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Dr. Christian Frank, Licencié en droit (Paris II / Panthéon-Assas)

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9. Juni 2022

Geschäft und Geheimnisse

  • Briefing

#Geschäftsgeheimnisse, EU-Richtlinie 2016/943; "Umsetzung in den Mitgliedsstaaten"

Art. 2 "angemessene Geheimhaltungsmaßnahmen,

Art. 9 "Gerichtsverfahren", "Wahrung der Vertraulichkeit"

Art. 10 "Einstweilige und vorsorgliche Maßnahmen" "Verletzungsverfahren".

Wie man Hartporzellan herstellt, wurde in China im 7 Jahrhundert entdeckt. Die so hergestellten Gegenstände waren rasch beliebt und teuer. Die wenigen Produzenten konnten seine Zusammensetzung und die Herstellungsmethoden lange Zeit geheim gehalten. Im 16. Jahrhundert kam es auf Handelsrouten nach Europa, wo der Adel Unsummen für das begehrte "weiße Gold" ausgab. August der Starke, Kurfürst von Sachsen, finanzierte verschiedene Forschungsvorhaben. 1708 gelang es den Alchimisten von Tschirnhaus und Böttger -eine neuartige chemische Rezeptur von Hartporzellan zu generieren und damit vermutlich den Hals des letzteren zu retten, der versprochen hatte, aber daran gescheitert war, das Geheimnis der Goldherstellung zu lüften. Zwei Jahre später gründete August der Starke die erste europäische Porzellanmanufaktur in Meißen und wählte seine leerstehende und abgelegene Albrechtsburg als Produktionsstätte. Sie bot vor allem Schutz für das Herstellungsgeheimnis. Um dieses zu wahren, wurde stets nur einem kleinen Kreis von Mitarbeitern je ein Bruchteil des Geheimnisses mitgeteilt. Selbige waren zur Geheimhaltung verpflichtet und durften das Land nicht verlassen. Dennoch gelang es dem österreichischen Hof acht Jahre später, mit Hilfe eines aus Meißen geflohenen Porzellan Chemikers und einiger dort abgeworbener Handwerker eine zweite Manufaktur in Wien zu errichten.

Die wirtschaftliche Bedeutung von Geschäftsgeheimnissen ist gerade mit der industriellen Revolution enorm gestiegen: Das Know-how zur industriellen Verarbeitung von Baumwolle wurde maßgeblich in England entwickelt. Ein entscheidender Schritt gelang Richard Arkwright, der 1771 in Cromford die erste wassergetriebene Spinnmaschine mit automatischer Garnzuführung in Betrieb nahm, die sog. „Waterframe“. Die Textilverarbeitung verschaffte der englischen Industrie einen enormen Wettbewerbsvorteil. Die Maschinen waren mit einem Exportverbot belegt, Textilarbeiter durften die Grafschaft nicht verlassen und insbesondere nicht ins Ausland reisen. Dennoch konnte Johann Gottfried Brügelmann 1783 die erste Baumwoll-Spinnerei auf dem europäischen Festland in Ratingen gründen, nachdem er mithilfe eines Freundes das Modell einer Waterframe herausschmuggeln konnte. Ähnlichen Ursprung hat die US Textilindustrie: Als seinerzeit größtem Produzenten von Baumwolle fehlte ihr das Verarbeitungs-Know-how, so dass sie Baumwolle hierfür nach England verschiffen und reimportieren musste. Sie hatte - wenig überraschend - hohe Belohnungen für entsprechendes Wissen ausgesetzt. Samuel Slater hatte elf Jahre lang in englischen Spinnereien gearbeitet, bevor er auswanderte - getarnt als Farmer und mit all seinem Wissen im Gepäck, das er sich akribisch eingeprägt hatte. Innerhalb von zwei Jahren gründete er die erste Spinnerei in Rhode Island. 1848 verschaffte Robert Fortune der aufstrebenden Teeindustrie einen erheblichen Schub, als er Teepflanzen zusammen mit ausgebildeten Teemachern nach Indien brachte - nachdem er im Auftrag der Britischen East India Company durch China gereist war und als einheimischer Händler getarnt gegen Reise- und Ausfuhrbeschränkungen für Pflanzen verstoßen hatte. Heute berichten die Behörden regelmäßig über enorme, auch staatlich geförderte Wirtschaftsspionage.

Das Recht hat sich hingegen schwer getan mit dem Schutz von Geschäftsgeheimnissen: Archaische Strafandrohungen und Exportverbote waren bis zum Ende des 19. Jahrhunderts charakteristisches Mittel in vielen Staaten. Auch das deutsche UWG in seiner ersten Fassung vom 7. Juni 1909 regelte die Verletzung von Geschäftsgeheimnissen vor allem als Straftatbestand; ergänzend war eine Verpflichtung zum Ersatz des entstandenen Schadens enthalten. Die Regelungen sind weitgehend ein Papiertiger geblieben. Die deutsche Gerichtspraxis in den 110 Jahren bis zur Reform durch den Erlass des Gesetzes zum Schutz von Geschäftsgeheimnissen im Jahr 2019 ist sehr übersichtlich. Hierzu hat vor allem auch das „Credo“ der deutschen Zivilgerichte beigetragen: Wer wegen der Verletzung von Geschäftsgeheimnissen klagt, verliert entweder das Geheimnis oder das Verfahren.

