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Dieter Lang, LL.M.Eur.

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28. April 2020

Schließung von Einzelhandelsbetrieben mit mehr als 800 qm Verkaufsfläche verfassungswidrig

– verfassungsrechtliche Grenzen für Corona-Schutzmaßnahmen werden enger

Mehrfach haben nun Oberverwaltungsgerichte die Beschränkungen des Einzelhandels im Rahmen der Maßnahmen zur Bekämpfung der COVID-19 Pandemie für verfassungswidrig erklärt:

Verwaltungsgerichtshof München

Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof hat mit Beschluss vom 27. April 2020 (Az.: 20 NE 20.793) im einstweiligen Rechtsschutzverfahren die Verfassungswidrigkeit des Verbots der Öffnung von Einzelhandelsgeschäften mit mehr als 800 qm Verkaufsflächen durch die 2. Bayerische Infektionsschutzmaßnahmenverordnung festgestellt. Eine Besonderheit der Entscheidung besteht zunächst darin, dass das Gericht die Beschränkung des großflächigen Einzelhandels trotz ihrer Verfassungswidrigkeit nicht außer Vollzug setzt. Werde die Regelung nicht angewendet, bliebe eine gesamtgesellschaftliche Bedrohungslage teilweise ungeregelt. Darin liege nach Auffassung des Gerichts eine Art „Notstand“, der die weitere Anwendung der als verfassungswidrig erkannten Regelung ausnahmsweise erlaube. In der Sache sieht das Gericht den Gleichheitsgrundsatz insbesondere deshalb als verletzt, weil der großflächige Buch- und Fahrradhandel unabhängig von der Größe der Verkaufsfläche von der Schließung freigestellt sei. Der großflächige Buch- und Fahrradhandel sei hinsichtlich der Fragen des Infektionsschutzes mit sonstigen Einzelhandelsbetrieben mit einer Verkaufsfläche von mehr als 800 qm in entsprechender Lage gleich zu behandeln. Obwohl es in der Entscheidung nicht darauf ankam, weist der Verwaltungsgerichtshofs zudem darauf hin, dass ein Ausschluss der Möglichkeit, die Verkaufsfläche selbst auf 800 qm zu beschränken, um so eine Öffnung zu gewährleisten, wegen der Schwere des Eingriffs in die Freiheitsrechte ebenfalls verfassungswidrig sei. Unter dem Blickwinkel der Gleichbehandlung sei es auch nicht zu rechtfertigen, das die Verordnung generell vom Öffnungsverbot freigestellte Einzelhandelbetriebe auch von der Verpflichtung freistelle, die Anzahl der Kunden in Verhältnis zur Verkaufsfläche (1 Kunde pro 20 qm) zu begrenzen, während dies für andere Einzelhandelsbetriebe gelte. Ausdrücklich dem Hauptsachverfahren vorbehalten hat der Verwaltungsgerichtshof die weitergehende Entscheidung, ob die Beschränkungen auch die Berufsfreiheit (Art. 12 GG) verletzten. Schließlich weist der Beschluss eine weitere Besonderheit auf: Das Gericht äußert ausdrücklich Zweifel, dass das Infektionsschutzgesetz als verfassungsgemäße Rechtsgrundlage für länger fortdauernde Freiheitsbeschränkungen ausreiche.

Auch das Verwaltungsgericht Hamburg hat bereits am 21. April 2020 (3 E 1675/20) – noch nicht rechtskräftig – die Differenzierung nach der Größe der Verkaufsfläche (800 qm) als sachlich nicht gerechtfertigt und nicht notwendig qualifiziert.

