In seinem Vorlagebeschluss vom 28. Mai 2024 (Az.: I-16 O 76/23) an den Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) befasst sich das Landgericht Bochum mit der Frage, ob Blanko-Patientenarmbänder als Medizinprodukt im Sinne des Art. 2 Nr. 1 der VO (EU) 2017/745 (Medizinprodukteverordnung – „MDR“) zu qualifizieren sind. Auch wenn das Gericht in seinem Beschluss dazu tendiert, diese Frage zu verneinen, hat es diese Entscheidung nicht final selbst getroffen, sondern dem EuGH zur Vorabentscheidung vorgelegt. Daher wird sich nun der EuGH mit dieser Abgrenzungsfrage beschäftigen.
Dem Vorlagebeschluss des Landgerichts Bochum liegt ein wettbewerbsrechtlicher Streit zwischen der Zentrale zur Bekämpfung des unlauteren Wettbewerbs und einem Händler zugrunde, der Patientenarmbänder auf Basis der Kategorisierung eines US-amerikanischen Herstellers ohne CE-Kennzeichnung auf dem deutschen Gesundheitsmarkt vertreibt. Bei den streitgegenständlichen Patientenarmbändern handelt es sich um gänzlich unbedruckte Armbänder, die mit einem Aufdruck versehen werden können, um Patienten im Krankenhaus zweifelsfrei identifizieren zu können, auch wenn dieser beispielsweise auf Grund von Narkose oder seines persönlichen Gesundheitszustandes selbst keine Auskunft geben kann.
Der Hersteller bewirbt sein Produkt damit, dass die Patientenarmbänder es den Krankenhausmitarbeitern ermöglichen die „fünf Richtigen“ – richtiger Patient, richtiges Medikament, richtige Dosis, richtiger Zeitpunkt und richtige Verabreichungsmethode – am Patientenbett zu kontrollieren. Diese würden bis hin zur Vermeidung von Todesfällen durch Behandlungsfehler unter anderem einer zuverlässigen Medikation der Patienten dienen.
Regulatorischer Hintergrund
Die Frage, ob die streitgegenständlichen Patientenarmbänder als Medizinprodukt im Sinne von Art. 2 Nr. 1 MDR einzuordnen sind, ist deshalb von besonderer Relevanz, weil in diesem Fall die produkt- und herstellerbezogenen Voraussetzungen der MDR einzuhalten wären. Zu den wichtigsten Anforderungen an den rechtmäßigen Vertrieb von Medizinprodukten zählt dabei die Durchführung eines Konformitätsbewertungsverfahrens (Art. 52 MDR) vor dem Inverkehrbringen, um die Einhaltung der grundlegenden Sicherheits- und Leistungsanforderungen nachzuweisen, und die anschließende CE-Kennzeichnung (Art. 20 MDR) des Produkts. Bevor ein Händler ein Medizinprodukt auf dem Markt bereitstellt, muss auch dieser gemäß Art. 14 MDR die Produktanforderungen überprüfen.
Die Qualifizierung eines Produkts als Medizinprodukt bestimmt sich nach der Legaldefinition des Art. 2 Nr. 1 MDR. Danach bezeichnet „Medizinprodukt“ u. a. „(…) ein Material oder einen anderen Gegenstand, (…) das dem Hersteller zufolge für Menschen bestimmt ist und allein oder in Kombination einen oder mehrere der folgenden spezifischen medizinischen Zwecke erfüllen soll: Diagnose, Verhütung, Überwachung, Vorhersage, Prognose, Behandlung oder Linderung von Krankheiten (…).“
Damit ist grundsätzlich zunächst die sogenannte „Zweckbestimmung“ des Herstellers gemäß Art. 2 Nr. 12 MDR entscheidend für die Produkteinordnung. So handelt es sich nämlich nur dann um ein Medizinprodukt im Sinne des Art. 2 Nr. 1 MDR, wenn dieses vom Hersteller dazu bestimmt ist, einen spezifischen medizinischen Zweck zu erfüllen. Vereinfacht gesagt sind Medizinprodukte nur dann Medizinprodukte, wenn ihnen der Hersteller diese Eigenschaft auch zuschreibt. Ein Produkt ist daher nicht bereits deshalb Medizinprodukt nur weil es im Krankenhaus eingesetzt wird. Vielmehr muss die Zweckbestimmung medizinisch sein und das Produkt einen spezifisch medizinischen Zweck erfüllen. Für die Festlegung der Zweckbestimmung ist eine detaillierte Betrachtung der vom Hersteller bestimmten Funktionen erforderlich, die den Angaben des Herstellers zur Produktkennzeichnung, in der Gebrauchsinformation sowie den begleitenden werblichen Angaben zu entnehmen ist.
