21. Februar 2023
„Raumfahrt und der Bereich New Space sind zentrale Zukunftstechnologien. Wir stärken das nationale Raumfahrtprogramm und die Europäische Weltraumorganisation (ESA) und bewahren ihre Eigenständigkeit. Wir entwickeln eine neue Raumfahrtstrategie unter Berücksichtigung der Vermeidung und Bergung von Weltraumschrott.
Wir stärken den Luftfahrtproduktionsstandort Deutschland. Wir unterstützen die Erforschung und den Markthochlauf von synthetischen Kraftstoffen, die klimaneutrales Fliegen ermöglichen. Die Auftragsverfahren im Zusammenhang mit dem Luftfahrtforschungsprogramm für Entwicklung und Einsatz digitaler Werkzeuge, Prozessentwicklung, Materialforschung und Leichtbau sollen weiter beschleunigt sowie Vorauszahlungen ermöglicht werden. Wir stärken die Forschung zum Einsatz nachhaltiger Kraftstoffe, für leisere Antriebe sowie für eine Plattform zur Simulation und Optimierung des Gesamtsystems Luftfahrt bezüglich seiner Klimawirkung.“1
Dieser Abschnitt zur Luft- und Raumfahrt aus dem Koalitionsvertrag von SPD, Bündnis 90 / Die Grünen und FDP vom Dezember 2021 ist der einzige in einem 178 Seiten starken Dokument, der sich dem Thema Luft- und Raumfahrt widmet. Aller Kritik zum Trotz wurde hiermit jedoch eine „neue Raumfahrtstrategie“ angekündigt, die nun durch die zuständige Koordinatorin der Bundesregierung, Dr. Anna Christmann, für den Herbst 2023 noch einmal bestätigt wurde. Würde dieser Zeitplan realisiert, wären letztlich rund 13 Jahre vergangen, seitdem die alte Raumfahrtstrategie der Bundesregierung im November 2010 in Kraft trat. Eine dem Grunde nach seit 13 Jahren unveränderte Raumfahrtstrategie, welche die Grundlage für die deutschen Aktivitäten in der Raumfahrt bildet, bedarf nicht zuletzt vor dem Hintergrund der immensen Bedeutung, den die Raumfahrtprogramme für unter anderem die Mobiltelefonie, Navigationssysteme, satellitendatengestützte Anwendungen, den Flugverkehr, intelligente Netze, den Bankverkehr und vieles mehr haben, einer umfassenden Anpassung an wirtschaftlich, (geo-)politisch und gesellschaftlich umfassend veränderte Rahmenbedingungen.
Neben der ausstehenden Raumfahrtstrategie existiert auch nach wie vor kein deutsches Weltraumgesetz. Ohne ein solches nationales Weltraumgesetz gilt der Weltraumvertrag der Vereinten Nationen (Vertrag über die Grundsätze zur Regelung der Tätigkeiten von Staaten bei der Erforschung und Nutzung des Weltraums einschließlich des Mondes und anderer Himmelskörper) von 1967, der insbesondere ein Haftungsregime statuiert, das es den Marktakteuren unter Risikogesichtspunkten nahezu unmöglich macht, ihre Geschäftsmodelle in Deutschland zu verfolgen.
Während eine Raumfahrtstrategie nicht zuletzt im Sinne des Koalitionsvertrags die Weichen für zukünftige Aktivitäten deutscher Unternehmen stellen kann, ist die Schaffung eines nationalen Weltraumgesetzes insbesondere für den ebenfalls explizit im Koalitionsvertrag genannten Bereich „New Space“ –eine „zentrale Zukunftstechnologie“ – essentiell.
