5. August 2021

Anspruch des Fahrradkuriers auf Arbeitsmittel – Rückschlag für das Geschäftsmodell der Start-Ups?

  • Briefing

I. Einleitung

Die mit etwa März 2020 einsetzende COVID 19-Krise und die damit assoziierten Auswirkungen, d. h. die – ob nun freiwillig oder verpflichtend – einsetzende Quarantäne der Bevölkerung, die Ausübung der Arbeitstätigkeit aus dem Home-Office heraus, oder schlichtweg das Müßig sein in den eigenen vier Wänden aufgrund fehlender auswärtiger Beschäftigungen, barg auch geschäftliche Gelegenheiten. Start-Ups ließen dies nicht ungenutzt. Zurzeit sind in einer hohen Zahl Fahrradkuriere unterwegs, so dass die eingeschlossene Bevölkerung auf digitale Bestellung hin ihre Essensbestellung oder Einkäufe in kürzester Zeit an der Wohnungstür in Empfang nehmen können. Teilweise wird mit dem Garantieversprechen von 10 Minuten Lieferzeit ab Eingang der Bestellung geworben.

Dieses Geschäftsmodell könnte einen Rückschlag erleiden. Mit den (vertraglichen) Arbeitsbedingungen von Fahrradlieferanden, die Speisen und Getränke an Kunden ausliefern hatte sich auch am 12. März 2021 das Landesarbeitsgericht Hessen (Az: 14 Sa 306/20) auseinanderzusetzen. An dieser Stelle lohnt sich ein Blick in die Entscheidung, welche zukünftig weitere Signalwirkung für junge Start-Ups entfalten könnte.

II. Sachverhalt

Die Parteien stritten um die Bereitstellung von Arbeitsmitteln. Die Arbeitgeberin und hiesige Beklagte betreibt einen Lieferdienst für Speisen und Getränke. Der Arbeitnehmer und Kläger war bereits mehrere Jahre – seit 2016 – als Fahrradlieferant beschäftigt und lieferte als solcher Speisen und Getränke für die Beklagte aus, wobei ihm die Einsatzpläne und die Adressen der Restaurants, von denen er eine Lieferung ausfahren soll, ebenso wie die Kundenadressen per digitaler App auf sein Smartphone mitgeteilt worden sind. Diese App würde üblicherweise bis zu 2 GB Datenvolumen pro Monat verbrauchen.

Zwischen den Parteien war arbeitsvertraglich geregelt, dass dem Kläger einige Arbeitsmittel von der Beklagten gestellt werden, allerdings waren Fahrrad und Smartphone hiervon nicht umfasst. Letztere hatte der Kläger zu stellen. Obwohl er zuvor die entsprechenden arbeitsvertraglichen Regelungen unterschrieben hatte, welche den Arbeitgeber von einer Zurverfügungstellung von Fahrrad und Smartphone befreiten, wollte der Kläger dies nicht mehr hinnehmen. Vor dem Arbeitsgericht Frankfurt am Main klagte der Kläger erfolglos auf Stellung eines Dienstfahrrades sowie eines internetfähigen Handys mit einem monatlichen Datennutzungsvolumen in Höhe von 2 GB durch die Beklagte. Der Kläger ging in Berufung.

