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11. Oktober 2023

Effektive Durchsetzung von Schadensersatzansprüchen wegen Kartellrechts- und DMA-Verstößen durch das VRUG?

  • In-depth analysis

Von Kartellrechtsverstößen betroffene Abnehmer haben Ansprüche auf Ersatz für dadurch entstandene Schäden. Nicht selten unterbleibt aber eine Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen, weil das damit verbundene finanziellen Risiko Geschädigte davon abhält, ihre Rechte durchzusetzen. Häufig sind es gerade Verbraucher mit vergleichsweise geringen Schäden, die aufgrund von rationaler Apathie auf die Durchsetzung ihrer Ansprüche verzichten.

Mit dem Verbandsklagenrichtlinienumsetzungsgesetz (VRUG) gibt es nunmehr die Möglichkeit, dass Verbraucher und kleine Unternehmen Ansprüche wegen Kartellrechtsverstößen leichter durchsetzen können. Am 7. Juli 2023 nahm der Bundestag die Beschlussempfehlung des Rechtsausschusses zum VRUG an. Am 29. September 2023 hat das Gesetz nun auch den Bundesrat passiert.

Im Folgenden gehen wir auf die Voraussetzungen und den Ablauf der neuen Abhilfeklage ein, die mit dem VRUG eingeführt wird, und beleuchten, ob diese auch ein praxistaugliches Instrument zur Durchsetzung von Schadensersatzansprüchen bei Verstößen gegen Kartellrecht und den Digital Markets Act (DMA) darstellt.

Status quo der kollektiven Geltendmachung von Ansprüchen

Die hohe Komplexität der Durchsetzung von Kartellschadensersatzansprüchen, gepaart mit einem hohen Prozesskostenrisiko führt vor allem bei Streuschäden von Verbrauchern dazu, dass Einzelklagen erst gar nicht erhoben werden. Auch die Streitgenossenschaft (§§ 59 ff. ZPO) hilft nicht wirklich weiter, da auch dort jeder einzelne Kläger seine Ansprüche selbst als Partei des Rechtsstreits durchsetzen muss und das volle Kostenrisiko trägt.

Eine Möglichkeit, trotz dieser Hürden Ansprüche geltend zu machen, ist die Abtretung an ein Klagevehikel, dass die Ansprüche von mehreren Geschädigten einsammelt und diese gebündelt geltend macht. In der Vergangenheit wurde die Zulässigkeit dieser Abtretungsmodelle mit dem Rechtsdienstleistungsgesetz (RDG) teilweise infrage gestellt. Allerdings hat der BGH in den Entscheidungen „airdeal“ und „financialright“ jedenfalls die dortigen Abtretungsmodelle für zulässig erachtet. Die Begründung der BGH-Entscheidung „financialright“ lässt zudem keinen Zweifel daran, dass auch eine Kartellschadensersatz-Sammelklage grundsätzlich mit dem RDG vereinbar ist und insbesondere keinen Verstoß gegen § 3 RDG darstellt.

Das neue Instrument – die Abhilfeklage

Das VRUG dient der Umsetzung der Verbandsklagenrichtlinie. Ziel der Verbandsklagenrichtlinie und ihres Umsetzungsgesetzes ist die Stärkung des Vertrauens der Verbraucher in den Binnenmarkt durch die Schaffung eines kollektiven Abhilfeverfahrens. Hierzu verpflichtet die Richtlinie die Mitgliedstaaten, Verbände zur gebündelten Durchsetzung von Verbraucherrechten durch Abhilfeklagen zu ermächtigen. Im Mittelpunkt des VRUG steht daher das Verbraucherrechtedurchsetzungsgesetz (VDuG), in dem u. a. das Abhilfeverfahren geregelt ist.

– Bürgerliche Rechtsstreitigkeiten –

Die Abhilfeklage ist zulässig in allen bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten (§ 1 Abs. 1 VDuG). Hier geht das Gesetz über die von der Richtlinie geforderten Ansprüche hinaus.

Zu den bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten zählen auch Schadensersatzansprüche nach §§ 33 Abs. 1, 33a Abs. 1 GWB wegen Verstößen gegen das Kartellrecht. Dementsprechend kommt es durch das VRUG auch zu Änderungen des GWB – z. B. im Hinblick auf die Zuständigkeit der Kartellsenate an den zuständigen OLG und dem BGH für kartellzivilrechtliche Verbandsklagen nach dem VRUG (§ 91 S. 2, § 94 Abs. 1 Nr. 4 GWB).

