Mit Urteil vom 17. Juli 2025 hat der Bundesgerichtshof (BGH) sein Urteil in Sachen „Rx-Boni“ verkündet. Streitig war, ob die Werbung mit und die Gewährung von Boni auf verschreibungspflichte Arzneimittel (Rx-Arzneimittel) einen wettbewerbswidrigen Verstoß gegen die deutschen Arzneimittelpreisvorschriften darstellten. Insbesondere war streitig, ob die Arzneimittelpreisvorschriften für die im EU-Ausland ansässige beklagte Versandapotheke überhaupt beachtlich sind. Dies hat der BGH in seiner Entscheidung verneint und dies mit einem Verstoß der deutschen Arzneimittelpreisvorschriften gegen die Warenverkehrsfreiheit (Art. 34 AEUV) begründet. Im Unterschied zu seiner Vorinstanz sah der BGH den Verstoß gegen die Warenverkehrsfreiheit auch nicht als nach Art. 36 AEUV gerechtfertigt an und gelangte deshalb zu dem Ergebnis, dass die deutschen Arzneimittelpreisvorschriften für die im EU-Ausland ansässige beklagte Versandapotheke nicht beachtlich seien. Der der Entscheidung des BGH zugrundeliegende § 78 Abs. 1 S. 4 AMG (a. F.) wurde zwischenzeitlich zwar durch den deutschen Gesetzgeber aufgehoben, in § 129 Abs. 3 S. 2 und 3 SGB V findet sich jedoch eine Neuregelung vergleichbaren Inhalts, so dass sich die Frage aufdrängt, ob insoweit vergleichbare Maßstäbe gelten.
Sachverhalt
Die Beklagte, eine in den Niederlanden ansässige Versandapotheke, gab verschreibungspflichtige Arzneimittel an in Deutschland ansässige Patienten ab. Dabei warb die Beklagte zum einen damit, dass die Patienten bei Einlösung eines Rezepts einen Bonus in Höhe von 3,00 Euro pro Arzneimittel erhalten würden (bis zu einer Gesamthöhe von 9,00 Euro pro Rezept). Zum anderen warb sie damit, dass die Patienten bei Einlösung eines Rezepts eine Prämie in Höhe von bis zu 9,00 Euro erhalten würden, wenn sie einen „Arzneimittel-Check“, also eine Prüfung von Unverträglichkeiten und Wechselwirkungen, durchführen. In beiden Fällen wurde der Rechnungsbetrag mit dem sogenannten „Rx-Bonus“ verrechnet. Diese Vorgehensweise erachtete der Kläger, ein Apothekerverband, als unzulässig und erhob Klage gegen die mit den Rx-Boni werbende Versandapotheke.
Dem Urteil des BGH vorausgegangen waren Urteile des Landgerichts München I vom 13. März 2014 (Az. 11 HK O 12091/13) sowie des Oberlandesgerichts München (OLG München) vom 7. März 2024 (Az. 6 U 1509/14), die der Klage des Apothekerverbandes jeweils gefolgt waren (wir berichteten bereits). Unabhängig von diesen beiden Verfahren war in anderer Sache am 19. Oktober 2016 eine Vorabentscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH) zu der Frage der grundsätzlichen Anwendbarkeit nationaler Preisvorschriften auf in der Europäischen Union ansässige Versandapotheken ergangen (EuGH, GRUR 2016, 1312 – Deutsche Parkinson Vereinigung). Der EuGH stellte dabei fest, dass nationale Preisbindungsvorschriften für verschreibungspflichtige Arzneimittel unter gewissen Voraussetzungen gegen die Warenverkehrsfreiheit der Art. 34, 36 AEUV verstoßen können. Trotz dieser Entscheidung verneinte das OLG München jedoch die Unionsrechtswidrigkeit der deutschen Preisvorschriften und begründete dies damit, dass in dem von dem EuGH zu entscheidenden Verfahren „Deutsche Parkinson Vereinigung“ nicht hinreichend substantiiert zu den Rechtfertigungsvoraussetzungen des Art. 36 AEUV vorgetragen worden sei. Dies unterscheide das Verfahren des EuGH von dem von dem OLG München selbst zu entscheidenden Verfahren, da in diesem Verfahren hinreichend substantiierter Vortrag zu einer Rechtfertigung erfolgt sei.