III. Entscheidung

Das Landesarbeitsgericht Hessen gab der Klage statt, ließ jedoch die Revision zu. Das LAG Hessen hob die Entscheidung des Arbeitsgerichts auf und sprach dem Kläger sowohl Fahrrad als auch Diensthandy mit Datennutzungsvolumen zu. Hierbei käme dem Kläger der Leitgedanken zu Gute, dass nach §§ 611 a, 615 S. 3, 618 BGB der Arbeitgeber die zur Erbringung der Arbeitsleistung notwendigen Betriebsmittel zur Verfügung zu stellen habe. Der Arbeitnehmer würde allein die vereinbarte Arbeitsleistung schulden. Die ausdrücklich zwischen den Parteien vereinbarte Regelung im Arbeitsvertrag, wonach die Beklagte gerade nicht Fahrrad und Diensthandy zu stellen hatte, überwand das LAG Hessen mittels einer AGB-Kontrolle. Bei der Klausel handele es sich um eine Allgemeine Geschäftsbedingung, durch die von Rechtsvorschriften abweichende oder diese ergänzenden Regelungen vereinbart wurden. Die Verpflichtung des Klägers, selbst notwendige Arbeitsmittel, nämlich ein verkehrstüchtiges Fahrrad und ein Smartphone mit Datennutzungsvertrag zu stellen, stellt eine Bestimmung dar, durch die von der gesetzlichen Regelung – die vorbezeichneten §§ 611a, 615 S. 3, 618 BGB sind gemeint – Abweichendes vereinbart wird. Eine Klausel, die den Arbeitnehmer zur Stellung von Arbeitsmitteln ohne Gegenleistung verpflichte, sei aber mit wesentlichen Grundgedanken der gesetzlichen Regelung nicht zu vereinbaren, stelle daher eine unangemessene Benachteiligung des Arbeitnehmers dar (§ 307 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 Nr.1 BGB) und sei somit unwirksam. Dies gelte jedenfalls dann, wenn die vom Arbeitnehmer einzubringenden Gegenstände einen nicht unerheblichen Vermögenswert haben.

IV. Erwägungen

Die gerichtliche Korrektur durch das LAG Hessen erfuhr seitens der juristischen Literatur teilweise Zuspruch. Nach diesen Befürwortern würden gerade unterdurchschnittlich vergütete Arbeitsverhältnisse wie hier belegen, dass es unbillig wäre, wenn der Arbeitnehmer die notwendigen Arbeitsmittel auch noch selbst stellen müsste. Zurecht würde das LAG den gesetzlichen Leitgedanken betonen, dass es nach der gesetzlichen Ausgangskonstellation am Arbeitgeber ist, die Arbeitsmittel zur Verfügung zu stellen und diese Verpflichtung nicht bzw. jedenfalls nicht ohne Gegenleistung auf den Arbeitnehmer abgewälzt werden kann. Das Urteil würde somit den gesetzlichen Regelungen gerecht, insbesondere mit Hinblick auf die Rollenverteilung im Arbeitsrecht; somit wäre im Rahmen der AGB-Kontrolle kein anderes Ergebnis möglich gewesen.

An dieser Stelle werden sich das LAG und die Befürworter des Urteils die Frage gefallen lassen müssen, ob man hier bei der Prüfung der Unangemessenheit der Regelung vor dem Hintergrund der AGB Kontrolle nicht zu einseitig das Bild des verhandlungsschwachen Fahrradkuriers vor Augen hatte – der unter Zahlung eines Niedriglohns von seinem Arbeitgeber gebeutelt wird – dessen Interessen und (finanzielle) Situation wiederum absoluten Vorrang einzuräumen ist. Dabei wäre durchaus zu berücksichtigen gewesen, dass die Start-Ups Arbeitsplätze in einem Bereich schaffen, wo es zuvor keine gab; wegen der dünnen Kapitaldecke funktioniert aber deren Geschäftsmodell nur, wenn der Arbeitnehmer sein Fahrrad und Smartphone in den Dienst des Arbeitgebers stellt. Denn andernfalls würde es diesen Arbeitsplatz nicht geben.

