17. Juni 2020
Insgesamt wird die Beeinträchtigung der Gesundheitsbranche durch die Coronakrise als vergleichsweise gering eingeschätzt (verglichen mit anderen schwer betroffenen Branchen). Diese Branche gehört zu den eher „krisen-neutralen“ Branchen, allerdings ist es je nach Bereich sehr unterschiedlich und es stellen sich spezifische Herausforderungen und Begebenheiten, die dieser Krise geschuldet sind:
Krankenversicherer werden mit steigenden Kosten konfrontiert sein, da neue Vorschriften darauf bestehen, dass sie die Kosten für die Untersuchung von Risikogruppen auf Coronaviren übernehmen. Seit Ende Februar haben die Krankenkassen die Tests auf Coronaviren in großem Umfang übernommen. Voraussetzung dafür ist die Entscheidung des Arztes, ob ein Patient getestet werden soll.
Auf der anderen Seite befeuert die Corona-Krise vereinzelt bestimmte Bereiche der Branche. Eher „Krisen-Gewinner“ sind folgende Bereiche:
Weltweit verzeichnet man im Gesundheitssektor eine verstärkte M&A-Aktivität in den Bereichen, die durch die derzeitige Krise begünstigt werden, z.B. Virologie, Lieferkette, Partnerschaften und virtuelle Gesundheitsversorgung bzw. Digital Health Anwendungen.
Die Krisenrelevanz bestimmter Bereiche des Gesundheitssektors hat das Bewusstsein für die Schutzbedürftigkeit dieses Sektors geschärft. Im Zuge der Coronakrise hat die Bundesregierung deshalb das Investitionskontrollrecht weiter verschärft.
Das Bundeskabinett hat nach entsprechender Vorlage aus dem Bundesministerium für Wirtschaft und Energie („BMWi“) am 20. Mai 2020 die Fünfzehnte Verordnung zur Änderung der Außenwirtschaftsverordnung („15. ÄndVO“) verabschiedet. Dadurch wird der Kreis der besonders sicherheitsrelevanten Unternehmen, bei deren Übernahme eine Gefährdung der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit insbesondere vorliegen kann, durch die Aufnahme zusätzlicher „Regelbeispiele im Gesundheitssektor erweitert. Zuvor hatte bereits die EU-Kommission die Mitgliedstaaten Ende März 2020 dazu aufgefordert, ihre Screening-Mechanismen bei ausländischen Direktinvestitionen im Zuge der Coronakrise voll auszuschöpfen (Leitlinien zu Investitionen von Nicht-EU-Unternehmen in strategischen Industrien).
Bei Transaktionen, bei denen 10% oder mehr der Stimmrechte eines betroffenen Unternehmens erworben werden, besteht eine Meldepflicht, die in Zukunft erhebliche Auswirkungen auf Transaktionssicherheit und -timing haben, da künftig ein strafbewehrtes Vollzugsverbot für meldepflichtige Transaktionen vorgesehen ist. Nach der bisherigen Rechtslage im Rahmen der sog. sektorübergreifenden Prüfung gab es kein „Vollzugsverbot“. Das heißt, die Transaktion kann unabhängig von der Prüfung und Freigabe durch das BMWi durchgeführt werden. Durch die geplante Änderung des AWG wird der Suspensiveffekt (also die schwebende Unwirksamkeit des prüfungsgegenständlichen Kaufvertrages) in Zukunft auf alle meldepflichtigen Erwerbe erweitert.
Die Meldepflicht betrifft nach der 15. ÄndVO nun auch Zielunternehmen in folgenden Bereichen des Gesundheitssektors:
Erfasst werden nach der 15. ÄndVO nun auch explizit der Erwerb eines abgrenzbaren Betriebsteils oder aller wesentlichen Betriebsmittel (sog. Asset Deal). Bisher war jedenfalls für den Erwerb von Betriebsteilen per Asset Deal streitig, ob diese in den Anwendungsbereich der Investitionsprüfung fallen. Für den Erwerb ganzer Unternehmen wurde dies auch bisher schon aus der Formulierung „Erwerb eines Unternehmens“ in § 55 Abs. 1 S. 1 1. Alt. AWV gefolgert.