In Europa ist der maßgebliche Schritt zu Reform durch die Richtlinie 2016/943 vom 8. Juni 2016 über den Schutz vertraulichen Know-hows und vertraulicher Geschäftsinformationen erfolgt. Deren Hauptziel und Zweck ist es, einen reibungslos funktionierenden Binnenmarkt für Forschung und Innovation zu erreichen, indem Maßnahmen, Verfahren und Rechtsbehelfe zum Schutz von Geschäftsgeheimnissen geschaffen werden, um insbesondere vor dem rechtswidrigen Erwerb und der rechtswidrigen Nutzung und Offenlegung eines Geschäftsgeheimnisses abzuschrecken. Sie enthält insbesondere eine Definition des Begriffs des Geschäftsgeheimnisses, die unter anderem daran hängt, dass der Inhaber es zum Gegenstand „von den Umständen entsprechenden angemessenen Geheimhaltungsmaßnahmen“ macht. Sie regelt ferner, in welchen Konstellationen Erwerb, Nutzung und Offenlegung von Geschäftsgeheimnissen rechtmäßig und rechtswidrig sind. Es sind Ausnahmen enthalten, um Geheimhaltungsinteressen gegenüber den Freiheiten der Meinungsäußerung und der Medien oder der Zulässigkeit von Whistleblowing abzugrenzen. Zudem gibt die Richtlinie detaillierte Vorgaben für entsprechende Verfahren, um einen Ausgleich zwischen dem Schutz des Inhabers und der Durchsetzung seiner Rechte einerseits und der Sicherstellung hinreichender Verteidigungsmöglichkeiten gegen kontroverse Rechtsbehelfe andererseits zu finden.

Die Richtlinie war bis zum 9. Juni 2018 in den Mitgliedstaaten umzusetzen. Einige Mitgliedstaaten haben hierfür eigene Normen erlassen, wie etwa Belgien, Deutschland, Irland, die Niederlande oder das Vereinigte Königreich. Frankreich und die Slowakei haben die Vorgaben der Richtlinie vor allem durch eine Änderung der jeweiligen Handelsgesetzbücher umgesetzt, Österreich und Ungarn haben sie in die nationalen Gesetze über unlauteren Wettbewerb integriert.

Die Bedeutung für Unternehmen und die Wirtschaft ist enorm: Die Schäden und Nachteile, die durch unrechtmäßige Aneignung, Cyberangriffe und Wirtschaftsspionage entstehen, sind enorm. Einem Bericht über Cyberkriminalität des European Centre for International Political Economy aus dem Jahr 2018 zufolge führen die wirtschaftlichen Auswirkungen von Cyber Diebstahl in der EU zu einem Verlust an Wirtschaftswachstum iHv 60 Milliarden Euro und einem daraus resultierenden potenziellen Verlust von 289.000 Arbeitsplätzen. Praktische Erfahrungen und die sich entwickelnde neue Rechtsprechung zeichnen sich nun in allen Mitgliedstaaten ab. Was genau hat sich für die Unternehmen geändert, wie schaffen sie den Spagat zwischen "Wegschließen zur Geheimhaltung" und täglicher Nutzung für die Zwecke des Unternehmens? Haben die Gerichte klare Mindeststandards für die Wahrung eines Geschäftsgeheimnisses bestimmt; müssen Unternehmen ihre Geheimhaltungspolitik anpassen, um sich im Streitfall auf ein Geschäftsgeheimnis berufen zu können? In welchen Fällen waren Verletzungsklagen erfolgreich, in welchen nicht, und vor allem warum? Haben sich die verfahrensrechtlichen Schutzmaßnahmen - wie gerichtliche Geheimhaltungsanordnungen - als wirksam erwiesen? Wie unterscheidet sich die Praxis in den EU-Mitgliedstaaten? Ab dem 9. Juni 2021 sollte die EUIPO-Beobachtungsstelle einen ersten Bericht über die Entwicklungen im Zuge der Anwendung dieser Richtlinie erstellen, der jedoch noch nicht veröffentlicht wurde.

Die Rechtspraxis hinkt noch hinterher. Taylor Wessing wird über Erfahrungen aus der Praxis berichten. Kurz, aber wöchentlich. Bruchstücke aus verschiedenen Perspektiven und Ländern. Mit Bezug zur Richtlinie, um den grenzüberschreitenden Vergleich zu erleichtern. 

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