Zwar mag man die Rechtsauffassung des LAG, die streitgegenständliche Regelung des eigenen Einsatzes von Fahrrad und Smartphone sei mit wesentlichen Grundgedanken der gesetzlichen Regelung nicht zu vereinbaren, nicht vollkommen von der Hand weisen; gleichwohl ist der gewünschte Einsatz von eigenen Mitteln – ob nun Fahrrad, Smartphone, Kraftfahrzeug, o. ä. – durch den Arbeitnehmer im Interesse des Arbeitgebers keine neuerliche Entwicklung. Zum Ausgleich für diese finanziellen Einbußen steht dem Arbeitnehmer § 670 BGB analog zur Seite. Hiernach stünde einem Arbeitnehmer ein Aufwendungsersatzanspruch für freiwillige Vermögensopfer gegen seinen Arbeitgeber zu, wenn Ersterer die Aufwendungen allein im Interesse des Arbeitgebers (d. h. bei Ausführung seiner geschuldeten Tätigkeit) getätigt hat. Schließen die Parteien einvernehmlich (also auch der Arbeitnehmer) die Anwendbarkeit des dispositiven § 670 BGB aus, oder regeln dessen konkreten Anwendungsbereich explizit im Arbeitsvertrag, wäre es durchaus gerechtfertigt, den Arbeitnehmer an dieser Vereinbarung festhalten zu lassen. Denn auch für ihn ist letztlich erkennbar, welche – durchaus berechtigte – Interessenlage der Arbeitgeber im konkreten Fall verfolgt: Für die Start-Ups ist das Angebot eines Fahrradlieferanten, lediglich seine Arbeitskraft bereit zu stellen, aufgrund ihrer unternehmerischen Situation unbrauchbar, stattdessen machen sie durch die klar geregelten Vertragsklauseln deutlich, dass sie lediglich solchen Arbeitnehmern die Arbeitsplätze anbieten können, welche zusammen mit eigenem Fahrrad und Handy einsatzbereit sind und auf Basis dieser Interessenlage ein Arbeitsverhältnis abschließen wollen. Diese Interessenlage kennt man auch von Pizzalieferanten, wo Kurierfahrer ihr eigenes Kraftfahrzeug einbringen. Dies wird vom LAG in den Erwägungen mit keinem Wort gewürdigt, stattdessen wird diese erkennbare Interessenlage durch das Urteil nachträglich ausgehebelt.

V. Fazit

Wird das Urteil rechtskräftig, sind die Start-Ups gehalten, bisherige Kostenverteilungen einer kritischen Prüfung zu unterziehen. Das gilt insbesondere für solche Unternehmen, deren Vergütungssystem für die jeweiligen Lieferanten derzeit Mindestlöhne vorsieht. Letztlich wird man sich aber die Frage stellen müssen, ob das LAG den betroffenen Arbeitnehmern, welche doch von der Rechtsprechung profitieren sollen, auf lange Sicht keinen Bärendienst erwiesen hat. Start-Ups werden aufgrund etwaiger höherer Personalkostenlasten Konsequenzen ziehen und gegebenenfalls u. a. die Zahl ihrer Lieferanten verringern – mit dem Ergebnis, dass letztlich geschaffene Arbeitsplätze wegfallen oder aber erst gar nicht entstehen. Müssen zuletzt die erhöhten Personalkosten auf die Marge – und damit letztlich auf den Endverbraucher – umgelegt werden, erhöht dies das Risiko, am Markt nicht mehr wettbewerbsfähig zu bleiben. Dem Fahrradlieferanten, der nun Anspruch auf Fahrrad und Smartphone hat, ist damit sicherlich nicht geholfen, wenn er den Arbeitsplatz gar nicht erst bekommt, die Kündigung erhält oder sein Arbeitgeber den Betrieb einstellen muss. Damit gibt es am Ende doch nur Verlierer. Insbesondere der Innovationsgeist junger Enterpreneure und die Verwirklichung ihrer Geschäftsmodelle wird ausgebremst.

Hier bleibt abzuwarten, ob und inwieweit sich das Bundesarbeitsgericht zu der Frage positioniert. Dabei wäre sicherlich auch genauer zu prüfen, ob denn nicht die vertragliche Absprache jedenfalls bezüglich des Einsatzes des eigenen Fahrrades eine vertragliche Hauptleistungspflicht darstellt und somit der AGB-Kontrolle von vornherein entzogen ist. Dass der Bereich der Sittenwidrigkeit gemäß § 138 BGB erreicht worden sei, hat nicht einmal das LAG behauptet. In der Zwischenzeit kann man daher lediglich hoffen, dass andere Arbeitsgerichte sich nicht blindlings der angreifbaren Rechtsauffassung des LAG Hessen anschließen.

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