Autor

Timo Stellpflug

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6. Dezember 2023

Wie ein Kleinstaat die Bundesregierung in den Schatten stellt – Liechtensteins neues Weltraumgesetz

  • In-depth analysis

Die Regierung in Lichtenstein, dem sechtskleinsten Staat auf der Erde, hat im Juli dieses Jahrs die Stellungnahme zum Erlass eines Weltraumgesetzes verabschiedet, das am 1.1.2024 in Kraft treten soll. Liechtenstein stellt sich damit auf die Seite der USA, Russlands, Großbritanniens, Frankreichs, der Ukraine, Australiens, Japans, Belgiens, der Niederlande, Österreichs und Luxemburgs; allesamt Staaten, die bereits ein Weltraumgesetz erlassen haben. Das liechtensteinische Weltraumgesetz sieht, wie die meisten anderen nationalen Weltraumgesetze, insbesondere Regelungen zur Genehmigung und Registrierung von Weltraumaktivitäten sowie zu den Haftungsverhältnissen im Schadensfall vor.

Hintergrund soll ein privates Satellitenprojekt mit einem chinesischen Unternehmen sein, das Breitband-Internet durch Einbringung von ca. 600 Satelliten mit liechtensteinischer Frequenz in die Umlaufbahnen der Erde bereitstellen soll. Liechtenstein hat die außerordentliche Wichtigkeit eines nationalen Weltraumgesetzes für die Raumfahrtindustrie als solche erkannt und den eigenen Standort auf die Bühne des internationalen Wettlaufs um die kommerzielle Nutzung des Weltraums gehoben. Nachdem Deutschland Ende September 2023 die bereits lang überfällige neue Raumfahrtstrategie vorgestellt hat, beschränken sich die sichtbaren staatlichen Bemühungen um den zügigen Erlass eines deutschen Weltraumgesetzes bislang auf Absichtserklärungen. Dabei ist dieses zur Förderung der existierenden kommerziellen Raumfahrtunternehmen in Deutschland essentiell.

Dringend benötigt: Das Warten auf Deutschlands Weltraumgesetz

„Raumfahrt und der Bereich New Space sind zentrale Zukunftstechnologien. Wir stärken das nationale Raumfahrtprogramm und die Europäische Weltraumorganisation (ESA) und bewahren ihre Eigenständigkeit. Wir entwickeln eine neue Raumfahrtstrategie unter Berücksichtigung der Vermeidung und Bergung von Weltraumschrott. Wir stärken den Luftfahrtproduktionsstandort Deutschland. Wir unterstützen die Erforschung und den Markthochlauf von synthetischen Kraftstoffen, die klimaneutrales Fliegen ermöglichen. Die Auftragsverfahren im Zusammenhang mit dem Luftfahrtforschungsprogramm für Entwicklung und Einsatz digitaler Werkzeuge, Prozessentwicklung, Materialforschung und Leichtbau sollen weiter beschleunigt sowie Vorauszahlungen ermöglicht werden. Wir stärken die Forschung zum Einsatz nachhaltiger Kraftstoffe, für leisere Antriebe sowie für eine Plattform zur Simulation und Optimierung des Gesamtsystems Luftfahrt bezüglich seiner Klimawirkung.“1