Investoren und Zielunternehmen sollten mit Blick auf die Verschärfung des Prüfregimes für ausländische Direktinvestitionen bei M&A-Transaktionen im Gesundheitssektor ein noch größeres Augenmerk auf die Vorbereitung der AWV-Investitionsprüfung legen und einen entsprechenden Zeitrahmen für die Transaktion einplanen.
Der Ausbruch von COVID-19 stellt zahlreiche Unternehmen, die Weltwirtschaft und auch das Finanzsystem vor große Herausforderungen. Betriebe und Produktionen müssen zum Teil vollständig eingestellt werden, internationale Lieferketten können nicht eingehalten werden und Einreiseverbote erschweren mancher Branche die Aufrechterhaltung ihre Funktionsfähigkeit.
Auch laufende und anstehende Finanzierungen bleiben von der Coronakrise nicht verschont: Zahlreiche geplante Übernahmen von Unternehmen erscheinen nun nicht mehr attraktiv. Kreditinstitute sind schließlich betroffen von Liquiditätsengpässen ihrer Kunden und stehen unter Refinanzierungsdruck, Kreditfonds (Debt Funds) wiederum haben auch die (Rendite-)Erwartungen ihrer Investoren in den Blick zu nehmen. Auch wenn umfassende staatliche Hilfsmaßnahmen zur Verfügung stehen, so steckt der Teufel häufig im Detail.
Derzeit ist eine uneinheitliche Entwicklung der Finanzierungsmärkte zu beobachten:
Der Kaufpreis und mithin die Kaufpreisklausel des Unternehmenskaufvertrags sind das Kernelement – das „Herzstück“ – der gesamten Transaktion. Die Einigung auf den Kaufpreis und das „richtige“ Kaufpreismodell stellen häufig die größten Herausforderungen dar; das gilt für Transaktionen im Life Sciences und Healthcare Sektor in gleicher Weise wie für Transaktionen in anderen Bereichen.
In dem bis einschließlich 2019 existenten Verkäufermarkt waren Festkaufpreismodelle (Locked Box) auf einen historischen wirtschaftlichen Übertragungsstichtag beliebt und überwogen im Verhältnis zu Closing-Accounts-Mechanismen mit auf den Vollzug exakten Kaufpreisberechnungen. Die Corona-Krise wird hier eine Trendwende markieren. Der Markt wird sich bei den Kaufpreismodellen wieder diverser und flexibler zeigen. Closing Accounts werden jedenfalls dort überwiegen, wo nicht Earn-Out-Strukturen zur Anwendung kommen. Hintergrund hierfür ist die bestehende Unsicherheit im Markt, die durch die vorgenannten Kaufpreismodelle bzw. -komponenten in den Kaufpreis einfließt bzw. einfließen kann. Insofern sind im Krisenjahr 2020 harte Diskussionen bei der Verhandlung der Definitionen von Nettofinanzverbindlichkeiten und Nettoumlaufvermögen zu erwarten.
