Autor

Timo Stellpflug

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6. Dezember 2023

Die neue Raumfahrtstrategie der Bundesregierung

  • In-depth analysis

Einleitung

Die Bundesregierung hat im September 2023 eine neue Raumfahrtstrategie vorgestellt, die die Chancen und Ziele der Bundesregierung für die Raumfahrt bis 2030 aufzeigt. Seit dem Erlass der letzten Weltraumstrategie im Jahr 2010 haben sich die diesbezüglichen wirtschaftlichen, geopolitischen und gesellschaftlichen Rahmenbedingungen fundamental verändert. Ebenso hat sich die Raumfahrtindustrie rasant weiterentwickelt. Der Gesamtumsatz der Raumfahrtindustrie ist von 2010 bis 2021 um 70 Prozent auf weltweit 469 Milliarden Dollar im Jahr 2021 gestiegen (Space Foundation, The Space Report, 2022). Die Zahl der Satelliten in der Umlaufbahn stieg von 2010 (3.380) bis 2021 (10.100) sogar um fast 200 Prozent. Betrieben 2010 noch 50 Staaten überhaupt Raumfahrt, sind es heute 100 (+ 100%). Im Jahr 2010 starteten 70 Trägerraketen in den Weltraum, 2022 waren es bereits 179 (+ 155%). Die Zahl der von ihnen transportierten Satelliten stieg von 124 (2010) auf 2.500 (2022) (+ 2.016%).
Der Erlass einer neuen Raumfahrtstrategie war lange überfällig. Die Raumfahrtindustrie hat durch die veränderten geopolitischen Anforderungen und dem mit der Kommerzialisierung verbundenen beschleunigten Innovationsfortschritt erheblich an Bedeutung gewonnen. Um im internationalen Vergleich wettbewerbsfähig zu bleiben, muss Deutschland die bestehenden Raumfahrtkompetenzen ausbauen und insbesondere die eigene Kommerzialisierung durch ein innovationsfreundliches Klima unterstützen.

Zunehmende Kommerzialisierung auch der deutschen Raumfahrt

Die rasante Entwicklung der Raumfahrtindustrie wird insbesondere durch die zunehmende Kommerzialisierung der Branche vorangetrieben. In den letzten zehn Jahren haben sich Investitionen aus dem privaten Sektor in die Raumfahrt verzehnfacht und der Trend scheint ungebrochen. Der Anstieg der privaten Investitionen hat einen zunehmenden Wettbewerb auf dem Raumfahrtmarkt, mithin die Beschleunigung des Innovationsfortschritts zur Folge. Zwar spielen in Deutschland die institutionellen Bedarfsträger noch eine vergleichsweise große Rolle, jedoch hat auch hierzulande die Kommerzialisierung der Raumfahrtindustrie deutlich zugenommen. Nach eigenen Angaben hat die Bundesregierung seit 2010 das Volumen der zivilen Raumfahrtbudgets um fast zwei Drittel erhöht: Im Jahr 2022 investierte die Bundesrepublik 1,815 Mrd. Euro in die zivile Raumfahrt.

Handlungsfelder der neuen Raumfahrtstrategie der Bundesregierung 

Die Raumfahrtstrategie der Bunderegierung definiert neun Handlungsfelder, um die dynamische Weiterentwicklung hin zu mehr Kommerzialisierung und Digitalisierung zu gestalten. In jedem der neun Handlungsfelder finden sich Schlüsselprojekte. Mit der Umsetzung der Projekte möchte die Bundesregierung noch in dieser Legislaturperiode beginnen.