Darüber hinaus fallen auch Schadensersatzansprüche wegen Verstößen gegen die Art. 5 bis 7 DMA in den Anwendungsbereich des VDuG. Am selben Tag wie das VRUG hat der Bundesrat nämlich auch die 11. GWB-Novelle gebilligt. Mit dieser werden die Beseitigungs-, Unterlassungsansprüche und Schadensersatzansprüche nach §§ 33, 33a GWB auf Verstöße gegen die Art. 5 bis 7 DMA erstreckt. Auch insoweit könnte die neue Abhilfeklage also grundsätzlich dazu beitragen, dass Verbraucher und kleine Unternehmen Schadensersatzansprüche effektiv durchsetzen können.

– Klageberechtigte Stellen –

Zur Erhebung der Abhilfeklagte berechtigt sind nach § 1 Abs. 1 VDuG klageberechtigte Stellen. Dies sind nach § 2 Abs. 1 VDuG qualifizierte Verbraucherverbände, die in der Liste nach § 4 UKlaG eingetragen sind und nicht mehr als 5 % ihrer finanziellen Mittel durch Zuwendungen von Unternehmen beziehen, sowie qualifizierten Einrichtungen aus anderen Mitgliedstaaten der EU.

Möchten klageberechtigte Stellen künftig auch Schadensersatzansprüche wegen Verstößen gegen das Kartellrecht oder die Art. 5 bis 7 DMA im Wege der Abhilfeklage geltend machen, müssen sie hohe Kosten schultern. Schon der Aufwand für die Auswahl geeigneter Fälle, die Sachverhaltsaufklärung und die vorläufige wirtschaftliche Bewertung wird erheblich sein. Das VDuG enthält für diese Tätigkeiten jedenfalls keine ausdrückliche Kostenerstattungsregel. Für die Finanzierung des Verbands besteht zudem die 5 %-Grenze hinsichtlich Zuwendungen von Unternehmen. Schon dies lässt Zweifel aufkommen, ob klageberechtigte Stellen in der Lage sein werden, Verfahren wegen Kartellen oder Verstößen gegen den DMA anzustrengen.

– Verbraucher und kleine Unternehmen –

Die Abhilfeklage steht nur Verbrauchern und kleinen Unternehmen offen, wobei kleine Unternehmen solche sind, die weniger als zehn Personen beschäftigen und deren Jahresumsatz oder Bilanzsumme EUR 2 Mio. nicht übersteigt (§ 1 Abs. 2 VDuG). Auch an dieser Stelle geht das Gesetz über die Vorgaben der Richtlinie hinaus.

Das Gesetz sieht dabei eine Opt-in Möglichkeit vor: Anmeldungen zum Verbandsklageregister sind bis drei Wochen nach dem Schluss der mündlichen Verhandlung möglich (§ 46 Abs. 1, 4 VDuG) und ein Urteil darf nach § 13 Abs. 4 VDuG nicht vor Ablauf von sechs Wochen nach dem Schluss der mündlichen Verhandlung ergehen.

– Verbraucherquorum –

Eine Abhilfeklage ist nur zulässig, wenn nachvollziehbar dargelegt wird, dass mindestens 50 Verbraucher betroffen sein können. An die nachvollziehbare Darlegung dürften nur sehr geringe Anforderungen zu stellen sein. So wird es im Kontext von Kartellschadenersatzfällen ausreichend sein, wenn z. B. aufgrund einer Pressemitteilung einer Kartellbehörde bekannt ist, dass ein Kartellrechtsverstoß stattgefunden hat, und nicht mit Sicherheit ausgeschlossen werden kann, dass den Verbrauchern oder den kleinen Unternehmen aufgrund dieses Kartells ein Schaden entstanden sein könnte.

