im Aktienrecht geltenden Grundsätze auch den Maßstab für das Vorliegen einer Pflichtverletzung im Sinne einer strafwürdigen Untreue sind. Eine solche Pflichtverletzung liege erst dann vor, wenn
Auch, wenn der Bundesgerichtshof nicht mehr ausdrücklich, wie noch in früheren Entscheidungen, auf das Erfordernis einer „gravierenden“ oder „evidenten“ Pflichtverletzung abstellt, werden die unterschiedlichen Perspektiven des Aktienrechts und des Strafrechts deutlich: § 93 Abs. 1 Satz 2 AktG stellt gewisse Voraussetzungen dafür auf, dass ein unternehmerisches Handeln des Vorstands nicht als Pflichtverletzung (im Sinne des Aktienrechts) zu werten ist („Eine Pflichtverletzung liegt nicht vor, wenn …“). Demgegenüber ist laut Bundesgerichtshof die für eine Untreuestrafbarkeit relevante Pflichtwidrigkeit erst gegeben, wenn „die Grenzen“ unternehmerischen Handelns „überschritten“ sind, die Bereitschaft, Risiken einzugehen, „in unverantwortlicher Weise überspannt“ ist oder das Verhalten „aus anderen Gründen als pflichtwidrig gelten muss“.
Da bei unternehmerischem Fehlverhalten das Strafrecht die stärksten Sanktionen bereithält, gilt im Ausgangspunkt die Faustformel, dass Handlungen, die nach den Maßstäben des Zivilrechts nicht als pflichtwidrig eingestuft sind, keinesfalls strafbar sein dürfen, aber auch nicht alles, was zivilrechtlich unzulässig ist, zugleich strafbar ist. Während § 93 Abs. 1 Satz 2 AktG besagt, unter welchen Voraussetzungen eine aktienrechtliche Pflichtwidrigkeit nicht vorliegt und der ständigen Rechtsprechung der Strafsenate des Bundesgerichtshofs zu entnehmen ist, wann eine solche Pflichtwidrigkeit so schwer wiegt, dass sie auch den Straftatbestand der Untreue verwirklicht, ist der Bereich dazwischen weiterhin unbestimmt und obliegt einer Einzelfallbetrachtung. Sofern die Voraussetzungen von § 93 Abs. 1 Satz 2 AktG nicht erfüllt sind, ist auch noch keine aktienrechtliche Pflichtverletzung zu bejahen. § 93 Abs. 1 Satz 2 AktG besagt nämlich nur, wann eine Pflichtverletzung nicht vorliegt. Die aktienrechtliche Haftung des Vorstands ist dann anhand der allgemeinen Grundsätze zu prüfen. Hierfür bedarf es im Einzelnen der Verletzung einer der aus dem Amt als Vorstandsmitglied folgenden Pflichten, eines entsprechenden Verschuldens des Vorstandsmitglieds sowie eines kausalen Schadens.
In dem vorliegenden Verfahren hat das LG Düsseldorf die Zahlungsanweisung mangels einer zugrunde liegenden Honorarforderung als objektiv pflichtwidrig im Sinne des Straftatbestands der Untreue angesehen. An diese Feststellung war der Bundesgerichtshof im Rahmen der Revision gebunden. Interessant ist, dass der Bundesgerichtshof auf der Grundlage der Feststellungen des LG Düsseldorf in seinem Revisionsurteil festgehalten hat, dass bereits eine Entscheidung auf unzulänglicher Tatsachengrundlage eine strafrechtlich relevante Untreue indizieren kann. Um diese Indizwirkung zu entkräften, hätte der Vorstand im Ausgangsfall sich besser informieren müssen, ob die Forderungen der Berater auf Zahlung der erfolgsabhängigen Honorare berechtigt waren. Die Forderungen wären berechtigt gewesen, wenn das Tätigwerden der Berater zumindest mitursächlich für den Erfolg (im Ausgangsfall: die beabsichtigte Veräußerung der Beteiligungsgesellschaft) gewesen ist. Augenscheinlich hat sich der Vorstand diesbezüglich aber nirgends erkundigt, wie das LG Düsseldorf dann im Rahmen der zweiten Hauptverhandlung anhand einer Zusammenschau verschiedener Anhaltspunkte festgestellt hat.
Aber auch jedem anderen Vorstand, der eine strafrechtliche Haftung vermeiden will, ist demnach zu raten, Entscheidungen auf informierter Grundlage zu treffen und dabei die Informationsgrundlage sowie den Prozess der Entscheidungsfindung nachvollziehbar zu dokumentieren. Zu der hinreichenden Information können unter anderem die Auswertung von Unterlagen und das Einholen von Erkundigungen beitragen.
Genügt die Informationsgrundlage den Anforderungen des § 93 Abs. 1 Satz 2 AktG, kann auch die aktienrechtliche Haftung a priori ausgeschlossen werden, soweit für die betreffende Entscheidung der Anwendungsbereich der Business-Judgment-Rule eröffnet ist und die weiteren Voraussetzungen des § 93 Abs. 1 Satz 2 AktG gegeben sind.
Aber auch, wenn der Anwendungsbereich des § 93 Abs. 1 Satz 2 AktG nicht eröffnet ist (bei sog. rechtlich gebundenen Entscheidungen) und die Entscheidung somit nach den allgemeinen aktienrechtlichen Grundsätzen zu bewerten wäre, kann eine gewissenhafte Information als sorgfaltspflichtgemäß anzusehen sein, so dass im Ergebnis keine Pflichtverletzung anzunehmen sein wird.
Für Unternehmen und Unternehmer gleichermaßen verdeutlicht die Entscheidung abermals, dass Informationspflichten in der Phase der Entscheidungsvorbereitung nicht auf die leichte Schulter genommen werden sollten. Geordnete Prozesse und Strukturen im Unternehmen, die sicherstellen, dass die Entscheidungsträger ihre Entscheidungen auf informierter Grundlage fällen und die die Informationsgrundlage sowie den Prozess der Entscheidungsfindung nachvollziehbar dokumentieren, sind nicht zuletzt auch unter dem Gesichtspunkt des § 130 OWiG anzuraten. So kann dem seitens der Ermittlungsbehörden regelmäßig für die Verhängung einer Geldbuße gewählten Anknüpfungspunkt eines vermeintlichen Organisationsdefizits bestmöglich vorgebeugt und der Nachweis der Einhaltung von Compliance-Standards effizient erbracht werden.
Mit Urteil vom 2. August 2022 hat das Landgericht Stuttgart mehrere Beschlüsse der Hauptversammlung der Heckler & Koch AG aus Oberndorf vom 31. August 2021 für nichtig erklärt.