Deutschlands neue Raumfahrtstrategie und das geplante Weltraumgesetz

Dieser Abschnitt zur Luft- und Raumfahrt aus dem Koalitionsvertrag von SPD, Bündnis 90 / Die Grünen und FDP vom Dezember 2021 ist der einzige in einem 178 Seiten starken Dokument, der sich dem Thema Luft- und Raumfahrt widmet. Aller Kritik zum Trotz wurde hiermit eine „neue Raumfahrtstrategie“ angekündigt, welche die Bundesregierung nunmehr im September 2023 erlassen hat. Damit sind letztlich rund 13 Jahre vergangen, seitdem die alte Raumfahrtstrategie der Bundesregierung im November 2010 in Kraft trat. Die dem Grunde nach seit 13 Jahren unveränderte Raumfahrtstrategie, welche die Grundlage für die deutschen Aktivitäten in der Raumfahrt bildete, bedurfte nicht zuletzt vor dem Hintergrund der immensen Bedeutung, den die zunehmend privatwirtschaftlich initiierten Raumfahrtprogramme für unter anderem die Mobiltelefonie, Navigationssysteme, satellitendatengestützte Anwendungen, den Flugverkehr, intelligente Netze, den Bankverkehr und vieles mehr gewonnen haben, einer umfassenden Anpassung an wirtschaftlich, (geo-)politisch und gesellschaftlich umfassend veränderte Rahmenbedingungen. Der neuen Raumfahrtstrategie ist diesbezüglich zu entnehmen, dass die Bundesregierung die außerordentliche und rasant zunehmende Bedeutung der Raumfahrt als Schlüsselindustrie sowie ihrer Kommerzialisierung erkannt hat. Bezüglich der entsprechenden umfassenden Anpassungen an die fundamental veränderten Rahmenbedingungen sind der neuen nationalen Raumfahrtstrategie vornehmlich Lippenbekenntnisse zu entnehmen; konkrete planungssicherheitsgebende Handlungsinitiativen sucht der Leser vergeblich. Bezüglich der wenigen konkreten Projekte, die die Bundesregierung in Aussicht stellt, ist darauf hinzuweisen, dass die anstehende Kürzung des nationalen Raumfahrtbudgets ihre zeitnahe Umsetzung äußerst fragwürdig erscheinen lässt (vgl. hierzu Insight neue Raumfahrtstrategie). Insbesondere existieren nach wie vor keine Zusagen zu dem in der neuen Raumfahrtstrategie immerhin offiziell angekündigten deutsches Weltraumgesetz. Außer der offiziellen Ankündigung geht aus der Raumfahrtstrategie hinsichtlich eines solchen deutschen Weltraumgesetzes weder ein konkreter Inhalt noch ein etwaiger Erlasszeitpunkt hervor. Ohne ein solches nationales Weltraumgesetz gilt der Weltraumvertrag der Vereinten Nationen (Vertrag über die Grundsätze zur Regelung der Tätigkeiten von Staaten bei der Erforschung und Nutzung des Weltraums einschließlich des Mondes und anderer Himmelskörper) von 1967, der insbesondere ein Haftungsregime statuiert, das es den Marktakteuren unter Risikogesichtspunkten nahezu unmöglich macht, ihre Geschäftsmodelle in Deutschland zu verfolgen.

Der Bereich New Space

Während die Raumfahrtstrategie nicht zuletzt im Sinne des Koalitionsvertrags die Weichen für zukünftige Aktivitäten deutscher Unternehmen stellen kann, ist die Schaffung eines nationalen Weltraumgesetzes insbesondere für den explizit im Koalitionsvertrag und der neuen Raumfahrtstrategie genannten Bereich „New Space“ – eine „zentrale Zukunftstechnologie“ – essentiell.

„New Space“ beschreibt als Terminus hierbei die fortschreitende Kommerzialisierung der Raumfahrt und ihre zunehmende Verzahnung mit der Non-Space-Wirtschaft, die insbesondere von privaten Akteuren vorangetrieben wird. Obwohl Raumfahrtagenturen noch immer die größten Auftraggeber sind, entwickeln Start-Ups zunehmend neue Geschäftsmodelle für Anwendungen im Weltraum und treten in direkten Wettbewerb mit etablierten Unternehmen. Dabei ist die Entwicklung von Kleinsatelliten und deren Trägerraketen (sog. „Micro-Launchern“) ein Kernthema des New Space Zeitalters. Die kleinen Satelliten sollen auf niedrigeren Umlaufbahnen den Schlüssel für Zukunftstechnologien wie z.B. Autonomes Fahren und das Internet der Dinge sein. Sie werden mittels Micro-Launchern entweder individuell oder über ein Ride-Share-Programm in das Weltall transportiert. In Würzburg arbeitet das außeruniversitäre Forschungsinstitut Zentrum für Telematik (ZfT) an der voll automatisierten, serienmäßigen Produktion von Kleinsatelliten. Bis dato hat z.B. das Weltraumunternehmen Space-X des US-Amerikaners Elon Musk mehr als 1.800 Kleinsatelliten auf den niedrigen Erdumlaufbahnen im Einsatz, die insbesondere zu einer besseren Internetversorgung beitragen sollen.Der erste kommerzielle europäische Mikrosatellit ESAIL, dessen Kernkomponenten in Deutschland produziert wurden, startete am 3. September 2020 mit einer italienischen Trägerrakete von dem europäischen Weltraumbahnhof Kourou in Französisch-Guayana.3
Die drei deutschen Raumfahrtunternehmen Rocket Factory Augsburg, Hyimpulse und Isar Aerospace leisten sich ein Kopf-an-Kopf Rennen, um die ersten kostengünstigen, kommerziellen Weltraum-Transportangebote von Kleinsatelliten mittels Micro-Launchern anbieten zu können.4  Das Konsortium „German Offshore Spaceport Alliance“ (GOSA) forscht an einer schwimmenden Startplattform in der Nordsee, um Micro-Launcher von einem Spezialschiff starten zu lassen; der erste Start ist im ersten Quartal 2024 geplant.

