Autor

Friederike Voht, LL.M. (UCL)

Senior Associate

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18. Juni 2020

Kündigungsschutz für Schwangere besteht bereits vor Dienstantritt

Der heutige Beitrag beschäftigt sich mit einer Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts (BAG, Urt. v. 27.02.2020 – 2 AZR 498/19) zum Sonderkündigungsschutz einer schwangeren Arbeitnehmerin vor vereinbarter Tätigkeitsaufnahme.

 

I. Einleitung 


Während einer Schwangerschaft besteht nach § 17 Abs. 1 MuSchG ein absolutes Kündigungsverbot für den Arbeitgeber. Der Arbeitgeber kann jedoch in besonderen Fällen gemäß § 17 Abs. 2 S. 1 MuSchG bei der zuständigen Arbeitsschutzbehörde (bzw. einer von ihr bestimmten Stelle) eine Zulässigkeitserklärung für die Kündigung der schwangeren Arbeitnehmerin beantragen. Bevor die Behörde die Entscheidung über die Zulässigkeit trifft, wird die Arbeitnehmerin angehört. Erst nachdem die Kündigung für zulässig erklärt wurde, darf die Kündigung ausgesprochen werden. Andernfalls ist die Kündigung unwirksam. Ob dieser Sonderkündigungsschutz auch bereits vor vereinbarter Tätigkeitsaufnahme greift, war bisher höchstrichterlich nicht geklärt.

II. Sachverhalt

 

Die Parteien schlossen im Dezember 2017 einen Arbeitsvertrag. Das Arbeitsverhältnis sollte am 1. Februar 2018 beginnen. Am 18. Januar 2018, also noch vor dem ersten Arbeitstag, teilte die Arbeitnehmerin der Arbeitsgeberin mit, dass sie schwanger sei und aufgrund einer chronischen Vorerkrankung mit sofortiger Wirkung ein umfassendes Beschäftigungsverbot attestiert worden sei. Die Arbeitgeberin kündigte daraufhin das Arbeitsverhältnis mit Schreiben vom 30. Januar 2018 ordentlich zum 14. Februar 2018.

Die Arbeitnehmerin erhob Kündigungsschutzklage und machte geltend, dass die Kündigung unwirksam sei, da die Arbeitgeberin keine Zustimmung der zuständigen Arbeitsschutzbehörde eingeholt habe.

Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Die Berufung der Arbeitgeberin wurde zurückgewiesen.

 

III. Entscheidung

 

Die Revision der Arbeitgeberin war nicht erfolgreich. Das BAG bestätigte, dass die Kündigung nach § 17 Abs.1 S. 1 Nr. 1 MuSchG i.V.m. § 134 BGB unwirksam sei. Dass der Kündigungsschutz des § 17 Abs. 1 MuSchG auch dann greife, wenn die Arbeitnehmerin noch gar nicht angefangen habe zu arbeiten, ergebe sich nach dem BAG aus der Auslegung des Gesetzes.

Der Wortlaut von § 17 Abs. 1 S. 1 MuSchG sei zwar nicht eindeutig, die Gesetzessystematik, der Normzweck und die Entstehungsgeschichte würden aber zu dem Auslegungsergebnis führen, dass es alleine auf das Bestehen eines auf eine Beschäftigung im Sinne von § 7 SGB IV gerichteten Rechtsverhältnisses ankomme. Hierunter fallen insbesondere Arbeitsverhältnisse. Ein solches Arbeitsverhältnis entstehe bereits mit Abschluss des Arbeitsvertrages. Es sei dabei unerheblich, ob die Tätigkeit erst zu einem späteren Zeitpunkt aufgenommen werden solle. Das BAG wies auf die Parallele zum Bestehen von Nebenpflichten hin: Auch die Pflicht zur Rücksichtnahme auf die Interessen der Gegenpartei entstehe bereits mit Abschluss des Arbeitsvertrages und nicht erst am ersten tatsächlichen Arbeitstag.

