Der EuGH hat vergangene Woche in einem Vorabentscheidungsverfahren nach Art. 267 AEUV über die Anforderungen des EU-Wettbewerbsrechts an die rechtlichen Möglichkeiten zur gebündelten Durchsetzung kartellrechtlicher Schadensersatzansprüche in den Mitgliedstaaten entschieden (Rechtssache C-253/23).
Ausgangslage
Der EuGH-Entscheidung liegt eine beim Landgericht Dortmund anhängige Klage eines Klagevehikels zugrunde. Dieses Klagevehikel hatte sich von Sägewerken Kartellschadensersatzansprüche gegen das Land Nordrhein-Westfalen wegen einer wettbewerbsbeschränkenden Absprache beim Verkauf von Rundholz abtreten lassen. Eine für das Landgericht Dortmund in Bezug auf den Kartellrechtsverstoß bindende Entscheidung des Bundeskartellamts gibt es nicht. Es handelt sich daher um eine sog. Stand-alone-Klage, bei der ein Verstoß gegen Kartellrecht nachgewiesen werden muss (im Unterschied zu einer Follow-on-Klage, bei der der Verstoß gegen das Kartellrecht aufgrund einer rechtskräftigen Entscheidung einer Wettbewerbsbehörde bindend feststeht).
Die Abtretungen an das Klagevehikel sind fiduziarisch, da die Sägewerke erst und nur dann eine Zahlung als Gegenleistung für die Abtretung erhalten, wenn die Ansprüche erfolgreich durchgesetzt wurden.
Das Landgericht Dortmund hat die Auffassung vertreten, dass die Abtretungen wegen eines Verstoßes gegen § 3 Rechtsdienstleistungsgesetz (RDG) unwirksam seien. In einer Stand-alone-Konstellation gehe es nicht allein um die rein zivilrechtliche Bewertung der Ansprüche. Vielmehr seien auch nicht primär dem Zivilrecht zuzuordnende Aspekte zu prüfen. Das Landgericht Dortmund dürfte es damit um die Frage eines Verstoßes gegen das EU- und deutsche Kartellrecht gegangen sein. In einem solchen Fall sei die Grenze dessen, was ein nach dem RDG zugelassener Rechtsdienstleister zulässigerweise erbringen dürfe, überschritten. Dies habe zur Konsequenz, dass die Abtretungen unwirksam und die Klage damit unbegründet sei (LG Dortmund, 13.3.2023, 8 O 7/20, Rn. 112 ff.).
Dieses Ergebnis sei aber nicht mit EU-Recht, insbesondere nicht mit dem EU-Wettbewerbsrecht, vereinbar, denn danach müssen von Kartellen mutmaßlich Geschädigte ihre Ansprüche effektiv durchsetzen können (Effektivitätsgrundsatz). Alternative Modelle zur Forderungsdurchsetzung bestünden nicht. Insbesondere seien weder das echte Factoring, bei dem der Zessionar für den Forderungserwerb unmittelbar bezahlt, noch die Streitgenossenschaft, also eine gemeinsame Klage mehrerer Geschädigter, taugliche Optionen (LG Dortmund, 13.3.2023, 8 O 7/20, Rn. 118 ff.).
Entscheidung des EuGH
Der EuGH kommt zu dem Ergebnis, dass das EU-Wettbewerbsrecht, insbesondere der aus Art. 101 AEUV abgeleitete Effektivitätsgrundsatz, einer Nichtigkeit der Abtretungen von kartellrechtlichen Ansprüchen ohne eine bindende Entscheidung einer Kartellbehörde (Stand-alone-Konstellation) aufgrund eines Verstoßes gegen das RDG dann entgegensteht, wenn
- das nationale Recht keine andere Möglichkeit zur Bündelung der Forderungen der Geschädigten vorsieht, die geeignet ist, eine wirksame Durchsetzung der Ansprüche zu gewährleisten, und
- für die Geschädigten eine individuelle Klage unmöglich oder übermäßig schwierig wäre, mit der Folge, dass ihnen das Recht auf effektiven gerichtlichen Rechtsschutz verwehrt würde.