Mit dem Handlungsfeld europäische und internationale Zusammenarbeit will Deutschland die Unabhängigkeit der ESA gewährleisten und die Rollenverteilung innerhalb der Organisation klarer kommunizieren. Es sollen strategische Partnerschaften mit ausgewählten internationalen und nationalen Partnern auf Basis eines gemeinsamen Wertesystems geschlossen werden. Der unabhängige und ungehinderte Zugang zum All soll für Europa durch einen Europäischen Launcher-Wettbewerb gesichert werden (Schlüsselprojekt 1). Deutschland will sich außerdem vermehrt an internationalen Missionen zur Erdbeobachtung wie z.B. der Mission GRACE oder Wissenschaftsmissionen wie der japanisch-deutschen Raumfahrtmission DESTINY+ beteiligen, um der deutschen Industrie neue Märkte zu eröffnen und die eigenen Spitzentechnologien und -stellungen weiter auszubauen (Schlüsselprojekt 2). Außerdem „setzt sich Deutschland international für verbindliche Regelwerke zur nachhaltigen Nutzung des Weltraums ein.“

Mit dem Handlungsfeld Raumfahrt als Wachstumsmarkt – Hightech und New Space setzt sich die Bundesregierung für attraktive Rahmenbedingungen ein, die neue Geschäftsmodelle für kommerzielle Kunden ermöglichen und bestehende Unternehmen sowie Start-Ups im Bereich NewSpace stärken sollen. Privatunternehmen sollen innerhalb des europäischen Raumfahrtmarktes durch wettbewerbliche, an Bedarfen orientierte Ausschreibungen an Bedeutung gewinnen. Dabei verweist die Bundesregierung auch auf das sog. Ankerkundenprinzip bei Vergabeverfahren der ESA und EU. Insgesamt sollen die privaten Investitionen in die Raumfahrt gestärkt werden. Allerdings weist die Bundesregierung die NewSpace-Akteure zur effektiven Erlangung von Risikokapital auf die bestehende Förderinstrumente wie die ESA Incubation Centers, den High-Tech Gründer Fond und den Deep Tech Climate Fonds, sowie auf die unverändert hohe Bedeutung der Kleinsatelliteninitiative (Schlüsselprojekt 3) hin. Als einziges neues Förderinstrument soll ein Space-Innovation Hub eingerichtet werden, der den Austausch zwischen öffentlichen Bedarfsträgern und Anbietern von Raumfahrtdienstleistungen erleichtert, die Beschaffungsprozesse innovativer und transparenter sowie Synergien besser nutzbar macht (Schlüsselprojekt 4).

Mit dem Handlungsfeld Klimawandel, Ressourcen- und Umweltschutz will die Bundesregierung durch präzise, belastbare, aus dem All generierte Daten ein Beitrag zur Bekämpfung der Klimakrise und zur Energiewende leisten. Deutschland will seine durch das Erdbeobachtungsprogramm Copernicus und den Wettersatellit EUMETSAT erlangte Vorreiterstellung für innovative Erdbeobachtung in Europa halten und dadurch auch die Einhaltung der Klimaziele besser überwachen. Konkret möchte Deutschland die Messbarkeit von Emissionen durch verbesserte Weltraum-Sensorik ausbauen (Schlüsselprojekt 5).

Im Handlungsfeld Digitalisierung, Daten und Downstream verfolgt die Bundesregierung das Ziel, die im Weltraum generierten Daten für potentielle Nutzer dauerhaft verfügbar zu machen. Insbesondere soll die Bereitstellung der Satellitendaten und Verarbeitungswerkzeuge über Cloudplattformen für Klima- und Umweltzwecke weiter vorangetrieben werden (Schlüsselprojekt 6). Auch soll Satellitenkommunikation eine signifikante Rolle für den Kommunikationsstandard 6G spielen. Durch Deutschlands Engagement in der ESA und EU soll das Galileo Kontrollzentrum weiterhin eine der wichtigsten Institutionen für Navigation, Kommunikation, Forschung und Entwicklung bleiben.

