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Dr. Gregor Staechelin

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7. Juni 2021

Produktsicherheit und Produktregulierung: Fulfilment-Dienstleister zunehmend im Fokus

  • Briefing

Bereits vor knapp 2 Jahren hatten wir in einem Newsletter über die neue EU-Marktüberwachungsverordnung und deren regulatorische Ausweitung gerade auf Fulfilment-Dienstleister berichtet. Unter Fulfilment-Dienstleistern versteht man natürliche oder juristische Personen, die im Rahmen einer Geschäftstätigkeit mindestens zwei der Dienstleistungen: Lagerhaltung, Verpackung, Adressierung und Versand von Produkten, an denen sie kein Eigentumsrecht haben, übernehmen. Neuere Gesetzgebung gibt nun Anlass, gerade diesen Aspekt zu vertiefen.

Ursprüngliches Konzept des verantwortlichen Wirtschaftsakteurs

Regelungen zur Produkt-Compliance und Pflichten in Zusammenhang mit dem Inverkehrbringen von Waren haben bislang sowohl auf nationaler (Produktsicherheitsgesetz) wie europäischer Ebene (Richtlinie 2001/95/EG über allgemeine Produktsicherheit sowie VO (EG) 765/2008) klassischerweise den Hersteller, den Einführer in den europäischen Wirtschaftsraum, den Händler und ggf. den bevollmächtigten Vertreter (wenn der Hersteller nicht in der EU ansässig ist) ins Visier genommen. Ihnen oblagen die Pflichten zu Überwachung der Produkte, Risikovermeidung, Information der Marktüberwachungsbehörden und die Sicherstellung allgemeiner regulatorischer Vorgaben. An diese waren Gebote und Verbote in Zusammenhang mit der Vermarktung von Produkten gerichtet.

Moderne Lieferketten im Online-Handel

Nicht erst in Zeiten von Corona haben sich Einkaufsgewohnheiten und damit Lieferketten geändert. Bereits seit vielen Jahren haben sich Geschäftsmodelle breitgemacht, bei denen Hersteller und Verkäufer aus dem Nicht-EU Ausland online Waren anbieten, die im Falle des Erwerbs durch einen Käufer in Deutschland oder der EU nicht erst aus z.B. Fernost per Seefracht (zu langwierig) oder Luftfracht (zu teuer) auf den Weg zum europäischen Käufer gebracht werden, sondern bereits in der EU vorgehalten werden, um binnen kurzer Frist an den Käufer versandt zu werden. Die Hersteller solcher Waren (oft Elektrokleinteile zu niedrigen Preisen), nahmen und nehmen es dabei mit der Beachtung von Produktkennzeichnungspflichten und Produktsicherheitsregelungen nicht so streng. Die Marktüberwachungsbehörden wiederum hatten zumeist keinen Zugriff auf den Hersteller (und Einführer) oder auf den Händler, da beide außerhalb der EU ansässig und zumeist ohne bevollmächtigten Vertreter.

Sukzessive Inpflichtnahme des Fulfilment-Dienstleisters

Vor dem Hintergrund dieses Dilemmas erließ die EU Kommission zunächst den sogenannten Blue-Guide oder die Bekanntmachung der EU-Kommission, Leitfaden für die Umsetzung der Produktvorschriften der EU (veröffentlicht im Amtsblatt der EU am 26.7.2016, C 272/2016, S. 1 ff.). Darin statuiert die Kommission, die Fulfilment-Dienstleister seien als notwendiges „Glied in der Lieferkette“ wie Händler anzusehen und müssten „die entsprechenden rechtlichen Verpflichtungen übernehmen“, notwendigenfalls seien sie, ersatzweise und abhängig vom Geschäftsmodell, wie Einführer oder Bevollmächtigte zu behandeln (ebd., S. 36).

Ob damit die Lücke innerhalb der Lieferkette rechtlich wirksam geschlossen wurde, darf vorsichtig bezweifelt werden, da es sich bei der Bekanntmachung der Kommission nicht um einen verbindlichen Rechtsakt handelt, sondern allenfalls um eine Interpretationshilfe, die das Verständnis der Europäischen Kommission als Verwaltungsbehörde und nicht als Rechtsetzungsorgan dokumentiert. So auch der Blue-Guide selbst, in dem vermerkt ist: „Bei dem vorliegenden Dokument handelt es sich lediglich um Leitlinien …. Die in diesem Leitfaden dargelegten Auffassungen sind nicht als Vorgriff auf Standpunkte zu verstehen, die die Kommission gegebenenfalls vor dem Gerichtshof vertritt. Weder die Europäische Kommission noch Personen, die im Auftrag der Kommission handeln, können für die Verwendung der im Folgenden dargelegten Informationen verantwortlich gemacht werden.“ (ebd., S. 5).

