Der "Defence Readiness Omnibus" ist ein umfassendes Maßnahmenpaket, das auf das "Weißbuch zur europäischen Verteidigung - Bereitschaft 2030" folgt und die Verteidigungsfähigkeit der EU-Mitgliedstaaten stärken soll. Hintergrund sind der Russland-Ukraine-Konflikt und die erheblich gestiegene Bedrohungslage in Europa. Der benötigte „Aufwuchs“ von Rüstungsgütern in bestimmten Bereichen soll sichergestellt und die europäische Verteidigungsindustrie gestärkt werden.
Im März 2025 hatte die Kommission bereits das „Weißbuch zur europäischen Verteidigung – Bereitschaft 2030“ vorgelegt. Im Rahmen des SAFE-Programms stellt die EU den Mitgliedsstaaten langfristige und zinsgünstige Darlehen in Höhe von bis zu EUR 150 Mrd. für die Beschaffung bestimmter dringend benötigter Verteidigungsgüter (wie Munition und Flugkörper; Artilleriesysteme) bereit (vgl. dazu https://www.taylorwessing.com/de/insights-and-events/insights/2025/06/safe-verordnung-2025). Als Umsetzungsinstrument des Weißbuchs folgt nun der sogenannte „Defence Readiness Omnibus“. Der Omnibus bündelt sechs Rechtsakte und Instrumente in einem einzigen Vorschlag, um Beschaffung, Genehmigung, Wettbewerb und Finanzierung im Verteidigungssektor zu optimieren.
Die bisherigen Regelungen, insbesondere die sog. Verteidigungsvergaberichtlinie werden den aktuellen Herausforderungen nicht mehr gerecht. Die geplanten Änderungen stellen keine vollständige Neufassung, sondern eine gezielte Modernisierung des Rechtsrahmens dar, die sich auf mehrere Bereiche, unter anderem das Vergabe- (1.), EU-Beihilfe- (2.) und Außenwirtschaftsrecht (3.) erstreckt.
1. Vergaberecht
Der wichtigste Teil des Omnibus-Pakets betrifft die sog. Verteidigungsvergaberichtlinie 2009/81/EG. Ziel der in 2009 eingeführten Verteidigungsvergaberichtlinie ist es, möglichst viele Rüstungsgüter im Wettbewerb zu beschaffen. Durch die geplanten Anpassungen soll die Vergabe öffentlicher Aufträge flexibler, effizienter und innovationsfreundlicher werden.
- Schwellenwerte: Zur Reduzierung des bürokratischen Aufwands wird der Wert für Liefer- und Dienstleistungsaufträge von EUR 443.000 auf EUR 900.000 angehoben, während der Schwellenwert für Bauaufträge zukünftig bei 7 Millionen Euro (bisher EUR 5.538.000) liegen soll.
- Verfahrensarten: Die Palette der zulässigen Verfahrensarten wird erweitert. Künftig besteht für Auftraggeber bei marktüblichen Leistungen die Möglichkeit zusätzlich auch das offene Verfahren, das dynamische Beschaffungssystem (DBS) nach § 120 Abs. 1 GWB analog oder auch die Innovativpartnerschaft nach § 119 Abs. 7 GWB analog zu wählen. Die Verteidigungsvergabeverordnung (VSVgV) in Deutschland sah bisher als Regelverfahren lediglich das nicht-offene Verfahren und das Verhandlungsverfahren vor. Dabei handelt es sich um zweistufige Verfahren (Teilnahmewettbewerb, anschließend Angebotsphase). Bei marktüblichen Leistungen soll mit der Beschaffung im offenen Verfahren (einstufig) eine Beschleunigung und Reduzierung des Aufwands erreicht werden. Die Bedeutung der nun ebenfalls möglichen Innovationspartnerschaft dürfte – wie auch im zivilen Bereich – überschaubar bleiben.
- Die Mindestzahl, der in einem nichtoffenen Verfahren zu beteiligenden Unternehmen wird im Sinne eines größeren Wettbewerbs von drei auf fünf erhöht.
- Zur Förderung von Kooperation zwischen den Mitgliedsstaaten wird eine befristete Ausnahmeregelung eingeführt, die es ermöglicht, gemeinsame Beschaffungen identischer und marktverfügbarer Verteidigungsgüter durch mindestens drei Mitgliedstaaten im Wege eines Verhandlungsverfahrens ohne vorherige Bekanntmachung, d.h. einer „Direktvergabe“ ohne wettbewerbliches Vergabeverfahren abzuwickeln. Die Stärkung der länderübergreifenden Beschaffungskooperation ist zu begrüßen. Außerhalb von sog. OCCAR-Beschaffungen funktioniert die gemeinsame Rüstungsbeschaffung bislang nur mäßig. Das zeigen die aktuellen Schwierigkeiten bei der deutsch-französisch-spanischen Zusammenarbeit im größten europäischen Rüstungsprojekt, dem Future Combat Air System (FCAS).