Die aktuellen geopolitischen Entwicklungen zeigen eindrucksvoll, welchen kritischen Einfluss Satellitensysteme auf das gesamtheitliche Sicherheitskonzept einer Nation haben können. Vor diesem Hintergrund ist das Handlungsfeld Sicherheit, strategische Handlungsfähigkeit und globale Stabilität von besonderer Bedeutung. Es zielt darauf ab, Abhängigkeiten bei der Raumfahrttechnologie vom außereuropäischen Ausland zu reduzieren und ihre sowie die Resilienz kritischer Infrastrukturen zu stärken. In diesem Zusammenhang treibt die Bundesregierung die Teilnahme am EUSST-Projekt (EU Space Surveillance and Tracking) voran und plant den Ausbau von Weltraumlagefähigkeiten (Schlüsselprojekt 7). Zudem soll einem unkontrollierten Abfluss von sicherheitsrelevanten Raumfahrtschlüsseltechnologien durch eine restriktive Exportkontrolle auf Grundlage der bestehenden internationalen Exportkontrollregime entgegengewirkt werden.

Das Handlungsfeld Nachhaltige und sichere Nutzung des Weltraums strebt die Einführung eines EU-Weltraumverkehrsmanagement an (Schlüsselprojekt 8).  Deutschland setzt sich außerdem für internationale Nachhaltigkeitsstandards und Best-Practice Regeln sowie die deutliche Verkürzung der Verweilzeiten ausgedienter Satelliten im Orbit ein. Zudem soll bereits bei der Entwicklung neuer Satelliten die Wartbarkeit und Modernisierbarkeit sowie der Aufbau gezielter Fähigkeiten zur Kollisionsvermeidung gefördert werden, um den Weltraumschrott insgesamt zu reduzieren. Die Bundesregierung strebt im Übrigen ein nationales Weltraumgesetz an, das ein Genehmigungserfordernis für die Überwachung von Weltraumaktivtäten vorsieht und zur Schaffung eines wettbewerbsfähigen Standorts für Raumfahrtunternehmen beitragen soll (Schlüsselprojekt 9). 

Im Handlungsfeld der Weltraumforschung sollen insbesondere Kleinsatelliten für die Fortführung der „exzellenten Weltraumforschung“ Deutschlands effektiver genutzt werden. Die Bundesregierung sieht außerdem die Durchsetzung deutscher Interessen bei der inhaltlichen Ausgestaltung des ESA-Wissenschaftsprogramm Voyage 2050 als entscheidend an. Die ISS soll bis mindestens 2030 zusammen mit internationalen Partnern genutzt werden. Zur Ausarbeitung der Handlungsoptionen im post-ISS Zeitalter will Deutschland eine Expertengruppe einsetzen, die im Vorfeld der ESA Entscheidungen, die Beteiligungsmöglichkeiten der Bundesregierung an alternativen Szenarien identifiziert, um Beteiligungsmöglichkeiten für die deutsche Industrie und Forschung zu schaffen (Schlüsselprojekt 10).  

Die Internationale Weltraumexploration beschreibt als Handlungsfeld die Vorbereitung und Durchführung von Explorationsmissionen in den Weltraum; insbesondere zu Mars und Mond. Die Bundesregierung plant beispielsweise in Kooperation mit Japan, Amerika, Kanada und weiteren europäischen Ländern eine Raumstation in der Umlaufbahn des Mondes zu platzieren, die zukünftig als Logistikknotenpunkt dienen soll (Lunar Gateway).  Außerdem leistet Deutschland durch die Herstellung des European Service Module (ESM) für die Artemis-Missionen, bereits einen signifikanten Beitrag für die Exploration des Mondes. Die Bundesregierung will eine wichtige Rolle bei dem robotischen Landesystem EL3 Argonaut sowie insgesamt bei der Entwicklung von robotischen Landesystemen auf der ESA-Ebene übernehmen, um die eigene Weltraumrobotik zu stärken (Schlüsselprojekt 11). Die Bundesregierung wird sich außerdem bei der UN dafür einsetzen, dass ein Ordnungsrahmen für den Abbau von Rohstoffen im All geschaffen wird.