Nachgelegt hat die Kommission sodann mit ihrer Bekanntmachung zur Marktüberwachung von online verkauften Produkten (veröffentlicht im Amtsblatt der EU am 1.08.2017, C 250/2017, S. 1 ff.). Darin werden Fulfilment-Dienstleister wahlweise als Bevollmächtigte des Herstellers, Einführer oder Händler im Sinne der VO (EG) 765/2008 definiert und ihnen die korrespondierenden Pflichten auferlegt (ebd., S. 7, 8). Dabei räumt die Kommission selbst ein, dass es sich dabei eher um eine Notlösung handelt: „Dieses neue Geschäftsmodell der Fulfillment-Anbieter wirft Fragen hinsichtlich ihrer Verantwortlichkeiten im Rahmen der EU-Produktvorschriften auf. Dies ist insbesondere der Fall, wenn der Wirtschaftsbeteiligte, der die Waren bereitstellt, außerhalb der EU angesiedelt ist, und die Vereinbarung über die Lieferung des Produkts direkt zwischen dem Wirtschaftsbeteiligten und dem Verbraucher oder anderem Endbenutzer in der EU geschlossen wird, ohne dass ein feststellbarer Wirtschaftsbeteiligter innerhalb der EU verantwortlich ist (z. B. ein Einführer oder ein bevollmächtigter Vertreter). In einem solchen Fall ist der einzig feststellbare Akteur in der Lieferkette oftmals der Fulfillment-Dienstleister.“ (ebd., S. 7)

Marktüberwachungsverordnung

Nunmehr mit dem Rechtscharakter einer Verordnung (EU 1020/2019, veröffentlicht im Amtsblatt der EU am 25.06.2019, L 169/2019, S. 1 ff.) haben das Parlament und der Rat die Fulfilment-Dienstleister in Art. 3 Ziff. 13 und Art. 4 Absatz 2 d) als (verantwortliche) „Wirtschaftsakteure“ bestimmt und ihnen die Zusammenarbeit mit den Marktüberwachungsbehörden auferlegt (Art. 4 Absatz 3, Artikel 7). Die somit – auch – den Fulfilment-Dientsleistern auferlegten Produktpflichten ergeben sich im Einzelnen dann aus einer solchen Vielzahl von „Harmonisierungsvorschriften“ der EU, dass deren Darstellung hier den Rahmen sprengen würde. Stattdessen sei auf die 89 in den Anhängen I und II zur Marktüberwachungsverordnung verwiesen.

Konkrete Beispiele national: Das Verpackungsgesetz und das 2. ElektroG-Änderungsgesetz

Die jüngere nationale Gesetzgebung zeigt, dass Fulfilment-Dienstleister vermehrt regulatorische Pflichten auferlegt und Ihnen bestimmte Verbote auferlegt werden.

Für Hersteller (Erstvertreiber) von systembeteiligungspflichtigen Verpackungen wird die Registrierungspflicht durch eine Novelle des Verpackungsgesetzes ausgeweitet. Mit Wirkung ab dem 01.07.2022 sind Fulfilment-Dienstleister (mit Ausnahme reiner Post-, Paketzustell- oder sonstiger Frachtverkehrsdienstleister), die solcher Art verpackte fremde Waren lagern, umschlagen, umverpacken oder für den Versand adressieren, nunmehr auch verpackungsrechtlich verpflichtet. Sie müssen prüfen und sicherstellen, dass die betroffenen Hersteller im Verpackungsregister registriert sind und sich am sog. Dualen System beteiligt haben (§ 7 Absatz 7 i.V.m. § 3 Absatz 14c Verpackungsgesetz [neu]). Der Verstoß dagegen ist bußgeldbewehrt (§ 36 Abs. 1 Nr. 5a Verpackungsgesetz [neu]).

Mit der Novellierung des Elektro- und Elektronikgerätegesetzes werden Hersteller (bzw. deren bevollmächtigte) weitergehend als bislang zur Rücknahme von Altgeräten verpflichtet und müssen sich bei der „Stiftung ear“ registrieren. Die Pflichten werden künftig nach § 17 ElektroG [neu] auch für verschiedene Verkaufsstellen gelten (Vertreiber mit Ladenfläche von mind. 400 qm, Lebensmittelhändler, die mehrmals im Kalenderjahr Elektrogeräte anbieten ab einer Ladenfläche von 800 qm, aber auch Online-Anbieter). Fulfillment-Dienstleistern ist es ab dem 1.01.2023 dann verboten, betroffene fremde Waren zu lagern, umzuschlagen, umzuverpacken, zu adressieren oder zu versenden, wenn sie nicht geprüft und sichergestellt haben, dass der Hersteller bei der „ear Stiftung“ registriert ist (§ 6 Abs. 2 Nr. 3 i.V.m. § 3 ElektroG [neu]). Auch hier ist der Verstoß dagegen bußgeldbewehrt (§ 45 Abs. 1 Nr. 4b) ElektroG [neu]).

Fazit

Die EU und der deutsche nationale Gesetzgeber nehmen Fulfilment-Dienstleister regulatorisch vermehrt in die Pflicht. Unternehmen der Branche, die mehr als reine Post-, Paketzustell- oder sonstiger Frachtverkehrsdienstleistungen anbieten, werden gezwungen, Ihre Auftraggeber und die von diesen im Auftrag logistisch gehandelten Produkte zu überprüfen, wenn sie nicht illegal handeln und Bußgelder riskieren wollen. Ob man damit an der richtigen Stelle der Lieferkette ansetzt, kann durchaus in Frage gestellt werden.
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