Als Schlüsselindustrie hat die Raumfahrt eine große strategische Bedeutung. Forschung, Klimaschutz, Kommunikation und Sicherheit sind entscheidende Aufgabenfelder der Raumfahrt, während private Investitionen, Innovation und Fortschritt in Deutschland neuen Aufschwung verleihen können. Deutschland investiert (Stand: 2020) 0,05 % des Bruttoinlandproduktes in Weltraumaktivitäten und liegt damit deutlich hinter bspw. den USA, die mit 0,22 % der größte Investor in die Raumfahrt sind. Der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) skizzierte 2020 die Chancen für die deutsche Industrie in einem Beitrag über einen deutschen Micro-Launcher-Startplatz: "Aktuellen Schätzungen zufolge wird der gesamte globale Raumfahrtmarkt von 360 Milliarden US-Dollar (2018) bis 2040 auf bis zu 2.700 Milliarden US-Dollar um mehr als das Siebenfache wachsen".Der Bereich New Space wird auch für Investoren immer interessanter. Laut einer Studie des BDI konnte die Branche 2020 rd. 308 Millionen Euro an Kapital einwerben, fast doppelt so viel wie im Vorjahr. Zudem gilt der Bereich New Space als „Enabler“ für andere Geschäftsfelder und Technologien: rund Dreiviertel der in der BDI Studie betrachteten New Space Unternehmen generieren Geschäft mit Kunden, die bisher keinerlei Bezug zum Thema Weltraum haben.

Schaffung verlässlicher rechtlicher Rahmenbedingungen

Um die Kommerzialisierung der Raumfahrt und damit den Bereich New Space effektiv voranzutreiben, brauchen private Marktakteure klare und verlässliche rechtliche Rahmenbedingungen, mithin ein nationales Weltraumgesetz, um Investitionsentscheidungen treffen zu können. Insbesondere internationale und nationale Haftungsregelungen, Regelungen bezüglich Planungsverfahren für bspw. Startbahnen/Startrampen und die Klärung von Besitzverhältnissen (Rohstoffen) im All sind für Investoren und Unternehmen entscheidend. Die Dringlichkeit bei der Schaffung eines eigenen, nationalen Weltraumgesetzes ergibt sich aus den diesbezüglich unzureichenden Regelungen in dem geltenden Weltraumvertrag der Vereinten Nationen (VN).
In Frankreich gilt bspw. eine Haftungsobergrenze von EUR 60 Millionen, bis zu der das verantwortliche Unternehmen für Schäden durch Raketen oder Satelliten auf der Erde haften muss. In Deutschland haftet, solange es keine nationales Weltraumhaftungsregime gibt, der Staat gemäß Weltraumvertrag der VN in vollem Umfang für Unfälle und Schäden auf der Erde, ohne Rückgriff auf das verantwortliche Unternehmen. Derzeit befinden sich rund 5.465 Satelliten im All (Stand: 2022),davon mind. 1.800 auf den niedrigen Erdumlaufbahnen. Vor diesem immer enger werdenden Raum im All und den zunehmend diversifizierten Akteuren liegt in der Abwesenheit eines nationalen Haftungsregimes eine kritische, investitionshemmende Haftungslücke.

