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Dr. Michael Kieffer

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18. März 2020

Neuigkeiten zum “New Deal for Consumers”

Aktuelle Fortschritte beim Gesetzgebungsverfahren über das Richtlinienpaket zur Modernisierung des europäischen Verbraucherschutzrechts

Lange Zeit war es in der Öffentlichkeit still um die Richtlinienvorschläge COM (2018) 184 (Kollektivrechtsschutzrichtlinie) und COM (2018) 185 (Omnibusrichtlinie). Gemeinsam bilden sie den von der Kommission versprochenen „New Deal for Consumers“, der das europäische Verbraucherschutzrecht an den Stand der Zeit anpassen soll. Die Omnibusrichtlinie ist mittlerweile beschlossene Sache, während für die Kollektivrechtsschutzrichtlinie seit dem 28. November 2019 ein Positionspapier des Rates vorliegt, auf dessen Basis der Rechtsausschuss des europäischen Parlaments am 9. Januar 2020 entschieden hat, interinstitutionelle Verhandlungen aufzunehmen. Beide Richtlinienentwürfe wurden im Vergleich zu den Erstentwürfen stark modifiziert.

Im April 2018 kündigte die Kommission den New Deal for Consumers als Teil des europäischen REFIT-Programms zur allgemeinen Optimierung der EU-Gesetzgebung an. Ausgerufenes Ziel des New Deal for Consumers ist die Verbesserung des europäischen Verbraucherschutzrechts im Hinblick auf die Herausforderungen des Onlinehandels. Das Richtlinienpaket besteht zum einen aus einer sogenannten “Omnibusrichtlinie“, die zur Stärkung der Verbraucherrechte materiell-rechtliche Reformen für mehrere bestehende Richtlinien vorsieht, und zum anderen aus der Kollektivrechtsschutzrichtlinie, die für eine bessere prozessuale Durchsetzung der Verbraucherrechte in Massenschadensfällen sorgen soll.

I) Omnibusrichtlinie beschlossen

Am 8. November 2019 nahm der Rat die Omnibusrichtlinie als RL (EU) 2019/2161 an, die nun innerhalb von 24 Monaten durch die Mitgliedsstaaten umgesetzt werden soll und deren Regelungen spätestens ab dem 28. Mai 2022 angewendet werden müssen. Sie beinhaltet diverse Änderungen an folgenden vier verbraucherschutzrechtlich relevanten Richtlinien:

  • RL 2005/29/EG über unlautere Geschäftspraktiken zwischen Unternehmern und Verbrauchern,
  • RL 98/6/EG über den Schutz der Verbraucher bei der Angabe der Preise der ihnen angebotenen Erzeugnisse,
  • RL 2011/83/EU über die Rechte der Verbraucher,
  • RL 93/13/EWG über missbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen.


Wichtige materiell-rechtliche Reformen sind insbesondere umfassendere Hinweispflichten im Onlinehandel und hohe Bußgelder bei unlauteren Wettbewerbshandlungen und Verbraucherbenachteiligungen. Folgende Regelungen stechen hervor:

