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Dr. Markus Böhme, LL.M. (Nottingham)

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29. Januar 2020

Kohleausstiegsgesetz verfassungsrechtlich unzulässig

Das Bundeskabinett hat die gesetzlichen Regelungen zum Ausstieg aus der Steinkohleverstromung beschlossen. Sie sind Teil eines Gesetzespakets, mit dem Deutschland bis spätestens 2038 die Stromgewinnung aus Stein- und Braunkohle beenden will. Dieses Ziel hatte bereits im vergangenen Jahr die Kohlekommission, eine Kommission aus Politik, Wirtschaft und Klimaschützern, beschlossen.

Der genaue Zeitplan, Details zu den rechtlichen Rahmenbedingungen und die gesetzlichen Regelungen wurden aber erst jetzt erarbeitet. Dabei stellen sich insbesondere verfassungsrechtlich bislang noch nicht erörterte Fragen. Aufgrund der bestehenden Zweifel an der eigentumsrechtlichen Zulässigkeit der Regelungen, die auch nach Vorlage eines aktualisierten Kabinettsentwurfs Mitte Januar 2020 fortbestehen, müssen die Betreiber von Kohlekraftwerken prüfen, ob sie Rechtschutz in Anspruch nehmen, um Schaden von der Gesellschaft abzuwenden.

Im Folgenden skizzieren wir den Inhalt der gesetzlichen Neuregelungen und geben eine erste verfassungsrechtliche Einschätzung.

1. Die zentralen Regelungen des Kohleverstromungsbeendigungsgesetzes

Der Kabinettsentwurf des Kohleverstromungsbeendigungsgesetzes legt zeitlich gestaffelte Zielniveaus und Zieldaten für die Braun- und Steinkohleverstromung fest. Um diese zu erreichen, wird in regelmäßigen Ausschreibungsrunden der so genannte Steinkohlezuschlag ermittelt. Dies ist der Betrag, den der Betreiber eines Steinkohlekraftwerks für die Stilllegung einer bestimmten Nettonennleistung erhält, für die er ein Gebot abgegeben hat. Rechtsfolge des Zuschlags ist das Verbot der Kohleverfeuerung für die bezuschlagte Anlage 18 bis 30 Monate nach Zuschlagserteilung.

Als Wegmarken sind für die Steinkohle drei Zielniveaus verbindlich gesetzlich festgelegt, und zwar bis Oktober 2022 insgesamt 15 GW sowie bis Ende 2030 acht GW; Ende 2038 soll der Strom aus Steinkohle auf null GW reduziert sein. Für die Ausschreibungsrunden zwischen diesen Wegmarken wird das jeweilige Zielniveau für die Reduktion der Steinkohle ermittelt, indem vom jährlichen Zielniveau die Summe der Nettonennleistung der verbleibenden Braunkohleanlagen abgezogen wird.

Die Teilnahme an den Ausschreibungen ist nur bis 2026 möglich. Sie sollen bereits 2020 beginnen. Die Teilnahme an den Ausschreibungen ist nicht zwingend, sondern freiwillig. Ausgeschlossen sind Betreiber, die eine verbindliche Stilllegungsanzeige für ihre Anlage abgegeben haben. Dabei handelt es sich um eine neue, freiwillige Möglichkeit der Betreiber, ihre Steinkohleanlagen über die Pflichten nach § 13b EnWG hinaus stillzulegen. Anlagen, die bei Überzeichnung einer Ausschreibungsrunde nicht bezuschlagt werden, erhalten darüber hinaus auch keine finanzielle Kompensation in Form eines Steinkohlezuschlags.

Ab 2027 können die Steinkohlekraftwerke mittels gesetzlich vorgesehener Anordnung durch die Bundesnetzagentur (BNetzA) stillgelegt werden; ein Anspruch auf finanzielle Kompensation ist nicht vorgesehen. Die Abschaltung folgt einer noch aufzustellenden Reihung der Anlagen, bei der das wegen Nachrüstungsmaßnahmen korrigierte Datum der Inbetriebnahme ausschlaggebend sein soll. Berücksichtigungsfähig sind aber nur Investitionen, die zwischen 2010 und 2019 vorgenommen wurden. Der kalkulatorische Restwert der Investitionen wird ins Verhältnis zur Nettonennleistung der Anlage gesetzt und der so entstehende Investitionswert soll dann stufenweise zum Datum der Inbetriebnahme addiert werden. Eine gesetzliche Anordnung der Abschaltung kann Kraftwerke zwischen 2024 und 2026 trotz in dieser Zeit noch laufender Ausschreibungen treffen, wenn die Ausschreibungen unterzeichnet sind, also das Ausschreibungsvolumen nicht erreicht wird. Die Reihung wird fortlaufend aktualisiert, dies soll gerichtlich aber nicht überprüfbar sein.

