26. August 2020

Frontal ins 21. Jahrhundert - auch arbeitnehmerähnliche Beschäftigte haben Auskunftsanspruch

Einer ZDF-Redakteurin ist vor dem Bundesarbeitsgericht ein großer Sieg für die Gleichberechtigung von Männern und Frauen – auch unter freien Mitarbeitern gelungen. Am 25. Juni 2020 entschieden die Richterinnen und Richter des achten Senats in Erfurt, dass nicht nur fest angestellte, sondern auch freie Mitarbeiter einen Auskunftsanspruch über das Entgelt vergleichbarer Kollegen haben.

Das Entgelttransparenzgesetz

Über Geld spricht man nicht“ – das Thema Geld und insbesondere Gehalt ist in Deutschland nach wie vor ein Tabuthema. Man spricht ungern darüber, besonders mit seinen Vorgesetzen oder Kollegen.

Obwohl Arbeitgeber bereits seit Jahrzehnten verpflichtet sind, ihren Beschäftigten ein benachteiligungsfreies Entgelt zu zahlen, liegen in Deutschland die Gehälter zwischen Frauen und Männern bei gleicher Qualifikation und Arbeitsleistung statistisch immer noch 6 Prozent auseinander (Statistisches Bundesamt, Pressemitteilung vom 16. März 2020, bereinigtes Gender Pay Gap). Aus diesem Grund trat am 6. Juli 2017 das Entgelttransparenzgesetz (EntgTranspG) in Kraft. Ziel des Gesetzes ist es, die Transparenz von Entgeltstrukturen zu verbessern und so das Gebot des gleichen Entgelts für Frauen und Männer bei gleicher und gleichwertiger Arbeit in der Praxis sicherzustellen.

Hierzu führte das Entgelttransparenzgesetz drei neue Kontrollmechanismen ein: einen individuellen Auskunftsanspruch (Abschnitt 2, §§ 10 ff.), ein betriebliches Prüfverfahren (Abschnitt 3, §§ 17 ff.) und Berichtspflichten des Arbeitgebers (Abschnitt 4, §§ 21 f.). Insbesondere der Auskunftsanspruch dient dazu, die Entgeltstruktur zu überprüfen und bei festgestellter Ungleichbehandlung eine Diskriminierungsklage nach § 15 AGG (Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz) zu erleichtern.

Der individuelle Auskunftsanspruch bisher und der aktuelle Fall

Der individuelle Auskunftsanspruch erstreckt sich auf Informationen über die Festlegung des eigenen Entgelts sowie des Entgelts von vergleichbaren Kollegen. D.h. er dient der Kontrolle der Einhaltung des Entgeltgleichheitsgebotes im Sinne des § 3 EntgTranspG, also der Verpflichtung, gleiche oder gleichwertige Arbeit nicht wegen des Geschlechts unterschiedlich zu bezahlen. Zur Geltendmachung eines Entschädigungs- und Schadensersatzanspruches nach § 15 AGG müssen Beschäftigte eine Diskriminierung darlegen, und somit zunächst wissen, was die relevante Vergleichsgruppe (Beschäftigte mit gleicher und gleichwertiger Arbeit des anderen Geschlechts) verdient und nach welchen Kriterien und Verfahren das eigene Entgelt und das der Vergleichsgruppe bemessen wurde.

Der Anspruch steht „Beschäftigten“ im Sinne des Entgelttransparenzgesetzes zu. Dieser Begriff der Beschäftigten ist in § 5 Abs. 2 EntgTranspG legaldefiniert und erfasst vordergründig Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Als Beschäftigte im Sinne des Entgelttransparenzgesetzes wurden somit bislang nur fest angestellte Arbeitnehmer angesehen, nicht hingegen frei Mitarbeiter.

Der Fall „Birte Meier“ – die ersten beiden Instanzen

Um genau diesen individuellen Auskunftsanspruch ging es nun in dem, der Entscheidung des BAG vom 25. Juni 2020 (8 AZR 145/19) zugrundeliegenden Fall: Die Redakteurin der ZDF-Sendung „Frontal 21“, Birte Meier erfuhr, dass sie wenig Entgelt erhielt, als ihre männlichen Kollegen mit weniger Betriebszugehörigkeit und Berufserfahrung. Nach vorheriger Beschwerde bei der Personalleitung und dem Intendanten des ZDF erhob Frau Meier Klage und beantragte zunächst Auskunft über die Vergütung ihrer Kollegen und machte Vergütungs-, Entschädigungs- und Schadensersatzansprüche geltend.