Sollte sich das RDG nicht unionsrechtskonform auslegen lassen, dürfe das nationale Gericht das RDG nicht anwenden.
Folgerungen für die Praxis
1. Das Urteil betrifft ausdrücklich nur die Stand-alone-Konstellation. Es ist aber kein Grund ersichtlich, weshalb in der Follow-on-Situation, bei der sich mutmaßlich Geschädigte zur Darlegung ihres Anspruchs auf eine bindende Entscheidung einer Wettbewerbsbehörde berufen können, aus dem EU-Wettbewerbsrecht abweichende, insbesondere weniger strenge Anforderungen an das nationale Recht folgen. Sollte ein nationales Gericht zu dem Ergebnis kommen, dass Abtretungen von Schadensersatzansprüchen wegen eines bindend festgestellten Kartellrechtsverstoßes aufgrund eines RDG-Verstoßes unwirksam sind, müsste es bei Vorliegen der vom EuGH aufgestellten Voraussetzungen folglich ebenfalls zur Unanwendbarkeit des RDG gelangen.
2. Richtigerweise wird aber sowohl für die Follow-on-Konstellation als auch die Stand-alone-Konstellation ein Verstoß gegen das RDG verneint werden müssen:
- So hat der BGH in der Entscheidung financialright ausgeführt, dass sich dem RDG keine Einschränkung auf die Einziehung von Forderungen entnehmen lasse, die einem bestimmten Rechtsgebiet zuzuordnen sind. Die Gesetzessystematik begründe ebenfalls keine Einschränkung (BGH, 13.6.2022, VIa ZR 418/21, Rn. 25 f.).
- Zudem hat auch der deutsche Gesetzgeber bei der Reform des RDG klar zu erkennen gegeben, dass die Durchsetzung von Kartellschadensersatzforderungen von der Inkassobefugnis umfasst ist (BT-Drs. 19/27673, S. 62; das im Rundholzverfahren ebenfalls verklagte Land Baden-Württemberg hatte über den Bundesrat vergeblich versucht, im RDG eine Regelung aufzunehmen, die Kartellschadensersatzforderungen von der Inkassobefugnis ausnimmt).
- Zuletzt haben schließlich sowohl das OLG München in einer Klage wegen des Lkw-Kartells (Follow-on) als auch das OLG Stuttgart in einem Parallelverfahren wegen des Rundholzfalles (Stand-alone) die Vereinbarkeit von fiduziarischen Abtretungen an Klagevehikel mit dem RDG bestätigt (OLG Stuttgart, 15.08.2024, 2 U 30/22, Rn. 106 ff.; OLG München, 28.3.2024, 29 U 1319/20 Kart, Rn. 285 ff.).
3. Die Auswirkungen des EuGH-Urteils in Deutschland dürften vor diesem Hintergrund überschaubar bleiben. Dies gilt erst recht, wenn der Bundesgerichtshof die Vereinbarkeit der fiduziarischen Abtretung auch explizit für kartellrechtliche Schadensersatzforderungen bestätigt, wovon aufgrund der zitierten BGH-Rechtsprechung auszugehen ist.
4. Es bleibt damit zu hoffen, dass sich die Gerichte in der Praxis nicht mit den vom EuGH aufgestellten Voraussetzungen für eine Unanwendbarkeit des RDG auseinandersetzen werden, d. h. ob Geschädigte ihre Ansprüche auch alternativ gebündelt durchsetzen könnten, z. B. im Wege eines echten Forderungskaufs oder mittels Streitgenossenschaft, und wann die Schadenssumme eines Zedenten so hoch erscheint, dass dies eine Einzelklage rechtfertigt (und seine Abtretung unwirksam werden lässt). Der effektiven (und effizienten) Durchsetzung des EU-Wettbewerbsrechts und daraus abgeleiteter Schadensersatzansprüche wäre damit geholfen.