Autor

Dr. Gregor Staechelin

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24. März 2023

Qualifiziertes Verschulden in der Frachtführerkette

  • Briefing

In diesem Newsletter berichten wir über eine aktuelle Entscheidung des BGH zum qualifizierten Verschulden von Frachtführern in einer Frachtführerkette (Urteil vom 13.10.2022, I ZR 151/21).

Haftungsgrundlagen und Problemaufriss

Bekanntlich haftet der Frachtführer im Rahmen eines LKW Transports dem Versender verschuldensunabhängig auf den Ausgleich von Güterschäden in seiner Obhut, dies jedoch begrenzt auf 8,33 Sonderziehungsrechte (SZR) je kg Rohgewicht der verlorenen oder beschädigten Ware. Für innerdeutsche Transporte ergibt sich dies aus § 431 Abs. 1 HGB, für grenzüberschreitende Transporte aus Art. 23.3 der CMR, soweit deren Anwendungsbereich eröffnet ist. Der Wert eines SZR ergibt sich aus der Festlegung des Internationalen Währungsfonds anhand der Wechselkurse verschiedener Währungen und liegt derzeit bei etwa 1,25 EUR. In vielen Fällen decken die sich so ergebenden Beträge den tatsächlichen Schaden des Versenders (Wertersatz nach § 429 HGB) nicht annähernd ab, so dass jeweils von Interesse ist, ob Gründe für eine Durchbrechung der Haftungshöchstgrenzen vorliegen. Dies ist der Fall, wenn dem Frachtführer qualifiziertes Verschulden vorzuwerfen ist, so § 435 HGB bzw. Art. 29 CMR, was wiederum einen besonders schweren Verstoß gegen vertragliche Pflichten voraussetzt.

Die Alltagspraxis des Transportwesens ist durch den Einsatz von Subunternehmern geprägt, erst recht seit der Fachkräftemangel vermehrt zu Personalknappheit im eigenen Unternehmen des Vertragspartners des Versenders führt. Am Markt bieten Frachtenbörsen kurzfristige Spotangebote zur Untervergabe an. Im Ergebnis entsteht häufig eine Frachtführerkette mit mehreren Stufen: der vertraglich vom Versender beauftragte Spediteur oder Frachtführer setzt also einen Subunternehmer ein, der seinerseits wiederum untervergibt, und so weiter. Top down ist das haftungsrechtlich unproblematisch, da der vertraglich beauftragte Frachtführer (oder z.B. Fixkostenspediteur) auch für seine „Leute“ (also Verrichtungsgehilfen bzw Subunternehmer) haftet. Dies ergibt sich aus § 428 HGB für innerdeutsche Transporte und aus Art. 3 CMR für grenzüberschreitende Transporte, soweit die CMR Anwendung findet. Daneben kann der Versender z.B. nach § 437 HGB den sogenannten ausführenden Frachtführer als letztes Glied in der Kette auch direkt in Anspruch nehmen.

Komplizierter wird es, wenn der Haftungsmaßstab innerhalb der Frachtführerkette unterschiedlich ist, basierend auf unterschiedlichen vertraglichen Vereinbarungen zwischen den an der Kette beteiligten jur. Personen. So lag der Fall in der vorzustellenden Entscheidung des BGH.

Sachverhalt (vereinfacht)

Die Versicherungsnehmerin der Klägerin beauftragte die Beklagte zu 1) telefonisch mit dem Transport von Elektroartikeln von London nach Berlin. Die Beklagte zu 1) beauftragte daraufhin die F GmbH als Unterfrachtführerin (Subunternehmerin 1). In ihrem Ladeauftrag an die Subunternehmerin 1, die diesen akzeptierte, gab die Beklagte zu 1) vor, dass Pausen nur auf bewachten Parkplätzen gemacht werden dürfen. Die Subunternehmerin 1 vergab den Transport wiederum an die J GmbH, die ihn tatsächlich ausführte. Die Subunternehmerin 1 ist inzwischen insolvent und über ihr Vermögen ein Insolvenzverwalter bestellt.

Die Subunternehmerin 2 übernahm die Ladung am Abend des 1. September 2011 in London auf einen nur mit einer Plane geschützten LKW. Da der eingesetzte Fahrer unmittelbar vor Antritt seiner vorgeschriebenen gesetzlichen Ruhezeit stand aber nicht über Nacht auf dem Betriebsgelände der Versenderin stehen durfte, stellte er sein Fahrzeug in der Nähe in einem Industriegebiet auf einer unbewachten Fläche ab. Im Laufe der Nacht öffneten mehrere Personen die Planen des LKW und stahlen Transportgut im Wert von ca: 71.000 EUR. Die Klägerin nahm die Beklagte zu 1) auf Ersatz des Güterschadens in voller Höhe nebst Gutachterkosten in Anspruch und ebenso, was im Folgenden aber hier nicht vertieft werden soll, den Insolvenzverwalter als Beklagten zu 2) im Wege abgesonderter Befriedigung aus der Entschädigungsforderung der insolventen Subunternehmerin 1 gegen deren CMR-Haftungsversicherung. Insoweit ist von Relevanz, dass der Anspruch in dieser Höhe nur begründet sein konnte, wenn nicht die Haftungsbegrenzung (hier des Art. 23.3 CMR) eingreift.

