17. September 2024
Die Bundesregierung arbeitet unter der Federführung des Bundesministeriums für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) an einer neuen Strategie zur Stärkung der nationalen Sicherheits- und Verteidigungsindustrie. Mit der Nationalen Sicherheits- und Verteidigungsindustriestrategie stellt die Bundesregierung ihre strategischen Ziele für die deutsche Sicherheits- und Verteidigungsindustrie (SVI) vor und will dem Auseinanderklaffen von Industriekapazitäten und den Bedarfen in der Verteidigung entgegenwirken. Sie ersetzt das Strategiepapier der Bundesregierung zur Stärkung der Sicherheits- und Verteidigungsindustrie aus dem Jahr 2020. Der veröffentlichte Entwurf könnte noch im September dieses Jahres im Kabinett verabschiedet werden.
Eine Leistungsfähige SVI muss in den Augen der Bundesregierung „dynamisch und skalierfähig, responsiv und resilient, wettbewerbsfähig sowie innovativ und adaptiv sein“. Dafür will sie die erforderlichen politischen, regulatorischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Voraussetzungen schaffen.
Die Bedrohungen im sicherheitspolitischen Umfeld führen zu einem rasant steigenden Bedarf an militärischen Gütern, Dienstleistungen und Innovationen – und fordern damit im Kern einen schnellen Zulauf von Waffensystemen. Um den Bedarf durch den Aufbau von Kompetenzen und Kapazitäten decken zu können, bedarf es unternehmerischer Planbarkeit, zuverlässiger Budgets und garantierter Abnahmesicherheiten auf Seiten des Staates und Liefertreue in Qualität und Quantität seitens der Unternehmen. Ebenso bedarf es eines verbesserten Zugangs zu Krediten und kapitalmarktbasierter Finanzierungen, was sich aufgrund von Selbstverpflichtungen von Finanzinstituten häufig schwierig gestaltet. Es gilt die Signalwirkung von ESG-Kriterien auf den Zugang der SVI zum Finanzmarkt und die Anforderungen der Zeitenwende in Einklang zu bringen. Auch der Fachkräftemangel macht der SVI zu schaffen. Die geopolitischen Veränderungen machen eine Diversifizierung der Rohstoff-Lieferketten zum Gebot der Stunde.
Insbesondere kleine und mittlere Unternehmen sowie Startups haben es aufgrund von nationalen und europäischen Vorgaben und Regularien im Bürokratiedschungel schwer. Die hohen Anforderungen erschweren den Zugang zu staatlichen Beschaffungsverfahren und Finanzierungsmöglichkeiten. Das Fehlen von angemessenen Ausnahme- und Erleichterungstatbeständen verzögert den Auf- und Ausbau von Produktionskapazitäten. Dies sind Umstände, die es dringend zu ändern gilt.
Darüber hinaus unterbindet die oftmals strikte Trennung von anwendungsorientierter ziviler und militärischer Forschung sogenannte Spill-over-Effekte.
Das Papier definiert Schlüsseltechnologien als elementare Kernfähigkeiten, die national vorzuhalten sind. Eine Abhängigkeit von ausländischen Anbietern sei zu vermeiden. Zu den Technologiefeldern zählen
Darüber hinaus läge die nationale Verfügbarkeit bei Quantentechnologien, Flugkörpern und Flugabwehrkörpern, Raumfahrttechnologien, Munition und unbemannten Systemen in Teilen, aus Gründen des Erhalts der Versorgungssicherheit, im wesentlichen nationalen Sicherheitsinteresse. Die Industrie ist angehalten in Zukunftstechnologien bzw. in Partnerschaften mit Start-ups zu investieren.
In seiner Rolle als Beschaffer will der Bund Maßnahmen für eine resilientere und diversifiziertere Lieferkette ergreifen. Ebenso will er dynamischere Planungs-, Haushalts- und Beschaffungsprozesse etablieren und die SIV besser in die Planungen zu Beschaffungen der Bundeswehr und der BOS einbeziehen. Der Bund zielt außerdem auf eine stärkere europäische Bündelung der Nachfrage ab. Für großen Zuspruch in der Industrie dürfte die Idee, Vorausbestellungen mit einer Dekade Vorlaufzeit zu ermöglichen, sorgen. Auch die Möglichkeit der Vergütung der Leerlaufkosten oder Kapazitätsvorhalteprämien soll die Planbarkeit auf Seiten der SVI erhöhen. Weiterhin sollen feste Abnahmemengen ermöglicht werden.