„New Space“ beschreibt als Terminus hierbei die fortschreitende Kommerzialisierung der Raumfahrt und ihre zunehmende Verzahnung mit der Non-Space-Wirtschaft, die insbesondere von privaten Akteuren vorangetrieben wird. Obwohl Raumfahrtagenturen noch immer die größten Auftraggeber sind, entwickeln Start-Ups zunehmend neue Geschäftsmodelle für Anwendungen im Weltraum und treten in direkten Wettbewerb mit etablierten Unternehmen. Dabei ist die Entwicklung von Kleinsatelliten und deren Trägerraketen (sog. „Micro-Launchern“) ein Kernthema des New Space Zeitalters. Die kleinen Satelliten sollen auf niedrigeren Umlaufbahnen den Schlüssel für Zukunftstechnologien wie z.B. Autonomes Fahren und das Internet der Dinge sein. Sie werden mittels Micro-Launchern entweder individuell oder über ein Ride-Share-Programm in das Weltall transportiert. In Würzburg arbeitet das außeruniversitäre Forschungsinstitut Zentrum für Telematik (ZfT) an der voll automatisierten, serienmäßigen Produktion von Kleinsatelliten. Bis dato hat z.B. das Weltraumunternehmen Space-X des US-Amerikaners Elon Musk mehr als 1.800 Kleinsatelliten auf den niedrigen Erdumlaufbahnen im Einsatz, die insbesondere zu einer besseren Internetversorgung beitragen sollen.2 Der erste kommerzielle europäische Mikrosatellit ESAIL, dessen Kernkomponenten in Deutschland produziert wurden, startete am 3. September 2020 mit einer italienischen Trägerrakete von dem europäischen Weltraumbahnhof Kourou in Französisch-Guayana.3
Die drei deutschen Raumfahrtunternehmen Rocket Factory Augsburg, Hyimpulse und Isar Aerospace leisten sich derzeit ein Kopf-an-Kopf Rennen, um die ersten kostengünstigen, kommerziellen Weltraum-Transportangebote von Kleinsatelliten mittels Micro-Launchern anbieten zu können.4 Mögliche europäische Startplätze dafür gibt es in Großbritannien, Norwegen und Schweden. Das Konsortium „German Offshore Spaceport Alliance“ forscht an einer schwimmenden Startplattform in der Nordsee, um Micro-Launcher von einem Spezialschiff starten zu lassen.
Als Schlüsselindustrie hat die Raumfahrt eine große strategische Bedeutung. Forschung, Klimaschutz, Kommunikation und Sicherheit sind entscheidende Aufgabenfelder der Raumfahrt, während private Investitionen, Innovation und Fortschritt in Deutschland neuen Aufschwung verleihen können. Deutschland investiert (Stand: 2020) 0,05 % des Bruttoinlandproduktes in Weltraumaktivitäten und liegt damit deutlich hinter bspw. den USA, die mit 0,22 % der größte Investor in die Raumfahrt sind. Der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) skizzierte 2020 die Chancen für die deutsche Industrie in einem Beitrag über einen deutschen Micro-Launcher-Startplatz: "Aktuellen Schätzungen zufolge wird der gesamte globale Raumfahrtmarkt von 360 Milliarden US-Dollar (2018) bis 2040 auf bis zu 2.700 Milliarden US-Dollar um mehr als das Siebenfache wachsen".5 Der Bereich New Space wird auch für Investoren immer interessanter. Laut einer Studie des BDI konnte die Branche 2020 rd. 308 Millionen Euro an Kapital einwerben, fast doppelt so viel wie im Vorjahr. Zudem gilt der Bereich New Space als „Enabler“ für andere Geschäftsfelder und Technologien: rund Dreiviertel der in der BDI Studie betrachteten New Space Unternehmen generieren Geschäft mit Kunden, die bisher keinerlei Bezug zum Thema Weltraum haben.
Um die Kommerzialisierung der Raumfahrt und damit den Bereich New Space effektiv voranzutreiben, brauchen private Marktakteure klare und verlässliche rechtliche Rahmenbedingungen, mithin ein nationales Weltraumgesetz, um Investitionsentscheidungen treffen zu können. Insbesondere internationale und nationale Haftungsregelungen, Regelungen bezüglich Planungsverfahren für bspw. Startbahnen/Startrampen und die Klärung von Besitzverhältnissen (Rohstoffen) im All sind für Investoren und Unternehmen entscheidend. Die Dringlichkeit bei der Schaffung eines eigenen, nationalen Weltraumgesetzes ergibt sich aus den diesbezüglich unzureichenden Regelungen in dem geltenden Weltraumvertrag der Vereinten Nationen (VN). Länder wie die USA, Japan, Luxemburg und Frankreich haben bereits nationale Weltraumgesetze erlassen.
In Frankreich gilt bspw. eine Haftungsobergrenze von EUR 60 Millionen, bis zu der das verantwortliche Unternehmen für Schäden durch Raketen oder Satelliten auf der Erde haften muss. In Deutschland haftet, solange es keine nationales Weltraumhaftungsregime gibt, der Staat gemäß Weltraumvertrag der VN in vollem Umfang für Unfälle und Schäden auf der Erde, ohne Rückgriff auf das verantwortliche Unternehmen. Derzeit befinden sich rund 5.465 Satelliten im All (Stand: 2022),6 davon mind. 1.800 auf den niedrigen Erdumlaufbahnen. Vor diesem immer enger werdenden Raum im All und den zunehmend diversifizierten Akteuren liegt in der Abwesenheit eines nationalen Haftungsregimes eine kritische, investitionshemmende Haftungslücke.
