Autor

Tobias Kraut

Senior Associate

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26. November 2020

BGH zu Stimmrechtsmitteilungspflichten: Entherrschungsvertrag beseitigt konzernrechtliche Verknüpfung nicht

  • Briefing
  • Gemäß § 37 Wertpapierhandelsgesetz („WpHG“) ist ein Meldepflichtiger von den Stimmrechtsmitteilungspflichten nach dem WpHG befreit, wenn die Mitteilung von seinem Mutterunternehmen oder, falls das Mutterunternehmen selbst ein Tochterunternehmen ist, durch dessen Mutterunternehmen erfolgt.
  • Nach der Entscheidung des Bundesgerichtshofs („BGH“) vom 22. September 2020 wird die Eigenschaft als Tochterunternehmen i.S.d. WpHG und damit als befreiter Meldepflichtiger durch einen schuldrechtlichen Entherrschungsvertrag in der Kette der beteiligten Gesellschaften nicht beseitigt.
  • Dies gilt entsprechend für die Zurechnung von dem Tochter- oder Enkelunternehmen gehaltener Stimmrechte gemäß § 34 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 WpHG zur Bestimmung des Erreichens der Stimmrechtsmeldeschwellen nach § 33 Abs. 1 WpHG.

Der BGH hat mit Urteil vom 22. September 2020 (Az. II ZR 399/18) die Stimmrechtsmitteilungspflichten von konzernangehörigen Meldepflichtigen durch Konkretisierung des Befreiungstatbestands des § 37 WpHG präzisiert. Die Entscheidung erging zu § 24 WpHG a.F., der im Wortlaut identischen Vorgängernorm des § 37 WpHG. Der BGH beantwortet in der Entscheidung die für die Praxis wichtige Frage nach den Auswirkungen von Entherrschungsverträgen auf die wertpapierhandelsrechtlichen Meldepflichten (§ 33 WpHG ff.).

Verhältnis des Befreiungstatbestands nach § 37 WpHG zum Entherrschungsvertrag

Gemäß § 37 WpHG ist ein Meldepflichtiger von den Stimmrechtsmitteilungspflichten nach §§ 33 WpHG ff. befreit, wenn die Mitteilung durch sein Mutterunternehmen oder, falls das Mutterunternehmen selbst ein Tochterunternehmen ist, durch dessen Mutterunternehmen erfolgt. § 35 Abs. 1 WpHG verweist für den Begriff des Tochterunternehmens auf § 290 Handelsgesetzbuch („HGB“). Nach § 290 HGB ist die Annahme der Tochterunternehmenseigenschaft gegeben, wenn das Mutterunternehmen auf das Tochterunternehmen unmittelbar oder mittelbar beherrschenden Einfluss ausüben kann.

In der Rechtsprechung ungeklärt war die Frage, ob die Tochterunternehmenseigenschaft nach § 35 Abs. 1 WpHG i.V.m. § 290 HGB durch einen Entherrschungsvertrag beseitigt wird.

Im Rahmen eines Entherrschungsvertrags, den die Gesellschaft mit ihrem Mehrheitsgesellschafter schließt, verpflichtet sich dieser, von seinen Stimmrechten auf der Hauptversammlung bei bestimmten Beschlussgegenständen keinen Gebrauch zu machen. Ein Entherrschungsvertrag dient der Vermeidung der aktienkonzernrechtlichen Rechtsfolgen (vgl. §§ 311 ff. AktG). Der Vertrag kann dabei sowohl eine bereits bestehende Beherrschung auflösen als auch präventiv eine etwaig entstehende Beherrschung verhindern.

Urteil des BGH zu Mitteilungspflichten bei bestehendem Entherrschungsvertrag

In dem Urteil hatte der BGH unter anderem die Frage zu entscheiden, ob ein Mutterunternehmen eine wirksame Konzernmitteilung für seine Enkelgesellschaft gemäß § 24 Abs.1 WpHG a.F. (§ 37 WpHG n.F.) für von diesem Enkelunternehmen gehaltene Stimmrechte an einer börsennotierten Aktiengesellschaft abgeben kann, obwohl zwischen dem Enkelunternehmen und dessen unmittelbarer Mehrheitsgesellschafterin ein Entherrschungsvertrag besteht.

Die für den Befreiungstatbestand erforderliche Tochterunternehmenseigenschaft nach § 22a WpHG a.F. (§ 35 Abs. 1 WpHG n.F.) i.V.m. § 290 HGB entfällt dem BGH zufolge durch einen Entherrschungsvertrag nicht.

