17. Dezember 2020
How dare you: Müssen Immobilien Nachhaltigkeitskriterien genügen? – 1 von 3 Insights
Teil I:
Mit der Taxonomie-Verordnung über die Einrichtung eines Rahmens zur Erleichterung nachhaltiger Investitionen (Verordnung (EU) 2020/852 vom 18. Juni 2020, „Taxonomie-VO“) hat die Europäische Union „ein neues gemeinsames Klassifizierungssystem mit einheitlichen Begrifflichkeiten, das Anleger überall verwenden können, wenn sie in Projekte und Wirtschaftstätigkeiten mit erheblichen positiven Klima- und Umweltauswirkungen investieren wollen“ eingeführt. Mit Wirkung ab dem 1. März 2021 tritt damit die konkrete Umsetzung der ökologischen, sozialen und die Unternehmensführung betreffenden Faktoren („ESG-Faktoren“) in Kraft. Die Agenda 2030, das Übereinkommen von Paris vom 4. November 2016 und der EU-Aktionsplans zur Finanzierung nachhaltigen Wachstums vom 8. März 2018 wirken sich damit zunehmend stärker konkret auf die Finanz- und Immobilienbranche aus.
Unsere Real Estate ExpertInnen beleuchten die Auswirkungen auf die Immobilienwirtschaft und geben erste Antworten. In diesem ersten von drei Teilen geht es um folgende Fragen: Was sind ESG-Faktoren? Was steht in der Taxonomie-Verordnung? Was hat diese mit den ESG-Faktoren zu tun? Und was bedeutet das für die Immobilienwirtschaft?
ESG-Faktoren stehen für Nachhaltigkeit im Bereich der Umwelt („E“ = Ecological), des Sozialen („S“ = Social) und der Unternehmensführung („G“ = Governance).
Das Schlagwort „Nachhaltigkeit“ wird in vielen Branchen ohne weiteren Inhalt oder Nachweis verwendet. Mit verschiedenen Verordnungen und Richtlinien tritt die EU diesem „Greenwashing“ entschieden entgegen, und definiert Maßgaben zur Risikobeurteilung, zur Offenlegung und zur Definition von Nachhaltigkeitskriterien. Somit sollen private Investitionen auf nachhaltige Tätigkeiten gelenkt werden, mit denen ökologisch nachhaltige Zielsetzungen verbunden sind.
Die Taxonomie-VO (Verordnung (EU) 2020/852 vom 18. Juni 2020) enthält ein europaweit einheitliches Klassifizierungssystem. Zielsetzung ist die Stärkung des Anlegervertrauens und des Bewusstseins für die Umweltauswirkungen von Finanzprodukten wie z.B. Immobilienfonds. Gleichzeitig soll ein Flickenteppich aus verschiedenen nationalen Kennzeichnungssystemen vermieden werden. Damit schafft die EU Anreize für Anleger, grenzüberschreitend zu investieren.
Mit der Taxonomie-VO sollen auch Verbraucher- und Anlegerinteressen geschützt werden, indem ein besseres und für die EU einheitliches Verständnis von als „ökologisch nachhaltig“ zu bezeichnenden Wirtschaftstätigkeiten hergestellt wird.
Die Taxonomie-VO stellt die konkrete Umsetzung des Faktors „E“ für Ecological in Aussicht. Die im Detail komplexen Kriterien für ökologisch nachhaltige Wirtschaftstätigkeiten sind in Artikel 3 der Taxonomie-VO aufgeführt. Demnach ist eine Wirtschaftstätigkeit nur dann ökologisch nachhaltig, wenn sie alle Kriterien erfüllt.
Als erste Voraussetzung muss die Wirtschaftstätigkeit einen wesentlichen Beitrag zur Verwirklichung mindestens eines der Umweltziele leisten. Die zweite Voraussetzung ist, dass die Wirtschaftstätigkeit zu keiner erheblichen Beeinträchtigung der anderen Umweltziele führt, sog. „Do No Significant Harm“ Regel (vgl. Art. 17 der Taxonomie-VO). Drittens muss nach Art. 18 der Taxonomie-VO ein Mindestschutz bezüglich sozialer Standards eingehalten werden, insbesondere die OECD Leitsätze für multinationale Unternehmen und die Leitprinzipien der UN für Wirtschaft und Menschenrechte. Schließlich muss, viertens, die Wirtschaftstätigkeit den technischen Bewertungskriterien der delegierten Rechtsakte, d.h. der Folge- und Umsetzungsverordnungen der EU-Kommission, entsprechen.
Der Bau- und Immobiliensektor ist einer der relevanten Sektoren der Taxonomie-VO und des im Entwurf befindlichen delegierten Rechtsakts (Ref. Ares(2020)6979284 – 20/11/2020). Insbesondere werden sogenannte „Technische Bewertungskriterien“ („technical screening criteria“) festgelegt, die im Immobilienbereich den Bau und die Renovierung von Gebäuden betreffen. Die neuen Vorgaben sollen gemäß dem Entwurf ab dem 1. Januar 2022 Anwendung finden.
Grundlage dieser Vorgaben sind unter anderem die Sachverständigenausführungen der EU Technical Expert Group („TEG“). Die TEG hat im Juni 2019 ihre Ergebnisse zu den einzelnen Kriterien und deren Umsetzung in einem Bericht über 414 Seiten ausgeführt und dabei insbesondere die Sektoren in Vordergrund gerückt, die für 93,5 % aller direkten Treibhausgasemissionen der EU verantwortlich sind. Innerhalb der EU sind Immobilien der Sektor mit dem größten Energieverbrauch, hierauf entfallen rund 36 % der Kohlenstoffemissionen. Hiervon werden wiederum zwei Drittel von Wohngebäuden verursacht.
Ob Ihr Projekt, Ihr Leistungsangebot oder Ihre Immobilie ESG-compliant ist, bemisst sich neben der Taxonomie-VO an den im Entwurf befindlichen delegierten Rechtsakten: Zu den einzelnen Kriterien gibt es schon jetzt eine Fülle von weiterführenden Richtlinien, Gutachten und Stellungnahmen. Daher kann dieser Beitrag eine rechtliche Beurteilung Ihrer Prozesse und Kriterien in Bezug auf Ihre konkrete Immobilie nicht ersetzen und stellt lediglich einen ersten unverbindlichen Überblick dar.
Bitte wenden Sie sich daher mit Fragen gern an unsere ExpertInnen.
17. December 2020
Teil II
30. December 2020
10. January 2021
Newsflash zur Pressemitteilung vom 21. Juni 2022 zu den CSRD Berichtspflichten
von Johannes Callet, Lic. en Droit und Dr. Anja Fenge, LL.M.