2. Verfassungsrechtliche Bedenken

Gegen den jetzt vorgelegten Gesetzesvorschlag zum Kohleverstromungsbeendigungsgesetz bestehen erhebliche verfassungsrechtliche Bedenken. Auch wenn im Vorfeld und insbesondere während der Arbeit der Kohlekommission („Kommission Wachstum, Strukturwandel und Beschäftigung“) die rechtspolitische Diskussion bereits begonnen hat, liegen erstmals konkrete gesetzgeberische Details für ein Ausstiegsszenario vor, die einer Neubewertung bedürfen.

Kohlekraftwerke und ihre Nutzungsmöglichkeit werden unter anderem von der Eigentumsgarantie des Art. 14 Grundgesetz geschützt. In dieses Recht wird auch durch eine kurzfristige, möglicherweise sogar entschädigungslose Stilllegung, die den Betreibern die Nutzungsmöglichkeit ihrer Kohlekraftwerke entzieht, eingegriffen. Mit der gesetzlichen Pflicht zur Stilllegung der Kohlekraftwerke verbleibt den Betreibern in der Regel – von einzelnen Fällen einer Umrüstung abgesehen – keine Nutzungsmöglichkeit mehr. 

Mehr noch: Die Betreiber werden in ihrem Vertrauen in die Nutzbarkeit des Eigentums und die Werterhaltung durch Investitionen, das sie in der Vergangenheit bilden durften und das deshalb auch eigentumsrechtlich geschützt ist, enttäuscht. Dies gilt nicht zuletzt aufgrund der netztechnischen Bedeutung von grundlastfähigen Steinkohlekraftwerken. Auch haben zahlreiche Betreiber von Kohlekraftwerken in die vom Gesetzgeber gewollte und geförderte Kraft-Wärme-Kopplung investiert. Schließlich nehmen auch alle Betreiber am Emissionshandel teil, der bereits ein Instrument zur Reduzierung des CO2 -Ausstoßes sein sollte. 

Selbst wenn man nicht von einer unmittelbaren Enteignung ausgeht, sind die Anforderungen an eine Rechtfertigung dieses Eingriffs sehr hoch. Sie können insbesondere auch als so genannte Inhalts- und Schrankenbestimmung, mit der der Gesetzgeber Inhalt und Umfang des schützenswerten Eigentums definieren kann, ausgleichspflichtig sein. 

Einen solchen Ausgleich enthält der Gesetzentwurf nicht. Der Steinkohlezuschlag, dessen Höhe in Ausschreibungen ermittelt werden soll, dient in Wahrheit nicht zur Entschädigung für Eingriffe in das Eigentum der Kraftwerksbetreiber. Dazu ist er strukturell auch gar nicht geeignet, wie allein schon die nachfolgenden Überlegungen zeigen. Er soll vielmehr nur ein Anreiz für Betreiber sein, Steinkohlekraftwerke schneller – nämlich innerhalb des ersten Drittels des Zeitraums bis 2038 – stillzulegen. Auch nur deshalb steht er auch unter dem Vorbehalt der beihilferechtlichen Genehmigung durch die EU-Kommission. Dieser hätte es bei einer Entschädigung, die grundrechtlich geboten ist, kaum bedurft.

  • Der Ausgleich soll nur während eines bestimmten Zeitraums und nur bei freiwilliger Teilnahme an einem Ausschreibungsverfahren gewährt werden. Betreiber könnten sich aus grundrechtlicher Perspektive gezwungen sehen, angesichts der unsicheren Kriterien bei späterer gesetzlicher Stilllegung an Ausschreibungen teilzunehmen und auf diese Weise auf ihre grundrechtlich geschützte Eigentumsposition möglicherweise vorschnell zu verzichten.
  • Auch bei den innerhalb des Ausschreibungszeitraums bis 2026 stillgelegten Kraftwerken ist nicht sicher, dass diese tatsächlich eine Kompensation erhalten: Die Teilnahme an den Ausschreibungen ist freiwillig. Dies gilt auch für Kraftwerke, die sich zwar an Ausschreibungen beteiligten, aber keinen Zuschlag erhalten. Kraftwerksbetreibern droht unter Umständen schon ab 2024 trotz noch laufender Ausschreibungen der entschädigungslose Entzug ihrer Eigentumsposition, wenn die Ausschreibungen unterzeichnet sind.  Kohleausstiegsgesetz verfassungsrechtlich unzulässig
  • Generell ist auch das Instrument der Ausschreibungen untauglich, die notwendige Entschädigung für Eingriffe in Eigentumspositionen zu bestimmen: So bekommt beispielsweise bei Überzeichnung einer Ausschreibung dasjenige Kohlekraftwerk den Zuschlag, das am meisten CO2 emittiert. Dies macht zwar auf den ersten Blick Sinn, weil hierdurch pro Stilllegungsrunde am meisten CO2 eingespart wird; es führt jedoch aus grundrechtlicher Perspektive des Eigentümers dazu, dass derjenige, der das CO2 -intensivere Kraftwerk betreibt, eher den Steinkohlezuschlag erhält. Derjenige Kraftwerkbetreiber, der ein modernes oder modernisiertes Kraftwerk betreibt, das sich unter Umständen noch nicht amortisiert hat, läuft Gefahr, im Wege des Ausschreibungsverfahrens leer auszugehen. Es ist deshalb nicht auszuschließen, dass Betreiber CO2 -ärmerer Kraftwerke besonders niedrige Gebote in den Ausschreibungsrunden abgeben. Sie geraten in das Dilemma, dass sie, sofern sie überhaupt eine Kompensation erhalten wollen, ein Gebot abgeben müssen, dass dem Wettbewerb standhält und das nicht die tatsächlich entstandenen Kosten widerspiegelt.


