19. September 2018

EuGH: Die Kirchen und das Arbeitsrecht

Ist das Ende der bisherigen Autonomie der Kirchen eingeläutet?

Mit seiner Entscheidung aus der vergangenen Woche hat der Europäische Gerichtshof („EuGH“) nicht nur zu einem sehr spannenden Fall entschieden, der bereits sämtliche Instanzen beschäftigt hat, sondern zugleich wichtige Aussagen zum kirchlichen Arbeitsrecht getroffen, welche weit über den konkreten Fall von Bedeutung sind.

I. Einleitung

Kirchen nehmen im deutschen Recht eine besondere Rolle ein, welche sich aus der Historie, aber auch aus der Verfassung selbst ergibt. Diese besondere Rolle, welche Ausfluss des Rechts der Kirchen zur Selbstbestimmung ist, räumt den Kirchen eine besondere Autonomie ein, welche sich auch auf die Arbeitsverträge inkl. der Arbeitsverhältnisse auswirkt. So können bspw. Verstöße gegen das katholische Kirchenrecht für katholische Arbeitnehmer Pflichtverstöße darstellen. Diese Pflichtverstöße, zu denen auch ein Verstoß gegen das Sakrament der Ehe mit ihrem – nach dem Verständnis der katholischen Kirche – heiligem und unauflöslichem Charakter gehört, können im schlimmsten Fall zu einer Kündigung des Arbeitsvertrages inkl. des Arbeitsverhältnisses führen.

II. Sachverhalt

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit genau solch einer Kündigung, welche durch die Trägerin eines katholischen Krankenhauses („Beklagte“) wegen eines Loyalitätsverstoßes gegenüber einem ihrer Chefärzte („Kläger“) ausgesprochen wurde. Die erste Frau des Klägers trennte sich im Jahr 2005 von diesem; die Ehe wurde im März 2008 geschieden. Im August 2008 heiratete der Kläger seine neue Lebensgefährtin standesamtlich, ohne dass seine erste Ehe nach katholischem Kirchenrecht für nichtig erklärt worden war. Damit lag eine nach katholischem Kirchenrecht ungültige Ehe vor, was – nach Ansicht der Beklagten – den gravierenden Loyalitätsverstoß begründete. Nachdem die Beklagte von dieser zweiten Heirat erfuhr, kündigte sie den Arbeitsvertrag inkl. des Arbeitsverhältnisses mit dem Kläger wegen dieses Pflichtverstoßes. Dabei behandelte die Beklagte den katholischen Kläger jedoch anders, als Arbeitnehmer anderer Konfession. Denn von diesen wurde die Einhaltung der strengen Anforderungen an das Sakrament der Ehe gerade nicht verlangt. Der Kläger erhob daraufhin Kündigungsschutzklage und stützte diese u.a. auf einen Verstoß gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz. Der Fall bahnte sich seinen Weg durch die Instanzen, wobei das Arbeitsgericht der Klage stattgab (ArbG Düsseldorf, Urt. v. 30.07.2009 – 6 Ca 2377/09) und das Landesarbeitsgericht die von der Beklagten eingelegte Berufung zurückwies (LAG Düsseldorf, Urt. v. 01.07.2010 – 5 Sa 996/09). Auch vor dem Bundesarbeitsgericht („BAG“) scheiterte die Beklagte zunächst (Az.: BAG, Urt. v. 08.09.2011 – 2 AZR 543/10), ehe das Urteil des BAG durch das Bundesverfassungsgericht („BVerfG“) aufgehoben und die Sache zurück an das BAG verwiesen wurde (BVerfG, Beschluss v. 22.10.2014 – 2 BvR 661/12). Im Rahmen seiner erneuten Prüfung ersuchte das BAG zunächst den EuGH um eine Vorabentscheidung. Der Entscheidung des EuGH ist im Mai 2018 der Schlussantrag des Generalanwalts beim EuGH vorausgegangen.

III. Entscheidung

Die Entscheidung des EuGH kam nicht überraschend, entspricht sie doch der Linie des Schlussantrags des Generalsanwalts beim EuGH. Der EuGH hat entschieden, dass die Ungleichbehandlung des Klägers eine Diskriminierung darstellen könne. Die Prüfung der Rechtmäßigkeit von Anforderungen hinsichtlich eines loyalen und aufrichtigen Verhaltens, welche von Kirchen vorgegeben werden, deren Ethos auf religiöse Grundsätze oder Weltanschauungen beruht, dürfe nicht ausschließlich anhand des nationalen Rechts vorgenommen werden. Vielmehr seien auch die Bestimmungen des Unionsrechts, hier die des Art. 4 der Richtlinie 200/78 („RL“), zu berücksichtigen. Ferner müsse die Einhaltung solcher Anforderungen stets gerichtlich überprüfbar sein. Die Rechtmäßigkeit einer Ungleichbehandlung wegen der Religion oder Weltanschauung nach Maßgabe der RL hänge also vom objektiv überprüfbaren Vorliegen eines direkten Zusammenhangs zwischen der vom Arbeitgeber aufgestellten beruflichen Anforderung und der jeweiligen Tätigkeit ab. Ein solcher Zusammenhang könne sich (i) aus der Art der Tätigkeit – z. B. wenn sie einen Beitrag zum Verkündigungsauftrag der betroffenen Kirche leiste – oder (ii) aus den Umständen ihrer Ausübung ergeben, z. B der Notwendigkeit, für eine glaubwürdige Vertretung der Kirche nach außen zu sorgen. Eine Ungleichbehandlung sei also nur zulässig, wenn die Religion oder die Weltanschauung im Hinblick auf die Art der betreffenden beruflichen Tätigkeiten oder die Umstände ihrer Ausübung eine wesentliche, rechtmäßige und gerechtfertigte berufliche Anforderung angesichts des Ethos der Beklagten sei. Mithin sei im Kern zu prüfen, ob eine solche wesentliche, rechtmäßige und gerechtfertigte berufliche Anforderung vorliege.

