3. September 2020
Nach dem SARS-CoV-2-Arbeitsschutzstandard vom 16.04.2020 („Arbeitsschutzstandard“) hat das Bundesministerium für Arbeit und Soziales („BMAS“) am 10.08.2020 die SARS-CoV-2-Arbeitsschutzregeln („Arbeitsschutzregeln“) veröffentlicht und am 20.08.2020 erstmalig aktualisiert. Die Arbeitsschutzregeln beinhalten eine Konkretisierung des Arbeitsschutzstandards. Für Unternehmen stellt sich nunmehr die Frage, was es zu beachten gilt, um in der aktuellen (Pandemie-)Lage weiterhin die Vorgaben des Arbeits- und Gesundheitsschutzes zu erfüllen. Zur Beantwortung dieser Frage lohnt sich ein Blick auf das neue Regelwerk. Da ein Ende der COVID-19-Pandemie derzeit nicht in Sicht ist, lässt sich eines bereits jetzt festhalten: Unternehmen tun gut daran, ihre aktuellen Schutzmaßnahmen streng an den Arbeitsschutzregeln auszurichten sowie ihr Schutzkonzept dahin gehend zu überprüfen und – soweit nötig – zeitnah anzupassen.
Beim Arbeitsschutzstandard und bei den Arbeitsschutzregeln handelt es sich zwar weder um Gesetze noch um Rechtsverordnungen im Sinne des § 18 ArbSchG, ihre Bindungswirkung kommt einer entsprechenden Geltungskraft jedoch recht nahe. Es handelt sich um vom BMAS auf der Grundlage von §§ 3, 3a ArbStättV veröffentlichte Erkenntnisse und Regeln, deren Einhaltung durch den Arbeitgeber eine Richtigkeitsvermutung der ergriffenen (Schutz-)Maßnahmen begründet. Dies wird in den Arbeitsschutzregeln ausdrücklich betont: „Betriebe, die die in der SARS-CoV-2-Regel vorgeschlagenen technischen, organisatorischen und personenbezogenen Schutzmaßnahmen umsetzen, können davon ausgehen, dass sie rechtssicher handeln.“
Zur Auslösung der beschriebenen Richtigkeitsvermutung müssen Arbeitgeber ihr weiteres Vorgehen an den Vorgaben des Arbeitsschutzstandards sowie der Arbeitsschutzregeln ausrichten. Tun sie dies nicht und ergreifen alternative Maßnahmen, tragen sie die – teils schwer zu erfüllende – Beweislast dafür, dass die alternativen Maßnahmen ebenfalls dem aktuellen Stand der Technik, Arbeitsmedizin und Hygiene entsprechen. Da sich die Arbeitsschutzregeln an den bekannten Expertenempfehlungen orientieren, dürfte es bei Abweichungen von dem neuen Regelwerk kaum möglich sein, ein gleichwertiges Schutzniveau sicherzustellen.
Jeden Geschäftsleiter trifft die Pflicht, sich im Rahmen der Unternehmensführung gesetzestreu zu verhalten, insbesondere sämtliche Rechtsvorschriften einzuhalten (sog. Legalitätspflicht). Hieraus ergibt sich eine Pflicht zur Einhaltung der einschlägigen arbeits- und gesundheitsschutzrechtlichen Bestimmungen. Soweit Pflichten im Hinblick auf die Umsetzung und Kontrolle von Schutzmaßnahmen innerhalb der COVID-19-Pandemie auf nachgelagerte Hierarchieebenen delegiert werden sollen, sind außerdem die spezifischen Delegationsanforderungen zu beachten.
Die Nichtbeachtung der neuen Regeln zum betrieblichen Arbeits- und Gesundheitsschutz kann für Unternehmen und deren Geschäftsleiter zu Compliance-Verstößen und dadurch zu haftungsrechtlichen Risiken führen. Als Beispiele seien hier Betriebsschließungen, Bußgelder, strafrechtliche Sanktionen und Schadensersatzansprüche zu nennen. Es ist zu beachten, dass den Aufsichtsbehörden der Länder mit den neuen Arbeitsschutzregeln ein einheitlicher Beurteilungsmaßstab für Betriebsprüfungen an die Hand gegeben wurde. Es bleibt abzuwarten, ob sich die Betriebsprüfungen nun häufen werden. Neben den haftungsrechtlichen Risiken droht ferner, wie sich anhand aktueller Beispiele zeigt, ein erheblicher Reputationsschaden, soweit kein ausreichendes Schutzkonzept implementiert wurde.