Maßgeblich soll allein die formale Inhaberschaft der Stimmrechtsmehrheit sein. Die schuldrechtliche Verpflichtung, einen Teil der Stimmrechte nicht auszuüben, wie etwa im Rahmen eines Entherrschungsvertrags, soll demgegenüber nicht von Bedeutung sein.

Formale Betrachtungsweise aufgrund des Wortlauts des § 290 HGB

Der BGH begründet die Unbeachtlichkeit eines Entherrschungsvertrags unter anderem mit dem Wortlaut des § 290 Abs. 2 Nr. 1 HGB. Dieser stelle allein auf die formale Betrachtung ab, ob das Mutterunternehmen bei einem anderen Unternehmen die Mehrheit der Stimmrechte der Gesellschafter innehabe. Die Möglichkeit, die Stimmrechte auszuüben, setze der Wortlaut hingegen nicht voraus. Die schuldrechtliche Vereinbarung über die Nichtausübung des Stimmrechts berühre nicht den Bestand der Rechte desjenigen, dem die Anteile gehören, sondern die nach dem Wortlaut nicht maßgebliche Ebene der tatsächlichen Ausübung der Rechte. Anders als bei § 17 Abs. 2 AktG handele es sich auch nicht um eine widerlegbare Vermutung, da ein beherrschender Einfluss im Sinne des § 290 HGB stets besteht, wenn einem Unternehmen bei einem anderen die Mehrheit der Stimmrechte zusteht.

Systematik der bilanzrechtlichen Konsolidierungsvorschriften

Eine rein formale Betrachtung folge nach dem BGH zudem aus der gesetzlichen Systematik der bilanzrechtlichen Konsolidierungsvorschriften. So sehe § 296 Abs. 1 Nr. 1 HGB ausdrücklich vor, dass ein Tochterunternehmen in den Konzernabschluss nicht einbezogen werden müsse, wenn erhebliche und andauernde Beschränkungen, wie etwa ein Entherrschungsvertrag, die Ausübung der Rechte des Mutterunternehmens nachhaltig beeinträchtigen. Der Verzicht auf die Einbeziehung in den Konzernabschluss führe aber gerade nicht dazu, dass die Eigenschaft als Tochterunternehmen nach § 290 HGB entfalle.

Sinn und Zweck des § 22a Abs. 1 WpHG aF (§ 35 Abs. 1 WpHG n.F.)

Überdies erscheine ein materielles Verständnis auch nicht im Hinblick auf Sinn und Zweck des § 22a Abs. 1 WpHG aF (§ 35 Abs. 1 WpHG n.F.) gerechtfertigt, der die Tochterunternehmenseigenschaft für Zwecke der §§ 33 ff. WpHG definiert, da die schuldrechtliche Entherrschung die gesellschaftsrechtliche Möglichkeit der Stimmrechtsausübung nicht zu Fall bringe. Die Ausübung der Stimmrechte bleibt dem Mehrheitsgesellschafter trotz entgegenstehender schuldrechtlicher Vereinbarung vielmehr weiterhin möglich. Damit besteht auch das Informationsinteresse des Kapitalmarkts fort.

Funktionsfähigkeit des Kapitalmarkts

Schließlich werde auch der Zweck der Meldepflichten nach dem WpHG, die Funktionsfähigkeit des Kapitalmarkts zu stärken und Transparenz über die wesentliche Eigentümerstruktur börsennotierter Gesellschaften zu schaffen, durch eine Konzernmitteilung nach § 24 Abs. 1 WpHG a.F. (§ 37 WpHG n.F.) in gleicher Weise erreicht, wie durch das Tochterunternehmen selbst.

Bewertung

Das Gericht beantwortet die für die Praxis wichtige Frage nach den Auswirkungen von Entherrschungsverträgen auf wertpapierhandelsrechtliche Meldepflichten überzeugend. Die rein formale Betrachtung des § 290 HGB erleichtert die Rechtsanwendung und schafft Klarheit. Gerade vor dem Hintergrund der Sanktionen fehlerhafter Meldungen und der beabsichtigen Transparenz muss bei Auslegung und Anwendung des WpHG Klarheit herrschen. Dies gilt insbesondere angesichts des Gleichlaufs der Befreiungsmöglichkeit durch eine Konzernmeldung und der Begründung der Meldepflicht für von einem Tochterunternehmen gehaltene Aktien (§ 34 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 WpHG). Auch wenn im Einzelfall das Gestaltungsmittel des Entherrschungsvertrags zur Vermeidung von Meldepflichten aus Sicht der Handelnden wünschenswert erscheinen mag, ist die vom BGH bestätigte eindeutige Rechtslage zu begrüßen.

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