Autor

Dr. Johanna Post

Senior Associate

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7. Oktober 2021

Erst kündigen, dann krankmelden? BAG erschüttert Beweiswert einer AU-Bescheinigung

  • Briefing

Für viele Arbeitgeber ist es fast schon Routine: Ein Arbeitnehmer erhält eine Kündigung oder kündigt sein Arbeitsverhältnis selbst und reicht im Anschluss eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung ein. Der Arbeitnehmer kommt oftmals nicht mehr zurück ins Unternehmen, sondern bleibt bis zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses krankgeschrieben und der Arbeitgeber leistet in der Regel – jedenfalls für den Zeitraum von sechs Wochen – Entgeltfortzahlung.

Das BAG hat mit Urteil vom 8. September 2021 im Falle einer Arbeitnehmerkündigung und einer unmittelbar auf diese folgende Krankmeldung für erfreuliche Neuigkeiten gesorgt und entschieden, dass der Beweiswert einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung insbesondere dann erschüttert wird, wenn die bescheinigte Arbeitsunfähigkeit passgenau die Dauer der Kündigungsfrist umfasst (BAG, Urteil vom 08.09.2021 – 5 AZR 149/21 – Pressemitteilung).

I. Entscheidung des BAG

In dem vom BAG entschiedenen Fall kündigte eine Arbeitnehmerin ihr Arbeitsverhältnis am 8. Februar 2021 innerhalb der Probezeit mit einer Frist von zwei Wochen zum 22. Februar 2021 und legte der Arbeitgeberin eine auf den 8. Februar 2021 datierte, als Erstbescheinigung gekennzeichnete Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vor. Die Arbeitgeberin verweigerte für die restlichen zwei Wochen des Fortbestehens des Arbeitsverhältnisses die Entgeltfortzahlung. Die Arbeitgeberin argumentierte, der Beweiswert der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung sei erschüttert, weil diese genau die Restlaufzeit des Arbeitsverhältnisses nach der Eigenkündigung der Klägerin abdecke. Die Arbeitnehmerin machte hingegen geltend, sie sei ordnungsgemäß krankgeschrieben gewesen und habe vor einem Burn-Out gestanden.

Nachdem die Vorinstanzen der Zahlungsklage der Arbeitnehmerin stattgegeben hatten, wies das BAG die Klage als unbegründet ab und gab im Ergebnis der Arbeitgeberin recht. Das BAG führt aus, die Arbeitgeberin habe den Beweiswert der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung erschüttert. Die Koinzidenz zwischen der Kündigung vom 8. Februar zum 22. Februar 2019 und der am 8. Februar bis zum 22. Februar 2019 bescheinigten Arbeitsunfähigkeit begründe einen ernsthaften Zweifel an der bescheinigten Arbeitsunfähigkeit. Die Arbeitnehmerin sei im Prozess ihrer Darlegungslast zum Bestehen einer Arbeitsunfähigkeit nicht hinreichend konkret nachgekommen, sodass nicht zweifelsfrei angenommen werden könne, dass die Arbeitnehmerin für den streitigen Zeitraum tatsächlich arbeitsunfähig gewesen sei. Die Arbeitnehmerin hat daher keinen Anspruch auf Lohnfortzahlung für die Zeit der Krankschreibung.

II. Zum Beweiswert von Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung

Grundsätzlich ist der Arbeitgeber gem. § 3 EFZG für einen Zeitraum von sechs Wochen zur Entgeltfortzahlung verpflichtet, wenn ein Arbeitnehmer durch Arbeitsunfähigkeit infolge Krankheit seine Arbeitsleistung nicht erbringen kann und das Arbeitsverhältnis länger als vier Wochen ununterbrochen besteht. Der Arbeitnehmer oder die Arbeitnehmerin weist seine Arbeitsunfähigkeit in der Regel durch eine vom behandelnden Arzt ausgestellte Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung nach. Diese Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung dient auch in einem möglichen Gerichtsverfahren – z.B. bei einer Klage des Arbeitnehmers auf Entgeltfortzahlung – als Beweismittel und belegt zunächst, dass der Arbeitnehmer während des in dem Attest angegebenen Zeitraums arbeitsunfähig erkrankt war. Der Arbeitgeber kann den Beweiswert einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung erschüttern, indem er tatsächliche Umstände darlegt und ggf. beweist, die Anlass zu ernsthaften Zweifeln an der Arbeitsunfähigkeit geben. Gelingt dies, obliegt es wiederrum dem Arbeitnehmer, darzulegen und zu beweisen, dass er tatsächlich arbeitsunfähig war. Um diesen Beweis zu führen, reicht die Vorlage der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung nicht mehr aus, sondern der Arbeitnehmer kann (und muss) darüber hinaus seine Arbeitsunfähigkeit beweisen, indem er beispielsweise den behandelnden Arzt von seiner Schweigepflicht entbindet und als Zeugenbeweis anbietet.

Nach den Grundsätzen, die das BAG nun mit seiner jüngsten Rechtsprechung aufgestellt hat, wird der Beweiswert der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung bereits dadurch erschüttert, dass diese im unmittelbaren Zusammenhang zu einer durch den Arbeitnehmer ausgesprochenen Eigenkündigung steht und sich der Zeitraum der Krankschreibung mit der Kündigungsfrist deckt. Im vom BAG zu entscheidenden Fall ist die Arbeitnehmerin ihrer gesteigerten Darlegungs- und Beweislast gerade nicht nachgekommen und hat ihre Arbeitsunfähigkeit nicht nachweisen können.

III. Praxishinweis

Die Entscheidung des BAG ist aus Arbeitgebersicht begrüßenswert. Die Krankmeldung im Zusammenhang mit einer (Eigen-) Kündigung bedeutet zwar nicht, dass der Arbeitnehmer grundsätzlich keinen Anspruch auf Entgeltfortzahlung mehr hätte. Ihm kommt aber eine gesteigerte Darlegungs- und Beweislast zu; die schlichte Vorlage der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung ist nicht (mehr) ausreichend. Der Arbeitnehmer wird vielmehr seinen behandelnden Arzt von der Schweigepflicht entbinden und als Zeugen anbieten müssen, um den Beweis der Arbeitsunfähigkeit führen zu können.

Zweifelt der Arbeitgeber in solchen Fällen an der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung, kann er prüfen, ob er ggf. die Entgeltfortzahlung aussetzen und es auf eine Klage des Arbeitnehmers und ein mögliches Gerichtsverfahren ankommen lassen will. Ob sich eine konfrontative Beendigung des Arbeitsverhältnisses – insbesondere aus finanzieller Hinsicht – lohnt, dürfte sich nach der Höhe der monatlichen Vergütung, der Länge der Kündigungsfristen und insbesondere den konkreten Umständen des Einzelfalls, wie beispielsweise auch die Historie des Arbeitsverhältnisses, richten. Eine solche Entscheidung bedarf daher einer sorgfältigen Abwägung, wobei auch die zu erwartenden Kosten des Gerichtsverfahrens im Blick zu behalten sind.

Es bleibt zudem abzuwarten, ob dieser Grundsatz zur Eigenkündigung des Arbeitnehmers auch auf den – in der Praxis wohl relevanteren Fall – der Arbeitgeberkündigung anzuwenden ist. Dies wäre wünschenswert, auch um den Arbeitgeber vor etwaigen Krankmeldungen im Zusammenhang mit einer ausgesprochenen Kündigung zu schützen.

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