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Dr. Gregor Staechelin

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27. November 2023

Zur subjektiven Seite des qualifizierten Verschuldens eines Spediteurs nach § 435 HGB

  • Briefing

In diesem Newsletter berichten wir über eine Entscheidung des OLG Hamburg (Az. 6 U 55/22) vom 16.02.2023. Die Entscheidung ist berichtenswert, weil sie – ausnahmsweise – ein qualifiziertes Verschulden des Spediteurs wegen dem Fehlen des Bewusstseins, dass ein Schaden mit Wahrscheinlichkeit eintreten werde, ablehnt. Sie weist daher eine Haftung über die Haftungsgrenze des § 431 Abs. 1 HGB hinaus ab.

Kontext

Der Frachtführer und ein ihm haftungsmäßig gleichgestellter Spediteur (wg Selbsteintritt oder Fixkosten) haftet für Güterschäden in seiner Obhut verschuldensunabhängig, dafür aber der Höhe nach begrenzt auf 8,33 Sonderziehungsrechte je kg Rohgewicht der abhandengekommen oder beschädigten Ware. Da dieser Haftungshöchstwert von ca: 10 EUR je kg in vielen Fällen den tatsächlichen Schaden nicht abdeckt, kommt es immer wieder zu Streit darüber, ob der Frachtführer oder Spediteur sich auf dieses Haftungsprivileg berufen kann, oder ob ihm qualifiziertes Verschulden vorzuwerfen ist. Im nationalen Straßentransport regelt § 435 HGB, dass die Haftungsbegrenzung keine Anwendung findet, wenn der Schaden auf eine Handlung oder Unterlassung zurückzuführen ist, die der Frachtführer oder seine Leute (dies sind nach § 428 HGB eigene Angestellte, Subunternehmer oder deren Angestellte) vorsätzlich oder leichtfertig in dem Bewusstsein begangen haben, dass ein Schaden mit Wahrscheinlichkeit eintreten werde. Gerade in Bezug auf das häufige Phänomen des Ladungsdiebstahls hat sich hierzu eine detaillierte Kasuistik entwickelt, deren Bewertung aber fast immer ausschließlich auf dem objektiven Tatbestand des § 435 HGB beruht. Dies ist nicht verwunderlich, da die subjektive Seite vor Gericht viel schwerer zu ermitteln und zu bewerten ist, als der subjektive Tatbestand und außerdem die BGH Rechtsprechung auf letzteren fast nur aus objektiven Gegebenheiten heraus schließt.

Sachverhalt

Dem vom OLG Hamburg entschiedenen Fall lag ein (leicht vereinfachter) Sachverhalt zugrunde, wie er sich immer wieder in ähnlicher Form ereignet. Der beklagte Spediteur war vom Versender beauftragt, 10 to Pinienkerne mit einem Warenwert von fast EUR 400.000 innerhalb Deutschlands zu transportieren und an den Empfänger auszuliefern. Der Fahrer des Spediteurs übernahm die Ware an einem Freitag, stellte den Auflieger mit der Ware jedoch zunächst über das Wochenende auf einer videoüberwachten Privatstraße (Eingang zum Firmengelände eines Dritten) in der Nähe seines Wohnortes ab. Vorgaben des Versenders, nur sichere, also bewachte Parkplätze anzufahren, gab es nicht. Ein Sicherheitsschloss, welches das ungestörte Ankoppeln des Aufliegers an einer Zugmaschine verhindert hätte, wurde von dem Fahrer nicht eingesetzt. Ob der besonders hohe Warenwert der beklagten Spedition mitgeteilt wurde oder aus bisheriger Zusammenarbeit bekannt sein musste, blieb im Laufe des Verfahrens streitig. Der Fahrer der Beklagten bekundete als Zeuge, dass er den Auflieger am fraglichen Wochenende wiederholt kontrollierte und dass er an der besagten Stelle seit mehr als fünf Jahren immer wieder LKWs oder Auflieger abgestellt hatte, ohne das es zu einem Diebstahl gekommen sei. Anders in dem zu entscheidenden Fall: in der Nacht von Sonntag auf Montag wurde der Auflieger von fremden Dritten abtransportiert und die Ware war verloren.