Das Handlungsfeld Raumfahrt im Dialog und Gewinnung von Talenten bezieht sich unter anderem auf das formulierte Ziel, den Frauenanteil in der Raumfahrt zu stärken, sowie nationale Austauschplattformen anzubieten und zu stärken um Talente zu rekrutieren, zu halten und auszubilden. Die Bundesregierung will durch die Schlüsselprojekte 12 und 13 („Raumfahrt erklären“ und „Raumfahrt erleben“), die Sichtbarkeit der Raumfahrt in der Bevölkerung, insbesondere in Schulen und Universitäten erhöhen.

Vorläufige Einschätzung

Der Erlass einer neuen Raumfahrtstrategie war lange überfällig. Die Raumfahrtindustrie hat durch die veränderten geopolitischen Anforderungen und dem mit der Kommerzialisierung verbundenen beschleunigten Innovationsfortschritt erheblich an Bedeutung gewonnen. Um im internationalen Vergleich wettbewerbsfähig zu bleiben, muss Deutschland die bestehenden Raumfahrtkompetenzen ausbauen und insbesondere die eigene Kommerzialisierung durch ein innovationsfreundliches Klima unterstützen. 
Aus der neuen Raumfahrtstrategie geht nunmehr hervor, dass die Bundesregierung die Bedeutung der Raumfahrt als Schlüsseltechnologie sowie das Bedürfnis der Unterstützung von NewSpace-Akteuren (richtigerweise) erkannt hat. Die Förderung der NewSpace-Unternehmen findet sich auch an einigen Stellen in der Strategie wieder, bspw. bei der beabsichtigten Initiierung einer Plattform zur Förderung des besseren Austauschs zwischen Anbietern von Raumfahrtdienstleistungen und öffentlichen Bedarfsträgern, dem Space-Innovation Hub und der kontinuierlichen Förderung der Kleinsatelliteninitiative. Bei genauerem Hinsehen mangelt es diesen Unterstützungshandlungen jedoch an handfesten, über den status-quo deutlich hinausgehenden Zusagen, die die NewSpace-Akteure zur Investitionsgewinnung heranziehen können. Der Verweis auf die vielseitig angestrebten internationalen Kooperationen, die im Ergebnis den nationalen Markt erweitern sollen, bleiben bis zur tatsächlichen Umsetzung vage und ohne eigenständige Bedeutung für die NewSpace-Akteure. Insbesondere hat die Bundesregierung die Chance verpasst, den eigenen Standort durch konkrete Zusagen zu den rechtlichen Rahmenbedingungen der investitions- und wettbewerbsrelevanten Bereiche der Haftungs-, Genehmigungs- und Aufsichtsvoraussetzungen zu stärken. Die Unternehmen der Raumfahrtindustrie, insbesondere im Bereich NewSpace, werden damit weiterhin auf Grundlage der bestehenden Regulatorik und rechtlichen Rahmenbedingungen zunächst ihre Aktivitäten weiterverfolgen müssen, was regelmäßig zu entsprechendem Rechtsberatungsaufwand führt und nicht zu unterschätzende Wagnisse verbleiben. Zwar ist davon auszugehen, dass diesbezüglich nationale und internationale Regelungen getroffen werden, für die sich die Bundesregierung einsetzt, wie deren Inhalt konkret aussehen wird, ist jedoch weiterhin unklar; die deutschen NewSpace-Akteure sind somit weiterhin größtenteils auf sich allein gestellt.  
Im Übrigen erscheint die konsequente, zeitnahe und effektive Umsetzung der in der Raumfahrtstrategie angesprochenen festgelegten Ziele insofern zweifelhaft, als dass die grundlegenden Sparpläne der Bundesregierung auch vor der Raumfahrtstrategie der Bunderegierung nicht halt machen. So plant Deutschland zwar den Haushalt der ESA von 2023-2025 weiterhin als größter Beitragszahler (rd. 3,5 Milliarden Euro) zu unterstützen. Parallel wird wohl jedoch das Budget des nationalen Raumfahrtprogramms 2024 um bis zu 15% gekürzt werden. Daher bleibt insgesamt erstmal abzuwarten, welche der benannten Projekte der neuen Weltraumstrategie auch tatsächlich aktiv umgesetzt werden können.

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