- Ferner soll die Höchstlaufzeit von Rahmenvereinbarungen von sieben auf zehn Jahre ausgeweitet werden.
- Im Bereich der Vertragsänderungen ist eine Regelung (Art. 49a des Entwurfs) vorgesehen, die weitgehend dem geltenden § 132 GWB entspricht.
2. EU-Beihilferecht:
Die Europäische Kommission plädiert für eine sicherheits- und verteidigungssensible Anwendung des beihilferechtlichen Regelungsrahmen. Grundsätzliche Anpassungen im Bereich des Beihilferechts gibt es allerdings nicht. Vielmehr zeigt die EU-Kommission die bereits bestehende Ausnahmen und Gestaltungsmöglichkeiten auf, die bereits heute möglich. Von zentraler Bedeutung ist dabei die zentrale Verteidigungsausnahme nach Art. 346 Abs. 1 b) AEUV. Demnach kann jeder EU-Mitgliedsstaat im militärischen Bereich jeder Mitgliedstaat kann die Maßnahmen ergreifen, die seines Erachtens für die Wahrung seiner wesentlichen Sicherheitsinteressen erforderlich sind. Die Ausnahmeregelung des Art. 346 AEUV wird auch für größere Beschaffungsprojekte wie z.B. Überwasserschiffe in Anspruch genommen. Auch Projekte aus dem Verteidigungssektor, die nicht Art. 346 AEUV unterfallen, will die Kommission priorisiert prüfen und mit Augenmaß handhaben.
Die Kommission möchte zudem die Nutzung des European Defence Fund („EDF“) vereinfachen und beschleunigen. Zudem sollen Förderprogramme wie der InvestEU Fund, „Accelerator, STEP and Scaleup Europe Fund“ noch weiter oder gänzlich für die Förderuung von dual-use- und Verteidigungstechnologien geöffnet werden.
3. Außenwirtschaftsrecht
- Die Verfahren für die „Verbringung“ also den Transport von Verteidigungsgütern innerhalb der EU sollen vereinfacht und somit deutlich schneller und weniger bürokratisch werden.
- Künftig sollen Mitgliedsstaaten von einer Genehmigungspflicht abgesehen können bei (i) Verbringungen zur Durchführung von EU-Verteidigungsprogrammen (wie z. B. des EDF), (ii) Verbringungen im Rahmen strukturierter grenzüberschreitender Industriepartnerschaften und (iii) Verbringungen an Organe und Einrichtungen der EU oder die Europäische Verteidigungsagentur.
- Selbiges soll für Verbringungen im Krisenfall oder im Rahmen militärischer Unterstützung gelten.
- Es ist geplant, eine neue Allgemeingenehmigung einzuführen, die alle Verbringungen (materiell und immateriell) von Verteidigungsgütern abdeckt, die im Rahmen von EU-finanzierten Projekten anfallen. Grundsätzlich soll die Nutzung von Allgemeingenehmigungen auf zertifizierte Lieferanten ausgeweitet werden.
- Grundsätzlich sollen die Nutzung von Allgemein- und Einzelgenehmigungen nicht durch sachfremde Erwägungen beschränkt werden. Vielmehr sollen die Mitgliedsstaaten sicherstellen, dass nur für die Einhaltung der Rechtvorschriften im Bereich Verteidigung und Ausfuhrkontrolle relevante Anforderungen für die Nutzung der Genehmigungen zu beachten sind.
- Zudem sollen Meldepflichten für Technologietransfers und die Vorlagepflichten im Bereich End-User-Certificates vereinfacht werden.
- Die Kommission erhält die Befugnis, durch delegierte Rechtsakte den Mindestinhalt der nationalen allgemeinen Genehmigungen festzulegen. Dies soll zu mehr Harmonisierung und Rechtssicherheit führen, indem die Anforderungen auf Kriterien reduziert werden, die für die Einhaltung der Exportkontrolle unerlässlich sind.
- Zusammenfassend zielen die Maßnahmen darauf ab, die Lieferketten für Verteidigungsgüter innerhalb der EU effizienter zu gestalten, um die Verteidigungsfähigkeit der Mitgliedstaaten zu stärken und die Abhängigkeit von Dritten zu verringern.
Insgesamt zeigt die EU-Kommission mit dem Defence Omnibus die bereits bestehenden Möglichkeiten des Unionsrechtsrahmens auf und erweitert diese punktuell. Die Regelungen sind nicht der von vielen Stakeholdern ersehnte „Große Wurf“ schaffen aber zumindest punktuelle Erleichterungen und Flexibilisierungen. Der deutsche Gesetzgeber hat mit dem Bundeswehr-Planungs- und -Beschaffungsbeschleunigungsgesetz (BwPBBG) bereits Erleichterungen im nationalen Recht vorgenommen (sehen Sie dazu unser Insight: beschleunigte-bundeswehrbeschaffung)