Autor

Alexander Schmalenberger, LL.B.

Knowledge Lawyer

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11. Oktober 2023

Cybersicherheitsvorfälle, fehlerhafte Produkte und Datenlecks - Anwendungsfälle für Masseklagen in der Technikbranche?

  • Briefing

Am 29. September 2023 hat der Bundesrat den Weg für ein neues Masseklageverfahren frei gemacht. Verbraucherverbände und (vermutlich) Interessenvertreter von Kleinstunternehmen können danach gegen Unternehmen bürgerlich-rechtliche Ansprüche einer Vielzahl von Verbrauchern und Kleinstunternehmen geltend machen. Ziehen Cybersicherheits- und Datenschutzthematiken damit künftig unter Umständen eine Masseklage nach sich?

Eine falsche Einstellung eines Servers oder eine Firewall, ein kleiner Fehler in einem Opensource Programmcode, ein unbedachter Klick auf ein mit Ransomware verseuchter E-Mail-Anhang können die Daten einer Vielzahl von Verbrauchern betreffen. Die dabei möglicherweise entstandenen Schäden wurden bisher selten geltend gemacht. Die für den Einzelnen entstehenden Schäden sind meist zu gering, als dass sich der Aufwand lohnen würde. Möglich wird dies durch das am 29. September 2023 vom Bundesrat gebilligte Verbandsklagenrichtlinienumsetzungsgesetz (VRUG) und dessen Kernstück, das Verbraucherrechtedurchsetzungsgesetz (VDuG). Wir wollen uns im Folgenden den wichtigsten Fragen widmen, die sich betroffene Unternehmen aus der Technologiebranche stellen könnten.

Welche Ansprüche können im durch Massenklagen geltend gemacht werden?

Nach dem VDuG können alle Ansprüche geltend gemacht werden, die normalerweise vor den Amts- und Landgerichten eingeklagt werden könnten - sogenannte „bürgerliche Rechtsstreitigkeiten“. Wenn also „normale“ Kläger vor anderen Gerichten klagen müssten, fällt der Anspruch nicht unter das VDuG - dies betrifft z.B. Streitigkeiten im Zusammenhang mit Arbeitsverhältnissen oder wegen Verletzung des Sozialdatenschutzes. In Betracht kommen damit insbesondere Ansprüche aus oder im Zusammenhang mit Verträgen (z.B. wegen der Verwendung unwirksamer AGB) sowie aus Gesetz (z.B. Produkthaftung - künftig auch Softwarefehler - , Datenschutz oder Verletzung von Leib, Leben, Gesundheit und Eigentum).

Wie erhöht die Digitalisierung das Risiko von Massenklagen für Technologieunternehmen?

Die zunehmende Digitalisierung und Automatisierung der Gesellschaft birgt für Technologieunternehmen ein erhöhtes Risiko von Massenklagen. Die Automatisierung vieler Prozesse im digitalen Raum führt dazu, dass auftretende Fehler oft weitreichende Folgen haben können. Beispielsweise kann ein Softwarefehler in einem weit verbreiteten Produkt oder Dienst eine große Zahl von Verbrauchern und Kleinstunternehmen betreffen. Dies wird durch die rasche Verbreitung digitaler Technologien, des Internets der Dinge (IoT), künstlicher Intelligenz (KI) und Big Data noch verstärkt. Im Zuge dieser Entwicklungen übernehmen Technologieunternehmen immer mehr Verantwortung in einer Vielzahl von Bereichen, die früher nicht in ihren Zuständigkeitsbereich fielen.

Die breite Palette an Dienstleistungen und Produkten, die Technologieunternehmen anbieten, geht häufig mit einer erhöhten Anfälligkeit für rechtliche Herausforderungen einher. So können beispielsweise fehlerhafte - oder trotz rechtlicher Verpflichtung nicht angebotene - Software-Updates, Datenschutzverletzungen oder die Nichteinhaltung von Update-Verpflichtungen zu Schadensersatzansprüchen führen. Da die Ansprüche im Einzelfall oft gering, die Durchsetzung aber komplex ist, werden bislang vergleichsweise wenige Fälle vor Gericht verhandelt. Diese Ausgangslage schafft jedoch einen Anreiz für Massenklagen, bei denen sich Betroffene zusammenschließen, um ihre Ansprüche gemeinsam geltend zu machen.

In den Niederlanden, wo die Verbraucherklagerichtlinie frühzeitig umgesetzt wurde, sind derzeit mehrere Klagen gegen große Technologieunternehmen wegen angeblicher Verstöße gegen die Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) anhängig. Auch Klagen im Zusammenhang mit dem Digital Services Act (DSA) zeichnen sich ab. Diese Entwicklungen deuten darauf hin, dass Technologieunternehmen aufgrund ihrer Schlüsselrolle in einer zunehmend digitalisierten und vernetzten Gesellschaft mit einer steigenden Zahl von Massenklagen rechnen müssen.

