Vor dem Bundesgerichtshof (BGH) wurde am 7. Mai 2025 über die Zulässigkeit der sogenannten „Rx-Boni“ verhandelt. Im Einzelnen war streitig, ob die Werbung mit und die Gewährung von Boni auf verschreibungspflichte Arzneimittel (Rx-Arzneimittel) gegen die deutschen Arzneimittelpreisvorschriften verstoßen und ob diese für die im EU-Ausland ansässigen Versandapotheken überhaupt beachtlich sind.
Dem Revisionsverfahren lag der folgende Sachverhalt zugrunde: Die Beklagte, eine in den Niederlanden ansässige Versandapotheke, gab verschreibungspflichtige Medikamente an in Deutschland ansässige Patienten ab. Dabei warb die Beklagte zum einen damit, dass die Patienten bei Einlösung eines Rezepts einen Bonus in Höhe von 3,00 Euro pro Arzneimittel erhalten würden, bis zu einer Gesamthöhe von 9,00 Euro pro Rezept. Zum anderen warb sie damit, dass die Patienten bei Einlösung eines Rezepts eine Prämie in Höhe von bis zu 9,00 Euro erhalten würden, wenn sie einen „Arzneimittel-Check“, also eine Prüfung von Unverträglichkeiten und Wechselwirkungen, absolvieren. In beiden Fällen wurde der Rechnungsbetrag mit dem Bonus verrechnet. Diese Vorgehensweise erachtete der Kläger, ein Apothekerverband, als unzulässig und erhob Klage gegen die mit den Rx-Boni werbende Versandapotheke.
Der Verhandlung vor dem BGH vorausgegangen waren Urteile des Landgerichts München I vom 13. März 2014 (Az.: 11 HK O 12091/13) sowie des Oberlandesgerichts München (OLG München) vom 7. März 2024 (Az. 6 U 1509/14), die der Klage jeweils stattgaben. Unabhängig von diesen beiden Verfahren erging in anderer Sache am 19. Oktober 2016 eine Vorabentscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH) zu der Frage der grundsätzlichen Anwendbarkeit nationaler Preisvorschriften auf in der Europäischen Union ansässige Versandapotheken (Az.: C-148/15 – Deutsche Parkinson Vereinigung). Der EuGH stellte dabei fest, dass nationale Preisbindungsvorschriften für verschreibungspflichtige Arzneimittel unter gewissen Voraussetzungen gegen die Warenverkehrsfreiheit der Art. 34, 36 AEUV verstoßen können.
Die Berufungsentscheidung des OLG München vom 7. März 2024 (Az.: 6 U 1509/14) soll vor dem Hintergrund der baldigen Entscheidung des Bundesgerichtshofs noch einmal rekapituliert werden. Das Gericht hat entschieden, dass sowohl der Bonus in Höhe von 3,- Euro pro Medikament bei Einlösung eines Rezepts als auch die Prämie für den Arzneimittelcheck einen Verstoß gegen die Arzneimittelpreisvorschriften der §§ 78 Abs. 1 S. 4 AMG a.F. und 129 Abs. 3 S. 3 SGB V darstellen würden. Dies begründete das Gericht damit, dass ein Verstoß gegen die Preisbindung sowohl dann vorläge, wenn ein preisgebundenes Arzneimittel zu einem Preis abgegeben werde, das den Arzneimittelpreisvorschriften nicht entspreche, als auch dann, wenn für das preisgebundene Arzneimittel zwar der korrekte Preis angesetzt sei, dem Kunden aber an den Erwerb gekoppelte Vorteile gewährt würden, durch die der Erwerb für ihn wirtschaftlich günstiger erschiene. Letzteres sei bei den Rx-Boni der Fall, so dass diese nicht mit den nationalen Arzneimittelpreisvorschriften vereinbar seien. Im Einzelnen führte das Gericht Folgendes aus:
- § 78 Abs. 1 S. 4 AMG a.F. stelle nach Auffassung des Gerichts zwar eine Maßnahme gleicher Wirkung im Sinne des Art. 34 AEUV dar, diese sei aber nach Art. 36 AEUV gerechtfertigt. So sei die Vorschrift geeignet zur Erreichung eines aus den Gesetzgebungsmaterialien ersichtlichen legitimen Zwecks, namentlich dem Gesundheitsschutz in Form einer flächendeckenden, sicheren und qualitativ hochwertigen Arzneimittelversorgung. Zu berücksichtigen sei dabei auch die dem nationalen Gesetzgeber in diesem Bereich zustehende, weitreichende Einschätzungsprärogative.
Im Hinblick auf die Entscheidung des EuGH aus dem Jahr 2016 sei zu beachten, dass § 78 Abs. 1 S. 1 AMG a.F. nur deshalb für unionsrechtswidrig erachtet wurde, weil im konkreten Verfahren kein hinreichend substantiierter Vortrag der Parteien zu der Rechtfertigung nach Art. 36 AEUV erfolgt sei. Daher folge aus der Entscheidung des Gerichtshofs keine grundsätzliche Bindungswirkung hinsichtlich der Unwirksamkeit der Arzneimittelpreisvorschriften. In dem von dem OLG zu entscheidenden Verfahren sei die für die Rechtfertigung nach Art. 36 AEUV erforderliche Substantiierung zur Überzeugung des Gerichts jedoch erfolgt, so dass die Maßnahme gleicher Wirkung im Sinne des Art. 34 AEUV nach Art. 36 AEUV gerechtfertigt sei.
- § 129 Abs. 3 S. 3 SGB V stelle nach Auffassung des Gerichts dagegen bereits keine Maßnahme gleicher Wirkung im Sinne des Art. 34 AEUV dar. Das Gericht begründete dies insbesondere damit, dass diese Vorschrift – im Gegensatz zu § 78 Abs. 1 S. 4 AMG a.F. – gerade nicht für den ganzen Markt, sondern ausschließlich für die Arzneimittelabgabe an gesetzlich Krankenversicherte gelte. Ferner führte das Gericht aus, dass mit der seit dem 1. Januar 2024 verpflichtenden Nutzung des E-Rezepts im Ausgangspunkt gleiche wettbewerbsrechtliche Rahmenbedingungen für den Vertrieb von verschreibungspflichtigen Arzneimitteln durch Versand- und Vor-Ort-Apotheken geschaffen worden wären. Selbst wenn man in § 129 Abs. 3 S. 3 SGB V eine Maßnahme gleicher Wirkung im Sinne des Art. 34 AEUV sehen wollen würde, sei diese jedenfalls auch nach Art. 36 AEUV gerechtfertigt. Das ergäbe sich aus den bereits mit Blick auf § 78 Abs. 1 S. 4 AMG a.F. genannten Gründen sowie zusätzlich aus dem für die gesetzliche Krankenversicherung geltenden Solidaritätsprinzip.
Ausblick
Die Entscheidung des BGH, deren Verkündung für den 17. Juli 2025 festgesetzt wurde, bleibt mit Spannung abzuwarten. Insbesondere von Interesse wird sein, ob der Bundesgerichtshof die Auffassung des OLG München teilen und die Unionsrechtskonformität des deutschen Arzneimittelpreisrechts bejahen wird, die der EuGH im Jahr 2016 – allerdings infolge nicht hinreichend substantiierten Vortrags zu der Rechtfertigung nach Art. 36 AEUV – noch verneint hatte.
Co-Autorin: Farina Simon