20. Dezember 2022
Inside ESG & Compliance – 11 von 12 Insights
Viele Unternehmen beschäftigen sich dieser Tage mit der Frage, welche ihrer Abteilungen die Verantwortung für das rasant an Bedeutung gewinnende Thema Nachhaltigkeit und ESG (Environmental, Social, Governance) erhalten sollte oder ob gar eine neue Nachhaltigkeitsabteilung zu schaffen ist. Der folgende Beitrag möchte insoweit verschiedene Perspektiven aus unterschiedlichen Unternehmen zusammenfassen und eine Handlungsempfehlung unterbreiten.
ESG in Unternehmen ist keine Frage mehr des „Ob“, sondern des „Wie“. Große Unternehmen unterliegen im Gegensatz zu kleineren und mittleren Unternehmen oft schon konkreten gesetzlichen Pflichten im Nachhaltigkeitskontext, z.B. aus dem CSR-Richtlinie-Umsetzungsgesetz, der EU-Taxonomieverordnung oder dem Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz. Kleine oder mittlere Unternehmen spüren hingegen eine sich rasant verändernde Markterwartung ihrer Geschäftspartner, die auch ihnen nahelegt, sich überobligatorisch bereits mit diesem Thema zu befassen. Folgerichtig stehen viele Unternehmen derzeit vor der Herausforderung, ihre eigenen Nachhaltigkeitsaktivitäten erstmalig zu institutionalisieren, bzw. diese weiter zu professionalisieren.
Bereits heute ist absehbar, dass das Thema Nachhaltigkeit für die Unternehmen einen nicht unerheblichen Arbeitsaufwand mit sich bringen wird. Die Nachhaltigkeitsberichterstattung wird zu einem Kernthema der Unternehmenskommunikation und auf Augenhöhe mit der Finanzberichterstattung stehen. Anschaulich zeigt dieses etwa der Nachhaltigkeitsbericht 2021 der Volkswagen AG, der immerhin 111 DIN A4 Seiten umfasst. Unzureichend wäre es daher, wenn Unternehmen lediglich einen Mitarbeiter in einer Zusatzfunktion als Nachhaltigkeitsbeauftragten bestellen und ansonsten davon ausgehen, dass die zusätzlichen Anforderungen im Nachhaltigkeitskontext von der bestehenden Organisation aufgefangen werden. Vielmehr zeichnet sich in Anbetracht des Umfangs der bevorstehenden Aufgaben ab, dass immer mehr Unternehmen intern eigenständige Organisationseinheiten für das Thema ESG aufstellen. Da Nachhaltigkeit eine Querschnittsmaterie par excellence ist, wird eine neue Organisationseinheit für dieses Thema jedoch stets inhaltliche Überschneidungen mit anderen Abteilungen im Unternehmen aufweisen. Dies gilt nicht nur für die Rechtseinheiten in einem Unternehmen, sondern auch für die operativen Einheiten, z.B. die Einkaufs-, Rechts- oder Personalabteilung (HR). Diese müssen die ESG-Abteilung laufend unterstützen und Berichte über ihre jeweiligen ESG-relevanten Aktivitäten liefern, damit die Informationen konsolidiert und veröffentlicht werden können. Nicht selten verfügen Unternehmen derzeit bereits über eine Nachhaltigkeitsabteilung. Dabei handelt es sich traditionell, allein schon auf Grund der in dieser Abteilung oftmals beschäftigten Berufsgruppe, um eine Abteilung, die das Thema ESG und Nachhaltigkeit operativ in den Blick nimmt, nämlich unter dem Gesichtspunkt Umweltschutz im Unternehmen und Außendarstellung des Unternehmens in Bezug auf Nachhaltigkeitsthemen. Der Fokus liegt insoweit nicht auf den rechtlichen Vorgaben, die nunmehr im Vordringen sind. Insoweit besteht eine gewisse Sachnähe insbesondere zur Rechtsabteilung und zur Compliance-Abteilung. Im Sinne einer schlanken und modernen Unternehmensstruktur ist daher stets zu hinterfragen, ob thematisch verwandte Fachabteilungen eigenständig organisiert werden sollten, oder aber aus Effizienzgründen zusammengelegt werden sollten. Hierzu werden derzeit verschiedene Strukturen diskutiert.
Die aktuellen Unsicherheiten im organisatorischen Umgang mit dem Thema Nachhaltigkeit, bzw. ESG (im Folgenden einheitlich bezeichnet als ESG) erinnern an die seinerzeitigen Diskussionen als das Thema Compliance aufkam. Auch damals stand die Frage im Raum, welche Instrumente zu einem Compliance Management System gehören und wo diese Aufgaben im Unternehmen verortet werden sollen. Die bei der Etablierung einer Compliance-Funktion im Unternehmen gesammelten Erfahrungen können nun herangezogen werden für die Diskussion, wie die ESG-Funktion im Unternehmen organisiert werden soll.
