14. Februar 2022
Veröffentlichungsreihe "Recht: nachhaltig" – 3 von 5 Insights
Autoren: Julia Averbukh und Christian Werthmüller
Alle reden von ESG, doch was ist das eigentlich und was erwartet uns in der Immobilienbranche konkret im Jahr 2022? Hierzu die wichtigsten Informationen:
Investoren denken zunehmend nachhaltiger. Dabei sehen sie sich immer öfter mit dem Schlagwort ESG konfrontiert. Das Akronym lässt sich aufschlüsseln in: E – Environment (Umwelt), S – Social (Soziales) und G – Governance (Unternehmensführung). Doch was genau verbirgt sich dahinter?
ESG steht für unterschiedliche Kriterien, um die Nachhaltigkeit eines Unternehmens oder einer wirtschaftlichen Tätigkeit zu bewerten. Diese Kriterien sind nicht nur abstrakt, sondern teils bereits sehr konkret und nachprüfbar in ein umfangreiches Regelwerk gegossen. Von dessen Auswirkungen sind insbesondere auch die Akteure in der Immobilienbranche betroffen, denn diese sind immerhin für beinahe 40% des CO2-Ausstoßes in der EU verantwortlich.
Den ersten großen Schritt in Sachen ESG Regularien stellt die Sustainable Finance Disclosure Regulation (SFDR) dar, die sogenannte „Offenlegungsverordnung“. Diese verpflichtet institutionelle Anleger und Vermögensverwalter dazu offenzulegen, inwiefern sie ESG-Merkmale oder ESG-Ziele erfüllen oder nachhaltige Risiken berücksichtigen (ESG-Reporting). Als zweiter Schritt folgte sodann die Taxonomie Verordnung, die ökologisch nachhaltige Tätigkeiten EU-einheitlich klassifiziert. Hierzu wurden in der Taxonomie Verordnung sechs Umweltziele festgeschrieben. Eine nachhaltige Tätigkeit fördert mindestens eines dieser Umweltziele und beeinträchtigt keine der anderen Umweltziele. Zur technischen Bewertung wann eine Förderung der Umweltziele „Klimaschutz“ und „Anpassung an den Klimawandel“ vorliegt, hat die EU-Kommission einen delegierten Rechtsakt erlassen. Ein solcher Rechtsakt hat keinen Gesetzescharakter und dient der Ausgestaltung und Präzisierung einer EU-Verordnung. Im Fall der Taxonomie Verordnung wurden dabei spezifische technische Bewertungskriterien für beide Umweltziele festgelegt.
Die Anforderungen für nachhaltige Tätigkeiten sollen weiter geschärft werden. Daher sollen die technischen Bewertungskriterien, nach denen eine ökologisch nachhaltige Tätigkeit bewertet wird, durch einen weiteren delegierten Rechtsakt erweitert werden. Durch diesen sollen dann auch die technischen Anforderungen hinsichtlich der übrigen Umweltziele „nachhaltige Nutzung und Schutz von Wasser- und Meeresressourcen“, „Übergang zu einer Kreislaufwirtschaft“, „Vermeidung und Verminderung der Umweltverschmutzung“ und „Schutz und Wiederherstellung der Biodiversität und der Ökosysteme“ klargestellt werden.
Auf nationaler Ebene stehen die Maßnahmen im Zeichen des Koalitionsvertrages, der nicht umsonst den Titel trägt: „Mehr Fortschritt wagen – Bündnis für Freiheit, Gerechtigkeit und Nachhaltigkeit“.
Dort heißt es, dass „die Weichen auf eine sozial-ökologische Marktwirtschaft“ gestellt und „ökonomische Entwicklung und ökologische Verantwortung zusammen“ gedacht werden sollen.
Die ersten Ansätze stehen bereits fest und sie haben insbesondere die CO2-Reduzierung zum Ziel: So soll dieses Jahr, nach dem Auslaufen der Neubauförderung für den KfW-Effizienzhausstandard 55, ein neues Förderprogramm für den Wohnungsneubau eingeführt werden. Der Fokus soll zukünftig auf dem Kennwert „Treibhausgas-Emissionen pro m² Wohnfläche“ liegen – ein Paradigmenwechsel in der bisherigen Förderung.
Ab dem 01. Juni 2022 soll zudem die zusätzlich zu den Heizkosten anfallende CO2-Steuer zwischen Vermieter und Mieter aufgeteilt werden. Diese war bislang alleine vom Mieter zu tragen. Die Anteile werden nach einem Stufenmodell auf Grundlage der Gebäudeenergieklasse errechnet und im Zweifel hälftig geteilt.
Durch die Einnahmen aus der CO2-Steuer soll künftig dann der Wegfall der EEG-Umlage kompensiert werden. Diese endet nämlich zum 31. Dezember 2022 um die Strompreise zu entlasten.
Darüber hinaus soll eine Investitionsprämie für Klimaschutz und digitale Wirtschaftsgüter geschaffen werden, durch die Steuerpflichtige einen Teil der Anschaffungs- und Herstellungskosten der im jeweiligen Jahr (2022 oder 2023) angeschafften oder hergestellten Wirtschaftsgüter des Anlagevermögens vom steuerlichen Gewinn abziehen können (Superabschreibung).
In der Zukunft sind weitere Anpassungen, insbesondere des Gebäudeenergiegesetzes (GEG) geplant: So ist beispielsweise eine Erhöhung der Neubau-Standards an den KfW-Effizienzhausstandard 40 vorgesehen. Ab dem Jahr 2024 sollen zudem die auszutauschenden Teile bei wesentliche Ausbauten, Umbauten und Erweiterungen dem KfW-Effizienzhausstandard 70 entsprechen und ab dem 01. Januar 2025 soll jede neu eingebaute Heizung auf der Basis von 65% erneuerbarer Energien betrieben werden können.
Die Maßnahmen sind weitreichend und ein marktwirtschaftliches Umdenken von allen Seiten gewünscht: Die weitaus größte Zahl der Marktteilnehmer möchte ihre gesellschaftliche Verantwortung durch Erfüllung der Nachhaltigkeitskriterien wahrnehmen und Investoren fordern zunehmend ein Bekenntnis zu ESG – und führen nicht selten eine spezielle ESG Due Diligence durch.
Die ESG-Faktoren „Soziales“ und „Unternehmensführung“ haben hingegen beinahe noch keine gesetzgeberische Schärfung erfahren. Hier besteht also zusätzlicher Handlungsbedarf. Damit einher geht fast zwangsläufig eine große Rechtsunsicherheit, denn es ist völlig unklar, welche Anforderungen in der Zukunft gelten und ob die kürzlich mit ESG-Siegel erworbene Immobilie dieses Siegel auch in fünf Jahren noch tragen darf.
Es gilt daher nach wie vor: Nichts geht über eine konkrete Prüfung im Einzelfall!
Die Reihe im Überblick: "Recht: nachhaltig"
von mehreren Autoren
26. August 2022
Veröffentlichungsreihe: "Recht: nachhaltig"
14. February 2022
16. February 2022
von mehreren Autoren
von Dr. Martin Bartlik, LL.M. (McGill) und Sarah Anderson (née Rafiqpur)