1. Richtlinie 2005/29/EG über unlautere Geschäftspraktiken zwischen Unternehmern und Verbrauchern:

  • Unternehmer, die Kundenrezensionen zu Produkten anzeigen, müssen nunmehr angeben, ob Mechanismen zur Sicherstellung von deren Authentizität getroffen wurden. Eine diesbezügliche Falschangabe ist ein Schwarzlistenverstoß gegen Wettbewerbsrecht. Gleiches gilt für gefälschte Rezensionen, die vom Unternehmer selbst veranlasst wurden. Unternehmer sind zwar nicht gezwungen, Prüfmechanismen einzuführen, müssen dann aber sichtbar angeben, dass keine Vorkehrungen getroffen wurden.
  • Ein weiterer neuer Schwarzlistenverstoß gegen das Wettbewerbsrecht ist das Anbieten von Veranstaltungstickets, die zuvor unter Verwendung von programmierten „Bots“ zur Umgehung von Maximalabnahmebegrenzungen erlangt wurden.
  • Werden von einem Vergleichsportal Produktrankings für Produkte verschiedener Anbieter vorgenommen, muss der Betreiber für den Verbraucher sichtbar anzeigen, welche Rankingkriterien genutzt werden, und wie diese zueinander gewichtet sind.
  • Die Vermarktung von Produkten unterschiedlicher Zusammensetzung oder Qualität in verschiedenen Mitgliedsstaaten unter derselben Bezeichnung wird als irreführende Geschäftspraxis eingestuft. Rechtfertigungen sind möglich, wobei Kaufkraftunterschiede voraussichtlich kein ausreichendes Argument sein werden. Für Unternehmer erscheint also in vielen Fällen eine Anpassung entweder der Produktzusammensetzung oder der Vermarktung unausweichlich.
  • Onlinemarktplätze, also Portale, die Verbrauchern ermöglichen, Fernabsatzverträge (auch) mit anderen Unternehmern oder Verbrauchern abzuschließen, treffen neue Hinweispflichten. Sie haben von den jeweiligen Anbietern in Erfahrung zu bringen, ob diese als Unternehmer oder Verbraucher agieren und die Informationen potenziellen Käufern anzuzeigen. Dies ist zu verbinden mit Hinweisen auf die jeweiligen Rechtsfolgen wie zum Beispiel dem Widerrufsrecht.
  • Verbrauchern sollen Rechtsschutzmöglichkeiten gegen Unternehmer offenstehen, die unlautere Wettbewerbsmethoden verwenden. Der Wortlaut dieser Regelung ist vage und im Vergleich zum Erstentwurf stark abgeschwächt. Es erscheint aber weiterhin möglich, dass Verbraucher im Vergleich zur bisherigen Rechtslage weitreichendere Möglichkeiten erhalten, gegen unlautere Wettbewerbsmethoden vorzugehen und eigene Ansprüche geltend zu machen. Hier ist die Umsetzung durch nationale Gesetzgeber wachsam zu verfolgen.

 

2. Richtlinie 98/6/EG über den Schutz der Verbraucher bei Angaben von Preisen:

  • Weisen Unternehmer bei einem Produktpreis darauf hin, dass dieser ermäßigt wurde, müssen sie nun den niedrigsten vorherigen Preis innerhalb der letzten 30 Tage zum Vergleich mitangeben.

 

3. Richtlinie über die Rechte der Verbraucher:

  • Die Geltung der Verbraucherrechterichtlinie wird ausdrücklich auch auf Verträge über digitale Inhalte erstreckt, bei denen der Verbraucher dem Unternehmer als Gegenleistung seine personenbezogenen Daten bereitstellt oder deren Bereitstellung zusagt.
  • Onlineanbieter, die Produktpreise durch automatisierte Entscheidungsfindung individuell an den Besucher anpassen („Dynamic Pricing“), trifft nun eine diesbezügliche Hinweispflicht (etwa dann, wenn sich der aufgerufene Preis für den konkreten Verbraucher erhöht, wenn dieser die Website mehrmals besucht).

 

4. Richtlinien über missbräuchliche Klauseln, Verbraucherrechte und unlautere Geschäftspraktiken:

  • Staatliche Sanktionen für Unternehmer, die unlautere Geschäftspraktiken oder gegenüber Verbrauchen missbräuchliche Vertragsklauseln verwenden oder Verstöße gegen die Verbraucherrechterichtlinie begehen, werden näher geregelt. Die Obergrenze für Sanktionen darf dabei nicht unter 4% des Jahresumsatzes des Unternehmers betragen, anderenfalls bis zu 2 Millionen Euro, wenn der Jahresumsatz nicht feststellbar ist.

Nicht aus dem Entwurf übernommen wurden zwei geplante unternehmerfreundliche Änderungen – ein Ausschluss des Verbraucherwiderrufsrechts bei retournierten übermäßig genutzten Waren sowie die Verschiebung der Rückgewährverpflichtung hinsichtlich des Kaufpreises auf den Zeitpunkt des Rückerhalts der Ware.

II) Langsamer Fortschritt beim Kollektivrechtsschutz

Bis auch das Gesetzgebungsverfahren der Kollektivrechtsschutzrichtlinie abgeschlossen ist, wird noch einige Zeit vergehen. Kern dieses Richtlinienentwurfs ist eine Verbandsklagemöglichkeit für sogenannte „qualifizierte Einrichtungen“, die zugunsten geschädigter Verbraucher auftreten. Ein Novum ist dabei insbesondere die Möglichkeit, eine kollektive Leistungsklage erheben zu können.

