Autor

Dr. Michael Kieffer

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25. März 2024

Die neue Produkthaftungsrichtlinie: Software als Produkt

  • In-depth analysis

Fast 40 Jahre nach ihrem Inkrafttreten unterzieht die Europäische Union die Produkthaftungsrichtlinie (RL 85/374/EWG) einer weitgehenden Novellierung. Ziel dieser Reform ist es, die Normen an die Gegebenheiten und Bedürfnisse des digitalen Binnenmarktes anzupassen. Zu diesem Zweck wird auch Software künftig als Produkt im Sinne der Produkthaftungsrichtlinie angesehen. Welche Hintergründe und Auswirkungen diese Neuerung hat, beleuchten wir in diesem Beitrag.

Bisherige Rechtslage

Ob Software dem Produktbegriff aus Art. 2 der Richtlinie unterfällt, war bislang umstritten. Ursprünglich konnte „Produkt“ nur ein beweglicher und körperlicher Gegenstand sein. In Abweichung davon stellte der europäische Normgeber in der genannten Vorschrift schon frühzeitig klar, dass auch Elektrizität als „Produkt“ im Sinne der Richtlinie anzusehen sei. Auch wegen dieser Sonderbestimmung konnte man davon ausgehen, dass im Umkehrschluss alle anderen, immateriellen Gegenstände vom Anwendungsbereich der Richtlinie ausgenommen waren. Für Software bedeutete das, dass ihr die Produkteigenschaft allenfalls dann zugesprochen wurde, wenn sie irgendeine Form von Sachsubstanz aufwies, etwa indem sie auf einem Datenträger (z.B. auf einer CD) verkörpert war. In den allermeisten Fällen unterlag Software somit nicht den Bestimmungen der Produkthaftungsrichtlinie.

Neue Rechtslage

Aufgrund der fortschreitenden Digitalisierung wurde zuletzt von der Europäischen Kommission immer nachdrücklicher eine Anpassung der Produkthaftungsrichtlinie gefordert. Diesen Forderungen trug die Kommission Rechnung, indem sie 2022 den Entwurf einer grundlegend überarbeiteten Produkthaftungsrichtlinie vorlegte. Im Dezember 2023 verständigten sich Verhandlungsführer des Rates, der Kommission und des Parlaments schließlich auf die Einzelheiten zur inhaltlichen Ausgestaltung der neuen Richtlinie. Die Einigung wurde in einen angepassten Text des Richtlinienentwurfs eingearbeitet, der vom Europäischen Parlament und dem zuständigen Ausschuss des Rates bereits im Grundsatz gebilligt wurde. Vor einer endgültigen Verabschiedung durch Parlament und Rat muss der Text noch ein letztes Mal überprüft werden, was sich allerdings bis nach dem Sommer 2024 hinziehen kann. Mithin könnte der Gesetzestext möglicherweise erst im Herbst veröffentlicht werden. Allerdings ist nicht mehr mit wesentlichen Änderungen zu rechnen. Sodass sich anhand des am 13. März verabschiedenden Textes, auf den sich die nachfolgenden Zitate beziehen, schon jetzt abschätzen lässt, auf welche Bestimmungen sich Unternehmen künftig einzustellen haben.

1. Ausweitung des Produktbegriffs auf Software – Ausnahme für Open-Source-Software

Mit der neuen Produkthaftungsrichtlinie dehnt die Europäische Union den Produktbegriff erheblich aus. Gemäß Art. 4 Nr. 1 des Richtlinienentwurfs gelten unter anderem auch Software, digitale Produktionsunterlagen (z.B. CAD-Konstruktions-zeichnungen) und Rohstoffe fortan als Produkt. Ausgenommen vom sachlichen Anwendungsbereich der Richtlinie bleibt Open-Source-Software (Art. 2 Abs. 2). Damit entfernt sich der rechtliche Produktbegriff zunehmend von dem Begriffsverständnis des allgemeinen Sprachgebrauchs. Unternehmen sollten deshalb nicht vorschnell annehmen, sie unterlägen mit den von ihnen in Verkehr gebrachten Waren und Dienstleistungen nicht dem Anwendungsbereich des Produkthaftungsrechts.

