11. März 2024
Die Freie und Hansestadt Hamburg veröffentlichte am 22. Februar 2024 eine Pressemitteilung mit der Überschrift: „Hamburg übt erstmals Vorkaufsrecht bei Share Deal aus (…)“. Demnach sei die Stadt in einen Kaufvertrag über den Erwerb von Anteilen an einer Projektgesellschaft eingestiegen, also einen sogenannten Share Deal, und habe dafür ihr gemeindliches Vorkaufsrecht geltend gemacht. So ganz reibungslos scheint die Ausübung des Vorkaufsrechts nicht verlaufen zu sein, denn für die Abwicklung des Ankaufs mussten Käufer und Verkäufer erst noch eine Einigung erzielen, um eine gerichtliche Auseinandersetzung zu vermeiden. Obwohl es sich hier also in der Sache um einen Share Deal handelte, hat sich die Stadt Hamburg zunächst auf ihr Vorkaufsrecht gestützt.
Der Fall zeigt die zunehmende Bedeutung von Vorkaufsrechten bei Transaktionen, insbesondere in Ballungsräumen mit angespannten Immobilienmärkten. Die Diskussion um die Möglichkeit der Ausübung eines gemeindlichen Vorkaufsrechts im Falle des Share Deals ist nicht neu. Hamburgs Entscheidung, auf diesem Wege den Verkauf zu verhindern und das Grundstück selbst zu erwerben, lässt nun erkennen, dass die Stadt bereit ist, rechtliches Neuland zu betreten.
Das Vorgehen der Stadt dürfte für den gesamten Immobilienmarkt – auch in den übrigen deutschen Großstädten – von großem Interesse sein und die Diskussion um die Ausweitung des Vorkaufsrechts auf den Share Deal neu anstoßen.
Ein Vorkaufsrecht kann grundsätzlich nur ausgeübt werden, sobald ein Verkäufer mit einem Käufer einen Kaufvertrag oder ein kaufähnliches Rechtsgeschäft über ein mit einem Vorkaufsrecht belastetes Grundstück schließt (Vorkaufsfall, § 463 BGB). Der Vorkaufsberechtigte (z.B. eine Gemeinde) kann durch die Ausübung seines Vorkaufsrechts den eigentlichen Käufer aus dem Kaufvertrag „herausdrängen“ und selbst zum Käufer werden. Während bei einem Kaufvertrag über ein Grundstück (sog. Asset Deal) der Vorkaufsfall mit Abschluss des Kaufvertrages ausgelöst wird und damit die Möglichkeit für die Stadt z.B. auf der Grundlage eines gemeindlichen Vorkaufsrechts (§§ 24, 25 Baugesetzbuch) in den Vertrag einzutreten besteht, fehlt es bei einem Share Deal streng genommen an einem Vorkaufsfall.
Bei einem Share Deal verkauft ein Gesellschafter (oder eine Mehrzahl von Gesellschaftern) seine vollständigen oder jedenfalls überwiegenden Anteile an einer Grundstücksgesellschaft, die Eigentümerin des Grundstücks ist, an einen oder mehrere Käufer. Vertragsgegenstand sind die Anteile an der Objektgesellschaft, so dass ein Kaufvertrag über ein Grundstück gar nicht geschlossen wird. In der Folge wird auch der Vorkaufsfall grundsätzlich nicht ausgelöst.
Von dem Grundsatz, dass bei einem Share Deal kein Vorkaufsrecht besteht, ist nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zu vertraglich vereinbarten Vorkaufsrechten eine Ausnahme zu machen, wenn ein Umgehungsgeschäft vorliegt. Für die Annahme eines Umgehungsgeschäfts stellt der Bundesgerichtshof hohe Anforderungen. Dies ist nach dem Bundesgerichtshof der Fall, wenn der Verkäufer das mit dem Vorkaufsrecht belastete Grundstück tatsächlich verkaufen möchte und es ohne erkennbare Gründe (z.B. wirtschaftlicher oder steuerlicher Natur) im Wege eines Share Deals statt des gesetzlich vorgesehenen Asset Deal überträgt (BGH, Urteil vom 20. März 1998, Az. V ZR 25/W97).
Der Bundesgerichtshof hat hier z.B. folgende Fallkonstellationen für ein typisches Umgehungsgeschäft vor Augen: Der Verkäufer bringt das mit einem vertraglich vereinbarten Vorkaufsrecht belastete Grundstücke am Tag der Gründung der Projektgesellschaft, deren einziger Gesellschafter der Verkäufer ist, in die Projektgesellschaft ein und überträgt zugleich alle seine Gesellschaftsanteile an den Käufer (Sachverhalt stark vereinfacht gemäß BGH, Urteil vom 27. Januar 2012, Az. V ZR 272.10).
Diese Entscheidungen des Bundesgerichtshofs setzen sich aber ausschließlich mit dem vertraglich vereinbarten Vorkaufsrecht auseinander. Anders im Hamburger Fall: Gemäß ihrer Pressemitteilung für den Erwerb des „Freudenberger Areals“ hat die Hansestadt das gemeindliche Vorkaufsrecht ausgeübt, das ihr gem. §§ 24, 25 BauGB in zahlreichen Fällen von Gesetzes wegen zusteht.