Der Rat hat nunmehr am 28. November 2019 sein Positionspapier („allgemeine Ausrichtung“) zum Richtlinienentwurf veröffentlicht. Auf Basis der vorliegenden Positionen und des Kommissionsentwurfs hat der Rechtsausschuss des Europäischen Parlaments am 9. Januar 2020 zugestimmt, den Trilog mit Rat und Kommission über das Vorhaben zu eröffnen. Das Positionspapier ist für den weiteren Gesetzgebungsprozess von großer Bedeutung, denn es bildet die Kernpositionen des Rates zu dem Richtlinienvorschlag ab.

Insgesamt unterscheiden sich die jeweiligen Standpunkte von Kommission, Rat und Europäischem Parlament jedoch deutlich. So hat der Rat in seinem Positionspapier einige wesentliche Änderungen am Erstentwurf vorgenommen. Es soll eine Unterscheidung zwischen innerstaatlichen und grenzüberschreitenden Verbandsklagen geben, mit gesonderten Kriterien für die jeweils klageberechtigten qualifizierten Einrichtungen. Zudem möchte der Rat eine Bestimmung streichen, die besagt, dass geringfügige finanzielle Entschädigungen einem dem Verbraucherschutz dienenden, öffentlichen Zweck zuzuweisen sind, anstatt sie auf die geschädigten Verbraucher zu verteilen. Weiterhin sollen die im Rahmen der Verbandsklage getroffenen Entscheidungen in vergleichbaren Fällen nicht als unwiderleglicher Nachweis für einen Verstoß gelten. Ob betroffene Verbraucher einer Teilnahme an der Klage zustimmen müssen („opt in“) oder grundsätzlich Teilnehmer sind, es sei denn, sie widersprechen („opt-out“), soll den nationalen Gesetzgebern im Rahmen der Umsetzung überlassen werden.

III) Ein guter Deal?

Der Abschluss des Gesetzgebungsverfahrens über die Kollektivrechtsschutzrichtlinie wird nicht vor der zweiten Jahreshälfte 2020 erwartet. Bis dahin kann sich noch einiges ändern, zumal die Kritik an den Verbandsklagemöglichkeiten anhaltend ist. Unternehmerverbände fürchten vor allem Klagewellen. Gewarnt wird vor allem vor zu geringen Anforderungen an die qualifizierten Einrichtungen. Durch verschiedene nationale Ausgestaltungen der Klagemöglichkeiten und Anforderungen an qualifizierte Einrichtungen könnten Klagen dabei in Ländern mit besonders verbraucherfreundlicher Umsetzung der Richtlinie inflationär erhoben werden („forum shopping“). Unklar ist zudem das Schicksal bestehender nationaler Kollektivrechtsbehelfe wie etwa der deutschen Musterfeststellungsklage. Zumindest nach dem Positionspapier des Rates sollen diese weiterhin Bestand haben können, solange sichergestellt ist, dass daneben auch die Klagemöglichkeiten entsprechend der Richtlinie offenstehen. Die weiteren Entwicklungen bleiben daher unbedingt zu verfolgen.

Die mitgliedsstaatlichen Gesetze zur Umsetzung der schon beschlossenen Omnibusrichtlinie sind spätestens ab Mai 2022 anzuwenden. Insbesondere Unternehmen, die im Onlinemarkt gegenüber Verbrauchern aktiv sind, müssen die Zeit nutzen, um sich schon frühzeitig auf die Gesetzesänderungen einzustellen. Sie sollten die vielfältigen Hinweispflichten schnellstmöglich erfüllen und eventuelle Verstöße abstellen, um nicht von einer kurzfristigen Umsetzung überrascht zu werden. Bei Nichterfüllung drohen hohe Bußgelder von bis zu 4% des Jahresumsatzes, Abmahnungen und gegebenenfalls Verbraucherklagen.

Unternehmerverbände kritisieren, dass die zunächst angedachte Erschwerung des Verbraucherwiderrufs bei vorheriger übermäßiger Nutzung der Produkte durch den Verbraucher nicht realisiert wurde. Aktuelle Missbrauchsmöglichkeiten blieben bestehen. Die Neuregelungen sind erwartungsgemäß insgesamt verbraucherfreundlich ausgefallen. Gegen die wenigen unternehmerfreundlichen Änderungsvorschläge hatte sich schon frühzeitig erheblicher Widerstand abgezeichnet.

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