Autor

Florian Schulte

Senior Associate

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24. Juni 2020

Fahrtzeiten zum Kunden - Abweichende Regelung der Vergütung durch Betriebsvereinbarung?

I. Einleitung

Die Vergütungspflicht von Dienstreisezeiten war in der jüngeren Vergangenheit mehrfach Gegenstand höchstrichterlicher Entscheidungen. Danach steht fest, dass auch Reisezeit außerhalb der regulären Arbeitszeit im Ausgangspunkt immer vergütungspflichtige Arbeitszeit darstellt, wobei die Rechtsprechung allerdings abweichende Regelungen zur Vergütung grundsätzlich zulässt. Das hier besprochene Urteil des Bundesarbeitsgerichts (BAG) vom 18.03.2020 (10 Sa 96/18) behandelt insofern die Frage, unter welchen Voraussetzungen eine Betriebsvereinbarung solche abweichenden Vergütungsregelungen treffen kann.

II. Sachverhalt

Der Kläger war bei der Beklagten als Servicetechniker im Außendienst beschäftigt und suchte seine Kunden regelmäßig direkt von seinem Wohnort auf. In einer Betriebsvereinbarung über flexible Arbeitszeiten (BV Arbeitszeit) war geregelt, dass Anfahrtszeiten zu Kunden außerhalb der regulären Arbeitszeit nicht als Arbeitszeit zählten, soweit sie 20 Minuten nicht überschritten. Die Beklagte verzeichnete Fahrtzeiten von unter 20 Minuten entsprechend nicht im Arbeitszeitkonto des Klägers und zahlte dafür auch keine Vergütung. Ein auf das Arbeitsverhältnis anwendbarer Tarifvertrag sah die Vergütung sämtlicher Arbeitszeiten vor. Der Klage verlangte die Gutschrift und hilfsweise die Vergütung der aufgewendeten Fahrtzeiten. Sowohl das Arbeitsgericht als auch das Landesarbeitsgericht (LAG) Düsseldorf haben die Klage abgewiesen.

III. Entscheidungsgründe

Die Revision des Klägers hatte Erfolg und führte zur Zurückverweisung an das LAG. Zur Begründung führte das BAG zunächst aus, dass die Anfahrtszeiten des Klägers vom Wohnsitz zum Kunden und zurück vergütungspflichtige Arbeitszeiten seien (§ 611a Abs. 2 BGB). Zu den versprochenen Diensten des Arbeitnehmers als Gegenleistung für die Vergütung zähle schließlich alles, was durch den Arbeitgeber verlangt werde oder mit der Arbeitstätigkeit unmittelbar zusammenhänge. Fahrtzeiten zu einem Kunden seien insofern eine fremdnützige Tätigkeit des Arbeitnehmers (anders als z.B. die Anfahrtszeit von der Wohnung zum Betrieb). Allerdings könnten durch Arbeits- oder Tarifvertrag andere Vergütungsregelungen als für die „eigentliche“ Arbeitstätigkeit getroffen und die Vergütung unter Beachtung des Mindestlohns sogar ganz ausgeschlossen werden.

Bei einer Betriebsvereinbarung seien allerdings die Schranken des Betriebsverfassungsrechts zu beachten. Die in der BV Arbeitszeit getroffene Verkürzung der Vergütungspflicht von Fahrzeiten sei insofern gemäß § 77 Abs. 3 BetrVG (sog. Tarifsperre) unwirksam. Denn nach dieser Vorschrift können Bedingungen, die bereits durch Tarifvertrag geregelt sind oder üblicherweise geregelt werden, nicht Gegenstand einer Betriebsvereinbarung sein. Dies sei vorliegend, so das BAG, aber der Fall, da die Regelung in der BV Arbeitszeit die Vergütung von Fahrtzeiten der Außendienstmitarbeiter betreffe und der Tarifvertrag abschließende Regelungen zur Vergütung von Arbeitszeiten beinhalte.

Das LAG hatte sich in diesem Zusammenhang unter Bezugnahme auf eine Entscheidung des BAG vom 10.10.2006 (1 ABR 59/05) noch eines „Kniffes“ bedient und entschieden, dass die BV Arbeitszeit gar nicht die Frage der Vergütung regele. Vielmehr bestimme die BV Arbeitszeit lediglich, unter welchen Voraussetzungen die Fahrtätigkeit überhaupt Arbeitsleistung als Voraussetzung jeder Vergütung sei – die Bestimmung der Arbeitsleistungspflicht sei aber nicht Gegenstand des Tarifvertrages. Dies ließ das BAG jedoch nicht gelten und führte aus, dass die Betriebsparteien durch die BV Arbeitszeit in das vertragliche Austauschverhältnis zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer eingegriffen und Letzterem im Ergebnis einen Vergütungsanspruch entzogen hätten. Gegenstand der Regelung in der BV Arbeitszeit sei daher die Vergütung von Fahrtzeiten, auch wenn dies nicht ausdrücklich so benannt worden sei. Da die Vergütung der Arbeitsleistung jedoch schon in einem Tarifvertrag geregelt werde, sei die Betriebsvereinbarung insoweit unwirksam. Zur Entscheidung vom 10.10.2006 führte das BAG nur aus, dass der damaligen Entscheidung eine andere Betriebsvereinbarung und ein anderer Tarifvertrag zugrunde gelegen habe.