Wie können Unternehmen die Wahrscheinlichkeit reduzieren, in Masseklagen verwickelt zu werden?

Massenklagen können erhebliche finanzielle Ressourcen der betroffenen Unternehmen für lange Zeit binden. Auch die immateriellen Schäden, die mit einem solchen Verfahren einhergehen können, sind zu berücksichtigen. Ein Unternehmen sollte daher durch technische und rechtliche Maßnahmen das Risiko des Entstehens klagefähiger Ansprüche so gering wie möglich halten. Wenn solche Ansprüche entstehen, sollten sie durch geeignete Maßnahmen minimiert werden. Beispielsweise durch die Einhaltung der gesetzlichen Pflichten nach einer Datenschutzverletzung. Auch der Abschluss einer Versicherung ist sicherlich sinnvoll.

Darüber hinaus sollte versucht werden, sich mit den Anspruchsberechtigten oder deren Vertretern zu einigen. Denn das Risiko einer Klage kann nicht per se ausgeschlossen werden. Aber ein gut ausgehandelter und zeitnaher “Deal” kann den klageberechtigten Stellen den Anreiz nehmen, das auch für sie mühsame Klageverfahren einzuleiten. Und die betroffenen Unternehmen können vermeiden, einen nicht unerheblichen, unverzinslichen Betrag in den so genannten Umsetzungsfond als Verteilungsmasse für potentielle Anspruchsinhaber - die diesen Betrag möglicherweise nie voll ausschöpfen werden - zu zahlen und auch noch die Kosten des Verteilungsverfahrens tragen zu müssen.

Wessen Ansprüche können durch Masseklagen gegen wen geltend gemacht werden?

Anspruchsgegner kann nur ein Unternehmen sein. Potentielle Anspruchsinhaber - dazu gleich mehr - können nur Verbraucher oder kleine Unternehmen mit weniger als 10 Beschäftigten und einem Jahresumsatz von höchstens 2 Millionen Euro sein. Eine Sammelklage ist nur zulässig, wenn die betroffenen Ansprüche der Verbraucher sehr ähnlich sind. Diese Ähnlichkeit wird durch zwei Kriterien bestimmt: 1) die Ansprüche beruhen auf demselben oder einem sehr ähnlichen Sachverhalt und 2) für die Ansprüche sind dieselben wesentlichen tatsächlichen und rechtlichen Gesichtspunkte maßgeblich. Die Klageschrift muss Informationen über die Ähnlichkeit der Ansprüche enthalten und, wenn ein kollektiver Gesamtbetrag eingeklagt wird, die Höhe jedes einzelnen Verbraucheranspruchs angeben, wenn diese gleich sind. Andernfalls ist die Methode zur Berechnung der Höhe der einzelnen Ansprüche darzulegen. Das Kriterium der “Gleichartigkeit” wird wahrscheinlich eines der umstrittensten Kriterien sein.

Auf was kann geklagt werden?

Es gibt zwei Arten von Klagen: Abhilfeklagen auf bestimmte Leistungen und Musterfeststellungsklagen. Mit der Abhilfeklage kann die klageberechtigte Stelle von einem Unternehmer verlangen, bestimmte Leistungen für die betroffenen Verbraucher zu erbringen. Die Musterfeststellungsklage dient darüber hinaus der Klärung bestimmter rechtlicher und tatsächlicher Fragen, die für das Verhältnis zwischen Verbraucher und Unternehmer relevant sind. Die klageberechtigte Stelle kann zwischen den beiden Klagearten frei wählen. Beide Klagearten dienen dem Verbraucherschutz, haben aber unterschiedliche Schwerpunkte und Verfahren. Während die Abhilfeklage unmittelbar auf die Erbringung einer bestimmten Leistung gerichtet ist und bestimmte Verfahren zur Erreichung dieses Ziels vorsieht, zielt die Musterfeststellungsklage auf die Klärung rechtlicher und tatsächlicher Fragen ab, die für das Verhältnis zwischen Verbrauchern und Unternehmern relevant sind.

Was ist die Abhilfeklage?

Die Abhilfeklage ermöglicht es, gegen einen Unternehmer vorzugehen, um eine bestimmte Leistung zu erzwingen, einschließlich der Zahlung eines kollektiven Gesamtbetrags an die betroffenen Verbraucher. Hält das Gericht die Klage für begründet, müssen die Parteien nach Erlass des Abhilfegrundurteils einen Vergleichsvorschlag unterbreiten. Kommt kein Vergleich zustande, wird das Verfahren durch ein Abhilfeendurteil beendet, das das Umsetzungsverfahren anordnet und die vom Unternehmer zu tragenden Kosten regelt. In diesem Urteil werden auch ein kollektiver Gesamtbetrag und die Kosten des Umsetzungsverfahrens einschließlich der Vergütung des Sachwalters festgesetzt, die der Unternehmer zu tragen hat.

