26. Januar 2022
Ab Januar 2022 greifen echte Veränderungen für das Kaufrecht in Deutschland. In Umsetzung der europäischen Warenkaufrichtlinie (Richtlinie (EU) 2019/771, "WKRL") – welche die bislang maßgebliche Verbrauchsgüterkaufrichtlinie aus dem Jahr 1999 ersetzt – hat der Bundestag im Juni 2021 ein "Gesetz zur Regelung des Verkaufs von Sachen mit digitalen Elementen und anderer Aspekte des Kaufvertrags" beschlossen. Parallel hat der Bundestag ein "Gesetz zur Umsetzung der Richtlinie über bestimmte vertragsrechtliche Aspekte der Bereitstellung digitaler Inhalte und digitaler Dienstleistungen" (Umsetzung der Richtlinie, (EU) 2019/770, "dID-RL") beschlossen.
Ziel ist, das Kaufrecht innerhalb der EU zu harmonisieren und insbesondere im Bereich der Produkte mit digitalen Funktionen wie Smartphone, Smartwatch, Smart-TV und Smart Home für ein hohes Verbraucherschutzniveau zu sorgen. Gerade der elektronische Handel ist einer der wichtigsten Wachstumsfaktoren im Binnenmarkt – durch die technologische Entwicklung in fast jedem alltäglichen Bereich ist aus Sicht der Europäischen Kommission Regelungsbedarf entstanden.
Die Gesetze gelten in Deutschland ab 1. Januar 2022 und bringen bedeutende Änderungen insbesondere im Verbrauchsgüterkaufrecht, aber auch im allgemeinen Kaufrecht mit sich – dort ändert sich insbesondere der Sachmangelbegriff.
Im (Verbrauchsgüter-)Kaufrecht ist in Zukunft eine Abgrenzung von
erforderlich.
Mit dem Verbrauchervertrag über digitale Produkte – geregelt in den neu eingefügten §§ 327 ff. BGB n.F. – entsteht eine neue Vertragsart. Digitale Produkte sind in digitaler Form erstellte und bereitgestellte Daten (sog. digitale Inhalte) und digitale Dienstleistungen. Letztere ermöglichen dem Verbraucher die Erstellung, Verarbeitung oder Speicherung von Daten in digitaler Form, den Zugang oder die gemeinsame Nutzung solcher Daten. Das erfasst Verträge über die Fernnutzung von Software und Daten (Software-as-a-Service-Vertrag), die Nutzung von Video- und Audioinhalten und andere Formen des Datei-Hostings oder Cloud-Lösungen. Eine gemeinsame Nutzung findet bei den Social-Media- und Messenger-Diensten aber auch auf Verkaufs-, Buchungs- Vergleichs-, Vermittlungs- und Bewertungsplattformen statt.
Das macht eine Abgrenzung zum allgemeinen (Verbrauchsgüter-)Kaufrecht erforderlich (§ 475a BGB). Nach Umsetzung der Richtlinien ist aber in beiden Systemen eine – für den Sachmangelbegriff zentrale – Verpflichtung der Verkäufer zur Aktualisierung der digitalen Produkte bzw. digitalen Elemente geregelt. Damit soll die Funktionsfähigkeit und IT-Sicherheit von Elektronikgeräten auch nach Übergabe des Produkts so lange gewährleistet sein, wie der Käufer dies erwarten darf.
Frei von Sachmängeln ist eine Sache in Zukunft nur noch, wenn sie – kumulativ – mit den subjektiven Anforderungen und den objektiven Anforderungen sowie mit den Montageanforderungen übereinstimmt. Anders als nach derzeitigem Recht kann die Sache daher auch dann mangelhaft sein, wenn sie der vereinbarte Beschaffenheit (also den subjektiven Anforderungen) entspricht. Zwar spielen objektive Anforderungen auch bisher schon eine Rolle für den Mangelbegriff. Dies gilt aber nur, soweit keine subjektive Beschaffenheitsvereinbarung getroffen wurde. Dieser automatische Vorrang von Beschaffenheitsvereinbarungen greift in Zukunft nicht mehr.