In Ihren Anfangszeiten wurde die Compliance-Funktion in vielen Unternehmen als Teilbereich der Rechtsabteilung betrachtet und war ihr daher organisatorisch untergeordnet. In den letzten 15 Jahren zeigte sich jedoch immer häufiger, dass die Anforderungen von Compliance weit über traditionelle juristische Themen hinausgehen. Moderne Compliance beschäftigt sich intensiv mit internen Unternehmensprozessen für die es oftmals keine konkreten rechtlichen Vorgaben gibt, die allerdings dazu führen sollen, dass geltendes Recht aus allen Rechtsgebieten aber auch interne Regelungen eingehalten werden. Darüber hinaus ist die Compliance-Abteilung mit der Aufklärung von möglichen Fehlentwicklungen im Unternehmen befasst, an denen die Rechtsabteilung mitunter sogar ihren Anteil trägt. Infolgedessen ist heute gerade bei größeren Unternehmen zu beobachten, dass die Rechtsabteilung und die Compliance-Abteilung organisatorisch nebeneinanderstehen und jeweils über eigene Teams und Ressourcen verfügen. Dabei sollte eine Compliance-Abteilung nicht unbedingt nur aus Juristen bestehen, denn neben einem breiten rechtlichen Verständnis ist ein umfassendes wirtschaftliches und operatives Verständnis vom Geschäftsbetrieb sowie eine Stärke in der Projektkoordination erforderlich. Die Compliance-Abteilung hat daher auch oft eine Challenger-Rolle für die richtige rechtliche Umsetzung von operativen Themen.
Soweit dieses Modell weitergedacht wird, wäre es folgerichtig, auch ESG in einer eigenständigen Unternehmensabteilung zu organisieren, die als dritte Säule neben der Rechtsabteilung und der Compliance-Abteilung steht. Nachteil eines solchen Drei-Säulen-Modells ist sicherlich, dass die komplette Neugründung einer eigenständigen ESG-Abteilung organisatorisch, finanziell und kommunikationstechnisch den größten Aufwand mit sich bringt und Synergien zwischen den Abteilungen ggf. nicht genutzt werden können. Außerdem ist eine klare Aufgabenteilung zwischen den Abteilungen sicherzustellen, um auf Grund von Doppelstrukturen sich nicht den Vorwurf eines Organisationsverschuldens gefallen lassen zu müssen, sofern ein Sachverhalt nicht bearbeitet wird, weil sich keine der Abteilungen für zuständig hält. Als spürbarer Vorteil eines Drei-Säulen-Modells lässt sich dahingegen festhalten, dass dem Thema ESG dadurch eine signifikante Aufmerksamkeit und Wertigkeit im Unternehmen zuteilwird, die Ausdruck einer zukunftsgewandten Unternehmensstrategie ist. Darüber hinaus wird durch eine klare Aufteilung das Risiko verringert, dass die Tätigkeitsprofile der Rechtsabteilung und der Compliance-Abteilung durch zusätzliche Aufgaben mit ESG-Bezug verwässert werden.
Einige Maßnahmen die sich in der Vergangenheit im Compliance-Kontext bewährt haben, werden in angepasster Form auch im Hinblick auf ESG einsetzbar sein. Aus einem Compliance Management System bekannte Instrumente wie z.B. Richtlinien, Compliance-Beauftragte, interne Beschwerdestellen oder Kontrollsysteme sind grundsätzlich auch von Bedeutung für ein ESG Management System. Es stellt sich daher die Frage, inwiefern die Compliance-Erfahrung im Unternehmen und das dabei Erlernte nun auch für die Implementierung von ESG-Strukturen genutzt werden kann, sprich inwiefern ESG als Teil von Compliance oder umgekehrt gesehen werden kann.
