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5. Mai 2021

Schienenkartell VI – der BGH urteilt zu pauschaliertem Kartellschadensersatz

  • Briefing

Der BGH sorgt mittlerweile in erfreulicher Regelmäßigkeit mit neuen Urteilen für mehr Rechtssicherheit im Bereich des Kartellschadensersatzrechts. Seit gestern veröffentlicht ist das Urteil Schienenkartell VI Az.: KZR 63/18, das sich mit der Frage beschäftigt, unter welchen Voraussetzungen vorformulierte pauschalierte Kartellschadensersatzklauseln einer AGB-rechtlichen Kontrolle standhalten. Wir haben die wichtigsten Aussagen des Urteils zusammengefasst und geben eine Einschätzung zu den relevantesten Folgen des Urteils für die Praxis.

Abnehmer nehmen in ihre Einkaufsbedingungen häufig Regelungen über eine pauschale Schadensersatzhöhe für den Fall auf, dass der Lieferant einen Kartellrechtsverstoß begeht. So lag auch der vom BGH nun entschiedene Fall, in dem die klagenden Berliner Verkehrsbetriebe einen pauschalierten Kartellschadensersatz in Höhe von 5 % der Abrechnungssumme in ihren AGB vorsahen. Diese AGB lagen den Bezugsverträgen für die vom Kartell betroffenen Gleisoberbaumaterialien zugrunde. Der BGH begründet ausführlich in seinem Urteil, weshalb die Klausel einer Inhaltskontrolle nach § 307 Abs. 1 S. 1 BGB standhält.

„aus Anlass der Vergabe“

Die streitgegenständliche Klausel sah pauschalen Schadensersatz für den Fall vor, dass der Auftragnehmer „aus Anlass der Vergabe“ gegen Kartellrecht verstoßen hat. Der BGH stellt klar, dass diese Formulierung bei der gebotenen Auslegung aus dem Blickwinkel eines mit Beschaffungsvorgängen vertrauten und redlichen Vertragspartners nicht nur solche Beschaffungsvorgänge erfasst, die konkret Gegenstand einer Kartellabsprache waren, sondern auch und erst recht greift, wenn sich das Kartell – wie beim Schienenkartell – umfassend auf den gesamten Markt erstreckt. Auch kommt es nicht auf die Art der Vergabe an (beschränkte Ausschreibung, freihändige Vergabe oder unmittelbare Auftragsvergabe).

5 bis 15 % Preisüberhöhungsschaden sind nicht unangemessen

Der BGH kommt zu dem Ergebnis, dass pauschalierte Schadensersatzklauseln in Höhe von bis zu 15 % der Abrechnungssumme keine unangemessene Benachteiligung i. S. d. § 307 Abs. 1 S. 1 BGB darstellen:

  • Bei der erforderlichen umfassenden Interessenabwägung seien auch den Besonderheiten kartellzivilrechtlicher Schadensersatzansprüche Rechnung zu tragen. Der BGH rekurriert hier auf sein Urteil Schienenkartell II (hier geht’s zu unserem Podcast zu diesem Urteil), wonach der kontrafaktische Wettbewerbspreis nur mit großem sachlichen und finanziellen Aufwand und ohnehin nur näherungsweise dargelegt werden kann. Gerade deshalb seien pauschale Schadensersatzklauseln bei kartellbedingten Schäden legitim.
  • Der BGH begründet sein Ergebnis zudem mit dem Prinzip des „effet-utile“, wonach die Durchsetzung von Kartellschadensersatzansprüchen bei Verstößen gegen das EU-Kartellverbot in den EU-Mitgliedstaaten effektiv möglich sein muss. Die effektive Kompensation erlittener Kartellschäden diene auch der Wirksamkeit des EU-Kartellrechts, da die Unternehmen den Kartellschadensersatz als regelmäßige und erwartbare Folge von Kartellrechtsverstößen bei ihrem Marktverhalten berücksichtigen würden. Pauschale Kartellschadensersatzklauseln seien in besonderer Weise geeignet, die wirksame Durchsetzung von Kartellschadensersatzansprüchen zu erhöhen.
  • Die Schadenspauschale müsse sich an dem nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge zu erwartenden Schaden orientieren. In diesem Zusammenhang nimmt der BGH auf die Metastudien von Oxera und Boyer/Kotchonie Bezug, nach denen kartellbedingte Preisüberhöhungen im Mittelwert bei 20 % bzw. 15 % liegen. Daraus ergebe sich, dass Kartellschadensersatzpauschalen von 5 % bis maximal 15 % nicht unangemessen seien.

 

Kurzbewertung und Praxisfolgen

  • Das Urteil des BGH ist ein weiterer Schritt zu mehr Rechtssicherheit in der Bewertung kartellrechtlicher Schadensersatzansprüche. Insbesondere überzeugt auch die Begründung des BGH, dass die Durchsetzung kartellrechtlicher Schadensersatzansprüche effektiv möglich sein muss. Kartellschadensersatzprozesse und dabei insbesondere der Nachweis des kartellbedingten Preisüberhöhungsschadens sind für Kläger mit erheblichem Kostenaufwand verbunden und schrecken nicht wenige Unternehmen von einer Geltendmachung der Ansprüche im Klagewege ab. Andererseits unterliegt die Abtretung von Kartellschadensersatzansprüchen nach der derzeitigen Entscheidungspraxis der Instanzgerichte je nach Abtretungsmodell dem Risiko der Unwirksamkeit wegen Verstoßes gegen das RDG. Geschädigte Abnehmer befinden sich somit oft in einem Dilemma. Vor diesem Hintergrund ist das klägerfreundliche Urteil des BGH ein Schritt in die richtige Richtung.
  • Die Ausführungen des BGH, dass auch eine pauschalierte Schadenshöhe von bis zu 15 % zulässig wäre, stehen zumindest auf den ersten Blick in einem gewissen Spannungsverhältnis zu seiner Rechtsprechung, dass bei einem Quoten- und Kundenschutzkartell wie dem Schienenkartell kein Anscheinsbeweis, sondern nur eine tatsächliche Vermutung dafür greift, dass das Kartell überhaupt zu höheren Preisen geführt hat. Erklärbar wäre diese Unterscheidung mit einem unterschiedlichen Wahrscheinlichkeitsmaßstab. Bei § 307 Abs. 1 S. 1 BGB kommt es auf den „gewöhnlichen Lauf der Dinge“ an. Die Annahme eines Anscheinsbeweises für den Eintritt eines Schadens setzt nach Ansicht des BGH im Urteil Schienenkartell I dagegen eine „sehr große Wahrscheinlichkeit“ voraus.
  • Für Unternehmen empfiehlt es sich, die bestehenden Einkaufsbedingungen zu prüfen und ggf. um eine pauschale Kartellschadensersatzklausel zu ergänzen. Ist eine wirksame Klausel vereinbart, führt dies zu einer Umkehr der Darlegungs- und Beweislast. Das heißt, dass der verklagte Kartellant darlegen und ggf. beweisen muss, dass der Schaden geringer ist als der pauschalierte Betrag, der sich aus der Klausel ergibt. Gelingt ihm dies nicht, muss sich der Kartellant am pauschalierten Betrag festhalten lassen.
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