Neben die klassischen Konzepte des Festkaufpreises und der Closing Accounts werden zunehmend Erweiterungen der Kaufpreismodelle treten, insbesondere zusätzliche variable Kaufpreiskomponenten, wonach bei Vorliegen bestimmter Voraussetzungen bzw. Erreichen bestimmter Finanzkennzahlen zusätzliche Zahlungen zu einem späteren Zeitpunkt anfallen (Earn-Out). In der Praxis griffen die Parteien bislang auf einen Earn-Out zurück, um insbesondere eine Brücke zwischen den unterschiedlichen Kaufpreisvorstellungen von Käufer und Verkäufer zu schlagen. Des Weiteren wird diese Kaufpreisgestaltung gerade auch in der Gesundheitsbranche gern verwendet, um die Expertise der Verkäuferseite weiterhin zu binden (z.B. in einem künftigen Angestelltenverhältnis oder gar unter weiterer Mitbeteiligung) und diese zu inzentiveren. Gerade wenn Gesundheitsbranchen-Fremde (z.B. Investoren, die noch keinen ausgeprägten Track Record in der Gesundheitsbranche haben) etwa in die sehr spezifische Gesundheits-Leistungserbringung investieren, ist ein Earn-Out häufig ein wichtiges Tool, um das Verkäufer-Knowhow länger zu binden.
In der Coronakrise werden Earn-Outs auch dazu dienen, das aktuelle wirtschaftliche Gesamtrisiko auf Verkäufer und Käufer zu verteilen. Solche Konzepte können auch nach dem Krisenjahr 2020 im Falle des (nachhaltigen) wirtschaftlichen Misserfolgs auch deutlich zugunsten der Käufer wirken. Bei verkäuferstarken Verhandlungspositionen beobachtet man andererseits in der Praxis, dass das Jahr 2020 aufgrund der teilweise massiven Umsatzeinbußen aufgrund der Corona-Krise bei der Berechnung von Earn-Outs vollständig ausgeklammert werden. Dies betrifft letztendlich natürlich nur die Bereiche, in denen der Käufer bereit ist, das Zielunternehmen trotz der Corona-Einbußen zu übernehmen, weil er davon ausgeht, dass das Invest sich nach Durchstehen der Krise gleichermaßen rentiert.
Bei der Gestaltung des Earn-Outs ergeben sich eine Reihe komplexer Fragestellungen, für die eine für alle Parteien akzeptable Lösung gefunden muss. Dies betrifft etwa die Auswahl der Parameter für den Earn-Out sowie angemessene und praktikable Verfahrensregeln und Schutzmechanismen für den Verkäufer in der Earn-Out-Periode. Aus rein rechtlicher Sicht wird der Fokus auf der rechtssicheren Ausgestaltung liegen; denn aufgrund ihrer Regelungskomplexität sind Earn-Outs streitanfällig.
Die voraussichtlich schwierigere Finanzierbarkeit von Transaktionen wird sich auch auf Kaufpreisgestaltungen und ggf. die Transaktionsstruktur auswirken. Wo eine Finanzierung durch Debt Funds keine Alternative ist und der nachlassende Risikoappetit der Banken durchschlägt, können Vendor Loans (auch in Form von Genussrechten), Minderheitsbeteiligungen der Verkäufer oder eine Rückbeteiligung des Managements ergänzende Strukturalternativen sein. Allen voran dürften Vendor Loans wieder häufiger zur Anwendung kommen, um Finanzierungsprobleme zu beheben. Der Vendor Loan ist weder eine Kaufpreiskomponente noch ein besonderes Kaufpreismodell, sondern vielmehr eine Zusatzvereinbarung zur Kaufpreisstundung, die bei jedem beliebigen Kaufpreismodell ergänzend getroffen werden kann. Der Vendor Loan kann den Gesamt- oder - im Regelfall - einen Teilbetrag des vereinbarten Kaufpreises abdecken.
Im Vergleich zu 2019 dürften Käufer verstärkt in der Lage sein, härtere Kaufpreissicherungen durchzusetzen. Hierzu zählen neben dem klassischen Treuhandmodell (Escrow Account), bei dem ein Teil des Kaufpreises auf ein Treuhandkonto gezahlt wird und insbesondere der Sicherung von Garantie- und Freistellungsansprüchen dient,
Eine neue Bedeutung erhalten aufgrund der Coronakrise sog. MAC-Klauseln. Diese sehen für den Fall, dass sich wesentliche dem Kaufvertrag zugrundeliegende wirtschaftlichen Annahmen ändern, ein vertragliches Rücktrittsrecht des Käufers vor, oder geben diesem das Recht, vom Closing, also der eigentlichen Durchführung der Transaktion, Abstand zu nehmen.