Auch Planungsverfahren für den Bau von Startbahnen bzw. Startrampen für Satelliten haben ohne nationales Gesetz keine Rechtsgrundlage. Genehmigungen können daher nur mit einer Einzelfallgenehmigung erteilt werden. Der bürokratische Aufwand dieser Einzelfallgenehmigungen macht Deutschland bspw. als Standort für Raketenstarts im Vergleich zu anderen Ländern mit einer entsprechenden Gesetzgebung weniger attraktiv. Auch insofern hemmt die Abwesenheit eines Weltraumgesetzes Investitionen in den Raumfahrt-Standort Deutschland.
Hinsichtlich der Frage nach den Besitzverhältnissen bzw. der Nutzung von Rohstoffen im All haben Länder wie bspw. Luxemburg, Japan und die USA in ihren nationalen Weltraumgesetzen festgelegt, dass seltene Erden, Metalle und Rohstoffe dem Land gehören, welches die Rohstoffe abbaut. Obwohl der sog. Weltraumbergbau an sich juristische Grauzone ist, vermuten Experten Milliardensummen an Rohstoffen, die für viele Schlüsseltechnologien von Bedeutung sind, in den Himmelskörpern. Ein diesbezügliches deutsches Weltraumgesetz oder jedenfalls das Herbeiführen diesbezüglicher internationaler Regelungen könnte Deutschland somit auch einen Platz auf einem möglichen Rohstoffmarkt des Weltraumes sichern.
In der Vergangenheit führten nahezu monopolartige Marktverhältnisse insbesondere in den westlichen Ländern zu hohen Preisen sowohl für Raketen- und Satellitensysteme als auch für Nutzlasten und wurden erst durch den Wandel zu New Space. aufgebrochen. Rechtssicherheit und unbürokratische Planungsverfahren sind nun der Schlüssel für die weitere erfolgreiche wirtschaftliche Entwicklung des Bereichs New Space in Deutschland. Die allgemeinen Aussichten hierfür auf Unternehmensseite sind gut; Deutschlands Perspektiven in dem Bereich Kleinstsatelliten und deren Beförderung ins All ebenfalls. Die innovativen Start-Ups, die sich in Deutschland angesiedelt haben und bereits erfolgreich an Kleinsatelliten und ihren Micro-Launchern forschen sind international konkurrenzfähig. Sie alle setzen auf die zeitnahe Schaffung einer soliden Weltraumstrategie und eines entsprechenden nationalen Gesetzes, das es ihnen ermöglicht Raketenstarts in Deutschland durchzuführen und das Rechtssicherheit für den Bau und die Planung von Startplätzen schafft.
Die Bundesregierung ist einmal mehr aufgefordert bezüglich der rechtlichen Rahmenbedingungen schnelle Abhilfe und klare, verlässliche Regelungen zu schaffen, um die Wettbewerbsfähigkeit der New Space Unternehmen zu fördern und den Raumfahrt-Standort Deutschland attraktiv für Unternehmen und Investoren zu machen.
1 vgl. Seite 28 des Koalitionsvertrages 2021 – 2025 zwischen der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands (SPD), BÜNDNIS 90 / DIE GRÜNEN und den Freien Demokraten (FDP) „Mehr Fortschritt wagen Bündnis für Freiheit, Gerechtigkeit und Nachhaltigkeit“ (abrufbar bei allen drei Koalitionären: SPD, BÜNDNIS 90 / DIE GRÜNEN, FDP)
2 vgl. SZ, 9. Februar 2022, Sonnensturm lässt 40 Space-X Satelliten abstürzen
3 vgl. DLR, 3. September 2020, Mikrosatellit ESAIL startet mit neuer Satellitenplattform ins All
4 vgl. SZ, 2. Februar 2021, Wettlauf ins All
5 vgl. MM 2. Februar 2021, Welche Start-ups im dt. „race to Space” mitmischen
6 Quelle: Statista 30. April 2022, Anzahl der Satelliten im All verteilt nach Ländern.
von Timo Stellpflug