Entscheidung des Gerichts
Die Beklagte verkaufte die Armbänder ohne CE-Kennzeichnung, da sie der Ansicht ist, die Armbänder würden keinen medizinischen Zweck verfolgen. Sie dienten nur der Patientenidentifikation, nähmen keine Messungen im oder am menschlichen Körper vor oder wirkten in sonstiger Weise nicht auf diesen ein. Die Patientenidentifikation sei ein administrativer Vorgang, der auch durch ein Namensschild am Bett erfüllt werden könne, welches unzweifelhaft auch nicht als Medizinprodukt zu qualifizieren sei.
Die Klägerin dagegen ist der Ansicht, dass die Armbänder Medizinprodukte im Sinne des Art. 2 Nr. 1 MDR seien, welche mit einer CE-Kennzeichnung zu versehen sind. Die Herstellerwerbung enthalte die medizinische Zweckbestimmung im Sinne von Art. 2 Nr. 12 MDR. Die Armbänder dienten der Steigerung der Zuverlässigkeit der Patientenmedikation, medizinischer Verfahren und Tests. Dazu gehörten auch die Vermeidung von Verwechslungen bei Operationen und Behandlungsfehlern, die zum Tod der Patienten führen könnten. Aus der von dem US-amerikanischen Hersteller formulierten Zweckbestimmung der Armbänder ergebe sich somit eine eigenständige medizinische Leistung in Form von therapeutischen Eigenschaften.
Ferner streiten die Parteien darüber, ob selbst dann, wenn es sich bei den streitgegenständlichen Patientenarmbändern um ein Medizinprodukt handeln sollte, überhaupt ein Verstoß der Beklagten gegen ihre Pflichten als Händler aus Art. 14 MDR gegeben seien. Die Beklagte vertritt in diesem Zusammenhang die Auffassung, ihr als bloßem Händler der Produkte des verantwortlichen Herstellers könne bereits mangels entsprechenden Know-hows nicht zugemutet werden, die so vom Hersteller vorgenommene Kategorisierung bis ins Detail zu hinterfragen. Händler könnten stattdessen vielmehr grundsätzlich auf die Richtigkeit der Kategorisierungsentscheidung des Herstellers vertrauen, wenn nicht begründeter Anlass zu einer falschen Kategorisierung entstehe.
Die Kammer tendiert im vorliegenden Fall dazu, die streitgegenständlichen Patientenarmbänder bereits nicht als Medizinprodukt im Sinne des Art. 2 Nr. 1 MDR einzustufen, da diese wohl keinem diagnostischen oder therapeutischen und damit keinem medizinischen Zweck dienen würden. Der Zweck der Patientenarmbänder bestehe allein in der Identifikation des einzelnen Patienten, die gleichermaßen mit einem Schild am Bett des Patienten oder seinem Personalausweis erreicht werden könne. Das Gericht stellte weiter fest, dass vergleichbare Armbänder von Wettbewerbern teils die CE-Kennzeichnung tragen, teils allerdings auch nicht. Der Vertrieb der Patientenarmbänder durch einige Wettbewerber mit entsprechender CE-Kennzeichnung könne, so das Landgericht, allerdings auch ohne rechtliche Verpflichtung ausschließlich Marketinggründe haben. Zur Schaffung von Rechtssicherheit entschied sich das Gericht daher, die dargestellten Fragen dem EuGH zur Entscheidung vorzulegen.
Praxishinweis
Die Patientenidentifikationsarmbänder dienen im bedruckten Zustand unzweifelhaft der Sicherheit der Patienten im Krankenhaus. Allerdings erscheint es in der Tat fraglich, ob die Funktion der Patientenarmbänder über rein administrative Zwecke im Krankenhaus hinausgeht und ob diesen eine eigenständige medizinische Funktion zukommt, die eine Qualifizierung als Medizinprodukt im Sinne des Art. 2 Nr. 1 MDR rechtfertigt. Die Tendenz des Landgerichts Bochum, dass die Blanko-Armbänder keine Medizinprodukte sind, erscheint daher auf den ersten Blick nachvollziehbar.
Die Entscheidung des Landgerichts Bochum zeigt auch deutlich auf, welch entscheidende Bedeutung der Zweckbestimmung des Herstellers im Allgemeinen und der Produktwerbung im Speziellen zukommt. Der streitgegenständliche Sachverhalt veranschaulicht einmal mehr, dass die Hersteller bei der Frage der Qualifizierung und Kategorisierung ihrer Produkte genau prüfen sollten, wie sie den spezifischen Zweck ihres Produkts umreißen und im Rahmen des Werbeauftritts darstellen. Denn eine falsche Identifikation des Produkts durch die angesprochenen Verkehrskreise im Rahmen der Angaben des Herstellers kann gravierende Konsequenzen nach sich ziehen: für den Hersteller selbst, aber unter Umständen auch für die Importeure und die Händler des Produkts.