Im Bereich der Regulierung und gesetzlichen Rahmenbedingungen prüft die Bundesregierung einen Abbau von planungs- und genehmigungsrechtlichen sowie bürokratischen Auflagen zur Förderung des Auf- und Ausbaus von Kapazitäten. Auch soll die SVI im Rahmen der Vergaberechtsnovelle umfassend berücksichtigt werden. Zur Stärkung der Wettbewerbssituation der Industrie wird ebenfalls eine weitere Novellierung des Kriegswaffenrechts in Erwägung gezogen. Ebenso stechen die Bestrebungen sogenannte „government-to-government-Geschäfte“ zu ermöglichen und ein eigenständiges Investitionsprüfungsgesetz zu verabschieden hervor. Die Bundesregierung verfolgt das Ziel, weitere europäische Partner für das Übereinkommen über Ausfuhrkontrollen im Rüstungsbereich zu gewinnen und strebt dauerhaft verbindliche zwischenstaatliche Regelungen für den Export von Verteidigungsgütern aus europäischen Rüstungskooperationsprojekten an. Darüber hinaus wird an der Beschleunigung der Verfahren und Optimierung der Genehmigungsprozesse im Bereich der Exportkontrolle gearbeitet. Zudem setzt sich die Bundesregierung für die Weiterentwicklung des EU-Regelwerks zur Rüstungsexportkontrolle mit dem langfristigen Ziel ein, eine EU-Rüstungsexportverordnung zu etablieren.
Die Nationale Sicherheits- und Verteidigungsindustriestrategie zielt auch darauf ab die finanziellen Rahmenbedingungen zu verbessern. So werden Vorauszahlen, die Befähigung des deutschen Förderbankensystems zur Finanzierung der SIV ebenso wie die Aufstockung des Zukunftsfonds für rüstungsgüterproduzierende Start-ups in Aussicht gestellt. Außerdem könnten die Instrumente zur Wirtschaftsförderung auf die SVI ausgeweitet werden. Im Sinne einer Schaffung vergleichbarer Wettbewerbsbedingungen prüft der Bund die Nutzung von Exportgarantien über maritime Güter hinaus. Auf offene Ohren wird die Bundesregierung derweil mit der Aussage stoßen, dass Unternehmen der SVI aufgrund ihres Beitrags zur Sicherung von Frieden und Freiheit grundsätzlich kompatibel mit ESG-Kriterien sind. Für eine positive Resonanz in der Industrie dürfte ebenso das Bestreben sorgen, sich „ausnahmsweise in besonderen strategischen Fällen unter den Voraussetzungen des § 65 BHO an Unternehmen der SVI zu beteiligen.“ Bereits in der Vergangenheit hat sich der Bund an Unternehmen beteiligt, wie an dem Radarhersteller Hensoldt, begleitet von Taylor Wessing.
Des Weiteren entwickelt die Bundesregierung Maßnahmen, die Fachkräftebasis zu sichern. Das betrifft insbesondere die Aus- und Weiterbildung, die Nutzung von Arbeitspotenzialen, die Arbeitskultur und die Einwanderungspolitik. So will man dafür sorgen, dass weitere Verzögerungen bei der Sicherheitsüberprüfung von Personal vermieden werden.
Im Sinne des Erhalts und der Förderung von nationalen sicherheits- und verteidigungsindustriellen Schlüsseltechnologien, hat der Bund bereits die Instrumente der Bundesagentur für Sprunginnovationen für Start-ups und innovative Unternehmen im Bereich SVI für Dual-Use-Anwendungen geöffnet. Zudem plant er Investitionen in Innovationen in der Cybersicherheit. Auf Basis der Raumfahrtstrategie sollen die Entwicklungen von Raumfahrttechnologien und der Aufbau sowie Betrieb von Raumfahrtinfrastrukturen und -diensten hinsichtlich Dual-Use-Anwendungen auf nationaler und europäischer Ebene weiter erhöht werden. Zudem zielt der Bund darauf ab ausländische Direktinvestitionen erforderlichenfalls zu unterbinden und damit einem möglichen Know-How-Abfluss vorzubeugen. Nicht zuletzt soll das Digitale Geschäftsfeld, insbesondere „Software Defined Defence“ gemeinsam mit der Industrie weiter etabliert werden.
