25. Oktober 2022
Die EU hat den Entwurf einer neuen Produkthaftungsrichtlinie vorgelegt (englischer Text Entwurf). Ziel ist es, die Produkthaftungsrichtlinie 85/374/EWG fortzuschreiben und an geänderte Bedürfnisse anzupassen. Seit 1985 legte diese Richtlinie das Fundament für die Produkthaftung im europäischen Rechtssystem und führte eine verschuldensunabhängige Haftung auf dem Gebiet der Produkthaftung ein. Sie ermöglicht Klägern eine Entschädigung, wenn sie nachweisen können, dass ein fehlerhaftes Produkt ihnen Schaden zugefügt hat.
In diesem Beitrag soll kurz beleuchtet werden, inwieweit jedenfalls der Entwurf nunmehr neben den Herstellern und „Quasiherstellern“, auch andere Marktbeteiligte, namentlich Fulfillmentdienstleister in die Pflicht nehmen will.
Bereits in unserem Newsletter vom 7. Juni 2021 hatten wir berichtet, dass Fulfillmentdienstleister insbesondere bei Regelungen, die ihren Ursprung in der EU Gesetzgebung haben, vermehrt in die Pflicht genommen werden und ihre Rolle innerhalb der Lieferkette neu bewertet wird (Fulfillmentdienstleister im Fokus). Nachdem der Gesetzgeber in der Vergangenheit feststellen musste, dass Fulfillmentdienstleister nur mit erheblichen Interpretationsmühen als verantwortliche Marktakteure im Sinne von Vorschriften angesehen werden konnten, die sich eigentlich an Hersteller, Importeure oder Händler (hier: Hauptakteure) richteten, besteht der neuere gesetzgeberische Ansatz darin, diesen Dienstleistern Kontrollpflichten für ein gesetzeskonformes Verhalten der Hauptakteure aufzuerlegen. Den Dienstleister wird bußgeldbewehrt verboten, ihre üblichen geschäftlichen Tätigkeiten zu entfalten, wenn es daran fehlt. Beispiele sind das Verpackungsgesetz und das Elektrogesetz. In beiden Gesetzen wird es Fulfillmentdienstleistern verboten, Waren zu lagern, zu verpacken, zu adressieren und in den Versand zu überführen, wenn die jeweiligen Hersteller oder deren Bevollmächtigte nicht ordnungsgemäß registriert sind (§ 6 Abs. 2 Nr. 3 ElektroG bzw. § 3 Abs. 14c) Satz 1 VerpackungsG). Zu der Frage, ob diese Zuschreibung von Verantwortung der Stellung und Rolle der Fulfillmentdienstleister in der globalisierten Lieferkette angemessen ist, mag es unterschiedliche Sichtweisen geben.
Einen im Ergebnis ähnlichen Ansatz verfolgt nur auch der genannte Entwurf. Nach seinem Artikel 7 Ziff. 3 sollen die Mitgliedsstaaten der EU sicherstellen, dass der Fulfillmentdienstleister in Haftung für Schäden genommen werden kann, die durch ein fehlerhaftes Produkt hervorgerufen werden, und zwar verschuldensunabhängig. Abgemildert wird dieser Ansatz lediglich dadurch, dass offenbar nur eine subsidiäre Haftung angedacht ist, diese also dann greifen soll, wenn der Hersteller und keiner der anderen Hauptakteure (Hersteller, Importeur bzw. besonderer Bevollmächtigter) in der EU niedergelassen sind. Ausnahmen von der Haftung nach Artikel 10 des Entwurfes speziell für Fulfillmentdienstleister sind nicht vorgesehen. Als potenziell haftbare Fulfillmentdienstleister gelten nach Artikel 4 Abs. 14 des Entwurfes natürliche oder juristische Personen, die mindestens zwei der typischen Dienstleistungen Lagerung, Verpackung, Adressierung und Versand von (fremden) Waren erbringen, wobei reine KEP-Dienstleister ausgenommen sind.
Der Entwurf geht nun in den EU-typischen Beratungsgang. Bis zum 30.11.2022 hat jeder Stakeholder die Möglichkeit zu diesem Vorhaben Stellung zu nehmen, bevor sich der Rat und das Parlament damit im Einzelnen befassen. Sollte sich der dargestellte Ansatz durchsetzen, so bedeutet dies erhebliche Haftungsrisiken für Fulfillmentdienstleister, die in Bezug auf Waren nicht EU-europäischen Ursprungs ihre übliche Geschäftstätigkeit entfalten wollen. Betroffenen Unternehmen ist zu raten, den Fortgang der Beratungen zu verfolgen und notwendigenfalls dann vertragliche oder sonstige Vorkehrungen zu schaffen (z.B. Freistellungsabrede mit ihren Kunden und/oder besonderer Versicherungsschutz).