Eine aktuelle Entscheidung des Bundesgerichtshofes vom 23. März 2023 (Az.: I ZR 17/22) setzt sich unter anderem mit der Pflicht zur Angabe des Grundpreises bei einem Nahrungsergänzungsmittel auseinander, das über einen Online-Shop angeboten wird.
Der Kläger vertrieb bis zur Einstellung seines Geschäftsbetriebs Nahrungsergänzungsmittel, darunter Aminosäureprodukte in Kapselform, über seine stationären Ladengeschäfte sowie einen Online-Shop. Der Beklagte betreibt demgegenüber eine Apotheke, die ebenfalls verschiedene Aminosäureprodukte in Kapselform über einen Online-Shop zum Kauf anbot, ohne allerdings dabei den Grundpreis anzugeben. Der Kläger klagte daher auf Unterlassung und führte aus, dass bei der Bewerbung für Fertigpackungen mit Nahrungsergänzungsmitteln der Grundpreis stets in unmittelbarer Nähe des Gesamtpreises angegeben werden müsse.
In seiner Entscheidung vom 23. März 2023 bestätigte der Bundesgerichtshof die Ansicht des Berufungsgerichts und stellte fest, dass es sich bei dem beworbenen Aminosäureprodukt um eine in Fertigpackung nach Gewicht angebotene Ware handle und infolgedessen die Pflicht zur Angabe des Grundpreises nach § 2 Abs. 1 S. 1 PAngV in der bis zum 27.5.2022 geltenden Fassung (aF) greife. Nach § 2 Abs. 1 PAngV aF, dem § 4 Abs. 1 S. 1 PAngV nF im Wesentlichen entspricht, habe nämlich derjenige, der Verbrauchern gewerbs- oder geschäftsmäßig oder regelmäßig in sonstiger Weise Waren in Fertigpackungen, offenen Packungen oder als Verkaufseinheiten ohne Umhüllung nach Gewicht, Volumen, Länge oder Fläche anbiete, neben dem Gesamtpreis auch den Preis je Mengeneinheit einschließlich der Umsatzsteuer und sonstiger Preisbestandteile (Grundpreis) in unmittelbarer Nähe des Gesamtpreises anzugeben.
Ein Angebot nach Gewicht folge allein schon aus der entsprechenden spezialgesetzlichen Verpflichtung zur Angabe der Nettofüllmenge eines Lebensmittels aus Art. 9 Abs. 1 lit. e LMIV. Von dieser Pflicht sei der Beklagte auch nicht nach Art. 23 Abs. 1, 3 i.V.m. Nr. 1 lit. c Anh. IX LMIV befreit. Danach sei die Angabe der Nettofüllmenge nicht verpflichtend bei Lebensmitteln, die normalerweise nach Stückzahlen in den Verkehr gebracht werden, sofern die Stückzahl von außen leicht zu sehen und einfach zu zählen ist oder anderenfalls in der Kennzeichnung angegeben ist. Das Berufungsgericht habe zutreffend festgestellt, dass die streitgegenständlichen Aminosäureprodukte in Kapseln nicht nach Stückzahlen in den Verkehr gebracht werden. Denn die Ausnahmevorschrift des Art. 23 Abs. 3 i.V.m. Nr. 1 lit. c Anh. IX LMIV erfasse lediglich „stückige“ Produkte, bei denen aus Sicht der Verbraucher das Stück ¬– wie etwa bei Obst, Gemüse oder Eiern ¬ die „natürliche“ Mengeneinheit bilde. Aminosäureprodukte werden hingegen ganz generell in verschiedenen Darreichungsformen – etwa als Pulver, Liquid oder Tablette ¬- angeboten. Nach der Verkehrsauffassung seien Aminosäureprodukte in unterschiedlichen Darreichungsformen eben keine unterschiedlichen Lebensmittel. Entgegen der Auffassung der Revision könne ein Inverkehrbringen nach Stückzahl auch nicht mit der Begründung angenommen werden, dass es sich bei Aminosäureprodukten um Nahrungsergänzungsmittel handle. Denn dem Wortlaut von § 1 Abs. 1 Nr. 3 NemV, wonach Nahrungsergänzungsmittel Lebensmittel sind, die in dosierter Form in den Verkehr gebracht werden, lasse sich nicht entnehmen, dass sie nach Stückzahlen in den Verkehr gebracht werden. § 1 Abs. 1 Nr. 3 NemV erwähne neben „stückigen“ Darreichungsformen wie Kapseln oder Pillen nämlich auch Darreichungsformen wie Flüssigkeiten und Pulver.
Dem Urteil des Bundesgerichtshofs kommt erhebliche praktische Relevanz zu. Selbst auf höhergerichtlicher Ebene bestand bislang Uneinigkeit darüber, wie Nahrungsergänzungsmittel, die in Kapselform angeboten werden, gekennzeichnet werden müssen. Noch das OLG Celle (Urt. v. 9.7.2019 – 13 U 31/19) sowie das OLG Köln (Beschl. 26.3.2019 ¬ 6 W 26/19) waren etwa der Ansicht, dass Nahrungsergänzungsmittel, die vorportioniert sind oder deren tägliche Dosis in Tabletten angeben wird, nach Stückzahlen angeboten werden. Von dieser sehr individuellen Betrachtungsweise bezogen auf das konkrete Präparat und seine individuelle Zusammensetzung nimmt der Bundesgerichtshof nun Abstand. Vielmehr stellen die Karlsruher Richter klar, dass der Anknüpfungspunkt für die Ausnahme von der Kennzeichnungspflicht einzig das Lebensmittel an sich, nicht hingegen seine vom Hersteller frei wählbare Darreichungsform ist. Wird ein Nahrungsergänzungsmittel neben der Kapselform auch in anderen Darreichungsformen angeboten, so handelt es sich bei diesem (einheitlichen) Lebensmittel nicht um ein Lebensmittel, das normalerweise nach Stückzahlen in den Verkehr gebracht wird.
Co-Autoren: My Anh Cao und Christoph Behm