Solche MAC-Klauseln dienen letztendlich dazu, das Risiko einer Verschlechterung oder des Untergangs des Zielunternehmens im Zeitraum zwischen dem Signing und dem Closing der Verkäuferseite oder der Käuferseite zuzuordnen. Dieses Institut, das eher aus dem anglo-amerikanischen Rechtsraum stammt, ist in deutschen Unternehmenskaufverträgen noch nicht derart etabliert und wird daher oftmals nicht ohne Weiteres akzeptiert. Man beobachtet jedoch, dass solche Klauseln auch bei Transaktionen bzgl. deutscher Zielunternehmen zunehmend gefordert werden, gerade wenn es sich um einen internationalen Käufer handelt. Schließlich ist der Rechtsgedanke, dass das Risiko des Untergangs oder der Verschlechterung einer Sache erst mit Übergabe an den Käufer übergeht (Gefahrübergang) auch der deutschen Rechtsordnung durchaus vertraut, und sogar in § 466 des Bürgerlichen Gesetzbuches gesetzlich verankert.
Aber auch Käufer, die bislang nicht auf MAC-Klauseln bestanden haben, eruieren in der Coronakrise verstärkt, ob nun eine solche verhandelbar ist, da die praktische Bedeutung dieser Klauseln, die sonst eher als „nice to have“ für ein theoretisches Risiko-Szenario angesehen wurden, in der Krise nun auf der Hand liegen.
Des Weiteren stellt sich die Frage, ob bereits verhandelte MAC-Klauseln die Corona-Krise umfassen. MAC können sehr unterschiedlich gestaltet sein. Die Veränderungen können sich dabei auf die Zielgesellschaft selbst (Business MAC) oder auf das Marktumfeld (Market MAC) beziehen. Typische Anknüpfungspunkte einer Business MAC wären die Verschlechterung bestimmter Unternehmenskennziffern (bspw. Umsatz, EBITDA oder EBIT) oder der Eintritt der Zahlungsunfähigkeit bzw. eine Überschuldung der Zielgesellschaft. Demgegenüber sollen Market MACs gesamtwirtschaftliche Ereignisse absichern und orientieren sich daher an objektiven Indizes, wie etwa dem DAX oder einem anderen geeigneten Börsenindex. Andere MAC-Klauseln wiederrum stellen generell auf bestimmte Ereignisse außerhalb des Machtbereichs der Parteien auf, die als „wesentlich nachteiligen Veränderung“ definiert werden und dem Begriff der „höheren Gewalt“ bzw. „force majeure“ nahekommen. Während im deutschen Reiserecht beispielsweise eine Epidemie als Fallgruppe der „höheren Gewalt“ anerkannt ist, werden jedoch die wenigsten „prä-Corona“ MAC-Klauseln explizit auf diesen Begriff oder gar die Fallgruppe der Epidemie/Pandemie abstellen. Es bleibt daher im Einzelfall zu prüfen, ob eine bestimmte MAC-Klausel bzgl. der Folgen der Corona-Krise greift.
Käufer werden ferner auf eine umfassendere Due Diligence, engere Verhaltenspflichten der Verkäufer (Covenants), umfassenderen Garantien und weitreichende Freistellungen drängen – und dürften diese anders als 2019 auch durchsetzen.
Eine weitere Möglichkeit der Absicherung der Parteien sind W&I-Versicherungen, die (noch) stärker gefragt sein dürften. Allerdings sehen die Versicherungen sich zugleich einer stark steigenden Zahl von Ansprüchen angesichts der Krise gegenüber, was wiederum zu mittelfristig steigenden Prämien und strengeren Anforderungen an die Due Diligence der Käufer führen wird.
von Michael Stein und Christopher Peine