Einerseits schaffen die neuen Arbeitsschutzregeln mehr Klarheit für Unternehmen. Zugleich führen sie aber auch zu erhöhten Anforderungen an den Arbeits- und Gesundheitsschutz, da die Vorgaben zum Teil sehr kleinteilig und streng sind. Darüber hinaus sind die Regeln nicht in allen Punkten völlig klar und steigern dadurch den Prüfungsaufwand. Zu beachten ist außerdem, dass die Arbeitsschutzregeln – ebenso wie der Arbeitsschutzstandard – Unternehmen unabhängig von der Unternehmensgröße, der Branche/ dem Wirtschaftszweig und im Hinblick auf den Schutz aller Beschäftigten verpflichten. Soweit Unternehmen bislang eher einen pragmatischen Weg gewählt haben, wird dieser Pragmatismus nun mehr und mehr einer strengeren Regelkonformität weichen müssen.
Im Folgenden werden die Konkretisierungen der Schutzmaßnahmen im Überblick dargestellt; die konkreten Maßnahmen sollten sich dabei stets anhand des sog. TOP-Prinzip orientieren, d.h. „technische vor organisatorischen vor personenbezogenen Maßnahmen“:
Die Konkretisierungen durch die Arbeitsschutzregeln sollten die Unternehmen zum Anlass nehmen, Gefährdungsbeurteilungen (vgl. §§ 5, 6 ArbSchG) und bereits festgelegte Schutzmaßnahmen des Arbeits- und Gesundheitsschutzes auf einen etwaigen Anpassungsbedarf hin zu überprüfen.
Zwar stellt das BMAS klar, dass Betriebe, die die in den Arbeitsschutzregeln aufgeführten technischen, organisatorischen und personenbezogenen Schutzmaßnahmen umsetzen, rechtssicher handeln. Jedoch dürfen Unternehmen bei den getroffenen Maßnahmen nicht stehen bleiben! Vielmehr lässt sich aus den Arbeitsschutzregeln einmal mehr ableiten, dass die Einhaltung der getroffenen Maßnahmen sichergestellt werden muss. Dazu sind zwei Maßnahmen entscheidend:
Die Beschäftigten müssen in der Umsetzung der Schutzmaßnahmen unterwiesen werden (vgl. § 12 ArbSchG). Die Arbeitsschutzregeln stellen klar, dass solche Unterweisungen auch während einer Epidemie durchgeführt werden müssen. Entsprechende allgemeine und spezielle Anforderungen an Unterweisungen gelten unverändert weiter (hierzu wird das Beispiel der Dokumentation genannt). Wie hoch die Anforderungen sind, lässt sich exemplarisch am Bsp. des Homeoffice ableiten. Dazu heißt es in den Arbeitsschutzregeln: „Beschäftigte sind im Hinblick auf einzuhaltende Arbeitszeiten, Arbeitspausen, darüber notwendige Dokumentation, die ergonomische Arbeitsplatzgestaltung und die Nutzung der Arbeitsmittel, zum Beispiel korrekte Bildschirmposition, möglichst separate Tastatur und Maus, richtige und wechselnde Sitzhaltung und Bewegungspausen zu unterweisen.“
In einem weiteren Schritt ist die Einhaltung der Maßnahmen zu kontrollieren. Hierzu sollte ein geeignetes Monitoringsystem implementiert werden.
Der betriebliche Arbeits- und Gesundheitsschutz unterliegt größtenteils der Mitbestimmung des Betriebsrats. Zur Durchsetzung dieser Mitbestimmung stehen dem Betriebsrats vielfältige Mittel zur Verfügung. Wird die Mitbestimmung missachtet kann der Betriebsrat im schlimmsten Fall sogar die vorübergehende Einstellung der betrieblichen Tätigkeit erwirken. Es ist daher stets zu prüfen, ob eine Einbeziehung des Betriebsrats erforderlich ist. Eine konstruktive Zusammenarbeit führt in der aktuellen (Pandemie-)Lage häufig zu einer schnellen Umsetzung der notwendigen (Schutz-)Maßnahmen.
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Unsere Spezialisten für Fragestellungen aus dem Bereich Arbeits- und Gesundheitsschutz Dr. Michael Pils (m.pils@taylorwessing.com), Dr. Johannes Höft (j.hoeft@taylorwessing.com) und Thomas Vogtmeier (t.vogtmeier@tayorwessing.com) unterstützen Sie gerne.
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