Verwaltungsgerichtshof Schleswig

Am 24. April 2020 hat bereits das Oberverwaltungsgericht Schleswig (AZ.: 3 MR 90/20) die Anordnung der Schließung des Outlet-Centers Neumünster vorläufig für unanwendbar erklärt Das Verbot, die Ladenlokale des Outlet-Centers mit einer Verkaufsfläche von weniger als 800 qm zu öffnen, verletze das Grundrecht auf Gleichbehandlung, weil die schleswig-holsteinische SARS-CoV2-Bekämpfungsverordnung in der Fassung vom 18. April die Öffnung von Einzelgeschäften mit einer entsprechenden Verkaufsflächen unter bestimmten Voraussetzungen erlaubt. Auch wenn der Entscheidungstext noch nicht veröffentlicht ist, deutet die Pressemitteilung doch darauf hin, dass das Gericht bei der Prüfung der verfassungsrechtlichen Rechtfertigung der Differenzierung zwischen Outlet-Centern und sonstigem Einzelhandel eine eher strengen Maßstabe anwendet: „Wenn der Verordnungsgeber ein „Anfahren“ der wirtschaftlichen Betätigung für vertretbar halte, müsse er vergleichbare Sachverhalte auch vergleichbar regeln, sich im Übrigen die Grundrechtspositionen potentiell Betroffener vor Augen führen und sorgsam prüfen, ob es gegenüber einem absoluten Öffnungsverbot mildere, aber gleich wirksame Mittel gebe.“ Das Gericht konnte nicht erkennen, „warum die Umsetzung besonderer Hygiene- und Zugangsmaßnahmen in einem Outlet-Center nicht mindestens ebenso zu gewährleisten sei wie in Fußgängerzonen, Einkaufsstraßen und Einkaufszentren.“ Das Outlet-Center habe ein Steuerungs- und Hygienekonzept, dass vergleichbare Standards wie der sonstige stationäre Einzelhandel verwirklicht und Elemente ausgeschlossen, die einen darüber hinaus gehenden Event-Charakter und damit eine erhöhte Attraktivität für Menschenansammlungen bedeuten könnten. 

Zusammenfassung

Diese Entscheidungen ergingen im einstweiligen Rechtsschutz. Die späteren Entscheidungen im Hauptsacheverfahren könnten deshalb auch anders ausfallen. Allerdings, ergibt sich aus den vorliegenden Entscheidungen ein starker Hinweis auf den Ausgang auch der Hauptsachverfahren. Zudem binden die Entscheidungen formell nur in den jeweiligen Gerichtsverfahren. Unmittelbare Aussagekraft haben sie auch nur für die jeweiligen Landeregelungen. Die verfassungsrechtlichen Erwägungen beziehen sich jedoch auf die verfassungsrechtlichen Voraussetzungen durch das Grundgesetz und haben deshalb über die Landesregelungen hinaus Bedeutung. Nach dem die Rechtsprechung anfänglich dem Gesetzgeber einen eher weiten Beurteilungsspielraum bei der Bewertung der für die Bekämpfung der COVID-19 Pandemie eingeräumt hat und die Maßnahmen der „ersten Generation“ bestätigt hat, scheinen einige Oberverwaltungsgerichte nun für die Maßnahmen der „zweiten Generation“, eine strengeren verfassungsrechtlichen Kontrollmaßstab anzuwenden. Dies scheint umso mehr zu gelten, wenn der Gesetzgeber den Gerichten kein stimmiges System zur Begründung der Geeignetheit und Notwendigkeit von Freiheitsbeschränkungen vorgeben. Besondere Brisanz kann sich für den Einzelnen daraus ergeben, dass staatliche Maßnahmen, die rechtswidrig sind, häufig vorrangig angegriffen werden müssen, bevor Erstattungsansprüche infrage kommen. Wir haben für Sie umfassende Informationen und Handlungsempfehlungen zu zahlreichen rechtlichen Implikationen im Kontext der Coronavirus-Pandemie zusammengestellt.

Wir haben für Sie umfassende Informationen und Handlungsempfehlungen zu zahlreichen rechtlichen Implikationen im Kontext der Coronavirus-Pandemie zusammengestellt: Coronavirus - Antworten zu rechtlichen Implikationen

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