In dem Entwurf haben ausgewählte Punkte den Vermerk „Leitungsbilligung BMF noch ausstehend“. Es bleibt also abzuwarten, wie die verabschiedete Fassung der Nationalen Sicherheits- und Verteidigungsindustriestrategie aussieht. Viele Punkte will die Bundesregierung zunächst nur „prüfen“, so auch erleichterte Genehmigungsverfahren beim Bau neuer Produktionsstätten, Kapazitätsvorhalteprämien, Vereinfachung von Vergabeverfahren und mehr. Welche Maßnahmen letztendlich umgesetzt werden, ist aktuell noch nicht in Gänze abzusehen. Kritisch ist sicherlich anzumerken, dass der Entwurf bisher nicht mit den beteiligten Unternehmen und Verbänden abgestimmt wurde. So fehlen laut des Industrieverbands BDI zentrale Instrumente wie Exporterleichterungen, Lockerungen der ESG-Kriterien, zur Sicherstellung der Finanzierung, und Kompensationsgeschäfte mit dem Ausland. Dennoch ist es sehr zu begrüßen, dass der Bund die deutsche Sicherheits- und Verteidigungsindustrie stärken will. Der Entwurf des Strategiepapiers beinhaltet viele positive Aussichten für die Industrie. So will die Nationale Sicherheits- und Verteidigungsindustriestrategie neben der Planbarkeit für Unternehmen, die Verzahnung ziviler und militärischer Entwicklungen, europäische Kooperationen, Resilienz und Innovationen sowie den Bürokratieabbau fördern.
Zwei Jahre nach der Verabschiedung will die Bundesregierung überprüfen, ob die mit der Nationalen Sicherheits- und Verteidigungsindustriestrategie angestrebten Ziele tatsächlich erreicht wurden.
Am Ende des Tages ist aus der täglichen Beratungspraxis zu konstatieren, dass es sowohl für die Systemhäuser (OEM) als auch sämtliche Zulieferstufen an hinreichender Sicherheit fehlt, die es ermöglicht, klare und rechtssichere vertragliche Gestaltungen aufzusetzen, die sicherstellen, dass es einen zeit- und qualitätsgerechten Zulauf geben wird. Insbesondere die zeitliche Frage der vertraglichen Abbildung in der gesamten Wertschöpfungskette steht vor großen Herausforderungen – denn erst wenn das Bekenntnis zur Beschaffung seitens des Bundes steht, sind mannigfaltige Abstimmungen und Verhandlungen in der gesamten Zulieferkette erforderlich, um die Realisierung solcher Beschaffungsprojekte sicherzustellen. Hier liegt die große Herausforderung, rechtssicher und wirtschaftlich für alle Markbeteiligten ausgewogene und beschaffungszielsichernde Verträge in kürzester Zeit zu verhandeln und abzuschließen. Der Trend zur verstärkten Direktbeauftragung von Unternehmen unter Inanspruchnahme der Ausnahmevorschrift des Art. 346 AEUV (wesentliche Sicherheitsinteressen) dürfte sich fortsetzen. Die Rechtsprechung hat unlängst anerkannt, dass die Bewahrung wehrtechnischer Kernfähigkeit im Inland grundsätzlich ein von Art. 346 I Buchst. b AEUV gedecktes Sicherheitsinteresse darstellen kann, wobei jeweils der Zusammenhang zu dem konkreten Beschaffungsvorhaben dargelegt werden muss (OLG Düsseldorf, Beschl. v. 1.12.2023 – VII-Verg 22/23).
Die Begleitung solcher Verhandlungsprozesse erfordert eine industrie- und wirtschaftsorientierte Beratung, die stets das rüstungspolitische Ziel nicht aus den Augen verliert, gleichsam aber auf jeder Ebene der Beteiligung der Wirtschaftsakteure die diesbezüglichen Interessen in Einklang bringt.
von Timo Stellpflug
von Timo Stellpflug
von Timo Stellpflug