2. Produktfehler bei Software

Ein Produkt ist gemäß Art. 7 Abs. 1 des Richtlinienentwurfs fehlerhaft, wenn es (a) entweder den Sicherheitserwartungen, die eine durchschnittliche Person an das Produkt haben darf, nicht gerecht wird oder es (b) die Sicherheitsanforderungen nach europäischem oder nationalem Recht nicht erfüllt. Bei der Beurteilung der Fehlerhaftigkeit sind gemäß Art. 7 Abs. 2 des Richtlinienentwurfs unter anderem die Eigenschaften eines Produkts, dessen technische Funktionsfähigkeit, aber auch seine Verpackung und die Produktkennzeichnung beachtlich. Speziell eine Software kann darüber hinaus auch wegen ausbleibender Sicherheitsupdates oder mangelnder Nutzbarkeit verbundener Dienste fehlerhaft sein.

Letzteres korreliert mit den gewährleistungsrechtlichen Vorschriften, die in Umsetzung der Warenkaufrichtlinie und der Richtlinie über digitale Inhalte und Dienstleistungen bereits Eingang in das deutsche Recht gefunden haben (z.B. §§ 475b, 475c, 327f BGB). Insofern schafft die Europäische Union nunmehr einen Gleichlauf zwischen Gewährleistungs- und Produkthaftungsrecht. Der Anpassungsbedarf betroffener Unternehmen sollte aber überschaubar bleiben, da für die meisten von ihnen speziell die Updatepflicht längst relevant ist.

3. Ausweitung des Schadensbegriffs

Beachtlich ist weiter, dass der europäische Normgeber neben dem Produktbegriff auch den Schadensbegriff ausweitet. Ersatzfähig sind nach Art. 6 des Richtlinienentwurfs künftig auch immaterielle Schäden sowie Schäden, die auf einer Zerstörung oder Beschädigung von bestimmten Daten beruhen. Zugleich wird auch die Öffnungsklausel, deretwegen die Produkthaftung in Deutschland bislang auf einen Maximalbetrag von 85 Mio. EUR gedeckelt war, ersatzlos gestrichen. Betroffene Unternehmen sind dadurch im Falle eines Produktfehlers unter Umständen zu höheren Ersatzleistungen verpflichtet.

4. Auswirkungen auf Vertriebs- und Lieferketten

Die Produkthaftungsrichtlinie verpflichtet in erster Linie Hersteller. Bislang waren darunter End- und Teilehersteller sowie Einführer und Lieferanten erfasst. Zusätzlich wird der personelle Anwendungsbereich der Produkthaftungsrichtlinie gemäß Art. 8 des Richtlinienentwurfs künftig um den Bevollmächtigten, den Fulfillment-Dienstleister, den Wiederaufbereiter, den Händler – bisher „Lieferant“ - und den Betreiber eines Online-Marktplatzes erweitert. Damit weitet die EU den Kreis der Verpflichteten erheblich aus. Es bleibt jedoch dabei, dass sich einzelne Händler exkulpieren können, indem sie dem Geschädigten die Identität des ihnen in der Vertriebs- und Lieferkette vorgeschalteten, in der Union angesiedelten Gliedes oder dessen Repräsentanten offenbaren.

Bedeutung für die Praxis

Zahlreiche Unternehmen müssen sich aufgrund der novellierten Richtlinie darauf einstellen, dass die von ihnen in Verkehr gebrachten Waren und Dienstleistungen nunmehr dem Anwendungsbereich des Produkthaftungsrechts unterfallen. Konkret bedeutet das, dass die Unternehmen für die Schäden aus fehlerhaften Produkten verschuldensunabhängig haften. Diese Haftung steht neben dem Gewährleistungsrecht. Die neuen Vorschriften sind in einer Richtlinie geregelt, d.h. sie gelten nicht unmittelbar, sondern bedürfen einer Umsetzung in nationales Recht. Die Mitgliedstaaten werden die Vorschriften innerhalb von 24 Monaten ab Inkrafttreten der Richtlinie umzusetzen haben, vermutlich also bis Q3/2026, sodass betroffenen Unternehmen eine Übergangsfrist verbleibt, in der sie sich auf die neuen Vorschriften einstellen können.

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