IV. Einordnung der Entscheidung und Praxishinweise

Für die Frage der Vergütung von Dienstreisezeiten außerhalb der regulären Arbeitszeit hatte sich die Rechtsprechung traditionell auf die Regelung des § 612 BGB gestützt, sodass es stets darauf ankam, ob für Reisezeiten eine Vergütungserwartung bestand. In neuerer Rechtsprechung geht das BAG jedoch davon aus, dass Fahrtzeiten zu einem Kunden bzw. sonstige Dienstreisezeiten (nicht die Anfahrt zum eigenen Betrieb) als vom Arbeitgeber angeforderte und deshalb fremdnützige Tätigkeit stets eine Vergütungspflicht auslösen, die unmittelbar aus dem Arbeitsvertrag folgt. In den neueren Entscheidungen ließ das BAG für Arbeitgeber allerdings stets die Tür einer abweichenden Regelung der Vergütung von Fahrtzeiten (außerhalb der regulären Arbeitszeit) bis hin zu einem vollständigen Ausschluss der Vergütung offen. Als Instrumente nannte das BAG insofern bislang aber lediglich Arbeits- oder Tarifverträge, während in der Praxis häufig Betriebsvereinbarungen entsprechende Regelungen beinhalten.

In der besprochenen Entscheidung nennt das BAG nun erstmals ausdrücklich auch Betriebsvereinbarungen als Möglichkeit zur Regelung abweichender Vergütungsmodelle.  Zugleich wird aber (erneut) das grundsätzliche Dilemma von Betriebsvereinbarungen deutlich, die nämlich regelmäßig an der Tarifsperre des § 77 Abs. 3 BetrVG scheitern (vgl. hierzu auch BAG, Urt. v. 25.04.2018 – 5 AZR 424/17 und BAG, Urt. v. 15.11.2018 – 6 AZR 294/17). Auch der vom LAG Köln (sowie vom LAG Rheinland-Pfalz in einem Parallelverfahren) beschrittene Weg, wonach die Betriebsparteien die Tarifsperre dadurch umgehen können, dass sie nicht die Vergütung, sondern stattdessen regeln, ab wann Fahrtzeiten überhaupt eine (vergütungspflichtige) Arbeitsleistung sind, wird durch die besprochene Entscheidung versperrt. Weshalb das BAG diese Möglichkeit in der Entscheidung vom 10.10.2006 eröffnet hatte und sich hieran nun nicht festhalten lassen möchte, geht aus der besprochenen Entscheidung nicht mit letzter Klarheit hervor. Grundsätzlich ist aber anzunehmen, dass das BAG vergleichbare Regelungen zukünftig als Vergütungsvereinbarungen und damit Gegenstand der Tarifsperre ansehen wird.

Für Betriebsvereinbarungen verbleibt daher in diesem Zusammenhang nur dann ein Anwendungsbereich, wenn feststeht, dass kein Tarifvertrag Anwendung findet und sich der Arbeitgeberbetrieb auch nicht im Geltungsbereich eines Tarifvertrages befindet, der üblicherweise Regelungen zur Vergütung von Arbeitszeiten vorsieht. Steht die Tarifsperre einer Betriebsvereinbarung insofern nicht entgegen, können die Betriebsparteien auch weiterhin Sonderregelungen für die Vergütung von Dienstreisezeiten außerhalb der regulären Arbeitszeit vereinbaren.

Eine für die Praxis nicht uninteressante Frage hat das BAG in diesem Zusammenhang jedoch offengelassen, nämlich, ob Regelungen zur Vergütung von Dienstreisezeiten der zwingenden Mitbestimmung des Betriebsrats gemäß § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG unterliegen. Diese Frage, die weder in der Fachliteratur, noch der Instanzrechtsprechung eindeutig beantwortet wird, ist vor allem deshalb interessant, weil nur im Falle eines Mitbestimmungsrechts Regelungen zur Einschränkung oder Pauschalisierung der Vergütung von Dienstreisezeiten im Wege einer Einigungsstelle erzwungen werden könnten. Wie sich das BAG hierzu positionieren wird, bleibt abzuwarten.

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