10. Februar 2021
Trotz sinkender Infektionszahlen ist das Instrument der Kurzarbeit für eine Vielzahl der Unternehmen in Deutschland weiterhin von enormer praktischer Relevanz. In vielen Fällen musste die Kurzarbeit in den letzten Wochen und Monaten verlängert oder erneut eingeführt werden. Beides bedarf jedoch einer Rechtsgrundlage, sei es ein Tarifvertrag, eine Betriebsvereinbarung, eine einvernehmliche Vereinbarung mit den Arbeitnehmern oder eine entsprechende Anordnungsklausel im Arbeitsvertrag. Was aber tun, wenn es keinen Betriebsrat gibt, der Arbeitsvertrag (wie in der jüngeren Vergangenheit häufig) keine einseitige Befugnis des Arbeitgebers vorsieht und sich ein Arbeitnehmer weigert, eine Zusatzvereinbarung zu unterzeichnen? Eine (fristlose) Änderungskündigung aussprechen? Durchaus möglich, so das Arbeitsgericht Stuttgart in einem Urteil vom 22.10.2020 (11 Ca 2950/20).
Die Arbeitnehmerin war seit 2011 bei einem Leiharbeitsunternehmen ohne Betriebsrat mit mehr als zehn Arbeitnehmern tätig und vor allem für die Einsatzplanung in Kindergärten und Kindertagesstätten zuständig. Letztere wurden im Zuge des ersten „Lockdowns“ im März 2020 bekanntlich vorübergehend geschlossen. Die Arbeitgeberin bat die Klägerin deshalb Anfang April 2020 um Zustimmung zur Einführung von Kurzarbeit. Dies lehnte die Arbeitnehmerin jedoch ab, woraufhin die Arbeitgeberin am 22. April 2020 eine fristlose, hilfsweise ordentliche Änderungskündigung aussprach; Kurzarbeitergeld war der Arbeitgeberin von der Bundesagentur für Arbeit bereits zuvor bewilligt worden. Die Änderungskündigung sah unter anderem vor, dass die Arbeitgeberin bei Vorliegen der Voraussetzungen der §§ 95 ff. SGB III mit einer Ankündigungsfrist von drei Wochen für einen begrenzten Zeitraum Kurzarbeit einführen durfte. Die Arbeitnehmerin nahm das Angebot unter Vorbehalt an und erhob zugleich Änderungskündigungsschutzklage.
Das Arbeitsgericht Stuttgart wies die gegen die Änderungskündigung gerichtete Klage ab, da ein wichtiger Grund im Sinne des § 626 Abs. 1 BGB für die fristlose Änderungskündigung vorliege. Zwar seien die Voraussetzungen einer betriebsbedingten Änderungskündigung zur Einführung von Kurzarbeit speziell in der Form einer fristlosen Änderungskündigung noch nicht abschließend höchstrichterlich geklärt. Die strengen Vorgaben des Bundesarbeitsgerichts (BAG) für den Fall einer Änderungskündigung zur reinen Entgeltreduzierung seien aber zumindest nicht zu übertragen, da die Kurzarbeit nicht in das arbeitsvertragliche Äquivalenzverhältnis eingreife und zudem nur für einen begrenzten Zeitraum gelte. Darüber hinaus seien auch die gesetzgeberischen Wertungen der §§ 95 ff. SGB III zu berücksichtigen, sodass die Annahme eines erheblichen Arbeitsausfalls gemäß § 96 SGB III zugleich die Vermutung beinhalte, dass eine Änderungskündigung aus dringenden betrieblichen Gründen gerechtfertigt sei. Es bestehe insofern eine Verknüpfung zwischen arbeits- und sozialrechtlichen Regeln. Erhöhte Anforderungen an die Änderungskündigung seien im Übrigen nicht zu stellen, um den Zugang zum beschäftigungspolitisch gewünschten Kurzarbeitergeld nicht „zu verbauen“.
Die Änderungskündigung sei auch verhältnismäßig gewesen, da die Arbeitgeberin zuvor versucht habe, eine einvernehmliche Vereinbarung zu erzielen und die Änderungskündigung zudem eine Ankündigungsfrist von drei Wochen sowie eine Höchstdauer für die Kurzarbeit vorsehe.
Schließlich sei die Änderungskündigung auch fristlos möglich gewesen. Dafür spreche insbesondere, dass im Falle einer Kündigung unter Einhaltung der ordentlichen Kündigungsfrist Kurzarbeit aufgrund der zeitlichen Dringlichkeit regelmäßig nicht mehr sinnvoll eingeführt werden könne und bei Arbeitnehmern mit längerer Kündigungsfrist damit faktisch ausgeschlossen sei.
von Florian Schulte und Lisa Marie Bütow
von Florian Schulte
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