– Drittfinanzierung –

Das VDuG sieht in § 4 Abs. 2 erhebliche Grenzen für die Drittfinanzierung vor. So ist die Abhilfeklage unzulässig, wenn sie von einem Dritten finanziert wird,

  • der ein Wettbewerber des verklagten Unternehmers ist,
  • der vom verklagten Unternehmer abhängig ist,
  • dem ein wirtschaftlicher Anteil an der vom verklagten Unternehmer zu erbringenden Leistung von mehr als 10 % versprochen ist oder
  • von dem zu erwarten ist, dass er die Prozessführung der klageberechtigten Stelle zu Lasten der Verbraucher beeinflussen wird.

Zur Sicherstellung dieser Vorgaben sieht das VDuG weitreichende Offenlegungspflichten in § 4 Abs. 3 VDuG vor. So müssen mit der Einreichung der Klage die Herkunft der Finanzierungsmittel und die mit dem Drittfinanzierer getroffene Finanzierungsvereinbarung gegenüber dem Gericht – nicht aber gegenüber dem verklagten Unternehmer – offengelegt werden.

Vor diesem Hintergrund steht zu befürchten, dass Prozessfinanzierer von der Finanzierung von Abhilfeklagen wegen Kartellrechts- und DMA-Verstößen Abstand nehmen werden. Gerade in diesem Bereich kann aber beobachtet werden, dass Sammelklagen ohne einen Prozessfinanzierer in der Regel nicht wirtschaftlich darstellbar sind, weil die Verfahren komplex und aufwändig sind.

– Gleichartigkeit der Ansprüche –

Voraussetzung für die Zulässigkeit der Abhilfeklage ist nach § 15 Abs. 1 VDuG, dass die geltend gemachten Ansprüche im Wesentlichen gleichartig sind. Dies ist der Fall, wenn sie auf demselben Sachverhalt oder auf einer Reihe im Wesentlichen vergleichbarer Sachverhalte beruhen und für die Ansprüche die im Wesentlichen gleichen Tatsachen- und Rechtsfragen entscheidungserheblich sind.

Damit wurden im Rahmen der Beschlüsse des Rechtsausschusses die Anforderungen an die Gleichartigkeit gelockert, denn im Regierungsentwurf des VDuG fehlte noch die Formulierung „im Wesentlichen“. Wichtig für die Auslegung des § 15 Abs. 1 VDuG ist zudem Erwägungsgrund 12 der Richtlinie, wonach die nationalen Vorschriften zur Umsetzung der Richtlinie, z. B. im Hinblick auf den Grad der Ähnlichkeit der Einzelansprüche, das wirksame Funktionieren der Abhilfeklage nicht beeinträchtigen sollen.

Bei Kartellschadenersatzansprüchen stellt sich mit Blick auf die Gleichartigkeit die Frage, ob Ansprüche direkter und indirekter Abnehmer in einer Abhilfeklage geltend gemacht werden können. Dies sollte jedenfalls dann unproblematisch möglich sein, wenn die direkten und indirekten Abnehmer auf derselben Marktstufe stehen (Beispiel: Manche Endverbraucher haben direkt von Kartellanten erworben und manche Endverbraucher haben über einen Zwischenhändler indirekt vom Kartellanten erworben). Auch bei Abnehmern unterschiedlicher Marktstufen ist aber eine Gleichartigkeit der Ansprüche nicht von vornherein ausgeschlossen, z. B. weil die unmittelbaren Abnehmer kartellierter Produkte teilweise (also nicht vollständig) den kartellbedingt überhöhten Preis an ihre Abnehmer weitergereicht haben (sog. Pass-on), sodass sowohl die direkten Abnehmer als auch die indirekten Abnehmer einen kartellbedingten Schaden erlitten haben.

Ganz generell gilt, dass keine überspannten Anforderungen an die Gleichartigkeit gestellt werden sollten. Im Kontext von Kartellschadensersatzverfahren werden die Ansprüche von Geschädigten in aller Regel Unterschiede in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht aufweisen. Das Abhilfeverfahren wird kein wirksames Mittel zur Durchsetzung von Schadensersatzansprüchen sein und der Zweck des VDuG damit verfehlt, wenn diese Ansprüche stets in mehreren Abhilfeklagen mit entsprechend noch höherem Kostenrisiko durchgesetzt werden müssten.