Entscheidung des BGH
In seiner Entscheidung stellte der BGH nun (zunächst noch in Übereinstimmung mit seiner Vorinstanz, dem OLG München) klar, dass die von der beklagten Versandapotheke gewährten Rx-Boni als unmittelbarer Preisnachlass auf den Apothekenabgabepreis grundsätzlich gegen deutsches Arzneimittelpreisrecht verstießen, namentlich gegen den im streitgegenständlichen Zeitraum maßgeblichen § 78 Abs. 1 S. 4 AMG (a. F.). Im Unterschied zu der Auffassung des OLG München sah der BGH darin jedoch kein wettbewerbswidriges Verhalten. Dies begründete der BGH damit, dass die deutschen Vorschriften zur Arzneimittelpreisbindung wegen eines Verstoßes gegen die Warenverkehrsfreiheit (Art. 34 AEUV) unionsrechtswidrig und daher gegenüber der in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union ansässigen Beklagten nicht anwendbar seien. Die Arzneimittelpreisbindung stelle eine Maßnahme mit gleicher Wirkung wie eine mengenmäßige Einfuhrbeschränkung im Sinne des Art. 34 AEUV dar, die allenfalls durch den Schutz der Gesundheit und des Lebens von Menschen nach Art. 36 AEUV gerechtfertigt werden könne. Im Unterschied zu der Auffassung des OLG München verneinte der BGH einen solchen Rechtfertigungsgrund nach Art. 36 AEUV mit der Begründung, dieser sei nicht substantiiert dargelegt worden. Nach Auffassung des BGH sei es dem klagenden Apothekerverband nicht gelungen, hinreichend substantiiert vorzutragen, dass ohne die Arzneimittelpreisbindung die Aufrechterhaltung einer sicheren und flächendeckenden Arzneimittelversorgung und deshalb die Gesundheit der Bevölkerung gefährdet sei. Hierzu hätten empirische Daten zu den Auswirkungen einheitlicher Apothekenabgabepreise auf die flächendeckende, sichere und qualitativ hochwertige Arzneimittelversorgung der Bevölkerung erhoben werden müssen, was die Klägerin jedoch unterlassen und folglich hierzu auch nicht hinreichend substantiiert vorgetragen hatte. Die von der Klägerin zur Darlegung der Rechtfertigungsvoraussetzungen des Art. 36 AEUV vorgelegten Gutachten bezogen sich zudem teilweise nicht einmal auf den streitgegenständlichen Zeitraum und seien somit ebenfalls nicht geeignet, den Vortrag der Klägerin zu untermauern.
Im Ergebnis verneinte der BGH deshalb eine Rechtfertigung nach Art. 36 AEUV, so dass die streitgegenständlichen Arzneimittelpreisvorschriften in Übereinstimmung mit dem Urteil des EuGH in Sachen „Deutsche Parkinson Vereinigung“ nicht mit der Warenverkehrsfreiheit des Art. 34 AEUV zu vereinbaren sind. Diese mussten von der beklagten Versandhandelsapotheke folglich nicht beachtet werden, so dass die gewährten Rx-Boni auch keinen Wettbewerbsverstoß darstellten.