Um den objektiven Anforderungen zu entsprechen, muss die Sache sich für die gewöhnliche Verwendung eignen und eine Beschaffenheit aufweisen, die bei Sachen derselben Art üblich ist und vom Käufer erwartet werden kann. Zusätzlich muss sie verpackt und mit Zubehör und Anleitungen übergeben werden. Wer also künftig die objektiven Anforderungen einhalten will, muss laufend überprüfen, ob seine Produkte (noch) der (branchen- und produkt-)üblichen Beschaffenheit entsprechen. Den Ausgangspunkt dieser Prüfung - einen objektiven Produktstandard für jedes Produkt – festzustellen, dürfte oftmals nicht ganz einfach sein. Es wird geteilte Meinungen dazu geben, was jeweils produktüblich ist und was nicht. Zumal eine Vielzahl von Umständen einfließen. Unter anderem die öffentlichen Äußerungen des Verkäufers oder Händlers zum Produkt in der Werbung oder auf dem Etikett. Gerade bei komplexen Kaufsachen werden zudem oftmals Beschaffenheiten vereinbart, die individuell zugeschnitten und daher gerade nicht üblich sind.
Können oder sollen keine Änderungen an Waren vorgenommen werden, müssen Verträge und Allgemeine Geschäftsbedingungen angepasst werden um Gewährleistungs- und Schadenersatzansprüche zu verhindern. Insbesondere müssen die Eigenschaften der Sache bzw. das Fehlen von Eigenschaften der Sache, in Form einer (negativen) Beschaffenheitsvereinbarung festgehalten werden. Im B2C-Bereich sind insoweit jedoch – wie bereits bisher – die strengen Voraussetzungen des § 476 BGB sowie dessen neue Informations- und Hinweispflichten bezüglich des Abweichens von den objektiven Anforderungen zu beachten.
Die §§ 327 ff. BGB enthalten zukünftig ein eigenes (Verbrauchsgüter-)Kaufrecht für digitale Produkte – einschließlich eines eigenen Gewährleistungsrechts. Dabei richtet sich die Abgrenzung zum allgemeinen Kaufrecht nach den neu gestalteten Verbrauchsgüterkaufregelungen (§ 475a BGB). In den Anwendungsbereich der §§ 327 ff. BGB fallen Verträge über die Bereitstellung digitaler Produkte unabhängig davon, wie das digitale Produkt übermittelt wird (online oder auf einem Datenträger). Bei digitalen Produkten, die als Teil eines Paketvertrags gemeinsam mit anderen (analogen) Waren bereitgestellt werden erfolgt dagegen eine Aufspaltung der Gewährleistungssysteme je nach betroffenem Produktteil. Wird gemeinsam mit einem Kaufvertrag über einen Fernseher auch die Bereitstellung eines Streamingdienstes vereinbart, finden auf den Fernseher die Regelungen des Kaufrechts, auf die Bereitstellung des Streamingdienstes die Regelungen zu digitalen Produkten Anwendung. Ähnliches gilt in dem Fall, dass digitale Produkte direkt in anderen Sachen enthalten oder mit ihnen verbunden sind, wie Betriebssoftware in einem Computer oder Smartphone. Zu einer Aufspaltung der Gewährleistungsrechte kommt man dabei jedoch nur, soweit die Ware ihre Funktion auch ohne das digitale Produkt erfüllen kann. Ein Kühlschrank mit smarter Funktion zum Nachbestellen von Lebensmitteln kann seine Grundfunktion erfüllen – ein Saugroboter ist dagegen bei fehlerhaftem Betriebssystem nutzlos. Der Saugroboter ist dann als Ware mit digitalen Elementen (327a Abs. 3 BGB) zu qualifizieren – die §§ 327 ff. BGB sind nicht anwendbar.
Neben Saugrobotern fallen auch andere digitale Haushaltsgeräte, Smartphones, Smartwatches, digitale Sprachassistenten und WLAN-Router unter die Waren mit digitalen Elementen. Verpflichtet sich der Unternehmer im Rahmen des Kaufs einer solchen Ware zur Bereitstellung der digitalen Elemente – und hierfür greift eine gesetzliche Vermutung – gelten nach Umsetzung der WKRL ergänzende kaufrechtliche Regelungen (§§ 475b ff. BGB).