Auch Planungsverfahren für den Bau von Startbahnen bzw. Startrampen für Satelliten haben ohne nationales Gesetz keine Rechtsgrundlage. Genehmigungen können daher nur mit einer Einzelfallgenehmigung erteilt werden. Der bürokratische Aufwand dieser Einzelfallgenehmigungen macht Deutschland bspw. als Standort für Raketenstarts im Vergleich zu anderen Ländern mit einer entsprechenden Gesetzgebung weniger attraktiv. Auch insofern hemmt die Abwesenheit eines Weltraumgesetzes Investitionen in den Raumfahrt-Standort Deutschland.
Hinsichtlich der Frage nach den Besitzverhältnissen bzw. der Nutzung von Rohstoffen im All haben Länder wie bspw. Luxemburg, Japan und die USA in ihren nationalen Weltraumgesetzen festgelegt, dass seltene Erden, Metalle und Rohstoffe dem Land gehören, welches die Rohstoffe abbaut. Obwohl der sog. Weltraumbergbau an sich juristische Grauzone ist, vermuten Experten Milliardensummen an Rohstoffen, die für viele Schlüsseltechnologien von Bedeutung sind, in den Himmelskörpern. Ein diesbezügliches deutsches Weltraumgesetz oder jedenfalls das Herbeiführen diesbezüglicher internationaler Regelungen könnte Deutschland somit auch einen Platz auf einem möglichen Rohstoffmarkt des Weltraumes sichern.

Ausblick

In der Vergangenheit führten nahezu monopolartige Marktverhältnisse insbesondere in den westlichen Ländern zu hohen Preisen sowohl für Raketen- und Satellitensysteme als auch für Nutzlasten und wurden erst durch den Wandel zu New Space aufgebrochen. Rechtssicherheit und unbürokratische Planungsverfahren sind nun der Schlüssel für die weitere erfolgreiche wirtschaftliche Entwicklung des Bereichs New Space in Deutschland. Die allgemeinen Aussichten hierfür auf Unternehmensseite sind gut; Deutschlands Perspektiven in dem Bereich Kleinstsatelliten und deren Beförderung ins All ebenfalls. Die innovativen Start-Ups, die sich in Deutschland angesiedelt haben und bereits erfolgreich an Kleinsatelliten und ihren Micro-Launchern forschen sind international konkurrenzfähig. Sie alle setzen auf die zeitnahe Umsetzung der neuen Raumfahrtstrategie der Bunderegierung und den zeitnahen Erlass des entsprechenden nationalen Gesetzes, das es ihnen ermöglicht Raketenstarts in Deutschland durchzuführen und das Rechtssicherheit für den Bau und die Planung von Startplätzen schafft.
Die Bundesregierung ist einmal mehr aufgefordert sich ein Beispiel an dem Kleinstaat Liechtenstein zu nehmen und die New Space Akteure nicht auf die pauschalen, finanziell kaum umsetzbaren Zusagen in der neuen Weltraumstrategie zu verweisen, sondern sie jedenfalls durch den seit langem ausstehenden Erlass des nationalen Weltraumgesetzes erheblich im internationalen Wettbewerb zu unterstützen und den Raumfahrt-Standort Deutschland attraktiv für Unternehmen und Investoren zu machen.


1 vgl. Seite 28 des Koalitionsvertrages 2021 – 2025 zwischen der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands (SPD), BÜNDNIS 90 / DIE GRÜNEN und den Freien Demokraten (FDP) „Mehr Fortschritt wagen Bündnis für Freiheit, Gerechtigkeit und Nachhaltigkeit“ (abrufbar bei allen drei Koalitionären: SPD, BÜNDNIS 90 / DIE GRÜNEN, FDP)

2 vgl. SZ, 9. Februar 2022, Sonnensturm lässt 40 Space-X Satelliten abstürzen

3 vgl. DLR, 3. September 2020, Mikrosatellit ESAIL startet mit neuer Satellitenplattform ins All.

4 vgl. SZ, 2. Februar 2021, Wettlauf ins All

5 vgl., MM 2. Februar 2021, Welche Start-ups im dt. „race to Space” mitmischen

6 Quelle: Statista 30. April 2022, Anzahl der Satelliten im All verteilt nach Ländern.

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