Fazit
Mit seiner jüngsten Entscheidung schafft der BGH etwas mehr Klarheit für grenzüberschreitend tätige Versandapotheken. Obwohl sich das Urteil auf den zwischenzeitlich aufgehobenen § 78 Abs. 1 S. 4 AMG (a. F.) bezieht, ist die Feststellung des BGH zu beachten, dass Beschränkungen des freien Warenverkehrs, die sich aus dem deutschen Arzneimittelpreisrecht ergeben, ohne tragfähige Gründe nicht ohne weiteres zu rechtfertigen sind. Dabei betont der BGH ausdrücklich, dass an die Substantiierungserfordernisse im Rahmen des Vortrags von Rechtfertigungsgründen gemäß Art. 36 AEUV strenge Anforderungen zu stellen sind und stärkt hierdurch die Rechtsposition von grenzüberschreitend tätigen Versandapotheken. Es ist allerdings zu beachten, dass das Zuwendungsverbot des § 7 HWG grundsätzlich weiterhin Anwendung findet (vgl. BGH, Urteil vom 18. November 2021, Az. I ZR 214/18 – Gewinnspielwerbung II). Lediglich bei Preisnachlässen auf verschreibungspflichtige Arzneimittel lässt sich argumentieren, dass diese aufgrund der Unionsrechtswidrigkeit der deutschen Arzneimittelpreisbindung wie bei nicht verschreibungspflichtigen Arzneimitteln zulässig sind. Im Übrigen gilt § 7 HWG uneingeschränkt, insbesondere bei Geschenken oder anderen geldwerten Zuwendungen an Verbraucher, die keine Preisnachlässe sind.
Nicht ausgeschlossen werden kann auch, dass der BGH in zukünftigen Verfahren mit vergleichbaren Sachverhalten eine Rechtfertigung annehmen könnte. In der Vergangenheit hatte er selbst betont, dass die Beurteilung des EuGH in der Entscheidung „Deutsche Parkinson Vereinigung“ maßgeblich auf ungenügenden Tatsachenfeststellungen des vorlegenden Gerichts beruhte (vgl. BGH, Urteil vom 18. November 2021, Az. I ZR 214/18 – Gewinnspielwerbung II). Nach Auffassung des BGH kann daher nicht ausgeschlossen werden, dass in anderen Verfahren, in denen die Frage der Vereinbarkeit des deutschen Arzneimittelpreisrechts mit dem Primärrecht der Europäischen Union in Streit steht, diese Feststellungen nachgeholt werden. Dafür müssen die Parteien nach Auffassung des BGH zur Geeignetheit der deutschen Regelung der arzneimittelrechtlichen Preisbindung für eine flächendeckende und gleichmäßige Arzneimittelversorgung vortragen, die einen Verstoß gegen die Warenverkehrsfreiheit rechtfertigen kann (vgl. BGH, GRUR 2020, 550 Rn. 20 – Sofort-Bonus II).
Schließlich bleibt abzuwarten, wie sich die Rechtsprechung mit Blick auf § 129 Abs. 3 S. 2 und 3 SGB V entwickelt. § 129 Abs. 3 S. 3 SGB V ordnet die Verbindlichkeit deutscher Preisspannen nach der AMPreisV für rahmenvertragsgebundene Apotheken an. Nach § 129 Abs. 3 S. 2 SGB V dürfen Apotheken verordnete Arzneimittel an Versicherte als Sachleistungen jedoch nur abgeben und können diese nur unmittelbar mit den Krankenkassen abrechnen, wenn der Rahmenvertrag für sie Rechtswirkung hat. Daraus folgt eine auf die GKV beschränkte Preisbindung auch von Apotheken mit Sitz in andere EU-Mitgliedstaaten. Ob diese GKV-spezifische Preisbindung – im Unterschied zu der bisher allgemein gültigen Regelung des § 78 Abs. 1 S. 4 AMG a.F. – durch das Sachleistungs- und Solidarprinzip der GKV unionsrechtlich gerechtfertigt werden kann (vgl. die betreffende Gesetzesbegründung, BT-Drs. Drucksache 19/21732, S. 20 ff.), bleibt abzuwarten. Ausdrücklich offen gelassen hat der BGH dies in seiner aktuellen „Rx-Boni“-Entscheidung.