Sowohl für Waren mit digitalen Elementen als auch für digitale Produkte gilt insbesondere ein erweiterter Sachmangelbegriff: den Verkäufer trifft zusätzlich eine Aktualisierungspflicht. Anders als im deutschen Recht sonst üblich, können Gewährleistungsrechte in Zukunft auch dann entstehen, wenn die Ware bei Gefahrenübergang mangelfrei war. Die objektiven Anforderungen an die Mangelfreiheit werden nur dann erfüllt, wenn der Verbraucher für den Zeitraum der üblichen Nutzungs- und Verwendungsdauer des Produkts über Aktualisierungen informiert wird und diese bereitgestellt werden.
Damit stellt sich ein erstes Problem: Die Dauer der Aktualisierungspflicht bleibt unklar. Der Zeitraum kann je nach Produkt unterschiedlich sein; gesetzlich ist dies nicht festgelegt. Maßgeblich können Werbeaussagen, verwendeten Materialien, der Kaufpreis und die übliche Verwendungsdauer („life-cycle“) sein. Ähnliches gilt für den Umfang der Aktualisierungspflicht. Funktionserhaltende Aktualisierungen, aber auch Sicherheitsupdates sollen umfasst sein. Grundsätzlich kann man sich an dem Zeitraum orientieren, während dem der Verkäufer für Mängel haftet. Letztlich kommt es aber zu einer Verlängerung der Gewährleistungsfrist, deren Ende sich nicht sicher bestimmen lässt.
Ein zweites Problemfeld ergibt sich aus dem Umstand, dass zwar der Verkäufer gegenüber seinem Käufer die Erfüllung der Aktualisierungspflicht schuldet. In den seltensten Fällen wird der Verkäufer jedoch der Hersteller des digitalen Elements sein. Er ist folglich auf die Mitwirkung des Herstellers angewiesen. Beide Seiten müssen darauf unbedingt rechtzeitig durch entsprechende vertragliche Anpassungen reagieren. Zur Einschränkung ihrer Mängelhaftung können Verkäufer mit Verbrauchern unter besonderen Voraussetzungen Abweichendes zu Updates vereinbaren, z.B. können Umfang (z.B. nur Sicherheitsupdates) und Zeitraum/Turnus konkret festgelegt werden.
Nach der gesetzlichen Regelung tritt die Verjährung der Regressansprüche des Verkäufers gegen den Lieferanten frühestens zwei Monate nach dem Zeitpunkt ein, in dem der Verkäufer die Gewährleistungsansprüche seines Käufers erfüllt. Die dabei aktuell noch geltende Höchstgrenze von fünf Jahren nach Ablieferung der Sache vom Lieferanten an den Verkäufer (§ 445 b II 2 BGB) entfällt künftig. Grund ist die Aktualisierungspflicht, denn eine diesbezügliche Haftung des Verkäufers gegenüber seinem Käufer ist auch nach mehr als fünf Jahren noch möglich.
Die neuen Regelungen gelten für Kaufverträge, die ab dem 01. Januar 2022 geschlossen werden.
Das Kaufrecht passt sich dem Markt an, Verbraucherrechte werden gestärkt. Dies bringt neue Pflichten für Unternehmen, die einige Fragen aufwerfen. Zudem kostet die laufende Entwicklung neuer Software Geld – die Aktualisierungspflichten könnten sich daher zu Lasten der Verbraucherinnen und Verbraucher in Zukunft auf den Kaufpreis auswirken.
In jedem Fall ist Herstellern, Händlern und Verkäufern zu raten, ihr Produktangebot, Vertragsmuster und AGB an die neuen Anforderungen anzupassen. Klassische Kaufverträge müssen an den neuen Sachmangelbegriff angepasst werden. Im Bereich der digitalen Produkte bzw. Sachen mit digitalen Elementen müssen mit Blick auf die Aktualisierungspflicht der Umfang der Informations- und Lieferpflichten und deren Aufteilung zwischen Händler und Hersteller in den Verträgen der Lieferkette geregelt und ggf. auch operative Abläufe angepasst werden. Nachteilige Abweichungen von den Richtlinien gegenüber Verbrauchern sind unzulässig und werden einer AGB-Kontrolle nicht standhalten. Es besteht außerdem die Gefahr von Abmahnungen und Klagen von Verbraucherschutzverbänden nach dem UKlaG.
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