Darüber hinaus hat der EuGH zu den hier maßgeblichen Regelungen in Art. 4 RL Stellung bezogen. So ergebe sich aus Art. 4 RL, dass die Forderung nach einer bestimmten Religionszugehörigkeit keine sachfremden Ziele verfolgen dürfe. Ferner müsse hinsichtlich der aufgestellten Anforderungen im Einzelfall geprüft werden, ob mit der Abweichung von diesen Anforderungen die Gefahr einer Beeinträchtigung des Ethos und des Rechts auf Autonomie verbunden sei. Überdies müsse stets der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit geprüft werden, d.h. die von der Kirche definierten Anforderungen müssen insbesondere angemessen sein.

Auch wenn die abschließende Entscheidung des konkreten Falles dem BAG vorbehalten bleibt, hat der EuGH zumindest Hinweise gegeben, welche eine Entscheidung durch das BAG ermöglichen sollen und die Bewertung des EuGH sehr eindeutig zum Ausdruck bringen. Hinsichtlich der vom Kläger ausgeübten beruflichen Tätigkeiten, nämlich der Beratung und medizinische Pflege in einem Krankenhaus und der Leitung der Abteilung „Innere Medizin“ als Chefarzt, erscheine die Akzeptanz zum Eheverständnis der Beklagte für die Bekundung des Ethos nicht notwendig zu sein. Insofern sei sie keine wesentliche Voraussetzung der beruflichen Tätigkeit im Sinne des Art. 4 RL. Dies ergebe sich insbesondere daraus – und darauf hatte bereits der Generalanwalt seine Stellungnahme gestützt –, dass Stellen, die medizinische Verantwortung und Leitungsaufgaben umfassen, vorliegend auch Beschäftigten der Beklagten anvertraut worden seien, die gerade nicht katholischer Konfession seien und folglich auch nicht denselben Anforderungen unterworfen seien.

Diese Entscheidung steht im Einklang mit der bisherigen Rechtsprechung des EuGH, insbesondere der Entscheidung vom 17. April 2018 („Egenberger“ – C-414/16), auf die es sich lohnt, an dieser Stelle noch einmal hinzuweisen. Darin hat sich der EuGH dazu geäußert, ob ein kirchlicher Arbeitgeber die Konfession zur Einstellungsvoraussetzung machen darf. Hier hat er entschieden, dass das Verlangen einer Kirchenzugehörigkeit bei einer Stellenausschreibung ebenfalls nur dann zulässig sei, wenn dies für die Ausübung der Tätigkeit eine wesentliche, rechtmäßige und gerechtfertigte berufliche Anforderung darstelle, was von staatlichen Gerichten voll überprüfbar sein müsse.

IV. Praxishinweis / Fazit

Durch die Entscheidung des EuGH wird die beschriebene besonders geschützte Autonomie der Kirchen deutlich eingeschränkt. Die Entscheidung wird dabei erhebliche, weit über den hier beschriebenen Einzelfall hinausgehende Auswirkungen mit sich bringen, die mit einer nicht zu unterschätzenden Sprengkraft verbunden sein könnten. Insoweit wurde durch die Entscheidung insbesondere die Position der Gerichte hinsichtlich der Bewertung arbeitsrechtlicher Maßnahmen gestärkt, da sich die Kirchen nunmehr Überprüfungen durch staatliche Gerichte gefallen lassen müssen. Auf eine solche gerichtliche Überprüfung werden sich zukünftig weitere katholische Arbeitnehmer – auch aus anderen Tätigkeitsbereichen – verlassen wollen. Mit Spannung bleibt abzuwarten, welche konkreten Auswirkungen sich für das Kirchenrecht in Deutschland noch ergeben werden. Insofern wird es zunächst darauf ankommen, wie das BAG die europarechtlichen Vorgaben durch den EuGH umsetzt. Zudem ist angesichts der konsequenten Haltung der Beklagten in diesem Fall damit zu rechnen, dass der Fall erneut das BVerfG beschäftigen wird. Dann wird sich zeigen, ob es die Vorgaben aus der Entscheidung des EuGH als für das deutsche Recht verbindlich erklärt oder – auch im Hinblick auf die große Bedeutung des kirchlichen Selbstbestimmungsrechts, welches das BVerfG stets betont – zunächst den Vorrang des Unionsrechtes prüft. Eine solche Prüfung erfolgt dann, wenn das BVerfG der Auffassung ist, dass durch das Europäische Recht und die Rechtsprechung des EuGH kein solcher Grundrechtsschutz gewährleistet ist, der mit dem Schutzniveau des Grundgesetzes im Wesentlichen gleichzusetzen ist.

Call To Action Arrow Image

Newsletter-Anmeldung

Wählen Sie aus unserem Angebot Ihre Interessen aus!

Jetzt abonnieren
Jetzt abonnieren

Related Insights

Employment, Pensions & Mobility

Recruiting am umkämpften Arbeitsmarkt – wer trägt das Risiko von enttäuschten Einstellungen durch Headhunter?

24. April 2024
Briefing

von Christina Wilkens

Klicken Sie hier für Details
Employment, Pensions & Mobility

Work/Life: international employment news update

18. April 2024
Quick read

von mehreren Autoren

Klicken Sie hier für Details
Employment, Pensions & Mobility

BAG: Anspruch auf übertarifliches Urlaubsgeld aus einer durch Betriebsvereinbarung abgelösten Gesamtzusage

9. April 2024
Briefing

von Alessa Böttcher und Dr. Johannes Alexander Höft

Klicken Sie hier für Details