Das Arbeitsgericht Berlin (Urteil vom 1. Februar 2017 - 56 Ca 5356/15) und das Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg (Urteil vom 5. Februar 2019 - 16 Sa 983/18) lehnten die Klagen in den ersten beiden Instanzen ab.

Vergütungs-, Entschädigungs- und Schadensersatzansprüche bestünden nicht, da eine strukturelle Diskriminierung der Klägerin aufgrund des Geschlechts nicht erkennbar sei.

Einen Auskunftsanspruch auf erster Stufe, der gerade darauf abzielte, die strukturelle Diskriminierung darzulegen, lehnten die Gerichte ebenfalls ab, da die Klägerin als freie Mitarbeiterin keine Beschäftigte im Sinne des Entgelttransparenzgesetzes sei.

Die Folge dieser Rechtsprechung war ein klarer Widerspruch: freie Mitarbeiter hätten zwar einen Entschädigungs- und Schadensersatzanspruch nach dem AGG, würden aber auf der Vorstufe – dem Auskunftsanspruch nach § 10 EntgTranspG scheitern. Insofern wäre die Durchsetzung der Ansprüche nach AGG kaum möglich, da die Darlegung der Diskriminierung mithilfe des Auskunftsanspruch nicht gelingt.

Die Rechtsprechung des BAG

Diesen Widerspruch erkannte auch das BAG und kippte die Rechtsprechung der Vorinstanzen. Der Arbeitnehmerbegriff des § 5 Abs. 2 Nr. 1 EntgTranspG müsse europarechtskonform ausgelegt werden, sodass unter den Begriff der Beschäftigten des Entgelttransparenzgesetzes auch arbeitnehmerähnliche, freie Mitarbeiter zu fassen seien.

Der BAG stützte seine Argumentation darauf, dass das Entgelttransparenzgesetz die europäische Richtlinie 2006/54 EG umsetze, mit der Chancengleichheit und Gleichbehandlung von Männern und Frauen in Arbeits- und Beschäftigungsfragen verwirklicht werden soll. Für eine europarechtskonforme Umsetzung sei es deshalb erforderlich, die Begriffe „Arbeitnehmerin“ und „Arbeitnehmer“ in § 5 Abs. 2 Nr. 1 EntgTranspG in Übereinstimmung mit dem Arbeitnehmerbegriff der Richtlinie 2006/54/EG weit auszulegen und auch arbeitnehmerähnliche Mitarbeiter darunter zu fassen.

Diese weite, europarechtskonforme Auslegung des Arbeitnehmerbegriffs wird zwar nicht durch die Gesetzeshistorie gestützt, denn der Referentenentwurf zum Gesetz enthielt ursprünglich noch arbeitnehmerähnliche Mitarbeiter, diese wurden im darauffolgenden Regierungsentwurf jedoch gestrichen. Daraus lässt sich grundsätzlich schließen, dass der Gesetzgeber die arbeitnehmerähnlichen Mitarbeiter nicht schlichtweg vergessen, sondern entschieden nicht erfasst wissen wollte. Das BAG geht jedoch davon aus, dass der Gesetzgeber die Richtlinie 2006/54 EG zumindest unbewusst europarechtskonform umsetzen wollte.

Konsequenzen für die Praxis

Mit der Entscheidung des BAG vom 25. Juni 2020 ist nun höchstrichterlich geklärt, dass nicht nur fest angestellte Arbeitnehmer, sondern auch arbeitnehmerähnliche Mitarbeiter, also auch freie Mitarbeiter einen Auskunftsanspruch nach § 10 EntgTranspG haben.

Voraussetzung ist, dass die Beschäftigten in einem Betrieb mit mehr als 200 Beschäftigten arbeiten und eine gleiche oder gleichwertige Tätigkeit benennen, die von einer Vergleichsgruppe mit mindestens sechs Personen des jeweils anderen Geschlechts ausgeübt wird. Mit dem Auskunftsverlangen können sich Beschäftigte sowohl an den Arbeitgeber direkt als auch an den Betriebsrat wenden.

Arbeitgebern ist insofern zu raten, auch bei freien Mitarbeitern darauf zu achten, (selbstverständlich) diskriminierungsfrei zu vergüten, aber eben auch die, der Vergütung zugrundeliegenden Entscheidungskriterien zu dokumentieren, um sich im Nachgang an ein Auskunftsbegehren vor Entschädigungs- und Schadensersatzklagen zu schützen.

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