Im Kern sieht der Gesetzentwurf damit auch für die noch in diesem Jahr beginnenden Stilllegungen keine Entschädigung vor. Einer solchen hätte es aber aus verfassungsrechtlicher Sicht bedurft. Denn der Eingriff in die Eigentumsposition ist aufgrund des vollständigen und umgehenden Entzugs als so intensiv zu bewerten, dass die vorgesehenen Übergangszeiträume zwischen der Entscheidung über die Stilllegung und der tatsächlichen Stilllegung sowie die Härtefallklausel alleine nicht ausreichen, um den Eingriff noch verhältnismäßig ausgestalten zu können. 

Daran ändert auch der Umstand nichts, dass bei der Festlegung der Reihenfolge für die Stilllegungen ab 2027 der Zeitpunkt der Inbetriebnahme und Nachrüstungen berücksichtigt werden. Zum einen wird allein auf das Alter der Anlagen abgestellt und allenfalls nur mittelbar auf Amortisierungsgrad und Emissionsbelastung; so werden auch jüngere Anlagen, die zwar nach der Logik des Gesetzes alt genug, aber dennoch nicht amortisiert sind, abgeschaltet. Zum anderen bleibt es völlig offen, welche Art und welchen Umfang solche Nachrüstungen haben müssten, um zu einer Anpassung des Inbetriebnahmedatums führen zu können. Der Gesetzentwurf formuliert dazu keine Kriterien und überlässt die Entscheidung allein der BNetzA. Hier hätte es nahegelegen, die Investitionen auch vor dem Hintergrund des Ziels des Gesetzentwurfs an deren Bedeutung für den Umweltschutz zu messen: So hätten differenziert beispielsweise Maßnahmen der CO2 -Reduzierung oder die bereits in vielen Steinkohlekraftwerken realisierte Kraft-Wärme-Kopplung berücksichtigt werden können und müssen. 

Vor diesem Hintergrund kann es aus Sicht eines Geschäftsführers oder Vorstands im Rahmen seiner Sorgfaltspflicht geboten sein, die verfassungsrechtlich höchst zweifelhafte Rechtslage klären zu lassen, um möglichen Schaden von der Gesellschaft abzuwenden.

 

Update – Juli

 
Bundestag und Bundesrat haben im Juli 2020 einer Verlängerung der Steinkohleausschreibungen sowie weiteren Änderungen beim Gesetzesentwurf zum Kohleausstieg zugestimmt. Laut dem neuen Entwurf sollen die geplanten Ausschreibungen für die Abschaltung von Steinkohleanlagen um ein Jahr verlängert werden. Es wurde eine zusätzliche Ausschreibung für Steinkohlekraftwerke für 2027 eingeführt und die Höchstpreise für die Zieljahr 2024 bis 2026 erhöht. Zudem sieht der neue Gesetzentwurf unter bestimmten Voraussetzungen eine Erhöhung der Grundförderung für große KWK-Anlagen um 0,5 Cent/kWh ab 2023 vor. Der Kohleersatzbonus differenziert jetzt nach dem Alter der Anlagen und erhöht sich für Anlagen, die nach 1984 in Betrieb gegangen sind. Für „junge“ (seit 2010 in Betrieb genommene) Steinkohleanlagen sollen künftig besondere Härtefallregelungen bei den Evaluierungen zum Kohleausstieg in den Jahren 2022, 2026 und 2029 gelten, sollte bei diesen noch keine Umrüstung erfolgt sein.

 

Sollten Sie Fragen hierzu haben oder Unterstützung bei diesbezüglichen oder allgemeinen energiewirtschaftlichen Themen benötigen, sprechen Sie uns gerne jederzeit an. 

Zur PDF-Version: Kohleausstiegsgesetz verfassungsrechtlich unzulässig

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