– Zuständigkeit der Kartellsenate am OLG und BGH –

Verbandsklagen werden erstinstanzlich immer vor dem OLG geführt (§ 3 VDuG). Nach § 3 Abs. 3 VDuG besteht die Möglichkeit, dass Bundesländer die Zuständigkeit eines OLG für andere OLG-Bezirke des Bundeslandes zuweisen. Gegen die Urteile des OLG findet die Revision statt, die keiner Zulassung bedarf (§§ 16 Abs. 5, 18 Abs. 4 VDuG).

Zuständig für Abhilfeklagen wegen Verstößen gegen das Kartellrecht und den DMA sind die Kartellsenate an den zuständigen OLG und dem BGH, um die besondere Expertise der Kartellsenate auch für Verbandsklagen, die sich auf Ansprüche nach §§ 33, 33a GWB beziehen, zur Geltung kommen zu lassen (vgl. BRegEntw, BT-Drs. 145/23, S. 148). Erstinstanzlich zuständig für Abhilfeklagen wegen Kartellschadensersatzansprüchen ist damit das für den Sitz des verklagten Unternehmers nach den §§ 92, 93 GWB zuständige Kartell-OLG.

– Ablauf der Abhilfeklage –

Der Ablauf der Abhilfeklage kann grundsätzlich in drei Phasen unterteilt werden, wobei der genaue Ablauf wiederum vom Inhalt der Klage abhängig ist.

Die Abhilfeklage kann entweder auf Leistung an namentlich benannte Personen gerichtet sein oder auf Leistung eines nach bestimmten Kriterien zu verteilenden kollektiven Gesamtbetrags an die angemeldeten Personen. In ersterem Fall kann das Gericht sofort ein Abhilfeendurteil aussprechen. Werden keine Personen namentlich benannt, wird das Verfahren in drei Phasen gegliedert:

  • In der ersten Phase kann die klageberechtigte Stelle ein Abhilfegrundurteil erwirken (§ 16 VDuG).Ist die Klage zulässig und begründet, wird der Unternehmer zur Haftung dem Grunde nach verurteilt.
  • Nach dem Erlass eines Abhilfegrundurteils folgt eine Vergleichsphase (§ 17 VDuG). Darin sollen die Parteien eine gütliche Einigung über die Abwicklung des Rechtsstreits erzielen.
  • Schließen die Parteien keinen wirksamen Vergleich, schließt sich eine dritte Phase an, die mit einem Abhilfeendurteil des Gerichts endet (§ 18 VDuG). An dieses schließt sich ein Umsetzungsverfahren an, für das das Gericht einen Sachwalter bestellt. Dieser prüft selbständig die Anspruchsberechtigung der Verbraucher und kleinen Unternehmen, die ihre Ansprüche zum Abhilfeverfahren angemeldet haben.

Blickt man auf die derzeit in Deutschland geführten Kartellschadensersatzprozesse mit umfangreichen Schriftsätzen, dem Erfordernis des Nachweises der kartellbefangenen Erwerbsvorgänge, ökonomischen Parteigutachten sowie ggf. einzuholenden gerichtlichen Sachverständigengutachten zur Schadenshöhe, erscheint fraglich, wie Gerichte und Sachwalter etwaige Kartell- und DMA-Schadenersatzfälle in dem Korsett des Abhilfeverfahrens bewältigen sollen. Dies wird wohl nur möglich sein, wenn die Komplexität der Verfahren deutlich reduziert wird.

Fazit

Auf dem Papier wird die Durchsetzung von Schadenersatzansprüchen wegen Verstößen gegen Kartellrecht und die Art. 5 bis 7 DMA künftig im Wege der Abhilfeklage möglich sein. Damit besteht neben dem Abtretungsmodell eine zweite Möglichkeit der kollektiven Durchsetzung von Schadensersatzansprüchen in diesen beiden Bereichen.

Dennoch muss stark bezweifelt werden, ob die Abhilfeklage in den Bereichen Kartellrecht und DMA tatsächlich praktische Bedeutung erlangen wird. Dagegen sprechen vor allem die restriktiven Vorgaben für die Drittfinanzierung solcher Verfahren, denn in der Regel ist die Einbindung eines Prozessfinanzierers Voraussetzung dafür, dass solche Sammelklagen überhaupt durchgeführt werden können. Im Ergebnis hat der Gesetzgeber damit wohl eine Chance vertan, Geschädigten ein effektives Mittel zur Durchsetzung ihrer Ansprüche an die Hand zu geben.

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