Bewertung des OLG Hamburg

Der angerufene Senat bewertete das Verhalten des Fahrers, den abgekoppelten Auflieger auf einem unbewachten Parkplatz über das Wochenende abzustellen ohne ein Zapfenschloss zur Sicherung anzubringen, als ohne Zweifel (grob) fahrlässig, also leichtfertig. Genauso hatte dies das Landgericht in erster Instanz judiziert, eine Haftung auf den vollen Schaden aber an fehlenden subjektiven Tatbestand scheitern lassen und den Beklagten „nur“ zur Haftung im Rahmen des § 431 Abs. 1 HGB, mithin zur Zahlung von ca: EUR 105.000 verurteilt. Dem folgte das OLG und wies die dagegen eingelegte Berufung der Klägerin ab. Es argumentierte, dass der Fahrer der Beklagten, wegen der Videoüberwachung und mangels entsprechender Vorfälle an eben dieser Stelle über viele Jahre, nicht davon ausgegangen war und auch nicht davon ausgehen musste, dass es zu einem Diebstahl des Aufliegers kommen würde.

Einordung der Entscheidung

Viele Entscheidungen der Instanzgerichte und Berufungsgerichte machen es sich hingegen mit der Feststellung des subjektiven Tatbestandes eher leicht. Nach der wiederholten Rechtsprechung des BGH ist das Schadensbewusstsein „eine sich dem Handelnden aus seinem leichtfertigen Verhalten aufdrängende Erkenntnis, es werde mit Wahrscheinlichkeit ein Schaden entstehen. Eine solche Erkenntnis als innere Tatsache ist demnach dann anzunehmen, wenn das leichtfertige Verhalten nach seinem Inhalt und nach den Umständen, unter denen es aufgetreten ist, diese Folgerung rechtfertigt.“ (zB BGH in NJW 2004, S. 2446). Typischerweise wird also aus dem äußeren Geschehen auf das Schadensbewusstsein geschlossen, etwa weil der leichtfertige Verstoß besonders rücksichtslos gegenüber den Interessen des Versenders erscheint, oder Ware besonders hochwertig und/oder diebstahlsgefährdet (weil leicht abzusetzen) ist. Was die handelnde Person sich tatsächlich insoweit gedacht hat, wird eher selten erforscht und hierzu auch beklagtenseitig selten vorgetragen.
Allerdings ist das Schadensbewusstsein ein eigenständiges Merkmal und ein vom Gesetzgeber gewolltes Korrektiv, welcher eine unbegrenzte Haftung – in Anlehnung an entsprechende Vorschriften in internationalen Konventionen wie der CMR - gerade nicht als Normalfall etablieren wollte (so die Gesetzesbegründung in BT-Drucksache 13/8445, S. 71). Das Haftungssystem des Transportrechtes stellt sich insofern als sehr differenziertes dar, welches, anders als das BGB, bereits gesetzlich von der Haftungsfreistellung für den idealtypischen Frachtführer (oder Spediteur) in § 426 HGB, über die verschuldensunabhängige aber der Höhe nach begrenzte Obhutshaftung bis zum qualifizierten Verschulden mit Vorsatzvorwurf reicht (noch detaillierter bei Alexander-Christoffel, TranspR 2023, S. 406, der nach 5 Kategorien differenziert).

Fazit

Es bleibt abzuwarten, ob die hier vorgestellte Entscheidung Schule macht und den subjektiven Voraussetzungen des § 435 HGB zukünftig mehr Beachtung geschenkt wird. Versendern ist zu raten, ihren Frachtführern Auflagen zur Sicherung der Fracht zu machen (zB Nutzung nur bewachter Parkplätze bei hochwertigen Gütern), durch zeitliche Vorgaben zu verhindern, dass die Güter trotz relativ überschaubarer Transportstrecken über das Wochenende in der Obhut des Frachtführers oder Spediteurs bleiben (müssen) und schließlich beweisbar über einen besonderen Wert des Frachtgutes bereits bei Auftragserteilung zu informieren. Letzteres schon um einen Mitverschuldenseinwand zu begegnen, wenn der Wert das 10-fache der Regelhaftung nach § 431 Abs. 1 HGB überschreitet.
Frachtführern und Spediteuren ist zu raten, atypische Gefährdungen des Frachtgutes generell zu meiden, insbesondere wenn sie über einen hohen Wert aufgeklärt wurden. Sie sollten weiter eventuellen Vorgaben des Versenders zu besonderen Sicherungsmaßnahmen Rechnung zu tragen und, soweit es tatsächliche Anhaltspunkte für das Fehlen eines Schadensbewusstsein gibt, diese auch in einen Haftungsprozess einzubringen. Dies nicht nur, um ihrer abgestuften Darlegungs- und Beweislast nachzukommen, sondern auch um den Rückschluss vom äußeren Verhalten auf die inneren Tatsachen entgegen treten zu können.

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