 

Gerade der Sinn und Zweck des MuSchG sei für eine solche Auslegung auschlaggebend. Die (werdende) Mutter solle temporär vor dem Verlust des Arbeitsplatzes geschützt werden. Eine Kündigung könne sich schädlich auf die physische und psychische Verfassung der werdenden Mutter auswirken und sie sogar zum baldigen Abbruch ihrer Schwangerschaft veranlassen. Die Arbeitnehmerin und mittelbare das Kind sollen durch wirtschaftliche Existenzängste nicht belastet werden. Dieser Gesundheits- und Existenzsicherungsschutz sei aber nur dann gewährleistet, wenn die Kündigung eines Arbeitsvertrages unabhängig davon unzulässig sei, dass die Tätigkeit erst zu einem späteren Zeitpunkt aufgenommen werden solle. Solange die beabsichtigte Tätigkeitsaufnahme innerhalb der Schutzzeiten des MuSchG liege, müsse der gleiche Schutz angewandt werden. Dass mit „Beschäftigung“ nicht lediglich die tatsächliche Ausübung der Tätigkeit, sondern das zugrundeliegende Beschäftigungsverhältnis gemeint sei, folge auch schon daraus, dass Leistungen nach §§ 18 ff. MuSchG gerade auch für Zeiten eines Beschäftigungsverbots eine wirtschaftliche Absicherung der Frau sicherstellen sollen. In diesen Zeiten würde die Schwangere ihre Tätigkeit gerade nicht tatsächlich ausüben.

 

Durch die Änderung des Gesetzes ab dem 1. Januar 2018 von „in einem Arbeitsverhältnis stehen“ nach „in einer Beschäftigung i.S.v.  § 7 Abs. 1 SGB IV sollte der Schutz des MuSchG auch nicht beschränkt, sondern nur um Formen der Beschäftigung außerhalb eines Arbeitsverhältnisses erweitert werden.

Nach dem BAG stehe dieses Auslegungsergebnis auch im Einklang mit dem Unionsrecht. Ob die Auslegung des deutschen Rechts darüber hinaus sogar unionsrechtlich geboten sei, konnte das BAG dahinstehen lassen. Die Richtlinie 92/85/EWG enthalte lediglich Mindestvorschriften, schließe es aber nicht aus, einen weitergehenden Schutz zu ermöglichen. Das Kündigungsverbot „während der Schwangerschaft“ mit bloßen Erlaubnisvorbehalt nach § 17 Abs. 1 S. 1 MuSchG reiche weiter als der Schutz in der Richtlinie 92/85/EWG. Die Richtlinie erlaube aber nicht, dass bereits in den einzelnen Mitgliedstaaten erzielter Schutz bei der Umsetzung der Richtlinie eingeschränkt werde.

 

Das BAG hatte auch keine verfassungsrechtlichen Bedenken an einer solchen Auslegung. Ein Eingriff in den Schutzbereich der Berufsausübungsfreiheit aus Art. 12 Abs. 1 GG oder die allgemeine Handlungsfreiheit aus Art. 2 Abs. 1 GG würde durch den von der Regelung verfolgten Zweck gerechtfertigt werden. Da der Kündigungsschutz zeitlich begrenzt sei und bei außergewöhnlichen Umständen die Möglichkeit einer Zulassungserklärung der Kündigung nach § 17 Abs. 2 MuSchG bestehen würde, bestünde keine übermäßige Belastung. Zudem müsse der Arbeitgeber die Kosten für die Zeiten von Beschäftigungsverboten gemäß §§ 18, 20 MuSchG aufgrund des Umlageverfahrens auch nicht allein tragen.

Da im vorliegenden Fall die Voraussetzungen des § 17 Abs. 1 S. 1 MuSchG erfüllt waren, war die Kündigung unwirksam.

 

IV. Fazit und Praxishinweis


Die Entscheidung des BAG fügt sich in die bisherige höchstrichterliche Rechtsprechung ein und sorgt für weitere Rechtssicherheit. Eine Kündigung von Schwangeren ist entsprechend auch vor Dienstantritt nur dann möglich, wenn die zuständige Arbeitsschutzbehörde die Kündigung ausnahmsweise für zulässig erklärt hat. Die Kündigung darf hierfür nicht im Zusammenhang mit der Schwangerschaft der Arbeitnehmerin stehen. Dies wäre beispielsweise der Fall, wenn der Betrieb, in welchem die schwangere Arbeitnehmerin beschäftigt ist, stillgelegt wird und die schwangere Arbeitnehmerin in keinem anderen Betrieb des Unternehmens weiterbeschäftigt werden kann.

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