Die Entscheidung des BGH

Der einschlägige Leitsatz des BGH lautet: „Der Hauptfrachtführer haftet dem Absender nur dann nach Art. 29 CMR unbeschränkt, wenn ihm mit Blick auf die ihn selbst gegenüber dem Absender treffenden Vertragspflichten der Vorwurf qualifizierten Verschuldens gemacht werden kann. Es geht dagegen nicht zu seinen Lasten, wenn er einem Unterfrachtführer strengere Sicherheitsvorgaben macht als diejenigen, die er selbst gegenüber dem Absender einzuhalten hat, und den Unterfrachtführer im Verhältnis zum Hauptfrachtführer der Vorwurf qualifizierten Verschuldens trifft.“

Das Berufungsgericht (KG Berlin) hatte nicht geprüft, ob das Verhalten der Subunternehmerin 2 für sich genommen, also ohne Hinzutreten der Weisung der Beklagten zu 1) an die Subunternehmerin 1, nur auf bewachten Parkplätzen Pause zu machen, die Voraussetzungen einer Haftungsdurchbrechung nach Art. 29 CMR erfüllte. Feststellungen zum Inhalt des telefonischen Auftrages der Versenderin an die Beklagte zu 1) hatte das Berufungsgericht ebenfalls nicht getroffen. Es war vielmehr der Ansicht, dass sich ein qualifiziertes Verschulden der Beklagten zu 1) entweder daraus ergebe, dass die Subunternehmerin 1 es unterlassen habe, die ihr von der Beklagten gemachte Vorgabe zu Pausen nur auf bewachten Parkplätzen an die Subunternehmerin 2 weiterzugeben, oder aber, der Fahrer der Subunternehmerin 2 eine etwa doch weitergebene Weisung ignoriert habe. In beiden Fällen sei dann von einem qualifizierten Verschulden auszugehen, entweder des Fahrers, oder der Subunternehmerin 2, welches jeweils nach Art. 3 CMR der Beklagten zu 1) zurechenbar sei. Es hat dabei ohne Berücksichtigung gelassen, dass der für das Tatbestandsmerkmal der Leichtfertigkeit iS eines qualifizierten Verschuldens erforderliche besonders schwere Pflichtenverstoß sich aus dem vertraglichen Pflichtenkreis zwischen der Versenderin und der Beklagten zu 1) ergeben muss. Art. 3 CMR ist nach Bewertung des BGH (ebd., Rz. 22) keine selbstständige Haftungsgrundlage, sondern nur eine Zurechnungsnorm. Diese erlaubt aber die Zurechnung auf den ursprünglichen vertraglichen Frachtführer nur, wenn sich dieser, hier also die Beklagte zu 1), des Subunternehmers bei der Erfüllung von Pflichten aus dem Vertragsverhältnis mit der Versenderin bedient. An einer entsprechenden Pflicht zur Nutzung nur bewachter Parkplätze fehlte es aber im ursprünglichen Vertragsverhältnis zwischen Versenderin und Beklagter zu 1), jedenfalls gab es keine dahingehenden Feststellungen der Vorgerichte. Mit anderen Worten: Die Subunternehmerin 2 mag gegenüber der Subunternehmerin 1 qualifiziert verschuldet gehandelt haben (im Falle der Nichtbeachtung der Weisung, wenn weitergegeben), und/oder die Subunternehmerin 1 gegenüber der Beklagten zu 1) (im Falle der Nichtweitergabe der selbst erhaltenen Weisung). Ein solches qualifiziertes Verschulden ist der Beklagten zu 1) aber nicht zurechenbar, weil es ihr gegenüber derartige Weisungen nicht gab.

Mögliche Lösungen

Im Ergebnis hat der BGH also einen Anspruch der Klägerin gegenüber der Beklagten zu 1) aufgrund qualifiziertem Verschulden und damit in unbegrenzter Höhe gemäß den bisherigen Feststellungen des Berufungsgerichtes verneint und die Sache zur weiteren Verhandlung an das KG Berlin zurückverwiesen. Davon unberührt bleibt natürlich die der Höhe nach begrenzte Haftung nach Art. 23.3 CMR. Jedenfalls dann, wenn die weiteren Feststellungen des Berufungsgerichtes nach Zurückverweisung ergeben sollten, dass seitens der Versenderin an die Beklagte zu 1) keine vertragliche Vorgabe oder Weisung zu Pausen nur auf bewachten Parkplätzen erfolgte, mag dies für die Versenderin unbefriedigend erscheinen. Sie hätte solche Vorgaben aber ihrerseits machen können (auf die Frage, ob solche gegen § 449 HGB verstoßen können, kann hier nicht näher eingegangen werden; vgl. hierzu den Newsletter Sicherheitsanweisungen). Eine direkte Inanspruchnahme des ausführenden Frachtführers nach § 437 HGB, hier also der Subunternehmerin 2, wird kaum behilflich sein, wenn es an einer entsprechenden Verpflichtung am Anfang der Kette fehlt. In solchen Konstellationen denkbar ist jedoch, dass die Versenderin vom vertraglichen Frachtführer (hier also der Beklagten zu 1)) verlangt, dass dieser seine Ansprüche gegenüber der Subunternehmerin an sie abtritt, soweit die Subunternehmerin ihm, also dem vertraglichen Frachtführer gegenüber, aus qualifiziertem Verschulden höher haftet, als er selbst (mangels qualifiziertem Verschulden) gegenüber der Versenderin (Ziff. 22.4 ADSp 2017).

 

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