Ein gemeindliches Vorkaufsrecht besteht grundsätzlich in Gebieten, die die Stadt einer Entwicklung nach ihren eigenen städtebaulichen Vorstellungen zuführen möchte (sog. allgemeines Vorkaufsrecht gem. § 24 Baugesetzbuch), z.B. innerhalb des Geltungsbereichs von Bebauungsplänen, Sanierungsgebieten oder Bereichen des Stadtumbaus. Daneben kann die Stadt unter bestimmten Voraussetzungen gemeindliche Vorkaufsrechte auch selber begründen (sog. besondere Vorkaufsrechte gem. § 25 Baugesetzbuch), indem sie z.B. mit einer Satzung Gebiete ausweist, auf denen sie städtebauliche Maßnahmen in Betracht zieht. Der Pressemitteilung der Stadt zufolge hatte sie davon Gebrauch gemacht und geplante städtebauliche Entwicklungsmaßnahmen angeführt, um sich den Zugriff auf Grundstücke zu ermöglichen.
Die Rechtsprechung hat bislang nicht entschieden, ob ausschließlich über das vertragliche oder auch über das gemeindliche Vorkaufsrecht in einen Share Deal eingegriffen werden kann. Die Stadt hat mit ihrer Entscheidung also durchaus rechtliches Neuland betreten. Davon geht auch die Leiterin des Bezirksamtes Harburg, Sophie Fredenhagen, aus: „Die erstmalige Ausübung des Vorkaufsrechts bei einem Share Deal unterstreicht, dass wir alle Möglichkeiten ausschöpfen, um Grundstücke zu sichern, die für die übergeordnete Entwicklung Hamburgs essenziell sind.“ (Pressemitteilung Hamburg vom 22. Februar 2024).
Jein. Zwar werden im Zusammenhang mit dem gemeindlichen Vorkaufsrecht gerne zwei Entscheidungen aus Berlin genannt: zum einen der Beschluss des Verwaltungsgerichts Berlin vom 13. Dezember 2019 und zum anderen die sich daran anschließende Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts Berlin-Brandenburg vom 22. Februar 2021. Beide Entscheidungen haben aber streng genommen nichts mit der Frage zum Vorkaufsrecht beim Share Deal zu tun. In beiden Fällen wird ausdrücklich betont, dass die Frage, ob eine gemeindliches Vorkaufsrecht auch bei einem Share Deal bestehen kann, nicht Gegenstand ihrer Entscheidungen gewesen ist (vgl. VG Berlin, Beschluss vom 13. Dezember 2019, Az. VG 19 L 566.19; OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 22. Februar 2021, Az. OVG 2 S 46.20). Stattdessen haben die Gerichte dem handelnden Berliner Bezirksamt (nur) einen Anspruch auf Einsichtnahme in den Kaufvertrag zum Share Deal eingeräumt. Damit sollte das Bezirksamt prüfen können, ob es sich bei dem Share Deal um ein Umgehungsgeschäft handelt. Daraus lässt sich aber zumindest schließen, dass die Gerichte die Möglichkeit der Ausübung eines gemeindlichen Vorkaufsrechts beim Share Deal nicht von vornherein ausgeschlossen haben.
Vieles spricht dafür, dass gemeindliche Vorkaufsrechte auf Share Deals keine Anwendung finden. Dies zeigt insbesondere die politische Diskussion, denn der Wohnungsbauausschuss des Bundesrates hatte bei den Beratungen zum Baulandmobilisierungsgesetz zwar eine Ergänzung des § 26 Baugesetzbuch vorgeschlagen, mit der im Gesetz aufgenommen werden sollte, dass gemeindliche Vorkaufsrechte auch bei der Veräußerung von 100 Prozent der Anteile an einer Grundstücksgesellschaft, die Eigentümerin eines Grundstücks ist, bestehen soll. Diese Ergänzung ist im weiteren Verlauf des Gesetzgebungsprozesses nicht weiter berücksichtigt und damit auch nicht Gesetz geworden. Eine solche Regelung erscheint nur sinnvoll, wenn der Gesetzgeber seinerseits davon ausgeht, dass nach der aktuellen Gesetzeslage gemeindliche Vorkaufsrechte keine Anwendung auf Share Deals finden.
Zu beachten ist außerdem, dass die Stadt zunächst von einem Share Deal erfahren muss, um ein gemeindliches Vorkaufsrecht auszuüben. Bei einem Kaufvertrag über ein Grundstück informiert in der Regel der handelnde Notar die Stadt von dem Verkauf. Dieser ist, wenn ein Vorkaufsrecht in Betracht kommt, im Rahmen des Vollzugs des Kaufvertrags verpflichtet, die Stadt zu fragen, ob sie von ihrem Vorkaufsrecht Gebrauch machen möchte. Eine Pflicht zur Mitteilung des Inhalts des Kaufvertrags besteht aber gemäß § 28 BauGB grundsätzlich nur für Grundstückskaufverträge. Umgekehrt sehen die Vollzugsvoraussetzungen bei einem Share Deal bislang in aller Regel auch nicht vor, dass Städte oder Gemeinden auf etwaige gemeindliche Vorkaufsrechte ausdrücklich verzichten müssten, sodass dies nie erfragt wird.
von Dr. Anja Fenge, LL.M. und Franziska Hahn