Es gibt unverkennbar eine große Sachnähe zwischen der oftmals in den Unternehmen bereits erfolgreich etablierten Compliance-Abteilung und der neuen ESG-Funktion. Vor diesem Hintergrund ist derzeit bei einigen Unternehmen zu beobachten, dass sie ihre bestehende Compliance-Abteilung um eine neue ESG-Funktion erweitern und in diesem Zusammenhang die gesamte Abteilung umbenennen in „Responsibility Abteilung“. In dieser Abteilung werden dann originäre Compliance und ESG Aufgaben mit rechtlichem Bezug gebündelt. Daneben bleibt die Rechtabteilung bestehen, die für die originären Rechtsangelegenheiten, z.B. gesellschaftsrechtliche Fragen, Prüfung von Verträgen oder Rechtsstreitigkeiten zuständig bleibt. Aus dem ehemaligen Chief Compliance Officer wird der Chief Responsibility Officer. Was die Teamstruktur betrifft, so ist eine sehr unterschiedliche Zusammensetzung zu erwarten, wobei die überwiegende Anzahl der Mitarbeiter sicher Juristen mit einem Schwerpunkt auf Compliance und/oder ESG sein werden. Die vorhandenen Compliance-Instrumente werden dann inhaltlich um eine ESG-Komponente erweitert, z.B. können über das Whistleblowing System dann auch Meldungen zu ESG-Sachverhalten abgegeben werden, während die Mitarbeiter in Bezug auf ESG-Risikoanalysen, Geschäftspartnerprüfungen oder Schulungen auf ihre vorhandene organisatorische Compliance-Expertise zurückgreifen können. Daneben kann auch die für Compliance-Abteilungen typische Challenger-Rolle auf ESG-Themen erweitert werden, in dem auch die Umsetzung von Nachhaltigkeitsthemen in den operativen Einheiten kontrolliert und überwacht wird.
Die Realisierung dieses Ansatzes ist in der Unternehmenspraxis regelmäßig mit vergleichsweise moderatem Aufwand umsetzbar und ermöglicht zügig die Erreichung einer arbeitsfähigen ESG-Organisation.
Als dritte Strukturierungsform der hier in Rede stehenden Unternehmensaufgaben wird die Schaffung einer einzigen Zentralabteilung diskutiert, die die rechtlichen Kompetenzen im Bereich Legal, Compliance und ESG vereint.
Bestenfalls werden dann innerhalb dieser Abteilung unterschiedliche Sub-Teams bzw. Mitarbeiter die Aufgaben aus den Bereichen Recht, Compliance und ESG bearbeiten. Derzeit wird kontrovers diskutiert, wie eine solche Abteilung heißen könnte. Die Vorschläge reichen von „Legal“ oder „Recht“ über „Legal, Compliance und ESG“ zu „Riskmanagement“. Für alle Möglichkeiten gibt es gute Argumente dafür oder dagegen. Vielleicht ist aber auch eine erneute drei-Buchstaben-Abkürzung „LCE“ die innovative Lösung. Letztendlich wird die Namensgebung aber auch eine Frage der Unternehmensstrategie sein, welchen Stellenwert die einzelnen Themen im Unternehmen haben sollen.
Geführt wird diese Abteilung üblicherweise von dem bisherigen Leiter der Rechtsabteilung, regelmäßig also einem ausgebildeten Juristen. Der besondere Vorteil dieses Ansatzes liegt in einer schlanken Mitarbeiterstruktur, klaren Kompetenzzuweisungen und der Vermeidung von ineffizienten Doppelstrukturen, die andernfalls unumgänglich sind, wenn mehrere Abteilungen sich parallel mit Angelegenheiten befassen, die alle einen gewissen Rechtsbezug aufweisen. Der Nachteil ist, dass das Risiko besteht, dass diese Abteilung gerade in Bezug auf ESG und Compliance nicht den Stellenwert bekommt, der diesen beiden Zukunftsthemen zusteht. Es wäre fatal, wenn nur die rechtliche Komponente, aber nicht die organisatorischen, wirtschaftlichen, menschlichen und operativen Themen, Berücksichtigung fänden. Anders als die Rechtsabteilung, die eigenständig arbeiten kann, ist die ESG- und Compliance-Abteilung auf andere operative Abteilungen angewiesen, um ihrer Querschnittsfunktion gerecht zu werden. Dieses Modell empfiehlt sich nach unserer Erfahrung daher vorrangig für junge, kleinere Unternehmen, bei denen auch die Rechtsabteilung noch im Aufbau befindlich ist und bei denen die unterschiedlichen Themen einen ähnlichen Stellenwert in der Umsetzung haben.
Viele Unternehmen möchten ihre ESG-Aktivitäten institutionalisieren, bzw. professionalisieren. Dabei stehen sie vor der Herausforderung zu entscheiden, wo in ihrer Binnenorganisation die neue ESG-Funktion verortet werden sollte. Drei Modelle werden dazu diskutiert:
26. July 2021
23. September 2021
22. October 2021
8. December 2021
8. March 2022
26. April 2022
27. September 2022
In the near future companies will increasingly have to prepare their own sustainability reports and publish them.
6. December 2022
Welche Abteilungen eines Unternehmens sollten die Verantwortung für das rasant an Bedeutung gewinnende Thema Nachhaltigkeit und ESG (Environmental, Social, Governance) erhalten?
20. December 2022
11. April 2024
von mehreren Autoren
Wichtigste Fragen aus Sicht der Compliance-, Rechts- und Personalabteilung
von mehreren Autoren