Prozesstaktisch empfiehlt es sich, in diesem Verfahrensstadium einen möglichen Vergleich sorgfältig zu prüfen. Dazu sind die Entscheidungsgründe des Gerichts im Abhilfegrundurteil zu analysieren und eine Verhandlungsposition zu entwickeln.

Was ist eine Musterfeststellungsklage?

Die Musterfeststellungsklage in Deutschland ermöglicht die Klärung bestimmter tatsächlicher und rechtlicher Bedingungen, die für das Bestehen oder Nichtbestehen von Ansprüchen oder Rechtsverhältnissen zwischen Verbrauchern und einem Unternehmer maßgeblich sind. Eine Musterfeststellungsklage zu erheben, auch dann besteht, wenn die klageberechtigte Stelle die Option hat, eine Abhilfeklage zu erheben.

Wer kann klagen?

Es gibt zwei Arten von Organisationen, die dazu berechtigt sind: qualifizierte nationale Verbraucherverbände und bestimmte Organisationen aus anderen EU-Mitgliedstaaten. Verbraucherverbände müssen in einem speziellen Register eingetragen sein und dürfen nur einen geringen Teil ihrer Mittel von Unternehmen erhalten. Bestehen Zweifel an der Finanzierung, kann das Gericht den Kläger auffordern, seine Finanzierung offen zu legen. Verbraucherzentralen und ähnliche Verbände, die überwiegend aus öffentlichen Mitteln finanziert werden, erfüllen diese Voraussetzungen automatisch. Verbraucherverbände müssen in der Klageschrift lediglich nachvollziehbar darlegen, dass mindestens 50 Verbraucher betroffen sein können.

Wer dann für kleine Unternehmen klagen kann, ist nicht klar. Denn diese können sich nicht in Verbraucherverbänden organisieren.

Können klageberechtigte Stellen auch erst nach einem Ereignis gegründet werden?

Klageberechtigten Stellen können im Übrigen auch erst nach einem Ereignis gründen, welches dann zum Gegenstand der Klage gemacht wird.

Was passiert nach einem Abhilfeurteil?

Auf das Abhilfeurteil folgt das Umsetzungsverfahren. Im Umsetzungsverfahren wird zunächst ein Sachwalter bestellt, der die gerichtlichen Entscheidungen umsetzt und die Ansprüche der Verbraucher befriedigt. Zu diesem Zweck wird ein Vollstreckungsfonds eingerichtet, in den der Unternehmer bestimmte Beträge einzuzahlen hat. Der Sachwalter verwaltet diesen Fonds getrennt von seinem eigenen Vermögen und prüft die Anspruchsberechtigung der Verbraucher. Er stellt einen Auszahlungsplan auf und berechtigte Ansprüche werden direkt aus dem Umsetzungsfonds befriedigt.

Sowohl der Unternehmer als auch der betroffene Verbraucher haben die Möglichkeit, gegen die Entscheidungen des Sachwalters Widerspruch einzulegen. Es ist ein Verfahren vorgesehen, um eine gerichtliche Entscheidung über den Widerspruch zu erwirken. Kommt der Unternehmer einer Aufforderung des Sachwalters zur Erfüllung einer Forderung nicht nach, kann das Gericht Zwangsmittel wie Zwangsgeld oder Zwangshaft anordnen, um die Erfüllung zu erzwingen.

Der Sachwalter untersteht der Aufsicht des Gerichts und kann bei Verletzung seiner Pflichten schadenersatzpflichtig werden. Am Ende des Umsetzungsverfahrens legt der Sachwalter dem Gericht einen Schlussbericht und eine Schlussrechnung vor. Das Gericht prüft diese Unterlagen und stellt die Beendigung des Umsetzungsverfahrens fest.

Nach dem Umsetzungsverfahren haben Verbraucher und Unternehmer die Möglichkeit, weitere rechtliche Schritte einzuleiten, wenn die Ansprüche nicht vollständig erfüllt wurden oder Einwendungen gegen die Ansprüche bestehen. So kann der Unternehmer beispielsweise Einwendungen erheben, die den vom Verbraucher geltend gemachten Anspruch selbst betreffen, und der Verbraucher kann im Wege der Individualklage weitere Ansprüche geltend machen.

Dieses strukturierte Verfahren stellt sicher, dass die Ansprüche des Verbrauchers in geordneter und fairer Weise erfüllt werden, während gleichzeitig die Rechte und Pflichten des verurteilten Unternehmers und des Sachwalters klar definiert sind.

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